Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1930. november (77. évfolyam, 250-274. szám)

1930-11-01 / 250. szám

FESTER LLOYD Graf Tisza blickte eine Weile sehr ernst vor sich hin, dann erhob er sich mit den Worten: — Du schaust die Dinge viel zu düster an, und in diesem Punkt kann keiner von uns den anderen bekehren. Tags darauf traf ich an meinem Morgenspazier­gang an der Donauzeile den Grafen Karl Khuen- Héderváry. Nachdem wir einander begrüßt hatten, fragte er mich: — Sag mal: ist nicht gestern nachmittag Stefan Tisza bei dir gewesen? Und nach einer . bejahenden Antwort be­merkte er: — Das hab ich mir gleich gedacht, denn nach­dem er am Abend im Parteiklub alle Parteisachen mit uns durchgesprochen hatte, nahm er nach einer Pause von einigen Augenblicken mit den Worten Abschied von uns: „Was aber die Wahlrechtsfrage betrifft, so meine ich, daß ich die Partei nicht an die Wand stellen werde.“ * Am folgenden Tag begab sich Stefan Tisza als Husarenoberst an die Front. Der Krieg ging schon zur Neige, als er heimkehrte. In jenen Tagen lud mich Ministerpräsident Alexander Wekerle zu einer vertraulichen Unterredung ein. Er sagte mir, es sei ein schweres Unglück für das Land, daß eine so weite und tiefe Kluft den Grafen Tisza und den Wahlrechtsminister Wilhelm Vázsonyi in der Wahl­rechtsfrage von einander trennt. Und Wekerle fragte mich, ob ich es nicht auf mich nehmen würde, auf Vazsonyi vermittelnd einzuwirken, um eine Aus­sprache zwischen diesem und dem Grafen Tisza her­beizuführen. Ich gab der Ansicht Ausdruck, däß hier eine Zweiteilung der Rollen vorteilhaft sein dürfte. Ich machte mich erbötig, mit Vázsonyi zu sprechen, den Grafen Tisza aber sollte Leopold Vadász, der in vertraulichsten Beziehungen zu ihm stand, „bearbei­ten“. Die Aufgabe war nicht leicht. Vazsonyi in seinem überschäumenden Temperament hatte'kurz; vorher den Grafen Tisza „einen Talmi-Gberst“ ge­nannt. (Nebenbei bemerkt,, stellte ich ihn im Couloir des Abgeordnetenhauses darob sehr energisch zur Rede. Ich sagte ihm, daß er die entschlossene Wil­lenskraft .und den Mannesmut Tiszas kenne, daher wissen müsse, daß, wenn Tiszas Husarenregiment an der Front zu einem Sturm befohlen wird, dieser „Talmi-Oberst“ an der Spitze seiner Husaren ohne Augenzwinkern dem sicheren Tode entgegenreiten würde. Und ich fragte Vázsonyi, in welcher Lage er sich befände, wenn der auf dem Felde der Ehre gefallene Tisza nach Hause gebracht würde, um in heimatlicher Erde bestattet zu werden, und wenn dann hinter seinem Sarge die ganze Nation trauernd einherschreiten würde, mit der Ausnahme eines ein­zigen Mannes, nämlich Vázsonvis, der sich durch seine unangebrachte und unbegründete spöttische Bemerkung das Recht verscherzt hätte, an der natio­nalen Trauer teilzunehmen.) In mir stieg also das Bedenken auf, ob, selbst wenn Vázsonyi nun ein­willigte, Stefan Tisza bereit sein würde, sich mit dem Manne, der ihn so tief gekränkt, zu einer vertrauli­chen Aussprache an den Konferenztisch zu setzen? Immerhin, die politischen Verhältnisse waren mehr als prekär, die Lage des Landes an der Schwelle des Zusammenbruches mehr als kritisch, und der Ver­such des Zusammenbringens der beiden Männer mußte unternommen werden. Meine Besprechungen mit Vázsonyi ergaben guten Erfolg, und mein Freund Leopold Vadász teilte mir mit, daß auch Stefan Tisza zu einer Begegnung mit Vázsonyi bereit wäre, weil dies die Interessen der Nation erheischten. Mir aber hatte Vázsonyi im voraus die äußerste Grenze der Zugeständnisse mitgeteilt, bis zu der er gehen könnte. Und es war sein