Pester Lloyd - esti kiadás, 1929. december (76. évfolyam, 274-297. szám)

1929-12-02 / 274. szám

1 Auslandschau. — 2. Dezember. — Tschechische UntersteUungen. Die Prager Presse, der deutschsprachige Offi­­ieiosus der tschechischen Regierung, veröffentlicht einen Leitartikel unter dem Titel „Ungarns Gerech­tigkeit“, dem wir die folgenden Stellen entnehmen „Das Bestreben nach einer definitiven Liquidierung ides Krieges durch endgültige Regelung der Reparations Probleme begegnet den größten Hindernissen in der Un Nachgiebigkeit Ungarns. Die Sache ist eine neue Variante des Rufes nach Gerechtigkeit für Ungarn. Diese Gerech itigkeit ist aber eine ganz besondere Art von Gerechtigkeit Das ist eine Gerechtigkeit, die soundsoviel Quadrat |kilomeler des Territoriums, soundsoviel tausend Stück Vieh und Vermögenswerte überhaupt aufzählt, aber dabei Vergißt, daß in diesen Werten vor allem die Arbeit und idas’ Bestreben der Slowaken, Serben und Rumänen lag, die sich freiwillig von Ungarn abtrennten, und zwar selbstverständlich mit dem Territorium und diesen |iWerten. Das ist eine Herrengerechtigkeit, deren in diesen itTagen der ungarisch-nationalistische Magyarság vulgären Ausdruck verlieh, als er erklärte, daß die Magyaren zum »Befehlen, die Slowaken zum Gehorchen geboren seien. Ein ähnlicher Begriff von Gerechtigkeit ist auch dort «u finden, wo sich die ungarische Politik in das Kleid der ’Sorge und des Schicksals der Minderheiten hüllt. Jüngst defilierten zum Beispiel die Ziffern dieser Minderheiten in einer Kampagne, die die ungarischen Blätter an ein (Vermeintliches Interview mit Minister Dr. Benes in einer Amerikanischen Zeitung knüpften. In der Tschecho­slowakei sind 745.000 Magyaren. Ihre Angliederung an Ungarn würde angeblich fijr die Tschecho-Slowakei den Verlust von nur 100.000 Slowaken bedeuten. Daß in (Ungarn selbst nach amtlichen Daten 150.000 national­bewußte Slowaken und eine Viertelmillionen slowakisch Sprechende, also auch Slowaken, leben, das verschweigen natürlich die ungarischen Blätter. Solange man in .Ungarn ;nicht begreifen will, daß es schon an der Zeit ist, der Herrenorientation gegenüber den eigenen Minderheiten Izu entsagen, müssen alle Verständigungsversuche mit den (Nachbarn und der Welt mißlingen.“ Was dieser tschechische Offiziosus über die un­­jgarische Stellungnahme zum Reparationsproblem (schreibt. ist derart absurd, daß es nachgerade schon »unterhaltsam wirkt. Die ungarische Forderung be­­izüglich der „abgetretenen Güter“ („biens cédés“l »wird so hingestellt, als ob es sich hier um Gott weiß :,was für willkürliche und grundlose Forderung (Ungarns handelte. Dabei wird jedoch die Gering­fügigkeit übersehen, daß es der Vertrag von Trianon (ist, der die ausdrückliche Bestimmung enthält, daß idie auf den abgetrennten Gebieten gelegenen staat­lichen Vermögensstücke Ungarns von den Nachfolge­­istaaten vergütet werden müssen und der be­zügliche Betrag dem ungarischen Staate auf dem Reparationskonlo gutzuschreiben ist. Hier handelt es sich also gar nicht um eine „Unnach­giebigkeit Ungarns“, sondern um eine ganz ein­deutige Bestimmung des Trianonvertrags. Daß es den Tschechen lieber wäre, die Milliardenwerte, von denen hier die Rede ist, unengeltlich an sich zu brin­gen, kann man ihnen nachfühlen. Wie sie aber dazu­kommen, für den unangenehmen Zwang, daß sie für diese Millionenwerte aufkommen müssen, ausgerech­net Ungarn verantwortlich zu machen, muß jeder unbefangen Denkende unbegreiflich finden. Dieser Zwang ist ja im Trianonvertrag dekretiert, und dieser Vertrag ist unserem Lande ohne dessen Befragen und Hinzutun von den Gönnern der Tschecho-Slowakei aufoktroyiert worden. Wenn man nun in Prag diesen unangenehmen Zwang aus der Welt schaffen möchte, <o