ACTA ANTIQUA TOMUS 31 (A MTA KLASSZIKA-FILOLÓGIAI KÖZLEMÉNYEI, 1985-1988)

1985-1988 / 3-4. sz. - L. HAVAS: Zur Geschichtskonzeption des Cornelius Nepos

ZUR GESCHICHTSKONZEI'TION DES ODRXELIUS NEPOS 403 Was die geschichtsformenden Faktoren angeht, so scheint Nepos — ebenso wie andere antike Historiker — zwei Faktoren eine grundlegende Rolle zuzuschreiben: dem Glück (fortuna)u und der Tugend (virtus). Während aber die Stoiker diese beiden geschichtsformenden Kräfte zu einer Einheit zusammenfassen, tut Nepos dies nur recht selten, wie auch in Verbindung mit I. Dionysios (Reg. 2, 3). Er betont zumeist lieber die Vorrangigkeit eines der Faktoren, tut dies aber nicht mit völliger Überlegung und Folgerichtigkeit. So ließ er in der Eumenes-Vita verlauten, daß das wirkliche Wertmaß großer Persönlichkeiten ihre Tugend sei (I, 1: magnós homines virtute metimur, non fortuna), und nicht ihr Glück, während in der Thrasybulos-Biographie steht, daß das Glück und der Zufall den meisten Ausschlag geben (1, 1 ff.).12 Beson­ders viel zählt das Schicksal, wenn man sich einen großen Namen erwerben will. Dies ist auch die Lehre aus der Alkibiades-Biographie (2, 1). Auch im Zusammenhang mit der politischen Laufbahn des Augustus (Att. 19, 3) lenkt Nepos die Aufmerksamkeit der Leser vor allem auf die Rolle des Glücks, während er an anderer Stelle dessen unglaubliche Veränderlichkeit nicht leug­net (vgl. Timoth. 4, 1; Att. 10, 1 — 2). Als geschichtsformende Momente stehen das Glück und die Tugend mit einem dritten Faktor in Zusammenhang, und zwar mit der Natur. Denn die Tugend daselbst ist ein Geschenk jener Natur (Eum. 1, 4), die die historischen Persönlichkeiten in unterschiedlicher Weise formt und bildet: indem sie ihnen diese oder jene geistigen und körperlichen Fähigkeiten verleiht (vgl. Ages. 8, 1; Alcib. 1, 1), ohne aber dazu in der Lage zu sein, auch nur ein Individuum mit allen Gegebenheiten auszustatten (frg. 4 : locuples ac divina natura . . . neque uni omnia dare пес rursus cuiquam omnia voluit negare).13 Dennoch steht die Natur als lebendige und schöpferische Kraft über der Tugend (vgl. Ages. 8, 1: hic tantus vir ut naturam fautricem habuerat in tribuendis animi virtutibus), sie formt die Geschichte wirksamer als diese, und ist somit ein Begriff gleichen oder ähnlichen Wertes wie das Glück (vgl. Thras. 1, 3 — 4). Deshalb soll der Mensch allem anderen voran dem Wort der Natur folgen und dies auch über die Weisheit stellen (Att. 17, 3: natura . . . quamquam omnes ei paremus; in ähnlicher Weise später Sen. Ер. 66, 36: 11 In Verbindung mit diesem Thema siehe früher J. D. JEFFERIS: The Concept of Fortuna in Cornelius Nepos. ClPh 37 (1943) 48 — 60. G. GRADOWSKAS Studie zu diesem Thema konnte ich nicht unmittelbar kennenlernen. Zur ähnlichen Geschichtskonzeption bei anderen antiken Historikern vgl. z. B. Flor, praef. 2. 12 Dem Biographen nach kommt Thrasybulos der erste Platz nur dann zu: si per se virtus sine Fortuna ponderenda sit, da die Lage jedoch nicht eine solche ist, blieb der Ruf des Thrasybulos bescheiden (1, 1 ff. — obwohl im übrigen laut Nepos zur virtus auch die heerführerische Fähigkeiten, die weise Einsicht und Überlegtheit gehören, realisiert sich all dies dennoch nur durch die Armee und das Glück, Ebda. 1, 4). Der Verfasser sagt auch über Lysandros, daß magnarn reliquit sui famam magis felicitate quam virtute partam (Lys. 1, IL 13 Diese Feststellung stammt, bezogen auf Cicero, aus der praefatio von De histo­ricis Latinis, weil sie uns auf dem ersten Blatt eines der Kodexe der Philippinischen Reden erhaltengeblieben ist, vgl. Ausgabe von J. C. ROLFE, Cambridge (Massachusetts) — London I9603, 696. Acta Antiqua Academiae Scienliarum Hungaricae 31, 1985 — 1988

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