Gutenberg, 1929 (Jahrgang 11, nr. 1-52)

1929-01-04 / nr. 1

Nummer 1. G­U­T­E­N­B­E­R­G XI, Jahrgang. Die Abänderungen des Arbeiter­sozialversicherungsgesetzes. Es dürfte wohl noch in allgemeiner Erinne­rung stehen, welche Kämpfe die Arbeiterschaft im vergangenen Jahre gegen den aufreizenden Plan der bürgerlichen Parlamentskoalition füh­ren mußte, welche die Verschlechterung der im Jahre 1926 erst in Kraft getretenen Sozialver­sicherung der Arbeiter zum Ziele hatte. Der Kampf war mit Rücksicht auf das Objekt, um das er ging, nicht gering zu werten, denn das Objekt war die Versicherung der Arbeiter gegen Invalidität, Krankheit und die Witwen­­und Waisen ver Sicherung, also Angelegenheiten, derentwegen die Arbeiterschaft früher jahr­zehntelang kämpfte. Und als nach dem Umsturze die Tschechoslowakei daranging, ein solches Gesetz zu schaffen, war es nur dem Drängen der parlamentarischen Arbeiter Vertreter zu danken, daß ein solches überhaupt zustande kam. Denn schon damals hatten die bürger­lichen Parteien nur mit Widerstreben ihre Zu­stimmung gegeben, und die Verzögerung des Inkrafttretens des Gesetzes einige Jahre nach seiner Beschließung war ein Zeichen dafür, daß es ihnen ein Dorn im Auge war. So war es also auch gar nicht verwunder­lich, daß sie nach den Parlamentswahlen des Jahres 1925, als ihnen der blinde Zufall und der Unverstand so vieler Arbeiterwähler die Macht im Staate gab, darangingen, dieses Gesetz schon kurz nach seinem Inkrafttreten wieder abändern zu wollen. Freilich nannten sie das damals »re­formieren zugunsten der Arbeiter«. Aber man hatte schon aus ihrem Reformentwurfe ersehen, wohin die Ziele der reaktionären bürgerlichen Parteien gingen. Es war ein Schandentwurf, der vorgelegt worden war, und es bedurfte der hef­tigsten Kämpfe der sozialistischen Arbeiterver­treter, um die Koalitionsbrüder zu Verbesserun­gen zu bewegen. In trautem Vereine hatten Agra­rier, Gewerbeparteiler und christliche »Auch­sozialisten« mit dem kapitalistischen Klüngel versucht, für ihre bürgerlichen Anhänger auf jede nur denkbare Weise Vorteile aus der Re­formmache zu ziehen, das heißt, die Versiche­rung auf Kosten der Versicherten zu verschlech­tern. Es kann gesagt werden, daß die meisten­ dieser Verschlechterungen abgewendet, sogar Neues und Gutes hinzugefügt wurde, aber all das nicht durch die Arbeit der Bürgerlichen, sondern nur durch die Festigkeit der Sozialisten. Jetzt tun sich aber diese bürgerlichen Parteien viel darauf zugute, daß unter ihrem Regime die Novelle zur Sozialversicherung der Arbeiter zu­stande kam und so manche Vorteile bringt, die im alten Gesetze nicht vorhanden waren. Zur Steuer der Wahrheit muß aber festgestellt wer­den, daß all diese Reden nur eine kecke An­maßung sind, wofür der ursprüngliche Entwurf das beste Zeugnis ablegt, dessen Gesetzwerdung nur durch die Sozialisten verhindert wurde. Wenn das neue Gesetz aber trotzdem noch so mancherlei Verschlechterungen enthält, so gehen sie alle auf das Sündenkonto der Koali­tion. Sie allein ist dafür verantwortlich. Wir wollen nun im nachfolgenden das Gesetz und seine Abänderungen kurz besprechen, da einige dieser Abänderungen bereits mit 1. Jänner 1929 in Kraft getreten sind. Von der Aufnahme in die Sozialversiche­rung sind künftighin alle jugendlichen Arbeiter bis zu sechzehn Jahren aus­geschlossen, wodurch diese um einige Jahre Versicherungszeit betrogen werden. Die zwischen dem 1. Juli 1926 und dem 1. Jänner 1929 zu irgendeiner Zeit versichert gewesenen Personen unter 16 Jahren. Heimarbeiter und Sai­sonarbeiter bleiben weiterhin ver­sicherungspflichtig, und zwar auch dann, wenn sie zu einem anderen Unternehmer übertreten. Die Anrechnung des Militär­­dienstes für die Invaliditätsversicherung ist auf die zwölfwöchigen Waffenübungen ausgedehnt. Für die Krankenversicherung gilt die bisherige Lohnklasseneinteilung. Für die Invaliditätsversicherung wird eine untere Lohnklasse mit Taglöhnen bis 10 Kc angeführt. Neu ist, daß in der gesetzlichen