Die neue Zeitung, April-Juni 1933 (Jahrgang 4, nr. 484-554)

1933-04-01 / nr. 484

Die neue Zeitung une Sonnabend, 1. April 1933 — Ar, 484 »Holitiide Umlbau Die Frage des Sadhverjtändigen Die Regierung hat der Nationalbank ein offizielles Schreiben zusammen lassen, in dem der Nationalbank das Genfer Protofoll mitgeteilt und sie aufgefordert wird, einen Beschluß bezüglich der Ernennung des Völkerbundsachver­­ständigen bei der Nationalbank zu fassen. Der Verwaltungsrat der Nationalbank trat darauf nach­ Dienstag unter dem Bereiß des Gouverneurs der Rationaleer­ A­nghelescu zusammen, um nach eineinhalb­­stündiger Verhandlung beschlußmäßig festzulegen, daß die Nationalbank auf ihrem alten Standpunkt beharrt, wonach sie bei Durchführung des Genfer P­rotokolls einer Ernen­­nung eines Bölterbundsachverständigen nur in der Person Auboins und mit dessen bisherigen Befugnissen zustimmen wird. Dieser Beschluß wurde vom Verwaltungsrat einstim­­mig gefaßt. Formale Bedenken wurden bezüglich der Stel­­lung und der Befugnisse des Sachverständigen im Rahmen der Statuten der Nationalbank geäußert. Die Frage wird voraussichtlic­ho gelöst werden, daß die Rechte und Pflic­­ten des Sachverständigen der Nationalbank in dem Gejäß über Ratifizierung des Genfer Protokolls genau festgelegt werden. Im fibrigen wird der Generalrat der Nationals­taat zusammentreten, um zu der gesamten Frage Stellung zu nehmen. Ob auch die Generalversammlung einberufen werden wird, it fragli, da diese eine Berfchiebung der Ratifizierung zur Folge haben künnte, was, wie aus Ner­gierungskreisen versichert wird, nicht möglich sei. Es ist vorläufig noch nicht vorauszusehen,wie der Beschluß der Nationalbank mit den im Genfer Protokoll festgesetzten Bestimmungen in Einklang gebracht werden kann.Von Negierungsseite wird jedoch versichert,da seine Einigung unter allen Umständen zustande kommen wird. Das erste Todesopfer des Skroda stand als Der Kommandant des ersten Armeekorps General ©. Bopescu hat sich in Craiova erschossen. Er scheint der Hauptschuldige in der Bestechungsaffäre des Groda­­standales zu sein, denn er war Generalsekretär im Kriegs­­ministerium Cihoschi und Leiter der Artillerie­ und Rüstungsabteilung. In seinen Abschiedsbriefen betont er zwar seine Unschuld und beschuldigt den nach Cihoschi gewesenen Kriegsminister Stefanescu­ Amza, daß er ihn verfolgt habe. Trogdem erschiert man sich nicht, wenn man schuldlos ist. « Die jüdischen Aerzte des Altreichs und Siebens­bürgens gegen Deutschland DiefeKorporationensindanfdiehirnverbranntesdee gekommen,die deutschen medizinischen Präparate zuboys kommme sie damit ihrer Praxig nutzen. Der Boykottbeschluß der Nationalsozialisten tritt am 1. April in Kraft Die Reichsleitung der nationalsozialistischen Partei hat schon am 28. d. Mt. abends ein Rundschreiben an sämtliche Lokalorganisationen gerichtet, in welchem der Boykottbeschluß offiziell mitgeteilt und die Duchführungs­­modalitäten desselben, in 11 Britte gegliedert, den Lokal­­organisationen zur Kenntnis gebracht wurden. Es wurde verfügt, daß Überall Boykottausschäfse gebildet und Bon­­kottpatrouillen eingefeßt werden, die am 1. April, um 10 Uhr vormittags in Tätigkeit treten. Jedermann wird ersucht, seine jüdische Ware zu tau­fen, seine jüdischen Advokaten und Rechtsanwälte zu kon­sultieren, seine jüdischen Zeitungen zu kaufen und in kei­­­ner jüdischen Zeitung zu inferieren. Die Streifpatrouillen ziehen durch die Straßen, klären, die Passanten auf und stellen sogenannte Boykottwachen in der Nähe jüdischer Geschäfte auf. In Rundschreiben wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seinem Juden auch nur das Haar ge­trämmt werden darf. Die Boykottbewegung richtet sich ausschließlich nur gegen die deutschen Juden und wird als Waffe gegen die Hege der Auslandjuden betrachtet. Ausländer, welcher Konfession sie immer angehören mögen, werden in Deutsch­­land nicht behelligt. Ein wichtiger Blitt des Boykottbeschlusses ist noch die Forderung