Kornis Gyula: Ungarn in der europäischen Kultur (Budapest, 1938)

5 nach Westen vorzudringen, besonders um Italiens Schätze zu rauben. Obgleich dieses Streben auch dem Ungartum nicht fremd ist, ist es ja mit seinem blitzschnellen Raubzügen ein halbes Jahr­hundert hindurch der Schreck Westeuropas, gelingt es dem realen politischen Sinn und der diplomatischen Weisheit der Arpaden- Dynastie, dieser Abenteuerlust ein Ende zu bereiten. Sie ergrei­fen von diesem geopolitisch so sonderbar einheitlichen Gebiet bewusst Besitz und erwählen es zu ihrem ständigen und end­gültigen Vaterlande; Sie wissen um die Gefahren, die vom Westen und Osten her drohen; schon ein Jahrhundert nach der Landnahme folgt unter den Fürsten Géza und Stephan die ernste Organisierung des Landes, die feste Begründung der dauernden inneren Ordnung des ungarischen Staates nach westlichem Beispiel. Als dieses Reiter-Hirtenvolk von ziemlich hoher türkischer Bildung das Donaubecken erreicht, findet es da ein buntes Gemenge verschiedener, staatlich nicht organisierter Volksstämme. Im Osten und Nordosten wohnen Bulgaren; das sumpfige Gebiet und die Pussten zwischen der Donau und der Theiss sind grösstenteils un­bewohnt; in Pannonien leben Slowenen, mehr südlich Kroaten; am rechten Ufer der Donau bis Győr Avarén, am linken Slowaken; jenseits der Donau haben sich da und dort Deutsche und Italiener angesiedelt. Dieses grosse, geographisch einheitliche Gebiet wird durch das Ungartum politisch und militärisch neuorganisiert, der brachliegende Boden wird wirtschaftlich nutzbar gemacht. All dies vollbringt das Ungartum nach Aufnahme des Christen­tums, das dem Ungartum auch vor der Landnahme nicht unbekannt war. Es hatte schon in der Gegend des Schwarzen Meeres Gelegen­heit gehabt, die christliche, die mohammedanische und die jüdische Religion kennenzulernen. Trotz seinem Heidentum ist es duld­sam dem Christentum und den Andersgläubigen gegenüber. Darum vollzog sich der Übertritt zum Christentum ohne grös­sere Erschütterungen. Von entscheidender Bedeutung für die Geschichte Europas ist der Umstand, dass sich der entwickelte politische Sinn des Fürsten Géza und Stephans des Heiligen nicht dem byzantinisch-östlichen, sondern dem westlich-römischen Chris­tentum angeschlossen hat. Damit haben sie das künftige Schicksal des Ungartums entschieden. Nimmt es das Christentum nicht an, dann verfällt es dem Schicksal der Hunnen, der Avarén, der Petsche­­negen, der Usen, der Rumänen und wird zerstreut. Gibt es der Bekehrungsabsicht von Byzanz nach, dann ist es früher oder später

Next