Acta Historiae Artium 24. (1978)
1978 / 1-4. szám - G. Galavics: Ein Reynolds-Blatt als politisches Symbol in Ungarn am Ende des 18. Jahrhunderts
EIN REYNOLDS-BLATT ALS POLITISCHES SYMBOL IN UNGARN AM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS von G. Gai.avics Die kunstgeschichtliche Forschung stützt sich bei der Interpretation einzelner Werke und bei der Untersuchung ihrer Wirkung gern auf die Äußerungen des zeitgenössischen Publikums. Jene sind aber dort, wo es kein institutionelles Kunstleben gab (Akademien, Ausstellungen), wie es z. B. in Ungarn am Ende des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter, aus welchem unsere Abhandlung sein Thema schöpfte, nur zufällig erhalten geblieben. Doch könnten sie zum Ausgangspunkt einer Untersuchung werden, womit durch die Rekonstruktion des Wirkungsmechanismus eines gewissen Werkes erkenntlich gemacht wird, wie vielfältig die Beziehungen eines Kunstwerkes zum Publikum sein können, das sich dem Kunstwerke mit verschiedenen Ansprüchen und verschiedener Bildung, aus verschiedenen gesellschaftlichen und geschichtlichen Situationen nähert. Die folgende Studie beschäftigt sich mit der Wirkung eines in Westeuropa entstandenen Kunstwerkes in Ungarn. Vom günstigen Empfang dieses Kunstwerkes wird im Jahre 1793 durch eine ungewöhnliche Art, durch eine Denunziation, berichtet. Baron Vinzenz Barco, der Militärkommandant von Ungarn hatte aus Buda am 27. Februar desselben Jahres dem Kaiser Franz I. nach Wien gemeldet: »Euer Mayestät, Dass Ladislaus Baron Ortzy das Porträt des herzogs Orleans in hungarischer Kleidung in seinem Schmauchzimmer gehabt, ist mir wohlerinnerlich, weil mir vor geräumiger Zeit, als er noch hier gewohnt hatte, er selbst bei einer Gelegenheit mir gesagt: das ist der Orleans. Da er seithero nacher Pest in sein vom Vätern ererbtes Haus gezogen, habe mich alldort wegen diesem Porträt gleich, allein Vergeblich umgesehen. Bei fernerer Untersuchung aber vernommen, das es zu Ofen, in den sich vorgehalten Theil seiner ehemaligen Wohnung geblieben sey, wo es mit einem anderen Porträt verdeckt aufbewahret wird. Man hat mir versprochen, auf Anverlangen eine Copie zu verschaffen; der Statthalterey Rath Baron Podmanitzky und junge Bcrinyi haben auch von ihme eine Copie.«1 Der Gegenstand der Anzeige ist also das Bildnis des Herzogs von Orleans, der Angezeigte aber László Orczy, der dieses Bild in Buda, in seinem Zimmer aufbewahrt hat. Die Art der Anzeige beweist eindeutig, daß das Interesse des Denunzianten nicht dem Kunstsammler Orczy galt, sondern seiner politischen Stellungnahme, der er — als einer der führenden Persönlichkeiten des ungarischen habsburgfeindlichen Adels — mit der Zur-Schau-Stellung des Porträts des Herzogs von Orleans Ausdruck geben wollte.2 Wie konnte am Ende des 18. Jahrhunderts in Ungarn der demonstrative Besitz eines einzigen Kunstwerkes zur politischen Tat werden, was war dieses Werk, welche Schichten maßen ihm eine politische Bedeutung und welcher Art bei? Dies sind die Hauptfragen unserer Abhandlung. Weiters natürlich die Frage, was war dieses durch ein einziges Bild repräsentierte Programm, worüber man den Kaiser eines mächtigen Reiches in Kenntnis setzen wollte. Zur Beantwortung dieser Fragen können wir durch die Identifikation und Auslegung des Kunstwerkes gelangen, aber dazu ist die Kenntnis der politischen Laufbahn des Herzogs von Orleans und des László Orczy erforderlich. Das Herzogtum Orleans war seit alten Zeiten das bedeutendste Herzogtum von Frankreich und die französischen Könige verliehen es oft ihren jüngeren Brüdern. Ludwig XIII. folgte diesem Brauch und sein Bruder bekam das Herzogtum im Jahre 1623. Das Land wurde nachher in seiner Familie vererbt. Seit dem Jahre 1786 war Louis Philippe Joseph (geh. 1747) der Herzog von Orleans. Sein Vater wie sein Großvater verbrachten ihr Leben in Zurückgezogenheit, im Kreise von Künstlern und Wissenschaftlern. Der junge Prinz erhielt eine zeitgemäße Erziehung und wurde zum Anhänger der die französische Acta Hist. Art. Hung. 7’< 24, нт