Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1934. október (81. évfolyam, 222-246. szám)

1934-10-02 / 222. szám

PESTER LLOYD tente zu sprechen. Seine diesbezüglichen Aus­führungen sprechen für "pich selbst; er lehnt keine Freundschaft und keine wirtschaftliche Zusammen­arbeit ab, weiß aber wohl, daß internationale Freundschaften nur dann wirklich ergiebig sind, wenn sie auf beiderseitigen realen Voraussetzungen beruhen. Es ist nicht Ungarns Schuld, daß es die jetzige französische Regierung bis jetzt an diesen Vor­aussetzungen ostentativ fehlen ließ. Das gleiche gilt auch für die Kleine Eentente: wenn diese Staaten­gruppe einmal mehr Sinn für die berechtigten An­sprüche Ungarns zdigen wird, wird es in' Ungarn an aufrichtigem: Willen zur Zusammenarbeit nicht fehlen. Die allgemeine Linie der ungarischen Außen­politik ist hn voraus gegeben; ,sie weist in dieselbe Richtung, wie die unserer Innenpolitik. Nationaler Aufstieg, nationale Selbstbestimmung: das sind die Ziele dieser Politik. Heute hat sie ein Mann verkün­det, der außer der Kraft der Überzeugung und des Glaubens, der Berge versetzt, auch die Kraft der Selbstüberwindung und die Kraft der nüchternen, realen aufbauenden Arbeit besitzt* Der Wortlaut der Rundfunkrede des Ministerpräsidenten. , f Meine ungarischen Brüder! An der zweiten Jahreswende meines Regierungs­antritts stehe ich wieder einmal vor dem Mikrophon, um durch die mächtige Öffentlichkeit des Rund­funks Rechenschaft darüber zu erstatten, wie ich während der verflossenen zwei Jahre die Güter des Landes verwaltet und die mir anvertraute Politik Ungarns geleitet habe. Doch bevor ich hierüber spreche, sei mir gestattet, einen Rückblick auf ent­ferntere Zeiten zu werfen. In einigen Tagen jährt sich zum fünfzehnten Male der Tag, an dem der Reichsverweser Ungarns an der Spitze der Nationalen Armee in die Landes­hauptstadt emgczogen ist. Alle Jahre dieser Epoche wird die ungarische Geschichte dereinst mit römi­schen Zahlen verzeichnen und ihnen eine historische Bedeutung im klassischen Sinne des Wortes zu­schreiben. Wie einst die lateinischen Historiker die Zeit ab urbe condita, von der Gründung der Stadt, gerechnet hatten, wird der Geschichtschreiber kommender Zeiten die ungarische Nachkriegs­geschichte von diesem Tage an rechnen, an dem die neuen Wege unseres unabhängigen nationalen Lebens ihren Anfang nahmen. Diese fünfzehn Jahre sind unter schweren Kämpfen verflossen, aber selbst unter diesen harten Heimsuchungen vermochte das unabhängige Ungarn seinen Platz unter den Völkern zu behaupten und dieses Land ist heute die Stätte der Ruhe, der Ordnung und der Stabilität. Daß dem so ist, fühlt heute jeder von uns. Wir müssen die Erinnerung all dessen wachrufen, was hier vor fünfzehn Jahren geschah und dann erst werden wir den Unterschied zwischen den damaligen und den heutigen Zuständen erkennen. Vor zwei Jahren: der Nationale Arbeitsplan. Nach diesem Rückblick will ich auf den Gegen­stand meines Vortrages übergehen. Dank dem Ver­trauen Sr. Durchlaucht des Herrn Reichsverwesers habe ich bereits zwei Jahre an der Spitze der könig­lich ungarischen Regierung verbracht. Sofort nach der Übernahme dieses verantwortungsvollen Postens habe ich ein erschöpfendes und klares Regierungs­­progrannn gegeben. Ich habe außer der Angabe der dringlichsten Agenden einen aus 95 Punkten be­stehenden Nationalen Arbeitsplan der ungarischen Öffentlichkeit unterbreitet. Die Bestimmung dieses Arbeitsprogramms bestand darin, in klarer Form die Ziele zu bezeichnen, denen ich das Land zuzuführen wünsche. Zugleich habe ich die Grundsätze genau