Pester Lloyd - esti kiadás, 1930. július (77. évfolyam, 146-172. szám)

1930-07-01 / 146. szám

PESTER LLOYD Eheschutzinstitution hob Oberhausmitglied Papp hervor, daß er die Rolle des Verteidigers in Ehesachen nicht billigen könne, wonach dieser erstens nicht gegen das Urteil appellieren dürfe und überdies auch gezwungen sei, den Weisungen des Staatsanwaltes Folge zu leisten: Zum Schluß seiner fast einstündigen Rede gab er seinem Bedauern Aus­druck, daß die alte, ausgezeichnete und auch vom Ausland anerkannte ungarische Prozeßordnung nicht im bisherigen Rahmen weitergeführt werden kann. Die Advokaten, ^schloß er, haben in der Ver­gangenheit wichtige staatsrechtliche Funktionen er­füllt, aber sie müssen dies auch in der Gegenwart tun, indem sie mit den Waffen des Rechts gegen Trianon kämpfen. Das Programm, das Herr Justiz­minister Zsitvay bei seinem Amtsantritte entwickelt hat, hat uns Advokaten vollkommen beruhigt. Ich vertraue auf die Zukunft und auf die Gerechtigkeit und ich bitte den Herrn Justizminister, sein Pro­gramm restlos weiter zu verwirklichen. Im Hin­blick darauf, daß es sich in dieser Vorlage nur um Übergangsmaßnahmen handelt, nehme ich sie als Grundlage zur Spezialdebatte an. (Lebhafter Bei­­fallß.) Das Wort ergriff hierauf Dr. Stefan Bernát. .Weiteres im Mörgenblatt. II. Abgeordnetenhaus. Das Abgeordnetenhaus hat sich heute zur Ver­handlung der heiß umstrittenen Getreideverwertungs­vorlage versammelt. Man war sehr zahlreich ge­kommen. weil man ja wußte, daß zu Beginn der Sitzung über den Antrag abgestimmt werden mußte. Wonach die Beratungszeit für die Dauer der Debatte über diesen Entwurf auf acht Stunden ver­längert werden soll. Aber auch sonst zeigte sich großes Interesse für den Gegenstand, der die öffent­liche Meinung in so starke Erregung versetzt hat Und dem Grafen Bethlen wieder einmal Gelegenheit gegeben hat, den Beweis dafür zu liefern, wie fest er seine Partei in Händen hat. Diese Partei wird ihm auch im Plenum durch dick und dünn folgen. Die Opposition wird, insbesondere weil einige peinliche Folgen der Verwertungsaktion schon eingetreten sind, noch manche Schwierigkeiten machen, die aber bald überwunden sein dürften. Die Achtstunden­sitzung ist das Grab der oppositionellen Kampflust. Bis vor kurzem hatte alles gehofft, daß nach der Erledigung der Boilettenvorlage das Haus wenigstens gleich in die Ferien werde gehen können. Diese Hoffnung ist aber heute gleich nach Eröff­nung der Sitzung zunichte gemacht worden; es mel­dete sich nämlich ganz unerwartet Volkswohlfahrt­minister Dr. VASS zum Wort, um dem Hause eine Vorlage über die Regelung der finanziellen Lage des Krankendersicherungszweiges der Landes-Sozialver­­sicherungsanstalt zu unterbreiten und hiefür die Dringlichkeit zu beantragen. Das Haus billigte diese zu und so wird es auch noch diesen Entwurf verabschieden müssen und überdies auch noch die Vorlage über die Zulagen der Honvéd und anderer bewaffneten Formationen, die in den zuständigen Ausschüssen gestern unter Dach gebracht wurde. Vor Eintritt in die Tagesordnung lenkte Abg. Dr. SZILÁGYI (parteilos) die Aufmerksamkeit des Hauses auf die Bedeutung der finnisch-ungarischen Sportveranstaltungen am kommenden Wochenende. Dann ließ Präsident Dr. ALMÁSY die Abstim­mung über den Antrag des Abg. Baron Podmaniczkg betreffend die Verlängerung der Beratungszcit von 4 auf 8 Stunden vornehmen. Die Sozialdemokraten und die wenigen an­wesenden Mitglieder der bürgerlichen Opposition schlugen Lärm und protestierten sehr heftig, aber das nützte sehr wenig: die Mehrheit erhob den An­trag zum Beschluß und so sitzt man schon ab heute von 10 Uhr vormittags bis 6 Uhr abends beisammen. Auf die Tagesordnung übergehend, erledigte das Haus zunächst die in der jüngsten Sitzung verhan­delten Entwürfe über das griechisch-ungarische Handelsabkommen, das dritte Zusatzabkommen zu den zwischen Ungarn und Österreich in den Jahren 1922, 1926 