Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1934. június (81. évfolyam, 122-145. szám)

1934-06-02 / 122. szám

PESTER LLOYD Abriistungsp rob lem als reine Machtfragc auf. Ist aber Frankreich stark genug, um in seinen kontinen­talen Belangen der Unterstützung durch England und Italien entraten zu können? Denn es ist nur natürlich, daß diese Staaten sich nun jedem Konflikt, den Frankreichs intransigente Haltung auslösen wird, fernhalten werden. Frankreich glaubt also, daß der Augenblick gekommen ist, wo es seine eige­nen Machtmittel und die seiner Verbündeten in die Waagschale werfen muß. Daher wagt cs sogar die Isoliertheit in der Reihe der europäischen Groß­mächte. Ist seine Rechnung real? Sind die Ostver­bündeten Frankreichs, sind Polen, die Kleine En­tente und der neugewonnene Alliierte Sowjetrußland stark genug, um Frankreich ein intransigentes Auftreten in den europäischen Grundfragen zu er­lauben? Und dabei hat Polen sein Nichtangriffsab­­kommen mit Deutschland, dessen Bedeutung nicht unterschätzt werden darf; von den Staaten der Kleinen Entente sind zwei, Jugoslawien und Rumä­nien, nicht mehr vollwertige Verbündete, und die Tschechoslowakei allein ist keine große Militär­macht; und schließlich ist es schwer, die polnische Allianz mit der russischen und die Annäherung an Italien mit dem Festhalten an der Kleinen Entente restlos in Einklang zu bringen. Barthou mag den Eindruck haben, daß seine Warschauer Reise alle Mißverständnisse zwischen Frankreich und Polen aus dem Wege geräumt habe; er mag sich von der bevorstehenden Reise nach Belgrad und Bukarest das gleiche in serbischer und rumänischer Relation versprechen. Er mag Rußland (das hinwieder ange­sichts seiner bedrängten Lage im Osten das Bündnis mit der stärksten Westmacht als großen Gewinn be­trachtet) als ausschlaggebenden Kraftfaktor in Rech­nung stellen. Man kann heute nicht feststellen, was in dieser Berechnung nüchterner Wirklichkeitssinn, was Illusionspolitik ist. Aber eines ist klar: sie be­deutet eine Absage an die Politik der europäischen Solidarität; sie bedeutet eine Absage an den Völker­bund; sie bedeutet eine offene Wendung zur Politik der SönderbündnisSe. England und Italien, die Mächte des unent­wegten Friedens- und Einigungswillens, möchten die Abrüstungskonferenz noch vor dem offenkundi­gen Zusammenbruch retten. Sie möchten entweder die Lebensdauer der Konferenz yerlängern, oder die Weiterführung ihrer Arbeiten in irgendeiner Form ermöglichen. Es wird sich in den nächsten Tagen entscheiden, was sic in dieser Richtung erreichen können. Aber sie müssen, ebenso wie die Neutralen, hei all ihrem guten Willen die Empfindung haben: die Gemeinschaft des europäischen Geistes ist zer­stört; die Abrüstungskonferenz ist tot, der Völker­bund krank und ohnmächtig. Die aufgefangene Falte der Toga Frankreichs fiel und ein Neues flog daraus zum verdüsterten europäischen Himmel em­por. Ist es Friede? Ist es Krieg? Kritischer Stand der Abrüstungs-Verhandlungen. Sir John Simon hat Genf verlassen, kehrt aber Dienstag zurück. — Vertagung des Hauptausschusses bis Mittwoch. erhöht und durch diese Haltung zum Konferenzerfolg ibeizutragen gesucht. Man dürfe in der Abrüstungsfrage keine zu komplizierten Pläne vorschlagen. Polen habe im Februar vorigen Jahres ein Arbeitsprogramm unter­breitet, das zwar bescheiden gewesen sei, dafür aber den Vorzug der leichten Durchführbarkeit gehabt habe. Zum Schlüsse seiner Rede erklärte der polnische Außenmini­ster, daß Polen auf dem Gebiete der Rüstungsbegrenzung und Rüstungshcrabsctzung jede Maßnahme annehmen werde, die einen allgemeinen Charakter habe und auf alle Staaten angewendet würde. Im wetteren Verlaufe der allgemeinen Aussprache behandelte der chinesische Vertreter WeUington-Koo hauptsächlich die Sicherheitsfrage. Ein allgemeines