bezeichnet, die den Rahmen der alltäglichen Tätigkeit meiner Regierung bilden, um den Geist, der mir bei der Wahrung der mir anvertrauten großen nationalen Güter vorschwebt, der ungarischen öffentlichen Mei­nung fühlbar zu machen. Die 95 Punkte meines Ar­beitsplanes wurden anfangs und von gewisser Seite mit Witzeleien, Ironie und Herabsetzung aufgenom­men. Diese Aufnahme hat mich nicht entmutigt, denn einerseits wußte ich, daß jedem neuen Schritt dieses Schicksal beschieden ist, andererseits war ich sicher, daß die Witzeleien und Sticheleien in dem Maße durch die Stimme des Verständnisses und der, Aner­kennung abgelöst würden, in dem die Regierung die ungarische öffentliche Meinung von dem Ernst ihrer Absichten, der Realität ihrer Zielsetzungen und davon zu überzeugen vermag, daß wir kein anderes Ziel verfolgen, als das bittere ungarische Los erträglicher zu gestalten, und daß uns keine anderen Interessen an die Verwaltung unserer schweren Pflicht binden, als der entschlossene Wille, die ungarische Zukunft auf feste Grundlagen zu bauen, wenn auch nicht für das jetzt lebende vielgelittene Geschlecht, so doch für unsere Kinder und Enkel. Es gereicht mir zu großer Beruhigung und innerer Genugtuung, daß die große Mehrheit der Nation nicht bloß die Gesinnung, die dem nationalen Arbeitsplan entströmt, den wahren und aufrichtigen Geist, der alle Punkte dieses Planes durchdringt, verstanden und sich zu eigen gemacht hat, sondern auch die auf die Verwirklichung dieser Punkte gerichtete Regierungstätigkeit in vollem Maße unterstützte. Wege und Ziele der Regierungsarbeit. Welches Ziel schwebt nun dieser Regierungs­tätigkeit vor ? Unser Ziel ist auch heute unverändert dasselbe, das. im ersten Punkte des Nationalen Ar­beitsplanes vor zwei Jahren genau und präzis be­zeichnet wurde.: „Die Festigung der ungarischen Nation und die Sicherung des erreichbaren größten moralischen und. materiellen Wohlstandes für alle Mitglieder dieser Nation. Da aber dieses Ziel bloß im Rahmen eines auf festen Grundlagen ruhenden, durch einen ziel bewußten und kraftvollen verfas­sungsmäßigen zentralen Willen geleiteten unabhän­gigen Staates verwirklicht werden kann, betrachte ich als die erste Aufgabe meiner Politik den Ausbau des selhstzwecklichen nationalen Staates.“ Diese an die Spitze des Nationalen Arbeitsplanes gesetzte Ziel­setzung hat die Politik und die Rogierungstätigkeit geleitet, die die unter .meiner Führung stehende Re­gierung während der verflossenen zwei Jahre sowohl in auswärtiger . wie in innerpolitischer Beziehung befolgt hat. In der auswärtigen Politik bestand das Haupt­ziel der Regierung einesteils darin, für die ungari­sche Nation jene Achtung, die ihr kraft ihrer Ver­gangenheit, ihrer historischen Leistungen und ihrer HABIGHUT Kossuth Lajos-ucca 1. inneren Werte gebührt, zu verschaffen, bzw. zu be­wahren und zu sichern, andererseits aber eine inter­nationale Lage für das Land zu erkämpfen, die im Geiste des Rechts und der Gerechtigkeit unsere Na­tion zu schaffender Arbeit, zu friedlicher Entwick­lung und zur Sicherung des bürgerlichen Wohl­standes befähigt. Diese außenpolitische Zielsetzung hat zugleich auch Ziel, Stil und Methoden meiner inneren Poli­tik determiniert: die Erkenntnis, daß die Nation dieses große Ziel nur erreichen kann, wenn sie das Höchstmaß ihrer inneren Kräfte zu sammeln und in den Dienst der historischen Ziele zu stellen ver­mag. Die innere Kraftsammlung und Energie­­an'häufung war demnach meine wichtigste inner­politische Zielsetzung, die ich durch Schaffung einer ausgeglichenen Wirtschaftslage, gerechter sozialer