und 1928 abgeschlossenen Handels­abkommen, sowie mehrere andere Vorlagen in dritter Lesung. Dann wurde in die Generaldebatte über die Ge­­treideverwertungsvorlage eingetren, die Abgeordneter Dr. MARSCHALL (Einheit) mit einem großzügigen Referat einlcitete. Unter andauerndem Lärm und stellenweise leidenschaftlichen Ausbrüchen der So­zialdemokraten begründete er die Vorlage, von der er sagte, daß man ihr, wenn sie auch nicht als ideal bezeichnet werden dürfe, nicht ausweichen könne, wolle man der Landwirtschaft zu Hilfe eilen. Die Vorlage, sagte er u. a., hat einen großen Vorteil. Sie ist nämlich ganz unpolitisch, es handelt sich um einen Entwurf rein wirtschaftlicher Natur, den das Gebot des tragischen Niederganges der Landwirt­schaft und die Erkenntnis geboren haben, daß ein Beben der ungarischen Erde gleichbedeutend sei mit der Erschütterung der Grundlagen des Landes, und daß der Landwirtschaft zu helfen so viel heißt, wie dem Lande selbst zu helfen. Es wäre eine verhäng­nisvolle politische Frage daraus entstanden, wenn sich die Regierung nicht entschlossen hätte, an die Prüfung des Agrarproblems heranzutreten, oder wenn sie noch lange damit gewartet hätte, weil stets große soziale Konvulsionen entstehen, wenn auf den Fluren mit der Wirtschaft auch die Seele des Landmannes zusammenbricht.. Der Entwurf ist keineswegs das Produkt augenblicklicher oder zufälliger Ent­schließungen, er ist das Resultat gründlicher Über­legung und einer reiflichen Abwägung der Kon­sequenzen nach 'allen Seiten hin. Der Regierung standen nur zwei Wege offen: sie hatte entweder die Knie zu beugen vor der Theorie, wonach das Gesetz von Nachfrage und Angebot alles regelt, was gleich­bedeutend ist mit dem Laissez faire, laissez passer, wobei aber das Tempo des Niederganges der Agrar­wirtschaft noch schärfer werden muß, oder aber sie hätte sich zu Maßnahmen entschließen müssen, die keineswegs ideal sind, denen aber, sollte die Krise der Landwirtschaft einigermaßen gemildert werden, nicht ausgewichen werden konnte. (Lebhafte Zustim­mung rechts, Lärm links und äußerstlinks.) Die Re­gierung hat die zweite Lösung gewählt... Abgeordneter PROPPER (Soz.): Es hätte noch eine dritte gegeben: die Demission! Abgeordneter Dr. MARSCH ALL: ... als ultima ratio, nicht im Interesse eines Produktionszweiges, sondern im Interesse des ganzen Landes. Nach die­ser Einleitung setzte der Referent auseinander, wie die Agrarimportländer ihre Agrarzölle einfach er­höhen, um das innere Preisniveau im Gleichgewicht zu erhalten, und wie andere Länder trotz der links­radikalen Auffassung ihrer Regierungen gezwungen seien, der Landwirtschaft mit den drastischesten Maßnahmen zu Hilfe zu eilen. Der größere Teil der Ausführungen war den einzelnen Bestimmungen des Entwurfes gewidmet, die der Referent sehr ein­gehend beleuchtete, um schließlich unter heftigem Widerspruch der Sozialdemokraten zur Folgerung zu gelangen, daß in jeder Hinsicht die möglichst beste Wahl getroffen worden sei und darum die Vor­lage in der Hoffnung genehmigt werden könne, mit ihrer Hilfe der Landwirtschaft über das Schwie­rigste hinwegzuhelfen. Die Rechte applaudierte, die Sozialdemokraten aber ironisierten: Vor einigen Wochen war die Par­tei noch voller Aufregung, jetzt aber applaudiert sie! Die Rechte antwortete mit Eljenrufen auf den Soeben in den Saal tretenden Ministerpräsidenten Grafen Bethlen. Von oppositioneller Seite bekämpfte nunmehr die sozialdemokratische Abgeordnete KÉTHLY die Vorlage. Die Vorlage, sagte sie, bedeutet einen Wendepunkt in der Herrschaft des christlich­nationalen Kurses, beziehungsweise einen Rück­­wbndepunkt, weil sie eigentlich die Rückkehr zur ursprünglichen Grundlage des Kurses, zur Revolu­tion, darstellt. Zwölf Jahre hindurch hat der Kurs verkündet, er sei mit der Revolution ein für alle­mal fertig geworden und hätte die Grundlagen der Konsolidierung geschaffen. Und nun, im zwölften Jahre seiner