Die neue Zeitung, April-Juni 1940 (Jahrgang 11, nr. 1507-1519)

1940-04-07 / nr. 1507

sinkt-insecti-dis Feststekdskvekötisatllehassibsm IFgu 73 Gerichtshof unter Zahl 51/1938 Sibiu-Hermannstadt, Sonntag, den 7. April 1940 Er Eigentümer und Direktor: Wilhelm v. Hannenheim Verantwortlicher Schriftleiter: Edmund Holy 11. Jahrgang Michelangelo Ein deutscher Kulturfilm Michelangelo, der seit 1500 bis weit über die Hälfte seines Jahrhunderts die italienische Kunst überragt, ist nicht nur bei Gobineau, sondern später oft der Gegenstand literarischer Studien gewesen. Es liegt nahe, dass der Film auch hier ein Thema erkennt. Seine Architektur, die Fresken der Sixtinischen Kapelle und schliesslich viele in der Nichtvollendung um so rätselhafteren Bild­­werke geben dem Auge einen Anreiz, den auch das stellvertretende Auge der Kamera empfindet. Zwischen der Statik jener Künste nervösen Flüchtigkeit des Films eigentümliches Wechselverhältnis, besteht und der ein das sich eben erst vorsichtig enthüllt. Die Kamera liebt es, die Statue und den Standort des Baues zu umkreisen, um etwas von ihrer Schwere und Körperlichkeit in dem jene herrschen. Sie liebt es wohl auch, vom Kunstwerk zurück in die Anekdoten zu gleiten und von Umgebung und Zeitgeschichte zu be­­richten. Sie erzählt gern, wo die Kunst selber schweigt. Sie bringt vielleicht — wenn es wahr ist, dass wir gerade ein Zeitalter der Kunst­­philologie und Kunstwissenschaft hinter uns haben — einen neuen Abschnitt der Kunstlegende hervor, von der wir in dem Michelangelo-Film ein erstes und in mancher Beziehung bedeutendes das sich nicht in die Beispiel vor uns haben, üblichen Kategorien des „Kulturfilms“ oder „Spiel­­films“ einordnen lässt.­­ Die Gestalt Michelangelos erscheint nie, aber wir hören seine Stimme. Wir hören sie aus Tage­­büchern und den Sonetten an Vittoria Colonna, aus den Berichten seiner Arbeit im­ Steinbruch und aus den genauen Abrechnungen seines Haushalts. Ein anderer Sprecher begleitet die Chronik der Bilder. Wenn die Verbrennung Savanarolas gezeigt wird oder vorher wir den Kampf der Pazzi und der Medici um die Herrschaft in Florenz ausbrechen sehen, wechseln die berichtenden Stimmen schnell hintereinander. Die Chronik wird — beinahe mit den Mitteln des Hörspiels — zum Drama, während nun auch die Bilder einen heftigen Rhythmus bekommen. Das Fenster erscheint, aus dem ein Anführer an einen Strick gehängt hinausgeworfen wurde, das dicke Seil pendelt vor unseren Augen, und im nächsten Bild ist die Exekution selbst in ihrer natürlichen und ungeschwächten Drastik nach einer Zeichnung Lionardos zu sehen. Man sieht den Florentiner Marktplatz in seiner heufigen Gestalt und ein zeitgenössisches Gemälde mit dem schwelenden Scheiterhaufen, dem Volksgewühl und den an den Galgen gehängten Gestalten Savanarolas und seiner Begleiter. Wir sehen in die Marmorbrüche von Carrara, aus denen weisse O­chsengespanne die Blöcke zu Tal schleppen, und es folgt die Enthüllung einer Statute vor der neugierigen Kamera selbst. Es ist das Verfahren einer sublimen Täuschung. Eine Form der geisterhaften Identität entsteht, in der die Gegenwart mit ihren wachen und hellen Umrissen in das Dunkel jener brodelnden Geschichte zurücksinkt. Oder in der — wie man es will — mitten aus ihren Wirren der schwer­­mütige Genius dieses Mannes wieder emportaucht. Die