Ab­rüstungsabkommen genüge nicht und sei ohne ein kol­lektives Sicherheitssystem nicht realisierbar. Es gebe — so erklärte er mit deutlicher Spitze gegen Japan — Länder, die aggressive Absichten und große Rüstungen hätten. Diese Staaten würden nickt zögern, von Zeit zu Zeit ihre friedlichen Nachbarn mit Waffengewalt zu überfallen. iWer die Verhältnisse im Fernen Osten in den letzten Jah­ren verfolgt habe, brauche keine längere Erklärung, was er mit seinen Worten meine. Das Sicherheitssystem, das es zu schaffen gelte, dürfe sich nicht nur auf Europa er­strecken, sondern müsse die ganze Welt umfassen. Der schwedische Außenminister Sondier erklärte, eine allgemeine Abrüstung sei zugleich die beste Möglichkeit zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ohne Auf­rüstung. Es müsse die Gleichberechtigung verwirklicht werden, denn ihre Realisierung sei ein Gebot der Gerech­tigkeit und Klugheit zugleich. (Er verstehe sehr gut, daß ein Volk sich erniedrigt fühlen muß, wenn es eine unbe­grenzte Zeit in einem System der Sonderbehandlung in der Rüstungsfrage gefangen bleibe. Sandler schloß seine Rede mit der Verlesung einer Erklärung der sechs neutralen Mächte, die sich mit folgenden Fragen beschäftigt: 1. Ein Sonderausschuß soll zur Prüfung der Frage der Ausführungsgarantien eines künftigen Abkommens einge­setzt werden und dem Bureau der Konferenz Bericht er­statten. . . 2. Das Bureau soll unverzüglich die Fragen des pri­vaten und staatlichen Waffenhandels and der Waffen­fabrikation prüfen. 3. Das Bureau soll beauftragt werden, den englischen Abrüstungsentwurf für eine weitere Lesung zu revidieren. Dabei sollten folgende praktische Vorschläge bearbeitet werden: uneingeschränktes Verbot des Luftbombardements und seiner Vorbereitung; Zerstörung einer gewissen Anzahl von Flugzeugen vom Augenblick der Anwendung des Ab­kommens an und Zerstörung des Restes der Flugzeuge in einer zweiten Periode; Verhinderung des Mißbrauchs der Zivilluftfahrt für militärische Zwecke; Verbot von Ma­terial höheren Kalibers und größerer Tonnage als sie sämt­lichen Staaten erlaubt seien; Zerstörung der Tanks und der beweglichen Artillerie in einer zweiten Periode im iSinne der englischen Vorschläge vom 29. Januar 1934. 4. Das Bureau soll zur Verhütung einer allgemeinen Rüstungsvermehrung beauftragt werden, in die dem Ab­­rilstungsabkoinmeu beigefügten Tabellen die Ziffern, für die Land- und Luftstreitkräfte, sowie für das Kriegs­material einzutragen. 5. Vollmachten für das Bureau — dg Deutschland an der Konferenz nicht teilnimmt —, den. Entwurf in jeder ihm nützlich erscheinenden Weise zu vervollkommnen. Außerdem soll das Bureau die Abrüstungskonferenz in dem Augenblick einberufen können, jn dem ein ent­scheidender Beschluß zu fassen wäre. Unmittelbar nach der Rede Sandlers meldete sich Litwinow zu Wort, um sofort zü den von iSandler ge­­Genf, 1. Juni­(Inf.)’ Der Beginn der heutigen Nachmittags­sitzung der Abrüstungskonferenz brachte zwei Über­raschungen. Zunächst wurde bekannt, daß der eng­lische Außenminister Sir John Simon seine bereits heute vormittag geäußerte Absicht, am Nachmittag Genf zu verlassen, wahrmachen und sich heute abend noch nach London begeben wird. Es heißt zwar, daß er Dienstag kommender Woche nach Genf zurück­kehrt, doch scheint das nicht ganz bestimmt zu sein. Als Grund seiner Abreise wird auf dem Sitze der eng­lischen Delegation angegeben, daß er der englischen Regierung über den Stand der Genfer Verhandlungen persönlich Bericht erstatten wolle, man bringt jedoch allgemein seine Abreise mit der Unzufriedenheit der Engländer mit dem gegenwärtigen Stand der Ver­handlungen über die Abrüstung in Zusammenhang. Sodann verkündete Henderson, daß er den Hauptausschuß bis Dienstag nächster Woche vertagen wolle. In diesem Zusammenhang richtete Henderson