Herrschaft, stellt es sich heraus, daß sein ganzes Programm zusammengestürzt it. Abgeordneter KABÓK (Soz.): Nur die Regierung nicht! Abgeordneter PROPPER: Die Regierung hält aus auf ihrem Platze bis zur letzten Boilette! Abgeordnete KÉTHLY: Nur die Revolution ist geblieben, zu der man nun zurückkehrt. Diese Vor­lage iát von größerer Bedeutung, als die größten Schöpfungen des Kurses, als zum Beispiel das Ent­thronungsgesetz und das Sanierungsgesetz, weil diese Vorlage unserer Ansicht nach gleichbedeutend ist mit der Proklamierung der Revolution. (Be­wegung im ganzen Hause, stürmische Zustimmung äußerstlinks.) Diese Vorlage ist eine Proklamation der Gegenrevolution an die Besitzlosen und sicher­lich wird sie auch von der Wirkung begleitet sein, wie sie solche Aufrufe gewöhnlich zu haben pflegen. Zwölf Jahre lang hat der Kurs gepredigt, daß wir den Klassenkampf machen, und schließlich waren wir fast selbst geneigt, zu glauben, daß von uns der beständige Kampf aller gegen alle ausgeht. Jetzt aber steckt die Regierung mit dem Funken der Boilette das ganze Land in Brand und liefert selbst den Beweis dafür, daß es nicht nur einen Klassen­kampf gibt, sondern daß der Klassenkampf stets von den Gesellschaftsschichten ausgeht, die einen größeren Profit haben wollen, indem sie den Armen das Brot verkürzen. Ich kann nichts dafür, aber ich habe die Empfindung, daß ein gewisser Zusammen­hang zwischen der Bollette und dem Haager Ab­kommen besteht. (Lebhafte Zustimmung äußerst­links.) Abgeordneter PROPPER: Die siebenbiirgischen Magnaten sind aus dem Wasser! Jetzt soll den ande­ren geholfen werden! Abgeordneter JÁNOSSY (Einheit): Welche schrankenlose Phantasie! Abgeordneter PEIDL (Soz.): Welche Naivität, die Wahrheit nicht sehen zu wollen! Abgeordnete ‘ KÉTHLY: Der Optantenstreit hat die Großgrundbesitzer Ungarns in zwei Teile ge­spalten. Der eine Teil ist befriedigt worden, der andere ist unzufrieden, und diese Unzufriedenheit ist jetzt mit der Boilettenvorlage ausgeglichen worden. So hat also die Vorlage eigentlich keinen anderen Zweck, als die Einheit der Großgrundbesitzerklasse wiederherzustellen. Sowohl die Optantenprovision, als auch den Preis der Bollette werden die arbeiten­den Klassen bezahlen. Ich und meine Partei ziehen es in Zweifel, als ob es zulässig ist, eine einzige Klasse des Landes vorzuziehen, in einer Weise, durch die das Leben der anderen erschwert wird. Es erleidet aber auch keinen Zweifel, daß durch diese Boilettenvorlage nicht der Landwirtschaft geholfen werden soll, sondern ausschließlich den Großgrund­besitzern. Unter solchen Umständen müssen wir uns fragen» ob es sich auch wirklich lohnt, sich mit dieser Vorlage eingehend zu befassen. Das dürfte wohl überflüssig sein, da Rom nunmehr gesprochen hat, und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Verantwortlichkeiten für diese Vorlage festzustellen. Die Vorlage wird, wenn sie in Gesetzeskraft er­wächst, in den Kreisen der Armut von furchtbaren Folgen begleitet sein. Das Brot wird um 5 bis 10 Pro­zent verteuert, und zwar nicht nur das Brot der Stadtbevölkerung, sondern auch das Brot des Agrar­­proletariers, weil ja auch er schon im Frühjahr ge­zwungen ist, Brot zu kaufen, und also mit dem städtischen Proletariat zusammen die Lasten der Brotverteuerung wird tragen müssen. Auf den Genuß des Fleisches hat der Proletarier schon längst ver­zichten müssen; seine hauptsächlichste Nahrung besteht aus gekochter Mehlspeise, denn selbst das Gemüse ist kaum erschwinglich für ihn. Wird nun auch .das Mehl teurer, so wird dies den vollständigen Zusammenbruch des Kosten­voranschlages der Arbeiterfamilien nach sich ziehen. Eine einzige Entschuldigung wäre denkbar für die Regierung, wenn nämlich durch die Bolletten­­vorlage die Konkurrenzfähigkeit des ungarischen Getreides im Auslande wiederhergestellt werden könnte. Selbst in diesem Falle wäre ja die Ver­teuerung des Mehls eine unverzeihliche Sünde, aber