Werke erscheinen, mehr aber noch der Zwischenzustand des Gefühls, aus dem sie er­­schaffen wurden, die Melancholie der lässigen, nackten Ephebengestalten und die Kolossalität ihrer Körper, der Widerspruch zwischen­­ der gewaltigen Materie des Steins, und der pessi­­mistischen und bitteren Trauer, die wie eine Wolke über ihren Gesichtern liegt. Im Wand­­gemälde des Jüngsten Gerichts wird jene Stelle hervorgesucht, in der Michelangelo sein verzerrtes Porträt in die Haut des geschundenen Bartholomäus eingezeichnet hat. Aus dieser Perspektive ist das ganze Leben gesehen, aus der Hypothese, dass Künstlertum und Leid im Grunde identisch seien. Für epische Ruhe ist bei allem eigentlich nur in den Eingangsszenen Platz. Zwischen den Berg­­höhen von Caprese stand sein Geburtshaus, über das die Wolken schwebend dahinziehen und das die dunklen Zypressen andächtig umsäumen. Er habe die Liebe zur Bildhauerei mit der Ammen­­milch eingesogen, berichtet er von sich selbst, als er auf die erste Jugend und die Felsen der Um­­gebung zurücksieht. In Florenz beginnt seine Aus­­bildung, als er in die dortige Bildhauerschule kam und später in den Familienkreis der Medici „wie ein Sohn“ aufgenommen wurde. Man sieht den Palast in seiner festungsartigen Härte und die Gärten von San Marco, in denen der Jüngling die ersten antiken Statuen zu Gesicht bekam. Die Einzelheiten dieser Umgebung sind mit Sorgfalt und von dem Raum, zurückzuerwerben. Den Frieden und die Ruhe zur Arbeit sichert uns die Stärke unserer Armee Zeichnet deshalb Staatsscheine für die Ausstattung des Kleeres! Bedeutsame Berliner Musikereignisse we | Die zweite Hälfte der Berliner Konzertsaison t jetzt mit dem zehnten, Beethoven gewidmeten­­ hilharmonischen Konzert unter Wilhelm Furt­­wängler ihren glanzvollen Höhepunkt erreicht. Die fünfte und achte Symphonie bildeten die grandiosen Eckpfeiler des Konzertes: zwei oft be­­wunderte Glanzstücke der Philharmoniker und ihres Meisterdirigenten. Dazwischen gelangten zwei Sätze aus dem Streichquartett op. 130 zum Vortrag, die „Cavatina“ und die als Schlussatz gedachte „Grosse Fuge“, die dann später als selb­­ständiges op. 133 in die Musikgeschichte einge­­gangen ist. In der Besetzung mit grossem Streich­­orchester war vor allem die gewaltige Fuge, die weit über die bei Beethoven gewohnte Klangwelt hinausragte, von grosser Wirkung. — Vor kurzem wurde dieses Werk in der Einrichtung von Felix Weingartner auch von Edwin Fischer und seinem Kammerorchester auf der „Electrola“-Platte ver­­ewig. — Auch des neunten Konzertes sei noch gedacht, da es Anton Bruckners „Neunte“ unter Furtwängler erleben liess. Es handelt sich dabei um jenes Werk, über das Bruckner starb und das dem lieben Gott gewidmet ist, um des Meisters musikalisches Testament also. Furtwänglers Wie­­dergabe der Urfassung war auf höchste Werktreue gerichtet, und die Philharmoniker spielten mit berauschender Klangentfaltung. Der tiefe Eindruck­­­ des Werkes war unverkennbar. Abschliessend folgten die Trauermusik und der Schlussgesang der Brünhilde aus „Götterdämmerung” von Ri­­chard Wagner. Als Brünhilde fesselte die Sopra­­nistin Erna Schlüter durch prächtige Stimment­­faltung. Der Wiener Operndirektor Hans Knapperts­­busch erfreut sich in der Reichshauptstadt als Konzertdirigent besonderer Beliebtheit. In zwei Konzerten mit