nochmals einen eindringlichen Appell an die Delega­tionen, die er beschwor, alles zu tun, um die schwie­rige Lage der Abrüstungskonferenz zu überwinden. Die Situation der Konferenz sei so ernst wie noch nie seit Beginn der Abrüstungsverhandlungen. Deshalb an die Handfläche gepreßt, genau so, wie er es in der Diebesschule gelernt hatte. Die ausgestreckten Finger tasteten mit den äußersten Spitzen, schnappten dann zu, wie die Kiefern einer Zange, nun ein leichtes Heben des Körpers auf den Zehen •— und Ben entfernte sich gleichgültig, mit langsamen Schritten. Das war kinderleicht gewesen. Mit Genugtuung stellte er fest, daß seine Finger immer noch die alte Gelenkigkeit besaßen. Er pfiff ein Schlagerliedchen, und die Sonne, die Welt, die Menschen ringsum lachten. In einem Hausflur nahm er seine Beute in Augenschein. Das rote Täschchen war so prall ge­füllt, daß sich der Druckknopf nicht schließen ließ. Ben zählte flüchtig: eins — zwei — drei —vier Hundertmarkscheine und dazwischen eine Menge kleineres Papiergeld. So sicher fühlte er sich vor einer Entdeckung, daß er die selbstverständliche Vorsicht außer acht ließ, das Täschchen, das zum Verräter werden konnte, zu beseitigen. Er trat in einen Blumenladen und erstand eine zartrosa Nelke. Nun sah er, mit der Nelke im Knopfloch, wie der Attache einer exotischen Gesandtschaft aus. Ein paar weibliche Wesen, die an ihm vorüberstrichen, warfen ihm holdselige Blicke zu. Aber Beil hatte jetzt einen ganz anderen Appetit, als den auf galante Abenteuer. Vor allem mußte er seinen knurrenden Magen beschwichtigen. Dann konnte man eventuell andere Genüsse in Erwägung ziehen. Der dicke Herr hockte noch immer in seinem Sessel und betrachtete, die Hände über’m Bauch ge­faltet, das Straßentreiben. Ben kaufte sich gerade eine Zeitung bei dem Händler, der vor der Drehtür stand ., da ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges. Nämlich quer über den Damm kam die Dame mit den blonden Ringellöckchen und dem Silber­täschchen am Arm. Dieselbe Dame, die vor einem Viertelstündchen die Auslage des Pelzgeschäftes so andächtig betrachtet hatte. Bens Knie begannen plötzlich heftig zu zittern. Aber die Goldblonde be­schlage er vor, die allgemeine Aussprache der Kon­ferenz, nachdem die für heute eingeschriebenen Red­ner zu Worte gekommen seien, auf Dienstag nächster Woche zu vertagen und am Montag eine Sitzung des Bureaus der Abrüstungskonferenz abzuhalten. Bis dahin sollten die einzelnen Delegationen miteinander darüber beraten, wie die jetzige schwierige Lage der Konferenz zu überwinden sei. Nach dieser von großem Beifall der Versammelten begrüßten Erklärung Hendersons ergriff der polnische (Außenminister Beck zu seiner Rede das Wort. Beck wies zunächst darauf hin, daß ■ Rolgri zu den vom November 1933 bis April 1934 Jé^ilfrteli^'öifelííen Verhandlungen nichts sagen könne, da e# daran nicht tcilgenommen habe, und daß er <fesltalljvonztig1!jc h,die Abrüslungsfrage im allgemeinen behandle? Er begrüßte den Friedensgeist, der arts Litwinows Vorschlag spreche, abér ér müsse da­bei doch zu bedenken gében, daß die Durchführung die­ses Vorschlages, obwohl. Litwipaw selbst ihn mit keiner Revisionsabsicht für; den Völkerbund verbinde, dennoch zu einer solchen Revision früher oder später führe und dadurch die schwierige Lage der Abrüstungskonferenz, die nur eine Ausstrahlung des Völkerbundes sei, noch mehr belasten werde. Die polnische Regierung habe seit Beginn der Abrüstungskonferenz ihr Militärbudget nicht achtete ihn gar nicht. Gleichgültigen Schritts ging sie an ihm vorbei und betrat durch die Drehtür das Restaurant. Der Draußenstehende sah, wie sie im Hintergründe Platz nahm mid mit deni Kellner sprach. Das Täschchen la^' vor ihr auf der Damast­decke. Ben hatte das heiße Bestreben, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und