immerhin könnte sich die Regierung darauf be­rufen, daß sie wenigstens die Konkurrenzfähigkeit des ungarischen Weizens wiederhergestellt hat. Aber sämtliche Möglichkeiten, die sich durch die. Sub­ventionierung der Mehlausfuhr vielleicht geöffnet hätten, sind schon hinfällig, dank der Erhöhung der Zölle in Österreich, und so kann sich die Regierung nicht einmal darauf berufen. Die Verteuerung des Mehls und die damit einhergehende allgemeine Ver­teuerung der Lebensverhältnisse werden furchtbare Folgen nach sich ziehen. Die sinkende Tendenz der Reallöhne hat die Lage dgr Arbeitenden auch schon bisher von Tag zu Tag erschwert. Die Arbeitendeil in Ungarn haben keine Optantenprovision zu be­kommen und auch keine Bankprovisionen. Sie haben keine Monopole, sie haben keine Schwäger, durch die sie Bauaufträge erhalten könnten, sie haben keine „Titanen“-Einkommen und so kann man sagen, daß die Mächtigen, falls der Gesetzent­wurf in Gesetzeskraft erwachsen sollte, schon jetzt dafür sorgen, daß sie ihr Vermögen nach dem Aus­land retten können. (Stürmische Entrüstungsrufe rechts und in der Mitte.) Abgeordneter PROPPER: Ein Teil hat schon sein Vermögen hinausgerettet! Präsident Dr. ALMÁSY: Ich bitte die Rednerin, sich doch zu mäßigen. Diese und ähnliche Aus­drücke grenzen schon an Aufreizung zum Klassen­haß. V Abgeordnete KÉTHLY: Dieser Entwurf ist eine typische Erscheinung des Klassenkampfes, er ist die Proklamierung der Revolution von oben. Wir haben diese Revolution nicht gewollt, die Insulte aber, die die Vorlage darstellt, werden die Arbeitenden Un­garns wohl kaum dulden. Die Regierungspartei ver­kündet, sie werde ihre Zustimmung unter keinen Umständen dazu erteilen, daß das tägliche Brot des armen Mannes verteuert werden soll, gleichzeitig aber gibt sie ihre Zustimmung zur Bollettenvorlage, aus deren Bestimmungen in einer jeden Zweifel aus­schließenden Weise hervorgeht, daß nach ihrem In­krafttreten eine allgemeine Teuerung des inneren Konsums eintreten wird. Gleichzeitig mit dem Ins­­lebentreten des Bollettensystems sollte meiner An­sicht nach auch der Belagerungszustand verhängt werden, denn ich bin fest davon überzeugt, daß die Bestimmungen dieser Vorlage nur mit Hilfe der Bajonette werden durchgeführt werden können. Abgeordneter - Dr. GYÖRKI (Soz.): Oberstadt­hauptmann-Stellvertreter Hetényi hat 120.000 Pengő erhalten! (Großer Lärm im ganzen Hause.)' Abgeordneter Stefan FARKAS (Soz.): Man hat einen Haufen von Polizeispitzeln aufgenommen, die keine andere Aufgabe haben, als diejenigen zu be­obachten, die über die Boilettenfrage sprechen! Präsident Dr. ALMÁSY: Ich bitte die Abgeord­nete Kéthly, sich nicht zu Übertreibungen hiß­­reißen zu lassen. Abgeordneter Stefan FARKAS: Ist es wahr, daß Hetényi 120.000 Pengő erhalten hat oder nicht? Abgeordneter ROTHENSTEIN (Soz.): Tatsachen wird man doch registrieren dürfen!. Präsident Dr. ALMÁSY: Hier aber handelt es sich nicht um Tatsachen, sondern nur um Prophe­zeiungen! Abgeordnete KÉTHLY: Die Sozialdemokratische Partei ist eine revolutionäre Partei, aber keine Partei des Aufruhrs. Wäre ich Anhängerin des Auf­ruhrs, dann wäre es meine Pflicht, diese Vorlage mit Freuden zu begrüßen. Da ich aber bloß die Evolu­tion will, muß ich sie in der entschiedensten Weise ablehnen. Wir schrecken aber auch vor der Revolu­tion nicht zurück, denn wir sind überzeugt, daß wir mit gutem Gewissen vor das ungarische Volk hin­treten können. Präsident Dr. ALMÁSY: Ich bitte, sich' derarti­ger Ausdrücke zu enthalten. Abg. KÉTHLY unterbreitet schließlich einen längeren Beschlußantrag, in dem es unter anderem heißt, daß die Bollettenvorlage, besonders durch die Einführung des Getreidescheines, die Mehlsteuer und durch die Erhöhung der Zölle auf Kaffee, Tee und andere Spezereiwaren die ärmsten Klassen in unver­antwortlicher Weise belasten, die aus dieser Mehr­belastung sich ergebenden Einnahmen dem Groß- O % • Dienstag, 1. Juli 1030

Next