Verhältnisse, einer friedlichen gesellschaftlichen Atmosphäre und die Verwirklichung der auf diesen Grundlagen errichteten nationalen Einheit zu för­dern wünschte. Aus diesem Grunde habe ich zwei Jahre hindurch mit unermüdlicher Energie verkün­det, und verkünde heute noch mit derselben reli­giösen Überzeugung den Gedanken der nationalen Einheit und die Notwendigkeit der Schaffung einer wirklichen nationalen Einheit sowohl in sozialen, wie auch in politischen und seelischen Belangen. Ich bin unerschütterlich davon überzeugt, daß in der gegenwärtigen außerordentlich schweren und komplizierten internationalen Lage inmitten des Kampfes gigantischer Weltkräfte das kleine, durch eine ganze Reihe innerer Probleme belastete Ungarn, nur dann seinen Platz zu behaupten vermag, wenn cs in seelischer Auffassung als eine einheitliche Phalanx sich hinter jene Männer stellt, die durch das Vertrauen der verfassungsmäßigen Faktoren an der Spitze der Regierung stehen. Die auf Schaffung der Einheit gerichtete soziale Bewegung, die ich mit allen Kräften unterstütze, hat die historische Mission, alle Schichten des Ungartums zum Be­­wußtsein der Schicksalgemeinschaft zu erwecken und jene seelische Harmonie, jene Einheit der Ziel­setzungen herbeizuführen, die unerläßlich notwen­dig sind, um unseren großen historischen Prozeß zu gewinnen. Zugleich hat sie die Aufgabe, als seeli­sches, soziales und politisches Gerüst der politischen Erscheinungsform dieser Einheit, der Partei der Nationalen Einheit, zu dienen, die hinwieder die Aufgabe hat, mit Hilfe der verfassungsmäßigen Mittel der Politik der Regierung die Möglichkeit der ruhigen, stabilen und zielbewußten gouver­­nementalen Linienführung zu bieten. Gegen die ParteicnwirtschafL Denn ich bin unerschütterlich davon überzeugt, daß nicht bloß ein kraftvolles Regieren, dessen wir heute im europäischen Wellenschlag vor allem be­dürfen, sondern auch die Aufrechterhaltung der alten ungarischen Verfassung nur von einer Regie­rungsmehrheit garantiert wird, die auf der Höhe ihrer Aufgaben steht und das Machtwort der histo­rischen Zeiten versteht. Die Zersplitterung in Par­teien, Fraktionen, Interessengruppen, oder das Ex­perimentieren mit Koalitionen, wie wir sie in den stürmischen Ereignissen rings um uns herum so oft beobachten konnten, führen nicht zur Kräftigung des verfassungsmäßigen Lebens, sondern zu seiner Schwächung und Untergrabung. Die europäischen Feuilleton. Weißer Bettüberzug. Von TIBOR NYÍRI, Mitternächtige Stille und Finsternis herrschten im Pavillon für Lungenleidende. Diese Nacht lagen in dem vierbettigen Krankensaal nur zwei Men­schen, und auch die schwiegen, obwohl sie nicht schliefen. Der ambulante Kranke grübelte seit der Dämmerung, als die gebrauchte LazaTettwäsche ge­wechselt worden war. Die Wärterin hatte das Bett des Kranken neben dem Ambulanten als einziges nicht frisch überzogen und auf die hierauf bezüg­liche Frage geantwortet; „Wozu? In drei Stunden ists aus mit ihm.“ Seither waren nun schon vier Stunden ver­ronnen, aber der Schuster Stefan Tomena keuchte immer noch, war immer noch bei Bewußtsein, und es hatte den Anschein, als würde er bis zum letzten Augenblick dabei bleiben. Der Ambulante schimpfte darüber, daß man mit einem Sterbenden zusammen im Saal einen Kranken belasse, der selber nicht mehr weit vom Ende sei. Schon zu Beginn seines Leidens hatte er gewußt, es gebe kein Entrinnen, und er hatte sich aufs Sterben vorbereitet. Jetzt aber bedurfte er all seiner Selbstzucht, um sein seelisches Gleichgewicht zu behalten. Den Schmerz, den er darüber in der Tiefe seines Gemüts empfand, schaltete