Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1930. január (77. évfolyam, 1-25. szám)

1930-01-01 / 1. szám

In rauher Weltstunde... Budapest, 31. Dezember. (K—i.) Zeitströmungen, Zeitgeist: es ist gar .lieht so lange her, daß diese Worte Eindeutiges be­­zeichneten. Vom einen politischen Lager und vom andern, diesseits und jenseits der Grenzptähle, wur­den sie als Selbstverständlichkeiten gehandhabt. Die Vormärzterminologie hat sie dem europäischen Bewußtsein einverleibt, und seither gelten sie (oder galten bis zu unserer Gegenwart) als reale Kräfte, ja als das Sinngebende des historischen Geschehens. Die „Freunde des Fortschritts“ erblickten im Be­griffe des Zeitgeistes eine unbeschränkte Macht, bei­nahe ein mythisches Wesen, das die irdischen Völ­kergeschicke regelt; die Revolutionen und die großen Reformbewegungcn des 19. Jahrhunderts vollzogen sich im Zeichen des Zeitgeistes, und noch in der Kriegspropaganda unserer Feinde im Weltkriege schwang etwas vom Glauben an die Hoheitsrechte dieses überirdischen Wesens nach. Auf der anderen Seite der politischen Arena standen die „Freunde des Althergebrachten“; sie glaubten ebenfalls an die Realität des Zeitgeistes, nur im abschätzigen Sinne: Zeitgeist war in ihren Augen das hereinbrechende Böse, gegen das es die gefährdeten, altersgeheiligten Lebenswerte zu verteidigen galt. So stand dieser Begriff, leidenschaftlich bejaht oder verneint, im Mittelpunkte der politischen Diskussion. Heute ist er, wenn nicht gänzlich hinfällig, so doch im höch­sten Maße problematisch geworden. Was ist er, wenn er überhaupt ist, dieser Zeitgeist, was führt er im Schilde, mit welchen Forderungen tritt er an den heutigen Menschen heran? Ist es überhaupt möglich, auf diese Frage die Antwort zu versuchen? Solange die Menschheit eindeutige Zielsetzungen kannte und am Wunschbilde einer zu verwirklichenden höheren Ordnung hing, war es ein Leichtes, dieses Wunsch­bild, dieses Zukunftsideal gleichsam zu veräußer­lichen und einem besonderen, „mythischen“ Wesen unterzuschieben. Das ganze 19. Jahrhundert rich­tete sich nach einem derartigen Zukunftsglauben. Unser Jahrhundert brachte dann die Enttäuschung, das Zerfließen der utopischen Träume in nichts, das Fraglichwerden der übergreifenden Zielsetzungen; der große Krieg selber, mit dem unsere Gegenwart einsetzte, war nichts anderes als das erste große, überwältigende Mahnzeichen der Krise, die über die Menschheit hereinbrach und ihre Lebensgrundlagen zweifelhaft machte. Geschwunden ist der Glaube an eine ideale Ord­nung, nach der hin die Entwicklung der Menschheit geradlinig verläuft. Für eine derartige Deutung der Geschichte haben wir den Sinn verloren. Doch es wäre weit verfehlt, aus diesem Geisteswandel auf die vollständige Ziellosigkeit, auf die innere Leere des Lebens zu schließen. Auch diese Betrachtungen, die dem großen Unbekannten, dem neuen Jahre, gelten, das das Menschheitsschicksal um einen weiteren kleinen Schritt (wer weiß, wohin) weiterlenken soll, würden völlig ihren Sinn verlieren, wenn sie im Be­wußtsein der Krise, der Ratlosigkeit, des Niclitmehr­­vorwärtskönnens festgebannt blieben. Ideales Stre­ben, hohe Ziele, große Menschheitswerke bietet unser Leben, bieten unsere Tage auch. Nur eines ist uns abhanden gekommen: der Glaube an diese Ziele, an diese Werke, als an etwas Absolutes, über das Ge­wöhnliche hinaus Liegendes, als