Kaschauer Zeitung, Oktober-Dezember 1873 (Jahrgang 35, nr. 79-105)

1873-10-18 / nr. 84

— Auswanderer, Vorgestern ist der hiesige Be­wohner und Versicherungs-Agent Heinrich Schwarz nach Amerika abgereist. Albert Mandl und Moriz Groß beabsichtigen demnächst ein Gleiches zu thun. — Holz - Licitation. Von Vormittags Seite des städtischen Waldamtes wird bekannt gegeben, daß laut Beschluß der ökonomischen Commission der Königl. Freistadt Kaschau am 25. October, 10 Uhr, im Stadthause öffentliche Licitation von 230 Klafter 3 Schuh 4 fl. 50 eine im Winter geschlagenen Eichenholzes gegen sogleiche Baarzahlung stattfindet. Der Ausrufungspreis ist kr. per Klafter. Bemerkt wird noch, daß obgenannte Quantität auch in kleinern Parzellen verkauft wird. langen. — Der wegen der Cholera unterbliebene Epe­­rieser August-Markt wird am 24. (Viehmarkt) und am 27. und 28. dieses Monats (Krammarkt) abgehalten werden. — Unglücksfall. Der nach Lemes zuständige, bei dem hiesigen Schuhmacher Jakob Berkovits in Arbeit stehende Gehilfe Ignaz Friedmann, 17 Jahr alt, er­­hielt auf eine bisher unermittelte Weise eine Huszären-Revolver- Patrone und wollte am 15. d. M. Abends aus derselben das Schießpulver herausnehmen; als er in dieser Absicht den Phosphor zu entfernen suchte, hat sich das unter dem­selben befindliche Schießpulver entzündet, explodirte und riß dem Unglück­chen den Daumen und Zeigefinger weg. Der­­selbe wurde sogleich in das allgemeine Krankenhaus gebracht. — Ueberfahren. Am 15. b. M. wurde ein 7jähriges Mädchen auf der Szechenyi-Wiese und ein alter Mann vom Lande (aus der Umgegend) auf der Hauptgasse über­­fahren, gegen die unvorsichtigen Kutscher ist die Untersuchung eingeleitet worden. — Die Plünderung der Blumen am Kalvarien­­berger-Friedhöfe wird hier seit längerer Zeit getrieben. Dem Friedhofaufseher gelang es vorgestern eine dienstlose Magd an der That zu ertappen, als sie eben ein großes Bouquet, wozu sie die Blumen von mehreren Gräbern sammelte, auf das Grab ihres Geliebten, eines verstorbenen Soldaten, niederlegen wollte. Dieselbe wurde polizeilich bestraft. Aufruf alt wahre Menschenfreunde! Wer wüßte nicht von den vielen Waisen, die als trauriges Vermächtniß der letzten schredlichen Zeit geblieben ! Die Cholera hat der Opfer so viele genommen. Jene, die sie verschonte, haben aber nun die hohe Lebensaufgabe, sich dieser Waisen anzunehmen, für sie zu sorgen ! Wohl hat der löbliche Stadtmagistrat wegen Mangel an Raum im Waisenhause, die armen Waisen in verschiedene Privathäuser gegen mäßige Honorare untergebracht und somit für den ersten Moment selbe vor dem Hungertode gerettet, doch fehlt den armen Kindern jede Bekleidung, und mit Bangen muß jeder besser fühlende Mensch dem Winter entgegen­­bliden, wenn er an das Loos dieser armen elternlosen Kinder denkt. Der Frauenverein erachtet es daher als seine heiligste Pflicht, der Aufforderung der städtischen Behörde nachzu­­kommen, um dem Elende dieser unglücklichen Wesen nach Möglichkeit zu steuern. Um dies aber nur halbwegs er­­reichen zu können, müßte wohl jedes Glied der Kaschauer Gemeinde nach Kräften Hilfreiche Hand bieten, denn nur vereinte Kraft vermag da­zu helfen. Mögen daher Alle, die die Vorsehung verschonte, als Dankopfer sich nun der armen Verlassenen annehmen, und nach Kräften beisteuern, sei es mit Kleidungsstücken, Wäsche, Bestuchung, neu oder schon gebraucht, gleichviel, oder mit Lebensmitteln oder Geld, — alles, alles, auch die kleinste Gabe wird als Wohlthat entgegengenommen, und