Lohnklasseneinteilung nicht nur die Taglöhne, sondern auch die Wochenlöhne (mit dem sechs­fachen Taglöhne) und die Monatslöhne ange­führt sind, so daß es zweifelhaft ist, ob eine mit einem Taglöhne von 30 Kc durch sieben Tage wöchentlich beschäftigte Person nach dem Taglohne in die VIII. oder nach dem Wochen­lohne in die X. Lohnklasse einzureihen ist, zu­mal auch die Bestimmung, daß die Einreihung nach dem »Taglohne« erfolgt, dahin abgeändert wurde, daß nach dem »Lohne« einzureihen ist. Für Kurzarbeiter ist bestimmt, daß als Tag­lohn der sechste Teil des erzielten Wochen­lohnes zu gelten hat. Lehrlinge ohne Lohn oder nur mit Naturalbezügen gehören in die I. Lohn­klasse. Die Invaliditätsrente besteht aus dem Grund­betrage von jährlich Rc 550.— und den Steige­rungsbeträgen. Für die Zeit vom 1. Juli 1926 bis 31. Dezember 1928 werden sie von den gezahlten Beiträgen mit einem Fünftel berechnet; vom 1. Jänner 1929 mit folgenden festen Sätzen: in der Klasse Aa mit . . . . Kc 0.60 Ab ........................„ 0.85 B............................„ 1.15 C............................„ 1.40 D............................„ 1.75 In der Krankenversicherung sollen die Beiträge von der Zentralsozialversiche­rungsanstalt in der Regel nicht über 4.3% des Taglohnes festgesetzt werden und können bis 4.8% für Krankenversicherungsanstalten mit un­günstigeren Verhältnissen auch dauernd, dar­über hinaus nur für eine vorübergehende Zeit erhöht werden. Da der Beitrag für sieben Tage in der Woche eingehoben wird, beträgt er vom Wochenlohne bei sechs Arbeitstagen 5, bezie­hungsweise 5,6% (für den erhöhten Taglohn­satz von 4,8%). In der Invaliditätsversicherung wurden die Beiträge infolge Anwendung des 4% % Rechnungszinsfußes herabgesetzt, und zwar in den unteren Lohnklassen stärker (16%%), in den höheren schwächer (um 4%%). Sie betragen in den Lohnklassen Aa, Ab, B, C, D wöchentlich Kc 2.60, 3.60, 5.10, 6.60 und 8.40. Neu ist die Einführung eines Ausstat­tungsgeldes, das weiblichen Ver­sicherten nach Vollendung der Wartezeit (150 Beitragswochen) ausgezahlt wird. Das Ausstattungsgeld beträgt bei Schließung einer Ehe: in der Klasse Aa . . . . . Kc 400,— Ab . . . . . „ 450,­B . . . . . „ 500,— C . . . . . „ 550,— D . . . . . „ 600,— Die Abfertigung an die Hinterbliebe­nen eines Versicherten vor Ablauf der Warte­frist beträgt­ in der Klasse A a . . . . . Kc 550,— Ab . . . . . „ 600,— B . . . . . „ 650,— C . . . . . „ 700,­D . . . . . „ 750,­Die Anmeldefrist ist sechs Tage statt bisher drei Tage. Die Anmeldungen müssen auf den Formularen, welche kostenlos ausgefolgt werden, erstattet werden. Die Zuständigkeit zur bisherigen Krankenversicherungsanstalt ändert sich nicht, wenn der Arbeitgeber bei ihm be­schäftigte Personen vorübergehend im Sprengel einer anderen Krankenversicherungsanstalt ar­beiten läßt. Arbeitgeber mit regelmäßig nicht mehr als drei versicherungspflichtigen Perso­nen können von der Pflicht zur Führung von Lohnlisten enthoben werden. Ärztliche Behandlung wird bei Fortdauer der versicherungspflichtigen Beschäf­tigung sowie den Familienmitgliedern ohne zeitliche Beschränkung (bisher höchstens ein Jahr) gewährt. Das Krankengeld gebührt schon vom dritten Krankheitstage (bisher vom vierten) an und ist in den ersten vier Lohnklassen auf 62% % des Durchschnittslohnes und in der fünften Klasse auf 65% herabgesetzt (bisher durchwegs 66* 1­2 3/3%). Der Wegfall des Krankengeldes bei Fortbezug des Lohnes, be­ziehungsweise der freien Verpflegung im Er­krankungsfalle (gegen entsprechende Herabset­zung des Beitrages), der bisher durch Statut eingeführt werden konnte, ist nunmehr verbind­lich vorgeschrieben und auf die Fälle einge­schränkt, in welchen ein solcher Lohnanspruch wenigstens durch drei Monate gebührt. Gegenüber dem alten Gesetze weist die No­velle an über 100 Paragraphen zum Teile sehr weitgehende Abänderungen auf. Man kann manches gutheißen, was im neuen Gesetze ent­halten ist. Aber auch dieses Gesetz entspricht noch lange nicht