an einen abstrakten Richtpunkt unserer Bewegungen. Das zu Verwirk­lichende gift uns als notgedrungene, harte Forde­rung des Tages, nicht aber als eine höhere, absolute Stufe, auf die die Menschheit hinaufgelangen soll, und der gegenüber all unser Wirken nur Vor­bereitung ist. Die Ewigkeit hat sich aus unserer Ge­schichte zurückgezogen. Was ist hier im Grunde geschehen? Eine Welt­anschauung. die im Zeichen des „Zeitgeistes“ die Fragen der Gegenwart und der Zukunft löste, ist in die Brüche gegangen. Diese Weltanschauung war die des Evolutionismus: ihr leitender Gedanke war der Fortschritt, ein Lebensregulator noch höherer, noch allgemeinerer Ordnung als der „Zeitgeist“ selbst, — denn er gilt für alle Zeiten. Den Fort­schritt faßte der Mensch des 19. Jahrhunderts als die Zaubermacht auf, die die ganze Erdenschwere imseres Daseins aufzuheben vermag: der wissen­schaftliche Fortschritt werde, so hieß es, den Men­schen restlos in alle Geheimnisse des Stoffes und der Kraft einweihen; der soziale Fortschritt werde all die ungerechten Unterschiede zwischen hoch und niedrig ans der Welt schaffen. Und die Zeitwende, die wir erleben, und die unser Dasein so proble­sich: „Sie werden nicht ablassen von dem Turm, ehe sie ihn nicht vollendet haben.“ Zum ersten Male erkannte er die Größe des Geistes, den er selbst in die Menschen getan. Er ward innc, daß es nicht mehr der seine war, der dann ewig ruhte nach sieben Tagen des Werkes, sondern ein anderer, gefähr­licher, wundervoller Geist der Unermüdlichkeit, der nicht abläßt vor der Erfüllung. Und zum ersten Male ward Gott bange vor den Menschen, denn sie waren stark, wenn sie ähnlich waren, wie er selbst, eine Einheit. Er begann nachzusinnen, wie er das Werk hemmen könnte. Und er fand, daß er nur stärker wäre, als sie, wenn sie nicht mehr ein­trächtig wären, und tat Zwietracht zwischen sie. Er sprach zu sich selbst: „Lasset uns sie verwirren, daß keiner des andern Sprache vernehme.“ Damals wurde Gott zum ersten Male grausam gegen die Menschheit. Und Gottes finsterer Entschluß wurde Tat. Er reckte die Hand aus gegen die Fleißigen, die unten in emsiger Eintracht wirkten und schlug ihren Geist. Die bitterste Stunde der Menschheit war gekommen. Plötzlich über Nacht, mitten am Werk, verstanden sie einander nicht mehr. Sie schrien sich zu, aber keiner begriff des anderen Rede und da sie sich nicht verstanden, ergrimmten sie gegeneinander. Sie war­fen ihre Ziegel weg, Haue und Kelle, sie stritten und zankten und schließlich liefen sie alle fort vom gemeinsamen Werke, jeder in sein Heim, jeder in seipe Heimat, über alle Felder und Wälder der Erde zerstreuten sie sich, bauten jeder nur mehr seine eigene enge Heimstatt, die nicht in die Wolken reichte und nicht zu Gott, sondern nur eben sein Haupt schützte und seinen nächtlichen Schlaf. Der Turm Babels aber, der gewaltige, blieb verlassen. Regen und Wind rissen an seinen Zinnen, die schon den Himmel nahe gesehen, allmählich sanken sie ein, bröckelten ab und zerbrachen. Bald war er Legende, nur aufgezeichnet im Lied, und die Menschheit ver­gaß das größte Werk ihrer Jugend. Hunderte und Tausende Jahre gingen darüber hin. die Menschen lebten seitdem in der Abgeschie­­iheit ihrer Sprachen. Sie taten Grenzen zwischen Felder und Länder. Grenzen zwischen ihre und Sitten, fremd lebten sie nebeneinander, matiscli gestaltet, setzte in dem historischen