er nach langem Kampf mit sich selber zu einer Art vorurteilsvollen Mitgefühls mit dem Ster­benden um, und nun, um Mitternacht, war es ihm endlich gelungen, sich ausschließlich mit seinem Bettnachbar zu beschäftigen. Am meisten wurmte ihn, daß Tomena seine letzten Augenblicke in scheußlich riechender Bettwäsche verbringen mußte, und er beschloß denn auch, diese gegen das Bettzeug der leerstehenden und unbenutzten Betten auszu- I tauschen, Er wagte aber nicht, dies in Angriff : zu-| nehmen, denn er befürchtete, der andere könnte ihm währenddessen in den Armein sterben. Es fuhr ihm durch den Sinn, er könnte mit der Ausführung seines Vorhabens warten, bis der Sterbende ausge­litten haben würde, doch er wurde sich bewußt, daß er sich damit nur dann bescheiden könnte, wenn sein Zweck lediglich die Verärgerung der Kranken­schwester wäre. So quälte er sich ab, und unterdes horchte er, ob der Atem des Sterbenden bereits aussetze. Doch Tomena keuchte nur immer weiter. Schwer vergingen die Minuten. Nach einer Viertelstunde röchelte der Ster­bende: „Wasser...“ Das unerwartete Wort machte den Ambulanten erstarren. Er wußte; nun könne er die Ausführung seines Vorsatzes nicht mehr äufschieben. Nach ein paar Minuten kroch er aus dem “Bett. „Sie möchten Wasser haben?“ fragte er und blickte dem Sterbenden in das mondscheinbegössene, ungewaschene, bartstoppeliige Gesicht. „'Ja,“ antwortete der andere. Der Ambulante ging zur Wasserleitung und dachte bei sich, bald würde és auch mit ihm Matthäi am letzten sein. Er erzitterte ein wenig, schüttelte den Kopf und brachte das gefüllte Glas ans Bett. Der Schuster trank es gierig aus und flüsterte mit Anstrengung: „Danke.“ „Nichts zu danken,“ erwiderte der Ambulante. Einen Moment lang starrte ér vor sieh hin, dann warf er den Kopf auf: Wolle® Sie, daß ich Ihr Bett überziehe?“ „Morgen,“ raunte der Sterbende. 1 „Aber nein! Jetzt, gleich.“ „Jetzt bin ich zu erschöpft.“ „Und wenn schon! Jetzt!“ beharrte der Ambu­lante. „Das ganze währt doch höchstens ein paar Sekunden.“ Tomena schüttelte verneinend den Kopf. Dem anderen kam voi^ der Geruch des Bettes , | sei jetzt noch magenumkehrender. Er ertrug ihn I nicht; zauderte. „Hören Sie einmal, Sie, ich werd’ Ihnen wag sagen.. Und innerlich sagte er sich: „Entsetzlich! So sehr geschwächt Und auch ich werde so,,« Nicht einmal einen Wunsch hat er .. Er fühlte sich erschüttert: „ ... nicht einmal einen Wunsch Werde auch ich keinen haben ? Ist das möglich?“ Nach ein paar Minuten sagte er abermals: „Soll ich das Bett überziehen? Ja, nicht wahr?“ „Nein ... es ist auch so. Der mörderisch verdüsterte Blick des Ambulan­ten schien zu besagen: „Ich will, daß Sie es wollen!“ Der Schuhmacher hauchte weiter: auch so gut,,. Ich fühle mich so seltsam. seits „Seltsam?“ Den Ambulanten begann es zu fiebern. „Seltsam. Er hat keinen Wunsch... Hm ...“ Er biß sich auf die Unterlippe. Fragte mit vor Aufregung stockender Stimme: „Sagen Sie, was... was fühlen Sie?“ Die Züge des Sterbenden waren schlaff vor Er­mattung. „So sprechen Sie doch! was fühlen Sie?“ „Ich bin schläfrig,“ erwiderte Tomena, „schläf­rig, und doch... doch läßt mich.., etwas nicht einschlafen...“ Da quoll es dem Ambulanten uneindämmbar von den Lippen: „Nun ja, in einem solchen Augenblick! Lassen Sie mich Ihr Bett überziehen.“ „Ln einem ... solchen ... Augenblick .,.?“ hauch­ten die Lippen des Sterbenden, und seine nebel­trüben Augen glommen auf. Der Ambulante schwieg, sein Herz pochte heftig und sein Hirn dröhnte ihm in den Obren: „F> maß • a« Dienstag, 2. Oktober 1934

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