Wunsch, ich möchte son­dieren, ob Tisza sich mit diesen äußersten Zuge­ständnissen zufriedengeben würde, weil anderenfalls die Begegnung keinen Sinn haben würde. Ich suchte also den Grafen Tisza in der Sekretariatskanzlei seiner Partei auf und teilte ihm den Standpunkt Vázsönyis mit. Anfänglich war er auch diesmal unbeugsam. Ich aber machte den Ver­such, ihn zu kapazjtieren. Ich sagte: •— Mehr als bisher bin ich davon überzeugt, daß die Gefahr der Revolution imminent ist. Nur eine wirklich demokratische Wahrechtsreform kann diese Gefahr abtvenden,'— wofern es noch nicht zu spät dazu ist. Graf Tisza kam nicht wieder mit seinem Opti­mismus. Zwar gab er die Möglichkeit eines Um­sturzes nicht offen zu, aber er stellte sie auch nicht mehr in Abrede. Nur sträubte er sich noch immer, über gewisse Zugeständnisse hinauszugehen. Bei dieser Gelegenheit äußerte er zu mir die Worte, die ich bei einer früheren Gelegenheit an dieser Stelle mitgeteilt habe. Sie lauteten: — Du kennst den bäuerlichen Landwirt des xMföld, weil ja auch du ein Sohn des Tieflandes bist Wohlan, dieser Bauer im blauen Wams (er verstand darunter den kleinen Grundbesitzer im Gegensatz zum agrarischen Proletarier) hat vor dem Krieg keine andere Terra in welle als höchstens einen Maulwurfshügel auf seiner Ackerscholle gesehen. Trotzdem hat et jetzt auch im Gebirgskrieg Wun­der der Tapferkeit gewirkt; er hat im Hochgebirge, in dér Region des ewigen Schnees, gehaust und gekämpft, als öb das- seine Heimat wäre. Und mitt­lerweile hat seine Frau, das tápfere ungarische Alföldweib, zu Hause üa§ Feld bestellt und die Kinder erzogen. Ich sage dir, dieser Menschentyp ist der vollkommenste, den Gott je erschaffen, und diese Schicht soll ich deni barfüßigen Bauernprole­­tarier preisgeben? Ich trachtete, auf den Grafen TisZa einzüreden. Ich sprach ihm von den revolutionären Erschütte­rungen, die nach meinem Dafürhalten unbedingt kommen würden, von dein Umsturzgeist, der sich in der Seele der hcimkehrcndén Frontkämpfer einge­nistet haben mag, von den fürchterlichen Gefahren, die das Land läuft, wenn der Krieg unglücklich aus­geht und dem militärischen Zusammenbruche sich noch das Unglück des Umsturzes beigesellt. Graf Stefan Tisza nahm den Faden der frühe­ren Diskussionen über diese Fragen nicht auf. Er verabschiedete sich mil der Erklärung, daß er über, die Sache noch weiter nachdenken werde. .................,"S; • ........■.......... Die Begegnung -mit Wilhelm Vázsonyi fand im Ministerpräsidium statt. Mit Wekerle war verab­redet, daß er die beiden Männer in einem Neben­salon seines Arbeitskabinetts zu zweien allein lassen werde. Die beiden besprachen sich eine halbe Stunde lang. Nie habe ich erfahren, wie die Unterredung ausgegangen ist. Aber wenn Tisza Und Vázsonyi sich auch verständigt hätten, es war schon zu spät. Nach einigen Tagen sprach Graf Stefan Tisza in offener Parlamentssitzung die von tiefer Tragik geschwängerten Worte aus: -j— Wir haben den Krieg verloren! * Feuilleton» Der Fußpfad. Von RABINDRANATH TAGORE. I. „ Er geht durch die Waldesmitte in die Felder, durch ein buntes Feld den Fluß entlang, an der Überfuhr unter den Banyabäumen; dann win­det er sich am anderen Ufer des Flusses durch des Dorfes Mitte; dann schlängelt er sich ein Tisi-Feld entlang, im Schatten einer Mango baumanlage, Süber den Damm eines Lotos­teiches, vorbei an dem Orte, wo man den |Wagen aufbewahrt, der an Festtagen die Bildsäule des Gottes führt, und dann biegt der Pfad in ich .weiß nicht welches Dorf ein Auf diesem Fußpfad kommen manche Leute an mir vorüber, manche gehen mit