wäre dies einzig im Wege einer Revision desTrianon­­vertrages möglich. Will man in der Tschecho­slowakei eine solche Initiative ergreifen, so wird man dazu Ungarn stets bereitlinden. Gegen die Zumutung, den Wert der von Ungarn zwangsweise abgetretenen Güter vergüten zu müs­sen, schickt der Prager Offiziosus ein seltsames Argument ins Treffen, indem er hervorhebt, daß „in diesen Werten vor allem die Arbeit und das Bestreben der Slowaken, Serben und Rumänen lag, die sich freiwillig von Ungarn abtrennten, und zwar selbstverständlich mit dem Territorium und diesen Werten.“ Bei dieser Einstellung wird jedoch ein wichtiger Umstand übersehen, der Umstand näm­lich, daß nicht bloß Slowaken, Serben und Rumänen abgetrennt worden sind, sondern auch vier Millionen Ungarn und eine Million Deutsche. Diese haben sich nicht freiwillig vom ungarischen Staate abgetrennt, sie haben sogar seit dem ersten Augenblick immer gegen ihre Abtrennung mit aller Kraft protestiert. Aber hievon auch abgesehen, scheint uns die These des Prager Offiziosus selbst vom Standpunkte der Nachfolgestaaten nicht unverfänglich zu sein. Denn aus dieser These würde folgen, daß der Teil der Bevölkerung der Nachfolgestaaten, der sich nicht freiwillig abgetrennt hat und der die Wiederanglie­­derung an Ungarn wünscht, berechtigt wäre, aus dem gegenwärtigen Staatsverbande auszuscheiden und daß damit auch die betreffenden Gebietsteile und alle darauf liegenden Werte automatisch an Ungarn zurückfallen würden. Man darf hier fragen: wie würde Inan sich in Prag dazu stellen, wenn bei­spielsweise die kompakten ungarischen Volksmassen in den südlichen Teilen der tschechoslowakischen Republik eines schönen Tages erklärten, daß sie sich freiwillig von der letzteren abtrennen und mit samt ihrem Siedlungsgebiet und allen darauf befind­lichen Werten dem ungarischen Staate wieder anschließen? Wie man sieht, ist es ein gefährliches Gebiet, auf das sich der Prager Offiziosus hier be­geben hat, und wir können ihm nur raten, bei einer nächsten Gelegenheit mit größerer Vorsicht zu Werke zu gehen. * Interessant sind auch die bevölkerungsstatisti­schen Daten, mit denen das halbamtliche Prager Blatt operiert. Bisher hat es von dort immer ge­heißen, daß auch im heutigen Rumpfungarn noch 450.000 Slowaken leben. Jetzt macht die halbamtliche Prager Stimme einen interessanten, aber merkwür­digen Unterschied zwischen „nationalbewußten Slo­waken“ und „Slowakisch Sprechenden, die also auch Slowaken seien“. Wie sieht es aber damit in Wirklichkeit aus? Im heutigen Ungarn wurden ins­gesamt 140.882 Slowaken gezählt; das sind diejeni­gen, die bei der Volkszählung sich als zur slowaki­schen Nationalität gehörend und das Slowakische als ihre Muttersprache bekannt haben. Freilich hat diese Volkszählung auch 244.000 Personen ausgewiesen, die nebst anderen Sprachen auch der slowakischen mächtig sind. Der Prager Offiziosus begeht nun das Taschenspielerkunststück, diese Kategorie einfach dem Slowakentum beizuzählen. Hier muß man je­doch fragen, ob die tschechoslowakischen Amts­­stellen bereit wären, diejenigen ihrer Staatsange­hörigen, die nebst der slowakischen Sprache auch die ungarische sprechen, der ungarischen Nationalität beizuzählen? Denn in der Slowakei gibt es viele Hunderttausende von slowakischen Einwohnern, die sich auch die Kenntnis der ungarischen Sprache an­geeignet haben. Wenn also in Ungarn jeder, der der slowakischen Sprache mächfig ist, als Slowake zu gelten hat, dann muß, wenn mit gleichem Maß ge­messen werden soll, auch jeder Slowake, der nebst seiner Muttersprache auch die ungarische erlernt hat, als Ungar angesprochen werden, so beispielsweise der frühere tschechoslowakische Minister Milan Hodzsa, der gegenwärtige Pariser