die Namen der Spender dann öffentlich kund­gethan. Kleidungsstü>e von Erwachsenen werden für die Kinder umgearbeitet. Es sind dies wohl schwere Zeiten, dies weiß Jeder, doch lassen, eben deshalb darf man die armen Kinder nicht ver­­nicht vergessen, — wer vermöchte mit kaltem Herzen und ruhigem Gewissen an seine wohlbefeste Tafel treten, und nicht der bleichen thränenvollen Gesichthen der armen Kleinen sich erinnern, die gleichsam als ein memento mori der jüngst vergangenen Tage uns blieben ! Alle Gaben werden dankbar übernommen, von­ den Aussc­hußdamen des Frauenvereins, die ein besonderes Comité bilden und mit Ende jedes Monates die eingegangenen Spenden an die städtische Behörde abliefern werden, um dann vereint, an die betreffenden Waisen die nöthige Ver­­theilung vorzunehmen. Die Namen der Damen sind folgende : Auf der Hauptgasse wohnhaft : Frau Antonia Brody, Haus-Nr. 9; Frau Fanny Zähr, Nr. 47; Frau Anna Koch, Nr. 36 ; Frau Baronin Töply Marie, und Baronin Anna Sardagna, Nr. 121. In der Faulgasse : Frau Irene Csorba, Nr. 35, und Frau Jeanette Basel, Nr. 19. In der Schmiedgasse : Frau Regine Kain, Nr. 21, und Frau Szerény, Nr. 43.­­ In der Fleischhauergasse: Frau Karoline von Koncz, Nr. 4, und Frau Amalie Konrády, Nr. 16. In der oberen Vorstadt : Frau Soucop-Kunst Marie. In der mittleren Vorstadt : Frau Julianna Konrady, wohnhaft in der Kleinkinderbewahranstalt. In der unteren Vorstadt : Frau Elisabeth Kuhlmann, Moldauerstraße Nr. 5, und Frau Therese Halyks - Koch, wohnhaft neue Gasse Nr. 7. Die städtisce Behörde haftet für die gewissenhafte Vertheilung aller Gaben an die Waisen. I Kascau, 12. October. Der Kaschauer wohlthätige Frauenverein und Eduard Szerényi, Obernotar, als Präses des städt. Wohlthätigkeitscomités, in RD -- Dramatische Vorlesung des Herrn Maurice Neville. Heute-Abend findet im Casinosaale die von uns bes­reits angekündigte­­ dramatische Vorlesung unseres in Deutschland und Amerika, bereits auf das Vortheilhaf­­teste bekannten Landsmannes, Herrn Maurice Neville statt. Schon aus dem in unserer früheren Nummer mit­­getheilten Programm ist ersichtlich, daß sowohl die zum Vortrag gelangenden Scenen aus den Dramen Shakes­­peares, wie auch die beiden Gedichte zu dem Schönsten und Besten gehören, das die Weltliteratur aufzuweisen hat, wir wollen hoffen, daß­ auch der Vortrag derselben dem guten Rufe, welcher dem jungen Künstler vorangeht, entsprechen, und alle jene Zweifler und Uebelwollenden entwaffnen und — besc­hämen wird die, wie es scheint, lebende Illustrationen zu dem alten und bei uns, leider, mehr wie anderswo gel­tenden Sprache : „Nemo propheta in patria“ sein wollen, eine Spezialität, um welche wir sie nicht im Geringsten beneiden. Wir, die wir aus eigener Ueberzeugung sprechen, können daher nichts Anders sagen, als daß sich das gebil­­dete Publikum unserer Stadt den Besuch dieser dramatischen Vorlesung nicht versagen­ möge.­­ Außer der Gelegen­­heit, einen Act echt menschenfreundlicher Wohlthätigkeit zu üben, — wir wiederholen, daß der ganze Reinertrag zur Hälfte den in Folge der Epidemie zuri­>gebliebenen armen Waisen Kaschaus, zur Hälfte aber zur Anschaffung von Schulbüchern für arme Kinder der städtischen Normalschule gewidmet ist — harrt eines jeden Besuchers ein geistiger Genuß, der in der Erinnerung eines Jeden gewiß noch lange nachklingen wird. Der Eintrittspreis ist zudem so gering gestellt, daß es selbst dem Minderbemittelten möglich ist, diese Vorlesung zu besuchen. Wir erwarten demnach