nach Einführung des strengsten numerus clausus auf den Universitäten. Außerdem wird jeder Deutsche, der über Auslands­­beziehungen verfü­gt, verpflichtet, seine Bekannten, Ges­­­­chäftsfreunden, also alles was in den Kreis seiner Be­­ziehungen fällt, über die wirkliche Lage in Deutschland aufzuklären. Die deutschen Fath. Bischöfe verführen so mit dem Nationalsozialismus Eine Konferenz der deutschen Bischöfe, die in Fulda abgehalten wurde, hat den bisher verfochtenen Gland­­punkt des deutschen Katholizismus der nationalsozialistic­hen Bewegung gegenüber revidiert. Die Acht, die über die Katholiken im nationalsozialistischen Lager verhängt worden war, wurde aufgehoben. Es ist wahrscheinlich, daß es zufolge dieses Beschlusses bald zum endgültigen Friedensschluß zwischen dem Nationalsozialismus und der katholischen Kirche kommen wird. Der Beischluß, der in ganz Deutschland größtes Auf­­sehen erregt, wurde vom Kölner Bischof Dr. Squulte bes­kanntgegeben. Die Berbo­e und Ermahnungen, heißt es darin, die im Verlaufe der letten Sahre an die athol­iihen gerichtet wurden, find­­et überflüssig­ geworden, da die Ursachen, die sie notwendig machten, nicht mehr bestehen und die nationalsozialistische Partei weder die Rechte der Kirche antaftel, noch aber die Gläubigen in der Ausübung ihres Glaubens hemmt. Der Beschluß wurde einstweilen im Kirchenbezirk Köln verkü­ndet, doch man rechnet damit, daß er auch in den Übrigen katholis­chen Bistümern von in den nächsten Tagen durchges führt wird. Biel zur Meinungsänderung der deutschen Bischöfe dürfte eine Rede des Wiener Erzbiscofs, Kardinal Ins­nißer, beigetragen haben, der als durch und durch deut­­scher Mann darauf hingewiesen hat, daß die nationalso­­zialistische Bewegung eine Bewegung ist, die neue Wege für die Zukunft sucht und daß sich die Katholische Kirche bei diesem neuen Wegsuhen des deutschen Volkes, unter keinen Umständen abseits stellen wird. Erlaiser Wilhelm bleibt in Doorn Su der Nachricht, daß die Stadtverwaltung von Bad Homburg eine Adresse nach Doorn gerichtet hat, worin der ehemalige Vater gebeten wird, für den Fall einer Berlegung seines Wohnsiges nach Deutschland im Homburger Schloß Wohnung zu nehmen, hat der BD Fühlung genommen mit der Generalverwaltung des ehe­maligen Königshau­fes. Dem BD3 wurde erklärt, daß zwar über die Frage einer Rückkehr des Kaisers in der seäten Zeit sehr viel gesprochen worden sei, daß der Kai­ser aber nicht die Absicht geäußert habe, nach Deutschland zurückzukehren. In unterrichteten Areifen wird hinzuge­­fügt, daß die Rückkehr des Kaisers abhängig sein würde von der Zustimmung der Reichsregierung und dab in offiziellen Areifen vermutlich diese Frage deshalb nicht aufgeworfen werde, weil, wie von N Reichskanzler Hitler in seiner Regierungserklärung vor dem Reichstag sagte, irgendwie mit der Frage der Monarchie zusammenhän­­gende Dinge vorläufig nur zur Debatte ständen. Nichts gegen die Verfassung Der preußische Advokatenverband hat in einer zu Düsseldorf abgehaltenen Sagung beschlofs­en, sich der Bon­­fortbewegung der nationalsozialistischen Partei anzuschließen. Die Leitung des Verbandes fordert von der Regierung, sie möge den jüdischen Advotaten, Richtern, öffentlichen No­taren die Brazis verbieten. Die Regierung wird der For­derung, die gegen die Veh­affung verstößt, mit nachkommen” Verhaftungen und Waffenfunde in Deutschland Der frühere Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Guste it auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Halle von der Koblenzer Polizei verhaftet worden. In der Borununter­­suchung soll flargestellt werden, ob ich Dr. Buste in seiner reicheren Verwaltungsstelle der Aktenbeseitigung und Unter­­schlagung schuldig gemacht hat oder nicht. Die politische Polizei in Burg führte in Gemeinschaft mit SU, 65 sowie dem Stahlhelm eine Durchsuchung des Grundstichs des ehemaligen sozialdemokratischen Reichs­­tagsabgeordneten Grolberg duch. Die Aktion hat bereits zu großen Waffenfunden