Der Spiegel, 1842. július-december (15. évfolyam, 55-105. szám)

1842-11-26 / 95. szám

754 DER SPIEGEL 1942. wandelt sich in eine Thatsache, wenn wir im Rauschen eines uralten Waldes allein find, oder allein auf dem endlosen Meere, oder allein — auf dem Wege, wo wir eben find. — Zn alten Zeiten, das heißt vor siebzig Jahren, soll in dieser Gegend ein Haus ge­standen haben, welches Reisende aufnahm, ihnen Obdach und nicht selten Rettung auS lebensgefährlichen Unfällen gewährte. Als die geregelte Poststraße gebaut wurde, brauchte man das Haus nicht mehr, der Eigenthümer gab es auf und es fiel in Trümmer. Noch am Anfang dieses Jahrhunderts soll es als Ruine gestanden haben; jezt ist nichts mehr davon zu sehen, als wenige Mauerreste und ein Paar verkohlte Balken, die auS dem Sande herausragen und vom Meere bespielt werden. Ich sah um diese Stätte die Möven kreisen und ein prächtiger, kohlschwarzer Rabe saß gerade in der vollen Majestät seiner ihm von Lafontaine verliehenen Berühmtheit auf einem der vermorschten Stümpfe und sah das keuchende Gespann meiner Brischke mit pedantischer Gravität vorbeiziehen. Der Postillon hatte es so eingerichtet, daß wir noch bei Tage hier vorbei kamen; „denn," sagte er, „bei Nacht ist hier nicht gut fahren, weil es auf dieser Stelle spukt." Ich be­trachtete die Stelle und sie hatte wirklich ein sehr bedenkliches Ansehen. Die Einöde schien hier noch mehr in ihrem Rechte zu sein als auf den andern Punkten dieses endlosen Weges. Der Schwall der Wagen nahm eine Melodie an ganz eigener Art. Es rauschte und flüsterste und kam von weiter Ferne und ging wieder zurük und kam wieder, und dann zogen Nebel und dann Windstöße an mir vorbei, und Alles das klang so, als wenn Thüren zugeschlagen würden und Fenster sich öffneten. Ich sah die Balken forschend an, allein sie bauten sich zu keinem Hause zusammen; es blieb öde und stille. Es zi­schelte und rollte und grollte fort und fort. Dazu wurde es dunkler und der Postillon schwang seine Peitsche und trieb bie Gäule an, so daß der Plaz mir endlich au8 dem Gesicht verschwand. Im Posthause angelangt, fühlte ich mich in der großen leeren Passagierstube unbe­haglich , und meine üble Laune wuchs, als ich sah, daß der Mond aufstieg und ich mir dachte, daß es angenehm sein möchte, am Meeresstrande hin und her zu wandeln. Aber ich hatte mir einen „ruffischen Thee" brauen lassen, und den abzuwarten, war eine Pflicht, die ich, dem Kultus des Theetrinkens eifrig ergeben, nicht verabsäumen dürste. Endlich kam die dampfende Meffingvase, und mit der ersten Tasse, die eingeschlürft wurde, nahm ffch die große leere Stube schon um Einiges wohnlicher aus. Wenn man in jenen Ge­genden den Thee trinkt, so ist man nie allein. Die Russen lieben es (diesmal jedoch eine russisizirte deutsche Familie), beim Thee Gesellschaft zu haben und Gesellschaft zu leisten. Es quoll also mit der dampfenden Maschine zugleich ein Haufe zerlumpter Kin­der herein, die einen alten Mann mit sich führten. Dies war der Großvater der Fami­lie. Der ganze Trupp blieb in der Eke des Saals stehen, gewärtig eines Winks, ent­weder hinausgetrieben oder herangerufen zu werden. Das leztere geschah. Der alte Mann hatte ein ehrliches Gesicht und hinter seinen Runzeln lagerten, wie hinter den Stäben eines Käfigs fremde Vögel, so hier allerlei Geschichten. Ich hatte mich nicht ge­täuscht, der Mann war ein Erzähler. Ein Glas Thee, denn er trank den Thee nur auS Glasern, versezt mit einer Quantität Rum, die genügend war, den Alten zum Gegen­stand der Aufmerksamkeit eines Mäßigkeitvereins zu machen, war die Wünschelruthe, die den Schaz seiner Geschichten hob. Wir kamen von der großen chinesischen Mauer auf die große Aloe im Garten zu Petersburg, von dem Zwerge Peters des Großen auf die lezte Reise der Taglioni. Der Mann wußte sehr viel, allein Alles wußte er nicht; auch ich konnte ihm manches Neue sagen, und wir thaten gegen einander mit unfern Geschichten groß. Zulezt fragte ich ihn: „Aber sage mir, Vater! weißt du nichts von einem Gasthause, daS hier am Strande gestanden haben soll und dessen Trümmer man mir gezeigt hat?" — Ich sah an der Miene des Großvaters, daß ich an eine seiner besten Geschichten getippt hatte. — „Ob ich nichts weiß?" sagte er, „o ich weiß viel von diesem Hause zu erzäh­len. Niemand weiß etwas davon, außer ich, und ich möchte Niemanden rathen, von dem verschwundenen Gasthanse zu sprechen; ich will ihm sogleich beweisen, daß er nichts weiß. Ich allein weiß Alles." — „So erzähle." Ich kannte meinen Alten schlecht, wenn ich meinte, daß er gleich so schlechtweg die Sache vortragen sollte. Da gab es Präambeln, die kein Ende nahmen. Unterdessen wur­den zwei Gläser Thee geleert und das dritte eingegoffen. Der Mond stand dem Fenster gegenüber und beschien einige trübselige Ställe und Hütten, aus denen graues Gewürme,

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