eine massenhafte Betheiligung unseres Publikums, welche um so eher möglich ist, als der Beginn der Vorlesung zu einer solchen Stunde stattfindet, daß selbst diejenigen, die das Theater regelmäßig zu besuchen pflegen,­ hiezu genügende Zeit haben werden. Die nähere Kenntniß der vorzutragenden Scenen aus Shakespeares Dramen, wie des Poe'schen Gedichtes „Der Rabe“ setzen wir als bekannt voraus — jede Anthologie der englischen Poesie bringt sie —; doch dürfte es viele unserer Leser interessiren, etwas Näheres über das zweite Gedicht: „Der Schnee" zu erfahren. Einem New- Yorker Blatte ging vor einigen Jahren mit der Post ein Gedicht, eben das obgenannte, ein, welches unmittelbar nach seinem Erscheinen ungeheures Aufsehen erregte und von sämmtlichen Zeitschriften Amerikas und Englands reproduzirt wurde. Da es anonym erschienen war, so begann man sofort zu combiniren, wer es wohl geschrieben haben mochte, und es waren die ersten Namen in der poetischen Literatur Amerikas, ja selbst Englands, denen die Autorschaft dieses Gedichtes zugeschrieben wurde. Und in der That kommt in demselben ein dem Gegenstande angepaßtes Metrum, vollendete Versification, Wohlklang der Sprache, treffliche Bilder, musikalische Reime, Tiefe der Empfindung, mit einem Worte Alles zusammen, was die Schönheit eines Gedichtes ausmacht, so daß es jeder Kundige für das Gei­­steskind eines großen Dichters halten mußte. Man blieb lange Zeit im Ungewissen über den eigentlichen Autor, da alle diejenigen, denen man das Gedicht zugeschrieben hatte, die Erklärung abgaben, daß sie sich zur Autorschaft dieses prachtvollen Gedichtes sehr gern bekennen würden, diese Ehre jedoc ablehnen müßten, und Jedermann sehr verpflichtet wären, der sie auf die richtige Spur leiten könnte. Da starb im Hospitale zu Cincinnati eine arme, äußerst herabgekommene Frau, in deren krampfhaft zusammengeballten Händen man ein Blatt Papier fand, auf dem der Text jenes Gedichtes „Der Schnee”, welches schon seit Jahren so ungemeines Aufsehen erregte, mit solchen Zusagen und Renderungen­­­­ enthalten war, wie sie der Schriftsteller in seinem Manu­­scripte vorzunehmen pflegt. Ein einziger Vergleich mit dem­­ Originalmanuscripte bei der Redaction jenes New-Yorker­­ Blattes, welches dieses berühmte Gedicht zuerst gebracht hatte, stellte sofort die Identität der Schrift fest. Nun hatte man die Person der Dichterin, allein es wollte bis heute nicht gelingen, den Namen derselben zu ermitteln. Alles, was man von ihr erzählt, ist bloße Vermuthung, die Gattin eines Senators zu Philadelphia gewesen Sie soll sein und in ihrer Jugend eine sehr sorgfältige Erziehung genossen haben. Ein Fehltritt entschied über ihr ganzes Leben. Sie ging mit einem Italiener durch und fiel, von demselben verlassen, dann von Stufe zu Stufe immer tiefer, bis sie endlich in äußerster Armuth, verlassen und verachtet, krank an Leib und Seele, zermartert von der Erinnerung an ihre frühere Reinheit, an ihr vergangenes, und so schmachvoll, der eigene Schuld verlornes Glück in gräßlichster Ver­­zweiflung starb. Diese Gefühle sind in ihrem wahrschein­lich einzigen Gedicht mit erschütternder Wahrheit geschildet, sie hatte dasselbe mit ihrem Herzblut geschrieben.