Gesandte Ossuski und un­zählbare andere noch. Die Wahrheit aber ist, daß die weitaus überwiegende Mehrheit der 244.000 in Ungarn lebenden Personen, die auch Slowakisch sprechen, sich aus der Kategorie jener unserer Volks­genossen rekrutiert, die bis zum Kriegsende in der Slowakei gelebt, dort die slowakische Sprache sich angeeignet haben, nach der Verstümmelung Ungarns aber durch die Prager Willkürherrschaft von ihrer eigenen Heimat verdrängt wurden und nach Ungarn flüchten mußten. Man hat es hier also mit einem der plumpen Fälschungsmanöver zu tun, die die Welt bereits bis zum Überfluß kennt und die immer nur beweisen, mit welch zynischer Frivolität man in Prag auf die Irreführung der öffentlichen Meinung des in diesen Dingen leider völlig unorientierten Auslandes hinarbeitet. Bernard Shaw und die Parlamente. Daß Bernard Shaw keine besonders schmei­chelhaften Gefühle für das parlamentarische System übrig hat, ist eine allbekannte Tatsache; er nahm sich einigemal schon die Mühe, seine Meinung über Parlamente und Parlamentarier in seiner kraftvol­len und geistreichen Art der Welt bekanntzugeben; was er aber vor einigen Tagen in einem Vortrag in der Londoner Fabianer Gesellschaft verkündet hat, klingt neu und überraschend. Mr. Shaw sprach näm­lich diesmal von den möglichen Reformen des par­lamentarischen Systems, und die Tatsache allein, daß er nicht bloß die Reformbedürftigkeit, sondern auch die Möglichkeit von Reformen zugab, dürfte alle Bewunderer des geistvollen Iren überraschen. Im großen und ganzen war dieser -Vortrag, über den die englischen Blätter spaltenlange Berichte ver­öffentlichen, durch einen ziemlich pessimistischen Ton gekennzeichnet. Wie so viele Mitglieder der Ar­beiterpartei, bezweifelt auch Shaw die Möglichkeit, mit der gegenwärtigen, seiner Ansicht nach „voll-! kommen veralteten Maschinerie“ die großen Pro­bleme, die dem zeitgenössischen England so viele Sorgen bereiten, lösen zu können. „Wie könnte man die Arbeitslosigkeit zum Verschwinden bringen?“ fragte er mit der ihn so bezeichnenden Rücksichts­losigkeit, „wo doch ein so großer Teil der Arbeits­losen zu jeder Arbeit unfähig ist?“ „Wir werden,“ fuhr er fort, „Programme für die nächsten zehn Jahre ausarbeiten, doch das große Werk wird nicht geschaffen. Man hat die Konservativen wegen ihrer Unfähigkeit beschimpft, die schwere Arbeit zu voll­enden, aber auch die Arbeiterpartei wird beschimpft werden wegen derselben Unfähigkeit, weil eben beide sich mit dieser vollkommen veralteten Ma­schinerie abzumühen haben. Es wird die Zeit kom­men, da Mr. Maxton selbst im Kabinett sitzen und ge­gen dieselben Hindernisse ankämpfen wird.“ Will man Reformen durchführen, so müßte eben eine vollkommen neue Maschinerie des staatlichen Le­bens errichtet werden; geschieht dies aber nicht, so kommt eben — der Apfelkarren! Die Entwicklung, die er in dem „Apfelkarren“ so eindringlich darge­stellt hatte, könnte immerhin mittels durchgreifen­der Reformen der staatlichen Einrichtung verhütet werden. Wie stellt sich nun Shaw diese parlamen­tarische und politische Reform vor? „Erstens ein­mal,“ meint er, „sollten die diplomatischen Metho­den des Völkerbundes auf England ausgebreitet werden. Wir benötigen auch in der Zukunft ein Auswärtiges Amt, doch an Stelle von Hintertreppen­verträgen brauchten wir einen Botschafterrat, der unter dem Vorsitz des Ministers des Äußern seine Sitzungen hält und in aller Öffentlichkeit seine Ar­beit erledigt. Dann brauchten wir mehrere Parla­mente, ein Reichsparlament, ein Bundespar­lament für die britischen Inseln, ein be­sonderes Parlament für jede der britischen Nationen, auch für die Schotten, ein politisches Par­lament und ein Parlament der Industrie. Hingeris­sen durch den Strom seiner Gedanken, fügte dann Mr. Shaw noch Mffzu: „Und außerdem wenigstens zehn regionale Parlamente, um Englands Lokalver­waltung zu versehen.