Acta Historiae Artium 12. (1966)
1966 / 1-2. szám - M. Mojzer: Die Fahnen des Meisters MS
DIE FAHNEN DES MEISTERS MS* von M. Mojzek Die Forschung versuchte bisher dem Sinn der beiden Fahnendarstellungen des sog. Meisters MS auf heraldischer Grundlage näherzukommen. Es ließe sich nämlich, wenn sich auf den Bannern in der Tat Wappenbilder befänden, zumindest der Auftraggeber der aus dem mittelalterlichen Ungarn erhalten gebliebenen schönsten Altartafeln ermitteln. Mögen aber die bisher vorgebrachten Hypothesen auch noch so naheliegend und einleuchtend sein, so beruhen sie dennoch auf einem grundlegenden Mißverständnis. Deshalb wollen wir hier den Versuch unternehmen, der Lösung der Fahnenprobleme auf ikonographischem Wege näherzukommen.1 Eine der beiden Fahnen wird im Hintergrund der Tafel «Christus am Ölberg» vor Judas getragen (Abb. 1, 3), die andere, ihr ähnliche, wird von dem mit abgewandtem Kopf am rechten Bildrand stehenden Soldaten auf dem Tafelbild »Christus am Kreuz« gehalten (Abb 6.). Auf beiden Standarten sieht man einen Widderkopf und einen Mondsichel.2 Wie die beredten Gebärden, so sind auch diese Tnsignien ein charakteristisches Merkmal für die Träger der dargestellten Handlung. Sie sind für den Meister MS bezeichnende Elemente sowohl der auf Parallelen aufgebauten l berlegungen, wie auch seines von Meditation inspirierten malerischen Vortrags. Der ikonographischen Überlieferung jener Kreuzigungstafeln entsprechend, die sich mit einer geringen Anzahl von Figuren begnügen, werden unter dem Kreuz, zu Christi Rechten, seine Angehörigen zu einer Gruppe zusammengefaßt; diesen stehen auf der anderen Seite seine Feinde gegenüber.3 Diese herkömmliche Antithese gestaltet sich auf der Tafel des Esztergomer Museums dank der künstlerischen Individualität des Malers besonders vielschichtig. Das reiche Gewand des alten bärtigen Türken mit dem Turban bildet einen sehr sinnfälligen Kontrast zum abgezehrten, nackten Körper des Gekreuzigten. Man hat den Eindruck, als wäre hier ein vornehmer Herr mit dem Spazierstock zur Kreuzigung erschienen (in Wirklichkeit ist es ein Richterstab).1 Zum Unterschied von der Mehrzahl der zeitgenössischen Kreuzigungstafeln wurde diese Gestalt hier zur zweiten Hauptperson der Handlung nach Christus, zum w ürdigen irdischen Gegenspieler einer der in ihrer Tragik erbarmungswürdigsten Erlöserfiguren der mittelalterlichen Kunst. Der reiche, hochmütige Alte hat sein Urteil mit nüchtern sachlicher, teilnahmsloser Grausamkeit gefällt. Seine Haltung und seine Gebärden sind selbstbewußt und herrisch, und sie stehen in seltsamem Widerspruch zur schmerzgeheugten Haltung der kleinen Gruppe auf der anderen Bildseite. Seine anmaßend und herausfordernd auf den Stab gestützte, behandschuhte Linke, die den anderen Handschuh umfaßt, kontrastiert anschaulich zu den aller Hoffnung beraubt schlaff herabhängenden Händen Mariä und Johannis. Die zum Kreuz emporweisende Rechte und der zu lautem Ruf geöffnete Mund sind jene des römischen Hauptmanns Longinus, der in der zeitgenössischen europäischen Malerei häufig in türkischer Verkleidung in Erscheinung tritt.5 Meister M S schildert ihn als herzlosen, selbstsüchtigen, aber als einen klugen Mann, der an der Vollstrekkung des Hinrichtungsbefehls selbst keinen Anteil nimmt, hingegen der einzige ist, der im entscheidenden Augenblick dramatischer Spannung — nicht im noch lebenden oder wiederauferstandenen, sondern im Gekreuzigten — den Messias erkennt. Die zusätzliche Spannung und den letzten tragischen Akzent verleiht diesem Gipfelpunkt der christlichen Passionsgeschichte die Figur des römischen Hauptmanns Longinus. Christus wird hier nicht nur von seinen Getreuen beweint, sondern vom ranghöchsten anwesenden Vertreter seiner Feinde als der Sohn Gottes erkannt. Diese Er * Aul Grund eines am 19. Februar 1964 in der Ungarischen Nationalgalerie gehaltenen Vortrags. fei« Hist, .irtium Hunii. Тот. XII, I960.