Der Spiegel, 1844. január-december (17. évfolyam, 1-104. szám)

1844-08-07 / 63. szám

499 Ktk Spiegel 1844. Traurigkeit. Traurig seit Ihr, das gestehe ich, und mehr als vernünftig. Aber glaubt Ihr denn, daß man auf der Welt nichts Anderes zu thun Hat? Sie fordert euch auf, zu ihr zu kommen; so reis'st hin. Ich gehe mit euch, und habe nur den Verdruß, daß sie mich nicht auch gerufen hat. ES ist unrecht von ihr, nicht an meine Thür zu klopfen, die ihr stets geöffnet worden ist." — »Er hat Recht," dachte der Chevalier. »Ich habe unnüz und grausam die beste der Frauen leiden, ich habe sie eines schreklichen TodeS sterben lassen; wenn ich deshalb heute durch den Anblik deö UnglükS meiner Tochter bestraft werden soll, so darf ich mich nicht beklagen. Die Strafe ist verschuldet. Ich werde nach Paris gehen und das Kind sehen. Ich habe das, waS ich liebte, verlassen und das Unglük geflohen; jezt will ich ein bitteres Vergnügen darin finden, es zu betrachten. In einem hübschen getäfelten Zimmer, im Halbgeschoß eines ansehnlichen HauseS der Vorstadt Saint-Germain, befand fich die junge Frau mit ihrem Gemahl, als Vater und Oheim anlangten. Auf einem Tische lagen Zeichnungen, Bücher, Stiche. Der Mann las, die Frau stikte, daS Kind spielte auf dem Teppich. — Der Marquis erhob sich, und Camilla lief ih­rem Vater entgegen, der sie zärtlich umarmte und einige Thränen nicht zurükhalten konnte; aber alsbald richteten sich auch seine Blike auf daö Kind. Unwillkürlich gewann in seinem Herzen daS Entsezen, welches ihm früher daS Gebrechen Camilla'S eingeflößt, wieder Raum bei dem Anblik dieses Wesens, das den Fluch erben sollte, den er ihr gegeben. Er wich zu­rük, alS man es ihm vorhielt, und tief: »Noch ein Stummer!" — Camilla nahm ihren Kna­ben auf den Arm; ohne zu hören, hatte sie begriffen. Sie näherte sanft daS Kind dem Che­valier, legte ihren Finger auf seine kleinen Lippen, und rieb dieselben ein wenig, um eS zum Sprechen zu veranlassen. Der Kleine ließ sich eine Weile nöthigen, dann sprach er ganz deut­lich die drei Worte auS, welche ihn die Mutter vorzugsweise hatte lehren lassen: »Guten Tag, Papa!" — »Nun seht Ihr doch, daß Gott Alles und stets verzeiht!" sagte der Onkel Giraud. (Nach Alfred de Muffet.) 11 i k o l a 5 E o m p i a n. Historische No vette. Nach dem Französischen. 1. DaS Tagewerk war für heute vollbracht. Auf allen Fußpfaden zogen Schaaren von Land­leuten unter Lachen und Scherzen nach Hause, die Mädchen mit hohen Körben aus dem Kopfe und Blumensträußen in der Hand, die Burschen mit dem Arbeitszeuge auf der Schulter. Blö­kend kehrten die Heerden in die Hürden zurük. Die Sonne war versunken; Alles fühlte sich nach dem heißen Herbsttage durch den frischen Seewind erquikt. Allenthalben, wohin daS Auge sah, kam ein heiteres Bild zum Vorschein. Schon durchhallten Klarinettentöne und Tam­­l'urinwirbel die Ebene; unter Tanz und Spiel und den lieblichen Volksweisen der Provence erholten sich die Winzer von deS TageS Last und Hize. —• Vor einem freundlichen Landhause in der Nähe von Marseille sang im Helldunkel einer von rothen Trauben strozenden Weinlaube ein junger Mann zur Mandoline ein Liebeslied, wie ein Trubadúr auS den Zeiten deS Kö­nigs diene. Eine Jungfrau, die einen schlichten runden Strohhut mit einem Kranze von Feld­blumen trug, saß träumerisch dem Sänger gegenüber, dessen feuriges Auge mit Entzüken an dem ihrigen hing, während er sang: »O Perle trauter Liebe, Du holde Hirtenmaid Du übertriffst die Rose An Gluth und Lieblichkeit!« Und in der That paßte daS Bild der alten Romanze vortrefflich aus Annette, deren frische Wangen wie die schönste Rose glühten. Mit Wohlgefallen ruhte der Blik der Mutter auf der Jungfrau, während sie ihre jüngste Tochter auf dem Schoße hatte und daS blonde Lokenköpfchen der zweiten sich ihr schmeicheln anschmiegte. Die Großmutter am Spinnrade wiegte bedächtig daS Haupt nach dem Takte der Musik und zwei Knaben lagen neben dem Sänger, bald mit neugierigem Auge der Bewegung seiner Finger folgend, bald den beiden Schwestern zunikend, um fich bemerklich zu machen. Zwar hatte die Stunde zum Nachtessen längst geschlagen, aber Gesang und Geplauder schienen gar kein Ende nehmen zu wollen. Der Abend im Freien war so mild und schön, und zugleich wartete die Familie auf die

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