­­ Fortsetzung in der Beilage, Befreiung der großen Contat. Nur Karl Maurice, der nicht wußte, was er zu bedeuten hatte, blieb stumm bei dem allgemeinen Jubel, bis der französische Gardist ihn anstieß und befahl, er solle auch mit­schreien, sonst würde er ihn niederstoßen und der Abbé unter Schluchzen und Thränen auf ihn losstürzend, ihn um des Himmels willen bat, in die Hände zu klatschen, es käme ihm vor, als säße er neben einer Leiche, denn nur sie hätte den Anblic dieser­­ göttlichen Schönheit ohne ein Kennzeichen des Entzückens so lange ertragen können. Erst als das Beifallrufen zu Ende und das Spiel angefangen war, theilte sich das Entzügen auch dem jungen Talleyrand mit. Oft äußerte er in seinem spätern Leben, daß er nie während seines glänzenden Lebenslaufes sich erinnere “eine den zu haben, so glühende und innige Bewunderung empfm­­­als an diesem denkwürdigen Abend. So lange die Vorstellung dauerte blieb er in begeisterter An­­schauung versunken und als sie beendet, weinte er, in dem Gedanken, sie vermut­lich nicht wieder zu sehen. Auf das Spiel folgte ein Abendessen, dann wurde getanzt, was sicher­­lic bis Tagesanbruch dauerte, aber unser Seminarist fand, aus Furcht vor Entde>ung, es wohl rathsam vor dem Morgen nach Hause zu eilen. Den Rückweg machte zu­­ Fuß mit großer Schnelligkeit und lag behaglich in feinem er Bette, als die Frühgloße der Kapelle ihn aufwehte, da er kaum wieder eingeschlafen war. Und lange währte es, ehe er wieder so ruhig schlief wie früher ; das Schauspiel dieser Nacht hatte ihn ein unerreichbares Glück, von dem er sich vorher nie träumen ließ, vorgespiegelt und die Möglichkeit der Zufriedenheit in seinem düstern Seminar war auf immer von ihm gewichen. Seine Liebe für Contat war sein einziges Sinnen und Trachten und bald fand er Mittel ihr nachzuhängen. Nacht für Nacht entschlüpfte er aus seiner Gefangenschaft, um nach Paris zu gehen, um die lezten Bruchstüke ihrer Vorstellung zu sehen. Zuweilen in den Nachtwachen bei großen Festlichkeiten, wenn das Gebet lange gedauert, oder der Superior seine Versamm­­lung dur< Gesprächigkeit übermäßig lange beim Abendessen aufgehalten hatte, konnte der arme Jüngling seine gefahr­­volle Wanderung erst antreten, nachdem es zu spät gewor­­den war ; wie manchmal sah er sich in seiner Hoffnung schmerzlich getäuscht und kam nach mühevoll zurücgelegtem Wege im Theater an, gerade in dem Augenblide, wenn der Vorhang fiel und die Angebetete seinen Bliden verhüllte. Oft nannte er diese kurze Zeit der Gefahr­ und Aufregung die glücklichste seines Lebens. Metamorphose. Deine schönen s<warzen Augen Haben ganz mich umgewandelt. Und ich sing' und träume wieder, Der ich sonst so klug gehandelt. Schon glaubt’ ich, mein Herz es schlafe, Und jetzt schlägts so munter wieder, Meine ernsten Lippen lächeln, Und ich singe Liebeslieder. Ahh, es ist zum Teufelholen, Was Daß so Augen machen können | sie Einem keine Ruhe, Keinen Frieden mögen gönnen! Ruhig wars und still im Hause, Konnt' studiren die­ Lateiner . — Und nun welch Getümmel! selber „Bin ich, nun der Laut'sten Einer ! In­­ den Winkel, hingeworfen Lieget wort der alte Schmöger, Sagt er nicht, nil admirali ? Und­ nun kommt's mir vor, als lög' er. Was weiß er von schönen Augen, Solo’ hat er nie gesehen, Denn sonst könnte Denn sonst könnte er begreifen, er verstehen, Daß so wunderschöne Augen Einen zur Begeistrung zwingen, Daß so wunderliebe Augen Einen zur Verzweiflung bringen ; — Daß so schöne schwarze Sterne Sengen können, wie die Sonne, Und versenken in ein Meer von Herben Leids und sel'ger Wonne . . . Als wär's wirklich nicht ich selber, So ganz bin ich umgewandelt, Und vollbringe närr'sche Dinge, Der ich sonst so klug gehandelt. Walter Newman. . . - - - -

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