die Dame zu legen. Im Begriff, einem Taxi zu winken, gewann er wieder seine alte Geistesgegenwart. Narr, dachte er, sich durch einen lächerlichen Zufall aus dem Gleich­gewicht bringen zu lassen. Sie hat nicht den ge­ringsten Verdacht, sie hat den Verlust sicher über­haupt noch nicht bemerkt. Damen, die eben eine so große Summe cingebüßt haben, gehen nicht so gleichgültig spazieren. Sie wird sich ein Frühstück und Wein bestellen, und wenn sie bezahlen soll, wird sic in die peinlichste Verlegenheit geraten. Womög­lich hält man sie für eine Zechprellerin und Gau­nerin, und es ist meine verfluchte Pflicht und Schul­digkeit, daß ich mich jetzt sogleich ins Lokal begebe und ihr beistehc, wenn sie den Verlust gewahr wird. Ben war kein Freund langer Überlegung. Die Dame blickte nicht einmal auf, als ein Herr im hellen Trenchcoat das Lokal betrat und am Neben­tisch Platz nahm. Es bewies sich, daß Ben ein trefflicher Prophet gewesen war. Nun saß er, der vor einer knappen hal­ben Stunde sehnsüchtig, mit leerem Magen und eben­solchen Taschen durch die Scheiben gelugt hatte, tatsächlich in dem stillen, vornehmen Restaurant und gab sich der angenehmen Beschäftigung hin, das zarte, weiche Fleisch einer kalten Poularde auf ge­röstete Brotschnitten zu legen. Im Begriff, einen dér köstlichen Bissen zum Munde zu führen, nahm Ben etwas wahf, das seine Mißbilligung im höchsten Grade erregte: nämlich der dicke Herr dä drüben, der eitel und selbstgefällig wie ein aufgeblähter Frosch auf seinem Sessel hocktc, zwinkerte mit halb zusammengekniffenen Glotzaugen zu der blonden Schönen hinüber. Ben faßte das als unberechtigte Einmischung in sein Interessengebiet auf; denn für die Blonde, die nichtsahnend ihre Mayonnaise — 1 1 ' r ~~ —r=r=:-Ti löffelte, fühlte er sich verantwortlich. Er war ein Taschendieb, nun ja, aber ein moralischer Taschen­dieb, der das Opfer, das er bestohlen hatte, nicht bedenkenlos seinem Schicksal überließ. Er Kielt es für seine Pflicht, der jungen Dame, wenn sie den Verlust ihres Täschchens gewahr wurde, beizustehen, ihre Zeche zu begleichen und dafür zu sorgen, daß sie den wahrscheinlich weiten Weg nach ihrer Woh­nung nicht zu Fuß zurücklegen brauchte. Und Ben war nicht so gewissenlos, sich diesen Pflichten zu entziehen. Das wäre so ein gefundenes Fressen für den Dicken, im gegebenen Augenblick als der schein­bar Edelmütige sich aufzuspiden, eine lumpige Hum­­mermayonnaise zu bezahlen, diesen selbstverständ­lichen Dienst für Anbahnung eines galanten Aben­teuers auszubeuten. Ben war ob dieser Gemütsroheit so empört, daß er nervös mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte. Übrigens schien die junge Dame selbst die zu­dringlichen Blicke des Dicken als Belästigung zu empfinden. Sie rückte ihren Sessel so heftig zur Seite, daß sie dem arroganten Fettkloß den Rücken zukehrte. Nun saß sie so, daß Ben ihr voll ins Ge­sicht sehen konnte. Er ergriff das Glas mit dunkel­­rotem Chateau Renard, hol) es leicht gegen sdn hol­des Gegenüber und führte es mit diskretem Neigen seines Hauptes zu Munde. . . Die Schöne verzog die Lippen — kaum merk­bar —, es ■wár die leise Andeutung eines Lächelns. ,,Gott sei dank,“ dachte Ben. „Unnahbar ist sie also nicht, man muß es nur geschickt anfangen.“ Noch einmal hob er, leise ihr zuprostend, sein Glas und erntete jetzt dafür einen Glutblick, der süßeste Hoff­nung in ihm aufkeimen ließ. Hier ist noch mehr zu holen, als ein monetengefülltes Täschchen, kalku­lierte Ben. Heute ist ein Glückstag. Der Dicke, der mit seinen Annäherungsversuchen so kläglich Fiasko erlitten hatte, rief mit purpur* rotem Gesicht: „Zahlen...!“ Ben, kühn geworden, als er sah, daß der Gegner das Feld räumte, wies mit einem nicht mißzuver-i • 2* Samstag, 2. Juni 1934

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