mir, manche er­blickte ich.nur von ferne; manche haben das Ange­sicht verhüllt, andere nicht; manche gehen Wasser schöpfen, manche kehren mit dem Wasser zurück. II. Nun ist der Tag vorüber, die Dämmerung kommt. Eines Tages fiel mir ein, daß gerade dieser Fuß­pfad mein Fußpfad ist; nun sehe ich, daß ich mit dem Befehl gekommen bin, diesen Fußpfad nur einmal zu beschreiten, keineswegs mehrere Male. Ich schritt auf meinem Fußpfad durch einen Zitronenhain, über jenen Teichdamm, über das sandige Flußufer, an Ställen und Speichern vorbei, aber es ist nicht mehr möglich, in den Umkreis bekannter Blicke, bekannter Worte und bekannter Mienen zurückzukehren und ihnen zu sägen: „Da bin ich.“ Es ist ein Weg, den man nur entlang geht, aber auf dem man nicht wiederkehrt. Heute in der düsteren Dämmerung wandte ich mich um, blickte zurück und sah, daß dieser mein liebvertrauter Fußpfad eine Reihe von längst ver­gessenen, in der Tonart morgendlichen Gesanges ge­stimmten Fußstapfen ist. ' Dieser Fußpfad hat euch mit dieser einzigen Reihe von Sand in den Hauptzügen die ganze Lebens­geschichte jener Pilger Umrissen, die auf ihm ge­schritten sind, so viele- ihrer -auch gewesen sind, wie lang er auch gewesen ist; diese einzige Reihe zieht sich vom Aufgang der Sonne zu ihrem- Untergang, von einer goldenen Fforte zur andern. III. „Fußpfad, halte nicht die vielen Begebenheiten langer Zeitalter schweigend in deines Sandes Fesseln gefangen! Begierig neige ich mein Ohr zu deinem Staube, flüstere mir ins Ohr!“ Der Fußpfad schweigt und reckt den Zeigefinger in der Richtung zu dem schwarzen Schleier der I Nacht. • „Fußpfad, wohin geriet alles Bangen und Sehnen jener Pilger?“ Der Fußpfad schweigt und spannt seine Zeiger von Ost nach West. „Fußpfad, sind denn heute nirgend mehr alle j die Spuren, die einst wie ein Blumenregen hier aus­gebreitet waren?“ Wohin sind alle verlorenen Blüten geraten? Wohin alle verstummte Musik? Und wo wird das Fest der Lichter ewigen Schmerzes gefeiert im Ster­nenglanz? • a • Samstag, 1. November 1930 Und bald nachher, am 31. Oktober des Unglücksjahres 1918 —■ die Budapestér Straße erdröhnte unter den Tritten des „Großen Unbekannten“ —, erschien eine Rotte hehn­gekehrter Soldaten mit ihren Gewehren vor; dem Grafen Tisza. Die Gewehrläufe gegen seine Brust gerichtet, machten sie ihn für den Krieg verantwortlich, der den Volksmillionen so furchtbares Leid gebracht habe. Stefan Tisza stand mit dem Rücken an seinen Schreibtisch gelehnt und hatte einen Revolver in der Hand. Der Wortführer der Soldaten forderte ihn auf, den Re­volver auf den Tisch zu legen. Graf Tisza legte mit einer Hand die Waffe auf den Tisch, mit der ande­ren wollte er in unerschütterlicher Gelassenheit und heldenhafter Unerschrockenheit die auf seine Brust, gerichteten Gewehrläufe seitwärts schieben. Da fielen die Schüsse, Graf Tisza sank zu Boden. Seine letzten Worte waren: „Das hat so kom­men müssen!“1* Knapp, ehe sein Herz ein letztes Mal schlug, mag ihm die Erinnerung an unsere Gespräche über den Großen Unbekannten durch die entschwebende Seele gehuscht sein .., Internationalismus der Landwirtschaft Von ALEXANDER v. BLASKOVICH, Mitglied des Internationalen Landwirtschaftlichen Ausschusses. Die gegenwärtige Weltkrise, die mit bisher un­bekannter Härte die europäische Landwirtschaft traf, hatte zur unmittelbaren Folge, daß die euro­päischen Oststaaten von überwiegend agrarischem Charakter endlich doch den Weg der zwischenstaat­lichen Zusammenarbeit betraten. Die ersten Ver­suche jedoch, die in dieser Richtung unternommen worden sind, die