Deutsche Tageszeitung, Juni 1935 (Jahrgang 2, nr. 196-217)

1935-06-01 / nr. 196

Seite 2 ­An dem Bestehen dieser­­ Regierungsform ständig aufscheinenden innerösterreichis­­chen Gegensäte, nicht zulegt im eigenen Lager der „­Regie­­rungstreuen“ restlose Aufklärung schaffen, sowie ob der gegenwärtige Zu­­stand nicht nur ein Sprungbrett dar­­stelt zur Wiederaufrichtung einer Habsburgischen Donau­­monarchie, die für die nationalen Nachfolgestaaten einen untragba­­ren BZustand bedeutet. Man glaube ja nicht, daß es sich hier um böswillige Verzeichnungen handelt. Aus Aeuße­­rungen der österreichischen Regierung freije selbst, fünnen wir immer solche Unstimmigkeiten und damit das Auf­­tauchen dieser Fragen feststellen. Wäh­­rend man in Paris sich Hütet, die Habs­­burgerfrage als aktuell zu erklären, gibt man in Rom und Prag zu bedeu­­ten, daß die Monarchie in Oesterreich der wirksamste Schuß gegen den Natio­­nalsozialismus darstelle, wobei die Welt staunend erfährt, daß diese politische Weltanschauung troß wiederholter ge­genteiliger Bereicherung heute in Oesterreich stärker werden je. Denn ganz eindeutig war z. B. die Erklärung des Wiener Vizebürgermeisters Winter an das tschechische Blatt „Lidove Lifty“ zu Prag im Februar d. 3.: „daß er selbst überzeugter Mo­­narchist sei, und glaube, daß die Mo­narchie die beste Gewähr für eine Ver­­tiefung der Gegenjage zwischen Wien und Berlin (!) und somit für die Auf­­rechterhaltung der österreichischen Unab­­hängigkeit bilde.“ Er bezeichnet außer­­dem die gegenwärtige­­ Regierungsform nur als einen Versuch (!), die staatlichen Einrichtungen der päpstlichen Enzyklik­ anzupassen — und meint, „daß es auch besser gewesen wäre, in Oesterreich den Parlamentarismus beizubehalten und nebenher (!) die ständische Ordnung allmählich auszubauen.“ Demgegenüber erklärt aber am 23. Mai bei der Er­­öffnung der Schönbrunner „Franzes Joseph- Ausstellung“ das Staatsoberhaupt Prä­­sident Miflas: „das alte Kaisertum bestehe nicht mehr, es sei ein Nonsenz (!) gegen geschichtliche Tatsachen zu kämpfen. Neue Zeiten, ein neues Geschlecht und ein neues Europa fordern gebieterisch ihre Rechte.“ Die neue­­Verfassung des Bundes­­staates sieht mit dem „Uebergangsgeseß“ vom 1. Mai 1934 eine „vorläufige“ Erneuerung in die vier beratenden und geseßgebenden Kammern vor, deren Bil­­dung durch MWahl aus den bis zum November v. a. zu schaffenden Be­rufsständen hätte erfolgen sollen. Allein weder eine reiflose Bildung der Berufss­tände, noch auch die aus ihnen zu err­­olgenden Wahlen wurden bisher durch­­geführt. Während die klerikalen Kreise den Mufsolinischen Plan der Aufrüstung wärmstens begrüßen, stellen sich die Heimwehrformationen, Starhem­­bergs Privattruppe, energisch d­ar­gegen, weil sie durch ihre Ueber­­führung in ein reguläres Heer jeden politischen Einfluß verlieren würden. Den Armeestand dagegen aus anderen Kreisen aufzufüllen, ließe die Unsicherheit der eigenen Regierung vermehren. Unter­­dessen tobt der Kampf um die politische Bormachstellung zwischen S Heimwehr, dem S Freiheitsbund des Staatsrates Aunshak und den ostmärkischen Sturmsolharen unentwegt weiter. Zur Notlage der österreichischen Bauern und der Bewegung der Unzufriedenheit bringt das schwedische Blatt „Svenska Dag­­bladet“ vom 7. April