Augen­blick ein, als die Gewißheit aufzudämmern begann, daß der wirkliche Fortschritt anders beschaffen sei, als der unkritische Glaube früherer Generationen anzunehmen geneigt war. Sowohl der wissenschaftliche, wie auch der soziale Fortschritt mußten gründlich umgedeutet werden. Wir setzen der Wissenschaft nicht mehr das Ziel, die Menschheit aus einem Zustande der Unwissenheit ins Paradies des Allwissens hinüber­zuführen; wir begnügen uns damit, wenn sie Er­fahrungen, Ermessungen und Berechnungen aus einem Sinnzusammenhange heraus zu deuten ver­mag, der der jeweils erreichten Stufe der Forschung und des Denkens entspricht. Im sozialen Fortschritt erblicken wir ebenfalls nicht das Vorbereiten eines vollkommenen Idealzustandes. Wir sahen, wie der Versuch einer derartigen „idealen Ordnung“ in un­seren Tagen gräßlich in ihr Gegenteil umschlug, \yic eine Revolution der radikalen Wertverbesserung zur größten Wertvernichtung der Geschichte wurde. Wir sind an irdischen und geistigen Gütern nicht so reich, daß wir um eines Versuches willen alles opfern könnten: Fortschritt im heutigen Sinne ist eine zähe, harte Arbeit um unmittelbare Möglich­keiten, mühsames Wegräumen unmittelbarer Hin­dernisse aus dem Wege des möglichst großen Glückes der möglichst großen Anzahl von Menschen. Wir sind recht bescheiden geworden. Und doch lebt in uns eine eigentümliche Unruhe, die vielleicht unzertrennbar mit dem Menschsein verbunden ist: wir suchen neue Ideale. An der Schwelle eines jeden neuen Jahres taucht in uns die Frage auf: word die­ses Jahr uns vielleicht die erlösende Antwort, oder die erlösende Frage bringen? Wir beginnen schon an unserer Unsicherheit zu kranken. Diese Krank­heit ist tiefer und bösartiger, als die fieberhaften Ausbrüche der ersten Stunde nach der großen Um­wälzung: Damals lebten wir im Paroxysmus; die Kunst, die Dichtung verzerrte sich ins Ungeheure, im politischen Leben lobte der Sturm. Heute läutern sich Kunst und Literatur zu klarer Sachlichkeit, und die Politik richtet sich zumeist nach den Maßstäbeu wirtschaftlicher Realität. Und doch fehlt uns etwas, und dieser Mangel ist tiefer und tragischer als die heiße Not der ersten Umsturzjahre. Wir brauchen eine große Wahrheit oder einen großen Irrtum, ein und wenn sie ihre Marken überschritten, so war es nur,um sich zu berauben. Jahrhunderte, Jahrtausende gab es keine Einheit zwischen ihnen, nur abgesonder­ten Stolz und eigensüchtiges Werk. Aber doch, wie von einem Traum mußte aus ihrer gemeinsamen Kindheit noch eine Ahnung des großen Werkes in ihnen sein, denn allmählich ansteigend in die Reife der Jahre, begannen sie wieder einander nachzufrageu und unbewußt den verlorenen Zusammenhang zu suchen. Ein paar kühne Menschen machten den An­fang, sie besuchten fremde Reiche, brachten Bot­schaft heim, allmählich befreundeten sich die Völker, eines lernte vom anderen, sie tauschten ihr Wissen, ihre Werte, ihre Metalle und allmählich entdeckten sie, daß verschiedene Sprachen keine Entfremdung sein müßten und Grenzen kein Abgrund zwischen den Völkern. Ihre Weisen erkannten, daß keine Wissenschaft aus einem Volk allein die Unend­lichkeit begreifen könnte, bald empfanden auch die Gelehrten, daß der Austausch der Erkenntnisse rascher den gemeinsamen Fortschritt befördere, die Dichter übertrugen die Worte der Brüder in die eigenen und Musik, die einzige, die frei ward vom