dem Philharmonischen Orchester gedachte er Peter Tschaikowskys, dessen 100.Ge­­burtstag am 7. Mai vor der Musikwelt gefeiert wird, indem er dessen fünfte und sechste Sym­­phonie mit zwingender Intensität zum Erklingen brachte. Das slawisch-gefühlsschwelgerische Ele­­ment dieser Musik hatte man lange nicht so packend erlebt. Der Beifall für­ den Dirigenten und die Philharmoniker war stürmisch. Die hier unbekannte erste Symphonie Tschaikowskys gab einer musikalischen Morgenfeier in der Staats­­oper erhöhten Reiz. Das sehr melodiöse Werk wurde von Robert Heger und der Staatskapelle wundervoll dargeboten. Und im Symphoniekonzert des Deutschen Opernhauses spielte Georg Kulen­­kampff das funkelnde Violinkonzert des russi­­schen Meisters mit wunderbar singendem Geigen­­ton und blendender Virtuosität. Von zahlreichen Liederabenden blieb der von Margarete Klose, der bekannten Altistin der Berliner Staatsoper, in nachhaltiger Erinnerung. Ihre herrliche Stimme verfehlt auch im Konzert­­saal ihre Wirkung nicht und kam in Liedern von Schubert und Schumann sowie in reizenden Ge­­sängen von Mark Lothar prachtvoll zur Geltung. Es gab enthusiastischen Beifall und viele Zugaben. Die Opernbühnen brachte einige interessante Neuaufführungen. So die Staatsoper Michail Glinkas vor mehr als hundert Jahren entstandene erste russische Nationaloper „Das Leben für den Zaren“. Die musikalischen Reize des Wer­­kes liegen vor allem in den Chören und einigen Arien, die ihrerseits für den Mangel an dramati­­scher Handlung entschädigen müssen. Die von Karl Schmidt vortrefflich einstudierten Chöre und Carla Spletter, Beate Asserson, Jaro Prohaska und Basso Arsyris in den Hauptpartien liessen ebenso wie das unter Hans Lenzer klangschön spielende Orchester keinen Wunsch unbefriedigt. Ob das freundlich aufgenommene Werk sich dauernd im deutschen Spielplan halten wird, muss die Zu­­kunft lehren. Ganz im Zeichen eines grossen Ereignisses stand die Neuinszenierung der , Elektra" von Richard Strauss durch Barbara Kemp von Schillings. Sie versucht mit Ge­­schmack, den Stoff der erhabenen Welt der Tra­­gödie zurückzugeben. Die Deutung der Partitur, die bis heute unerreichter Gipfel aller dramati­­schen Musik geblieben ist, hatte Herbert von Karajan inne. Abgesehen von der artistischen Leistung des Auswendigdirigierens erschöpfte er alle Stimmungen dieser Musik mit sorgsam abge­­messener Dynamik. Besonders hervorgehoben muss hierbei die unvergleichliche Leistung der Staats­kapelle werden, die auch dieser „Elektra”-Auf­ führung — es war die 70. seit der Berliner Erst­­aufführung im Jahre 1909 — das grossartige Ge­­präge gab. Auf der Szene boten Gertrud Rünger (Elektra), Margarete Klose (Klytämnestra), Hilde Scheppan (Chrysothemis) stimmlich und darsteller­­isch Ueberraschendes. Ihnen reihten sich Walter Grossmann (Orest) und Basso Arsyris (Aegisthb) würdig an. Anhaltender Beifall dankte für ein grosses T­­heatererlebnis. Im Deutschen Opernhaus gab es eine hübsche Garung von alter und neuer italienischer Opern­­kunst: Donizettis „Liebestrank“ und Puccinis „Gianni Schicchi“. Die Belkantisten des En­­sembles traten in Walther Ludwig, Irma Beilke, Hans Reinmar und Lore Hoffmann prachtvoll in Erscheinung. Auch hier war die Begeisterung der Zuhörer gross. Julius Segner

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