den Erwartungen, die wir als Arbeiter an ein solches stellen müssen. Es wird sich noch die Gelegenheit ergeben, näher auf Einzelheiten einzugehen. ( I TARIFGEMEINSCHAFT DER GRAPHISCHEN INDUSTRIE IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK. TARIFAMT. Protokolle der Tarifschiedsgerichte, genehmigt in der Sitzung des Tarifamtes vom 19. April 1928. Protokoll der Sitzung des Tarifschiedsgerichtes für Mähren vom 5. Mai 1927. Anwesend für die Kurie der Unternehmer die Herren: Soukup, Doskocil, Schischack und Ing. Okac. Für die Kurie der Gehilfen die Herren: Hemerka, Hlavacek und Knotl. — Pari­tät 3:3. Vorsitzender Herr Soukup. 1. Klage des Vereines der Buchdrucker und Schriftgießer Mährens gegen die Firma O. K. in B. wegen Verletzung des § 27, Abs. 11, des Ta­­rifes, deren sich die geklagte Firma dadurch schuldig gemacht hat, daß sie einen zehnten Lehrling aufnahm, obwohl sie im Jahre 1926 nur 29 Gehilfen beschäftigte. — Die geklagte Firma wendet ein, daß sie im Jahre 1926 mit Hinzurechnung des Faktors 30 Gehilfen beschäf­tigte und daher das Recht auf 10 Lehrlinge habe. Der Faktor ist technisch tätig, indem er die Arbeiten verteilt, Revisionen liest und Kor­rekturen besorg­t. — Urteil: Die geklagte Firma O. K. in B. wird wegen Übertretung des § 27, Abs. 11, des Tarifes verurteilt und ist ver­pflichtet, den zehnten Lehrling als überzählig zu entlassen. (4.2.) — Begründung: Laut § 27, Abs. 7, des Tarifes werden zur Festsetzung der zulässigen Lehrlingszahl auch die technisch tätigen Faktoren zum Personal gezählt. Als technisch tätig gilt ein Faktor nur dann, wenn er setzt oder druckt, Korrekturen oder Revi­sionen durchführt und diese Arbeiten ständig und regelmäßig besorgt. Beim Faktor K. war dies nicht der Fall. Außerdem war er fast das ganze Jahr außerhalb des Betriebes, da er fast das ganze Jahr 1926 hindurch krank war. 2. Klage des Vereines der Buchdrucker und Schriftgießer Mährens gegen die Firma O., Buchdruckerei in W.­M., wegen Übertretung des § 27, Abs. 11, des Tarifes. — Die geklagte Firma gibt zu, daß sie einen überzähligen Lehrling be­schäftigt und dies aus dem Grunde, damit sie besser konkurrieren könne. — Urteil: Die ge­klagte Firma O., Buchdruckerei in W.­M., wird einstimmig wegen Verletzung des § 27, Abs. 11, des Tarifes verurteilt und ist verpflichtet, den überzähligen Lehrling sofort zu entlassen. — Begründung: Laut § 27, Abs. 11, des Ta­rifes darf eine Buchdruckerei nur soviel Lehr­linge halten, als dies der beschäftigten Gehilfen­zahl entspricht. Wenn die geklagte Firma wissentlich einen überzähligen Lehrling auf­nahm, so hat sie hiemit den § 27, Abs. 11, des Tarifes verletzt. 3. Klage des Vereines der Buchdrucker und Schriftgießer Mährens gegen die Firma A. L., Buchdruckerei in M.­O., wegen Übertretung des § 11, Abs. 9, des Tarifes, deren sich die geklagte Firma dadurch schuldig gemacht hat, daß sie den Vertrauensmann A. L., der genötigt war, bei der Geschäftsleitung wegen tariflicher Miß­stände einzuschreiten, gemaßregelt hat. — Der anwesende Vertreter der Firma erklärt, daß er den Vertrauensmann A. L. wegen Arbeits­mangels gekündigt hat. Nach Anhörung des Vertrauensmannes A. L. änderte er seine frü­here Aussage und führte an, daß er den Ver­trauensmann dessentwegen kündigte, weil er den im selben Betriebe beschäftigten Buch­binder aufforderte, einen höheren Lohn zu ver­langen, und weiters, weil er eine Arbeiterin zur Sabotage verleitete. — Der anwesende Ver­trauensmann A. L. erklärt, daß der im ge­klagten Betriebe beschäftigte Buchbinder sich mit der Frage an ihn wendete, ob sein Lohn dem Tarife entspreche, worauf er ihm sagte, daß dies nicht der Fall sei. Als dies der Ge­schäftsleiter erfuhr, sagte er dem Vertrauens­mann, er möge sich binnen vier Wochen eine andere Kondition suchen, und kurz darauf er­teilte er dem Vertrauensmanoe die Kündigung. C­c Í c­c­c I­c 1I­I ( M in <* i­i ( ) i In der ganzen Welt über 80.000 Linotypes!

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