engen Band der Sprache, durchdrang gemeinsam aller Gefühle. Die Menschen liebten das Leben mehr, seit sie wußten, daß auch eine Einigkeit möglich war jenseits der Sprache, ja sie dankten Gott für das, was er als Strafe über sic verhängt, dankten ihm, daß er diese Vielfalt ihnen zugeteilt, weil er ihnen damit die Möglichkeit gegeben, vielfach die Welt zu genießen und an den Verschiedenheiten die eigene Einheit stärker bew’ußt zu lieben. So begann er allmählich auf Europas Boden wie­der zu erstehen, der Turm zu Babel, das Denkmal der brüderlichen Gemeinschaft, das Monument der menschlichen Solidarität. Nicht die stumpfe Materie war es mehr, Ziegel und Ton, Mörtel und Erde, den sic wählten, um den Himmel zu erreichen, Gott und Welt zu verbrüdern. Aus dem feinsten unzerstörbar­sten Stoff des irdischen Wesens, aus Geist und Er­fahrung, aus den sublimsten seelischen Sub­stanzen war er erbaut, der neue Turm. Breit und tief war das Fundament, die Weisheit des Morgenlandes hatte es ver­tieft, christliche Lehre gab ihm das Gleichgewicht Feuilleton« Der Turm zu Babel. Von STEFAN ZWEIG. Die tiefsten Legenden der Menschheit walten um ihren Anbeginn. Die Symbole des Ursprungs haben eine wrundervolle dichterische Kraft und gleichsam selbsttätig deuten sie auf jeden späteren großen Augenblick der Geschichte zurück, in der sieti Völker erneuern und bedeutende Epochen ihren Anbeginn nehmen. Und es ist in den Büchern der Bibel, noch auf den ersten Blättern, bald nach dem Chaos der Schöpfung, ein wunderbarer Mythos der Menschheit erzählt. Damals, kaum erstanden aus dem Unbekannten, noch umschattet von der Däm­merung des Unbewußten, hatten die Menschen sich zusammengetan zu einem gemeinsamen Werk. Sie standen in einer fremden, weglosen Welt, die ihnen finster schien und gefährlich, hoch über sich aber sahen sie den Himmel stehen, rein und klar, als ewigen Spiegel des Unendlichen, nach dem eine Sehnsucht ihnen eingeboren war. Und so traten sie zusammen und sprachen: „Wohlauf, lasset uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen für die Ewigkeit.“ Und sie taten sich zu samnieu, kneteten Lehm und brannten Ziegel daraus und hüben an zu bauen, daß es ein Turm werde, der hinreiche in Gottes Saal zu seinen Sternen und zu der blanken Schale des Mondes. Gott sab vom Himmel das kleine Mühen und mochte geläcnelt haben, wie er die Menschen er­blickte, die selbst klein, durch die Ferne wie winzige Jn.sekten noch Kleineres zusammentaten. geknetete Erde und behauene Steine. Ein Spiel mochte es ihn dünken, einfältig und ungefährlich, was die Menschen da unten begannen in ihrem wirren Ver­langen nach Ewigkeit. Aber bald sah er die Grund­festen des Turmes wachsen und wr ' Menschen einträchtig waren und e:' nicht innehielten in ihrem Werke sich halfen, einer dem anderen. W euiahrsnummer 24 Heller. Abonnement t Inseratenaufnahme: ________________________ _ __ _____ Für das Horpenhlatt allein TierteljAhrHeb ISB jgfe SO ü SL 1 §f Iff 1 ■ S3 gSgS 2» J? W> M itÜ Hi Ludwig Hegyi, Simon Klein, Cornel Leopold. II P, monatlich 4 P. Auch auf das Abend- HpS JKp IW 'SSlfev SKf SB Ura Je® Hw mR IjS ’aSM» Üm Jalhia Leopold, «agyar hirdeti-iroda, Rudolf bist« allein kann unter den gleichen Bnzags- BS&jffß gOBB SS MW» SU SB «M Saj 1Wi oM Mossa A.-G, Jos. Schwarz, Sikray, Julius hedingungen abonniert werden. 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