einen aufschlußs­reichen Beitrag und spricht dort deutlich von den Bemühungen Starhembergs, um das Verständnis des Volkes für der österreichischen Machthaber zu werben. Stundenlang könnte man die Beiträge zu diesen Erscheinungen innerösterreichi­­scher schwerer Unausgeglichen­­heit fortießen, sie bringen leßten En­­des nur die eine Erkenntnis: ein dösterreichischer Sicherheits­­pakt würde ohne genaueste Feststellung seiner Grund­lagen nichts anderes bedeun­­ten als einen internationalen Schuß sicherheit­ der österreichischen — Deníische Tageszeitung Schuschnigg macht sich lächerlich! Er spricht vom , freier, Deiterreich,.‘ — it, nach allen Seiten unabhängigen Worüber man mit den „Deiterreichern“ reden lan Wien, 31. Mai. Bundeskanzler Schuschnigg hielt Mittwoch­vormittag im Bundestag eine Rede über die po­­­litische und wirtschaftliche Lage Desterreichs. Er­­ schilderte zunächst die Entwiclung des „neuen Desterreichs“ im legten halben Jahr seit Einführung des Ständesystems, erwähnte die „Fort­schritte“ auf inner- und außenpolitischem Gebiet des Landes und versicherte dann, daß die Regierung nicht auf Halbem Wege stehen bleiben würde. Er wandte sich dann der Erhöhung der „geistigen und materiellen Wehr­­kraft Oesterreichs“ zu und kündigte in dieser Beziehung gewegliche Maß­nahmen an. Der höhere Bildungs­­grad könne nicht einen Freibrief für Handlungen und Stellungnahmen gegen das Baierland bedeuten. Alls der Bun­­deskanzler dann von den materiel­­len Vorauslegungen einer erhöhten Wehrkraft sprach, forderte er vor allem Wegfall der Beschränkung, die die Wiedereinführung der allgemeinen Wehr­­pflicht verbietet. Nur Oesterreich selbst künne entscheiden, verkündete er­ unter großem Beifall, wann und wie er von seinem wiedererlangten Recht Gebrauch machen werde. Daß dabei Webertrei­­bungen nicht zu befürchten seien, ver­­stehe sich von selbst. Schuschnigg stellte fest, daß die Wehrkraft Oester­­reichs auch heute schon stark genug sei, um jede Abenteuerlust, so wie sie sich zeigen sollte, im Keime zu ersticken. Eben darum sei eine Störung , der inneren Ordnung nicht zu befürchten. Schuschnigg fuhr dann fort: „Mit dem reichsdeutschen (!) Nationalsozialismus haben wir uns in keiner Welse zu ber fassen. Er tt für uns eine reichsdeutsche Angelegenheit, der gegenüber wir nicht interessiert sind, sobald sie sich auf die eigenen Staatsangehörigen beibrä Rt. Der österreichische Nationalsozialismus ist wieder eine rein innerösterreichische An­­gelegenheit und untersteht ausschließlich der Souveränität unseres Staates. Dem Beruuch einer künstlich großge­­zogenen Propaganda für eine Volksab­­simmung, der vielleicht bei den demo­­kratisch-parlamentarischen Staaten des­­ Westens auf Sympathie stoßen will, rufen wir entgegen : Zu spät! Wir hatten eine Volksabstimmung am 25. Juli. Mit Blut wurde abgestimmt, mit koffbarstem, jedem Defferreicher unvergeßlichem Blut. Das Ergebnis blieb das freie, nach allen Seiten unabhängige (2) Defferreich.