verschiedenen Konferenzen, die seit dem Frühsommer dieses Jahres stattgefunden haben, wie auch die gemeinsame Aktion der öst­lichen Agrarstaaten in der diesjährigen Herbstver­sammlung des Völkerbundes ergaben bedauerlicher­weise bloß sehr geringe Resultate. Es wäre sehr ge­fährlich, sich in dieser Hinsicht trügerischen Illu­sionen hinzugeben; schon heute herrscht in allen maßgebenden Kreisen die Meinung vor, daß, bevor eine wirksame Kooperation der agrarischen Produk­tionsländer mit den industriellen Verbraucherstaaten zuwege gebracht werden könnte, noch sehr große und ernste Hindernisse überwunden werden müssen. Das erste dieser Hindernisse ist die mangelhafte Koordinierung der bereits bestehenden und seit Jahren tätigen internationalen Organe und Institu­tionen dér Weltlandwirtschaft. In allen anderen Zwei­gen der Wirtschaft ist diese Kooperation in gerin­gerem öder größerem Maße bereits erreicht worden, während in landwirtschaftlichen Belangen heute noch ein ziemlich chaotischer Zustand herrscht. An Anciennität steht unter den internationalen Organen der Landwirtschaft der Internationale Landwirtschaftliche Ausschuß an erster Stelle. Der Ausschuß hat seinen Sitz in Paris, an seiner Spitze stehen die hervorragendsten Führer der europäischen Agrarkörperschaften; er steht in ununterbrochener Fühlung mit den überseeischen Agrarorganisationen, und nichts beweist schlafender die allgemein an­erkannte Kompetenz dieser Körperschaft als die Tatsache, daß sämtliche landwirtschaftlichen Bei­räte des Wirtschaftsrates des Völkerbundes aus der Reihe der Führer dieses Ausschusses gewählt wor- 1 den sind. Gefourtstagsbrle! an Schalom Asch. Von STEFAN ZWEIG. Sie haben, lieber, verehrter Schalom Asch, in den dreißig Jahren Ihres Schaffens soviel an er­zählerischer Kunst uns gegeben, daß Sie Nachsicht haben dürfen, wenn ich zu Ihrem fünfzigsten Ge­burtstage heute am ersten November 1930 Ihnen nur ganz schlicht und unkünstlerisch etwas ganz Nichtiges erzähle, nämlich, wie ich per­sönlich zu Ihren Büchern kam. Es war ziemlich spät, ich gestehe es aufrichtig, und ehe ich von Ihnen wußte, wußte ich nicht einmal Deutliches von der Sprache, in der Sie schreiben, von der Literatur, die Sie so repräsentativ vor Europa und der ganzen kul­turellen Welt vertreten. Wahrhaftig, obwohl selbst Jude, wußte ich lange nicht, daß es eine ernste und einst zu nehmende jiddische Literatur gibt, ich hielt, wie so viele, dies bloß für einen aus dem Deutschen verstümmelten und untermischten Jargon, taugjicli zu Witzen, allenfalls kleinen lustigen Liedern, oder­­ausgezeichnet geeignet, um konfessionelle Anekdoten plastischer zu untermalen. So kann ich mich nicht erinnern, jemals recht hingehört zu haben, wenn von jiddischer Literatur die Rede war, denn ich ver­mutete in ihr bloß witzige, amüsierliche Dialekt­prosa. Diese Art der Dichtung lockt nie meine innere. Neugier heraus und vielleicht ist dieser Instinkt richtig, daß man bei der vorhandenen Fülle und Vielfalt der Kleinpoesie seine eigentliche Aufmerk­samkeit einzig nur auf das wahrhaft Beständige und Europäisch-Gültige richten soll. Ihr Name Schalom Asch war mir gerade noch bekannt und ich verband ihn mit der Erinnerung an ein sehr heftiges Theater­stück „Gott der Rache“, das mich mehr wie eine Übersetzung aus dem Russischen anmutete und hauptsächlich durch die Leistung Schildkrauts ein­dringlich wurde. Dann aber, zehn Jahre später; kam mir zum erstenmal eine Erzählung von Ihnen zur Hand, sie hieß „Mottje der Dieb“ und hier spürte

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