“ Wie dieser Rattenkönig der verschiedenen Par­lamente einander bei- und untergeordnet werden soll, darüber schwieg Mr. Shaw, diese Aufgabe über­läßt er allem Anscheine nach den vielgeschmähten Juristen, über die künftigen Mitglieder der Parla­mente, über die Erziehung der Wähler zu dieser neuen politischen Kultur sprach er dagegen lange und eindringlich. Nachdem er das gegenwärtige po­litische System als eine Variante des feudalen Räu­berbaronsystems bezeichnet hatte, ließ er eine don­nernde Philippika gegen Englands berühmte und altehrwürdige Schulen los, denn diese Schulen er­ziehen bekanntlich seit vielen Jahrhunderten die künftigen Staatsmänner und Richter, aber auch die meisten Geistlichen, Lehrer und Professoren Englands. „Ich stehe nicht an, zu er­klären,“ sagte Shaw, „daß wenn irgend­ein unvorhergesehene Katastrophe in diesem Lande das Unterste zum Obersten kehren und mich zu einem Diktator machen würde, mit meiner Zu­stimmung kein Mann, der über Eton nach Oxford, über Harrow nach Cambridge oder über Woolwich nach Sandhurst kam, in die Nähe eines englischen Kindes kommen könnte. Eines der ersten Gesetze einer intelligenten Regierung müßte sein, jeden Graduier­ten oder Studenten unserer Universitäten von jedem öffentlichen Amte auszuschließen, ihnen das passive Wahlrecht abzusprechen, vor allem aber diese Leute von jeder englischen Schule fernzuhalten.“ Die Zuhörer applaudierten dieser glänzenden Boutade, wie weit aber die Raketen dieses feurigen Geistes von dem Gedankengange des Durchschnitts­engländers liegen, bewies am schlagendsten der Um­stand, der von den englischen Zeitungen mil Schmunzeln registriert wurde, daß die Fragen, die man dem Redner auf die Tribüne schickte, zu den Ausführungen Shaws in diametralem Gegensatz standen, was er auch selber mit gutmütigem Lachen feststellte. Entspannung im Fernen Osten. Nach einer heute eingetroffenen amtlichen rus­sischen Meldung, ist der chinesische Kommissär in Charbin an der Grenze eingetroffen und hat dem russischen Bevollmächtigten mitgeteilt, daß Tschiang Kai Schek sich entschlossen habe, sämtliche Forde­rungen der Sowjetregierung anzunehmen, und zur Vereinbarung der Einzelheiten des zu treffenden Übereinkommens einen Bevollmächtigten zu entsen­den. Als Ort der Verhandlungen ist Ussurisk aus­ Einzelnummer an Wochentagen 16, an Sonntagen 32 Heller. Abonnement: »Wir Budapest: mit täglich zweimaliger ÍZuitellung und für da« Inland Morgen­­und Abendblatt: Vierteljährlich 18 P, monatlich 6.40 P. für das Morgonblatt allein vierteljährlich 14 P, monatlich 4 P. Auch auf das Abend­blatt allein kann unter den gleichen Bezugs­bedingungen abonniert werden. Für die separate Zusendung des Abendblattes nach der Provinz sind vierteljährlich 1 Pengő zu entrichten. für Wien auch durch Herrn. Goldsohmidt für das Ausland mit direkter Kreuzband­­•endung vierteljährlich : Für Oesterreich und Polen 20 Pengd, für Jugoslawien £4 Pengő, für alle übrigen Staaten SO Pengő. Abonnements werden auch bei sämtlichen ausländischen Postämtern entgegengenommen. Manuskripte werden nicht zurückgesteUL Telephon der Redaktion : 848-20.PESTER LLOYD ABENDBLATT , hMewittnwriwalnnW 1ft Budapest, in dor Administration des Pester Lloyd und in den Annonoen- Bureaofl: Balogh Sándor, J. Blookner, J. Blau, Győri & Nagy, Haasenstein & Vogler, Ludwig Hegyi, Simon Klein, Cornel Leopold! Julius Leopold, Magyar hirdető-iroda, Rudolf Moste A.-Ű-, Jos. Schwarz, Sikray, Julius Teuzer. Gkncralvcrtrettmg des Pester Lloyd für Oesterreich : M. Dukes Naohf. A.-CL Wien, Wollzeile 16. 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