* Zum Schluß fachte Schuschnigg seine Forderungen in folgenden Punkten zu­sammen: 1. Grundtägliche Gleichbe­­handlung, 2. Zuerkennung grundtäglich des gleichen Rechtes, 3. Anerkennung der gleichen Ehre. Weder alles andere könne man mit den Oesterreichern reden, über diese drei Punkte niemals. Ungeheuere Ausmache der französischen Ffinanzfreie Andauern der F­ransenstudt — F­inanzansichtig gegen Boll:­machten an Zlandin. — Einheitsfront der Linksparteien Maris, 31. Mai. Der F­inanzau­s­ Schuß, dessen Stellungnahme zur Rer­gierungsvorlage über außerordent­­lie Vollmachten zur Wahrung der Staatsfinanzen und der Wirtschaft Frankreichs vielleicht ausschlagge­­bend sein wird für das Schicsal der Regierung Flandin, hat Mittiwoch­vor­­mittag mit der Dachberatung des Gejeges begonnen. Der Ausschuß begab sich zunächst ins Ministerpräsidium, um die Erklärungen des Ministerpräsidenten Flandin, der durch seinen Armbruch immer noch am Erscheinen in der Kammer verhindert­et, entgegenzuneh­­men. Slandin gab, wie eine amtliche Mitteilung besagt, dem Ausschuß Auf­ Härung über die Ereignisse, Die Die Regierung in die Zwangslage verlegt haben, die französische Währung gegen die Angriffe der zwingenstaatlichen Spekulation zu verteidigen und zu diesem Enede erweiterte Vollmachten vom Parlament zu fordern. Der Mi­­nisterpräsident wandte ich entschieden gegen die Abwertung des Franken und die damit verbundenen Schäden. Um dies zu vermeiden, plane die Regierung folgende Maßnahmen: Ausgleich des Staatshaushaltes, Senkung der Ge­­stehungskosten, Herablegung des Zing­­jabes und die Fisialdeflation. Finanzminister Germain-Mar­­tin, der der Beratung beiwohnte, gab nachmittag in einer neuen Geltung des Finanzausschusses eine Schilderung der Finanz- und Währungslage Frankreichs. Wie die Mitglieder des Ausschusses der Presse versicherten, waren die Ausfüh­­rungen Flandins sehr eindringlich. Er soll u. a. das Versprechen gegeben haben, daß die kleinen Gehälter der Staatsbeamten nicht angetastet werden sollen. Finanzausschuf; verurteilt Regierungspolitik Haris, 31. Mai. Der Finanzaus­schuß der Kammer hat, nachdem er die Erklärungen des Finanzministers über die Rage der Staatsfinanzen und die Pläne der Regierung angehört hatte, si mit 25 gegen 15 Stimmen gegen die Erteilung von Vollmachten ausge­­sprochen. Dieser Beschluß hat in den M Wandelgängen der Kammer ungeheueren Eindruck hervorgerufen, weil man darin eine Verurteilung der Regie­rungspoliti­k flieht. Der Eindruck war umso größer, als unter den Geg­­nern der Bollmachten fch viele Radi­kalsozialisten befinden sollen. Zur Beurteilung der Lage wird man jebr die Stellungnahme der radikalsozialistis­­chen Kammerfraktion abwarten müssen. Zusammenschluß der Linksgruppen Paris, 31. Mai. Die radikalsozialie­iche Kammergruppe, über deren Stel­­lungnahme zu den Bollmadlen noch FREE 1. Juni 1935 hat sich zu einer nichts bekannt ist, Sißung sämtlicher Linksfrak­­tionen, nämlich: Sozialisten, Kommu­­nisten, Neosozialisten, französische So­­zialisten, Sozialistische Republikaner, be­­geber die auf Anregung der Kommunisten geitern stattfand. Diese Sikung dürfte von ausschlag­­gebender Bedeutung sein, nicht nur für das Schiesal des Kabinetts $landin, sondern auch für die künftige poli­tische Zeitung des Landes. Es ver­­lautet, daßs den Gogialisten die Frage vorgelegt wurde, ob sie zum Eintritt in eine Regierung des Zusammenschlusses aller Republikaner bereit seien. Die Radikalsozialisten sollen sich zur Teile­nahme an der gemeinsamen Geltung bereit erklärt haben, um über die Hal­­­ung der Gogtalisten und