geführt. Es sind zunächst 18 zum Teil feifch eingefeitete Gewehre und etwa 12.000 Schuß Munition unter dem Fußbodenbelag, in Kisten verpackt, gefunden worden. Der Führer der ungarischen Nationalsozialisten begibt sich nach Berlin In den Wandelgängen des ungarischen Parlamentes wurde davon gesprochen, daß der Abgeordnete Hok­an Mesto, Führer der ungarischen Nationalsozialisten sich an­­geblich über Einladung Hitlers demnächst nach Berlin bes­teben sol, um hier über ungarische Fragen zu verhandeln. Die Nachricht, die übrigens mäctiges Aufsehen erregte, harrt noch der Bestätigung. Planmäßige nationalsozialistische Kundgebungen in Wien Die Polizei hatte befü­rchtet, daß anläßlich des Bro­­­zehbeginns gegen die Ziränengasbombenwerfer, die be­­kanntlich seinerzeit im Warenhaus Gerngroß eine Bank verursacht hatten, vor dem Landesgericht K­undgebungen stattfinden würden Es wurden demzufolge in der Nähe des Gebäudes starre Wachenkontingente bereitgestellt. Vor­­sichtshalber waren auch alle öffentlichen Gebäude, darunter das Hauptpost- und­­ telegraphenamt, verschiedene Gesandt­­schaftspalais und die Konsulate, unter besonderen Schuß gestellt worden. Das Straßenbild hatte sich durch biese Maßnahmen und durch die starren P­olizeipatrouillen der­­art auffallend gestaltet, daß unter der Bevölkerung Unruhe entstand. Die Leute verließen die ZurussIstab­ und zahl­­reiche Geschäftsleute schlossen die Rolläden. In den frühen Nachmittagsstunden wurden die Führer der Nationalsozia­­listischen Partei zur Polizei zitiert und darauf aufmerksam gemacht, daß die Behörde gewillt sei, jeden Berjuch von Kundgebungen unter allen Umständen zu verhindern. Die Nationalsozialisten erklärten, daß von der Parteileitung keinerlei Kundgebung angeordnet,worden sei. Für spon­­tane Einzelaktionen könnten sie aber seine Verantwortung übernehmen. In den Abendstunden merkte man dann, daß sich etwas vorbereite. Es entwickelte sich in der Innern Stadt ein lebhafter Korso jugendlicher Leute. BPlötlichh kam ein Haftauto angefahren, das von uniformierten Rationalsozia­­listen, die ein Hasenkreuzbanner schwangen, dicht belegt war. Dies war anscheinend das vereinbarte Sesen zum Beginn. Vom Auto herab wurden die „Spaziergänger“ mit Zurufen begrüßt. Die Antwort blieb nicht aus. Die „Passanten“ zogen aus den Taschen die Bartelabzeichen und Armbinden hervor und legten sie an. Das Trottoir und die Fahrbahn wurden mit papierenen Hakenkreuz­­emblemen bestreut. Die Demonstranten, die bis dahin ruhig in der Kürnichner Straube promeniert waren, brachen in verschiedene­n Rufe aus, begrüßten einander stürmisch und verließen das Trottoir, so daß die Fahrbahn völlig blockiert wurde. Jeder Autoverkehr war unmöglich ge­worden. Der Straßenverkehr mußte umgeleitet werden. Nachdem die Demonstranten durch­ Zuzug von Neugierigen noch­ verstärkt worden waren, schritt die Polizei ein und drängte die „Spaziergänger“ in die Geitenstraßen. Ein starrer Trupp Nationalsozialisten gelangte vor das Ge­bäude der Rawag, brach in Rufe gegen deren Zeitung aus und machte den Berfuch, in das Gebäude einzudrin­­gen, was von der Polizei verhindert wurde. Die Opern­­kreuzung war von den Nationalsozialisten so starf blockiert, daß man weder zu Fuß noch im Auto zum Operngebäude gelangen konnte. Ein Teil der abgedrängten Demonstranten war der die [chwach) befegten Brüden in die Leopoldstadt gelangt und hatte dort den Demonstrationsspaziergang fortgefeßt. Die Geschäftsleute sperrten eilends. Die Polizei zerstreute schließlich auch diesen Trupp. Vielfach kam es vor, daß die einschreitenden Gi­erheitswac­hleute von den National­­sozialisten mit dem Rufe „Heil Brandl!