HUNGARIAN STUDIES 17. No. 2. Nemzetközi Magyar Filológiai Társaság. Akadémiai Kiadó Budapest [2003]

Gábor Schein: Das Unverbindbare verbinden. Anmerkungen zur Prosa von Imre Kertész

DAS UNVERBINDBARE VERBINDEN sehen verschiedenen Erzählungen gewisser Ereignisse selektieren dürfen, und wenn ja, auf welcher Basis. Die Frage nach der Legitimation „der konkurrieren­den Erzählungen" wird im Fall von Auschwitz als ganz speziellem Ereignis erst wirklich gewichtig. Im Interesse der Wiederherstellung der Möglichkeit, erneut in der Geschichte zu leben, möchten wir darin die epistemologische Begründung des ethischen Imperativs auffinden, doch dies scheint nicht anders möglich, als einzig und allein durch die Beschwörung von Geistern, von Gespenstern. Die Labilität, Unausgewogenheit, die wir zwischen der Freiheit und jenen Vor­aussetzungen erfahren, die die problematische Einschreibung der Freiheit in die Geschichte ermöglichen, begegnet uns in nahezu jedem Absatz und jedem Satz des Roman eines Schicksallosen. Als Beispiel sei hier ein Passus zitiert, als György Köves in der Gesellschaft von sechzig anderen schon im Waggon nach Auschwitz unterwegs ist: „In der Eisenbahn saß ich viel bequemer. Und wenn mir danach zumute war, konnte ich auch aufstehen, ja sogar ein paar Schritte machen - zum Beispiel zum Kübel: der hatte nämlich seinen Platz in der rechten hinteren Ecke des Waggons. Zunächst hatten wir den Beschluß gefaßt, ihn nach Möglich­keit nur für das kleine Geschäft zu benutzen. Doch nun, mit der Zeit, mußten eben viele von uns die Erfahrung machen, daß das Gebot der Natur stärker war als unser Gelöbnis, und es blieb uns nichts übrig, als demgemäß zu handeln, wie etwa wir Jungen das taten und die Männer, ja, und dann auch etliche Frauen, das läßt sich ja verstehen, natürlich."25 Die rhetorischen Tropen des Pendeins zwischen Freiheit und Knechtschaft, freier Entscheidung und äußerem Zwang, metaphorisch formu­liert zwischen der Hölle und der Idylle werden im Roman durch die Dualität der Ironie bestimmt. Mithin stellt die Sprache des Romans im Bewußtsein der Verwi­schung von Feinheiten,26 der Ununterscheidbarkeit von Schatten und Schattierun­gen keine positiven Behauptungen über Auschwitz auf, sie versucht durch die un­entwegte Differenzierung der Aspekte radikal, die totalisierende Tendenz der Versetzungen und Substituierungen abzuwehren. Diese Sprache enthüllt stets ihre eigenen rhetorischen Verzerrungen,27 ihre ästhetische Konstruktion, ihre unbe­herrschbare Bewegung läßt sich in keinerlei Bedeutung fixieren. Die Sprache des Roman eines Schicksallosen macht all dies am meisten durch den Gebrauch des Wortes natürlich sichtbar. Wo auch immer es vorkommt, drückt es einerseits aus, daß all das, was soeben geschieht, von der Normalität des Lebens im Konzentra­tionslager her verstanden und (hin)genommen werden will, andererseits macht es auch sinnfällig, daß das Konzentrationslager als Normalität inakzeptabel ist. In diesem Wort, das quasi die Quintessenz der Sprache des Roman eines Schicksal­losen ist, klafft der Abgrund der Ironie auseinander, der die Aussagen nicht fixier­barer Referenzialität anhand des Bruchs zwischen Außergeschichtlichkeit und be­reits erfolgter Einschreibung in die Geschichte in zwei Teile trennt. Zwischen die­sen Teilen kann genauso kein Dialog aufrechterhalten werden, sie können ebenso­wenig zu einer gemeinsamen Bedeutung des Namens Auschwitz fuhren, wie we-

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