die Aussichten, mit ihnen einen Regierungsplan zur Ver­­teidigung der Währung und der republi­­kanischen Berfassung auszuarbeiten, Aufs­chluß zu erlangen. Von der Antwort der G Sozialisten wird die Stellungnahme eines großen Teils der Radikalsozialisten bei der Abstimmung über die Regierungs­­vorlage abhängen. Germain-Martin zurückgetreten Paris, 31. Mai. In der französischen Kammer begann gestern die währungs­­politische Aussprache, die die Entschei­­dung über das Währungsgehet bringen sol. Im Laufe der Aussprache teilte Ministerpräsident Flandin mit, daß der Finanzminister Germain-Mar­­tin soeben seinen Rückritt angeboten und er diesen angenommen habe. Er, Flandin, werde selbst neben dem Mi­­nisterpräsidium das Finanzministerium übernehmen. Nach dieser Erklärung trat eine Vauje ein. Man rechnet mit einer langen Nachteigung. Dentse Aust­­rocarnovorschläge Berlin, 31. Mai. Die Reichsregierung überreichte der englischen Regierung auf deren Wunsch den Entwurf eines Auft­­rocarnoabkommens, wie dies schon früher die französische und italienische Regierung getan haben. Wanvlesen =» Strunga verkauft Strunga Bukarest, 31. Mai (fernmündl.). Sans delsz und SImdustrieminister Man­oe­lescu-Strunga hat sein Befißtum, das Bad GStrunga, im Komitat Roman in der Moldau, an die staat­­liche Versicherungskarse um den Preis von 102 Millionen get verkauft. Austleinat­­ und „Die größte Gefahr“ Es ist selbstverständlich und notwendig, daß sich heute jeder einzelne Volfsgenosse in weit stärkerem Maße als bisher mit den brennenden Fragen deutschen Bolls­­tums in Siebenbürgen beschäftigt und den sich aus der Besonderheit unserer heimischen Bevölkerungspolitik ergeben» den Gefahrenmomenten sein Augenmerk zuwendet. Weit besser als jede sonstige Fachliteratur dient diesen Zweckk das soeben erschienene 5. (MaisHeft) der volkspolitischen Monatsschrift „Volk im Osten“, die diesmal in erweitertem Umfange als „Siebenbürgen-Heft“ ers­­chienen ist und — wie der sachliche Be­­obachter feststellen muß — einzigartige Beiträge von besonderem Werte enthält. Aus der Fülle der Beiträge greifen wir nur einige wenige der lesenswerten Aus­­lüge heraus: „Die größte Gefahr“ (Er­­gebnisse einer erb- und gesellschaftsbio­­logischen Untersuchung über die Sieben­­bürger Sachssen), von Pf. A. Cjallner, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Bauerntums in Siebenbürgen von Dr. M­. Drend, Der deutsche Arbeitsdienst in Rumänien von Gustav Barth, Deutsche Mitarbeit am rumänischen Staat von Emil Neugeboren. Der kulturpolitische Teil enthält außer der Bühnenschau und zwei Artikeln von Mitch Bergleiter eine Reihe ausgezeichneter Buchbespre­­chungen. Troß des erweiterten Um­­fanges beträgt der Preis des „Sieben­­bürgen- Heftes“ wie sonst nur in Er wollte die Glocken nicht läuten lassen Der römisch-katholische Stthof von Kielce, Xozinski, hat sich geweigert, während der Begräbnisfeierlichkeiten des Marschalls P­ilfudski die Trauerfahne auf der Kathedrale hiffen und die Glok­­ken läuten zu lassen. Kurze Zeit darauf ist dem Bischof ein vom Außenministe­­rium ausgestellter Auslandpaß einge­­händigt worden, der ihn zur Ausreise nach Rom ohne Rückkehr berechtigt. Rozinski mußte Kielce sofort verlassen. 7 RE VS ER

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