“ begrüßt wurden. Gegen 10 Uhr abends waren die Kundgebungen zu Ende. Die Polizei hatte 50 Anhaltungen vorgenommen, und zwar wegen Nichtfolgeleistung, Störung der Erbd«­nung und Behinderung des Straßenverkehrs. Vereinzelt sah man dann noch in Autos oder auf Motorrädern Gruppenführer der Nazis, die ihre Parteiangehörigen im Borbberfahren mit Zurufen begrüßten. In kleinen Grup­­pen, aber vorsorglich von Ob­erheitswachhe begleitet, rückten dann die Nationalsozialisten in die einzelnen Be­­zirke ab, Aubefsörungen wurden von dort nicht gemeldet, 4 iehen konnte. Eine Welle von Licht schien Über das junge und doch schon verweh­ende, qualvoll zerfuchte Antli des Kranken zu fluten; wie verklärt leuchteten seine Augen. Die Glocke läutete zur Beendigung der P­aufe. Heftig und mit böser Miene entriß einer der Buben dem ges­­ähmten Kinde den Federhalter. „Bib her! Wir müssen wieder hinein und haben selber noch nicht alle durchgesehen !" Im Nu verlor das Gesicht des Kindes den Glanz einer glücklichen Minute und nahm wieder jenen Ausbruch stiller Dual an, der ihm eigen war. kk Walter konnte nicht begreifen, wie es ihm hatte ge­­schehen können, daß er den Federhalter beim Zusammen­­packen seiner Schulmappe vergaß und auf der Bank liegen ließ. Am Tage darauf machte er entreßt die Ents­eherung, dab der Halter nicht mehr da war. Die ganze Klasse befand er in heller Aufregung. Das Ereignis kam schon in der ersten Stunde dem Rehrer zu Ohren. Er freute sie darüber, denn nun konnte er eine seiner unfehlbaren Methoden anwenden, auf die er sich nicht wenig einbildete, weil sie Menschen- Kenntnis erforderte. „Wer von euch hat den Federhalter fragte er scharf. Alemiose Stille. Niemand rührte sie. Herr Püngel­te, nun einen nach dem anderen aufs stehen und fragte jeden einzeln, indem er ihn mit einem durchbohrenden Blick für mich hypnosizierte: „Hast du den Halter weggenommen?* Auf die immer gleiche Frage erfolgte zehn­, zwölf mal dieselbe Antwort, laut und prompt: „Nein !“ Auch an Peter Pielenz kam die Reihe: „Halt du ihn ?“ fragte der Beftrenge zum soundso vielten Male. „ein!“ lautete die Antwort. Aber der L­ehrer befahl: „Komm heraus, Pielenz !* In dem Nein des Zungen war ein ganz kleines Zögern gewesen, eine kaum merkliche Hemmung­ , Bib mir den Lederhalter, Pielenz !* sagte der Lehrer. “ „sh — ichh habe ihn nicht!* fiammelte verwirrt der unge. Sept war Herr Prüngel feiner Sache fiher. Seine Stimme [hhwoll unvermittelt zu einem Donnergeidfe an: „Du bist ein Lügner und ein Dieb, Peter Pielenz!* &s sah aus, als ob der Knabe faumelte. D­erstört und zitiernt stand er da, „sa, ich nahm ihn weg“, „Über ich habe — ihn verloren.“ Der Kehrer begnügte sich damit, dem Sünder eine empfindliche Strafe zuzumessen, ohne weiter nach dem Verbleib des Federhalters zu forschen. Die Mitschüler waren aber überzeugt, daß der Hals ser noch im Besiß des Diebes sei. Sie feßten ihm auf dem Heimweg arg zu und prügelten ihn zulegt, um die Herausgabe der wertvollen Sache zu erzwingen. Am mei­ten Hitt Walter, Ihm tat es weh, daß der beste Freund so schlecht an ihm gehandelt hatte. Als er nach Hause kam, ermartete ihn eine neue Ueberraschung. Im Garten sah er den Wagen mit dem gelähmten Runde stehen. Nicht weit davon fand die Pfle­­gerin mit der Mutter im Bespräch. Walter hörte die Mut­­ter sagen: „D nein, so wichtig ist mir das nichtige Ding nicht, Milli mag es behalten, wenn es ihm solche Freude mach.“ Damit legte sie den Halter auf das Ktlfen vor Willi hin. Dann fuhr die Pflegerin mit dem Kranken Kinde apon. „Schwester Linda brach ste mir den Lederhalter zurück­­den du ohne meine Erlaubnis mitgenommen hab­est, und den wiederum Peter dir entwandete, um ihn aus Mitleid dem armen Willi zu schenken“, sagte die Mutter ernst. Und nach einer Weile fügte sie mit leisem Vorwurf hin­ zu: „Es war von und beiden nicht recht. Aber Peter hat ein gltes Herz, Walter. Du mußt ihn als Freund behalten.“ In Walter flieg das Gefühl der Beschämung über­­mädlis auf. Schmerz und GErschütterung erfüllten die kindliche Seele. Er barg den Kopf an der Mutter Brust an o. Dann sagte er mit plößlichem, tapferem Ent­­iu: „Ich will gleich zu Peter gehen, ihn bitten, alles zu vergessen und mein Freund zu bleiben.“ entwendet ?* , gestand er schluchzend. ee >;

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