Ungarische Rundschau für Historische und Soziale Wissenschaften 2. (1913)
1913 / 1. szám - Stefan Tisza: Auf der Schwelle der Wahlrechtsreform
Auf der Schwelle der Wahlrechtsreform. Vom Wirkl. Geheimrat Grafen Stefan Tisza. IE Vorarbeiten des Gesetzentwurfes über das Wahlrecht \ ■ sind im Zuge. Nur wenige Monate trennen uns von dem / : Zeitpunkte, da das öffentliche Leben Ungarns diese Frage ■.............: auf konkreter Grundlage wird bewältigen und das schwerste Problem wird lösen müssen, das der heutigen Generation gestellt ist. Eine ungeheuere Verantwortung wälzt sich auf unser aller Schultern. Unser Werk wird von entscheidendem Einflüsse auf das Schicksal später Geschlechter sein; die Schwelle des zweiten Jahrtausends wird zum Ausgangspunkt einer schöneren Zukunft oder zum Beginne unrühmlichen Niederganges werden, je nach dem wir imstande sein werden, diese Fundamentierung der künftigen Entwicklung des nationalen Daseins zu vollbringen. Es wäre herzlose Frivolität, schnödes Spiel mit den heiligsten Interessen der Nation, wenn wir unsere Aufgabe leichtsinnig, unbedacht anpacken würden. Wir müssen unsere beste Geisteskraft aufbieten und mit jenem Verantwortlichkeitsgefühl, von dem jeder Patriot durchdrungen sein soll, wenn seine Tätigkeit ins Innerste des nationalen Organismus einschneidet, in ernster, eindringender Untersuchung die Lehren aus den ausländischen Beispielen ziehen und unsere eigenen Verhältnisse objektiv unter das Skalpell nehmen. Das letztere ist sogar noch wichtiger als das erste. Wir müssen ein Wahlrecht schaffen, das uns geziemt, das inmitten unserer zeitlich und räumlich gegebenen tatsächlichen Verhältnisse in Wahrheit zum Wohle der Nation gereichen kann. Diese Frage ist in ihrer Tragweite und Universalität erhaben über jeglicher Parteipolitik. Hinsichtlich der grundlegenden Gesichtspunkte unseres Wahlrechts müssen sich alle Ungarn, die auf nationaler Basis, auf der Grundlage der organisch-historischen Entwicklung stehen, in einem Lager zusammenfinden. Mit denjenigen, die die nationale Basis und die historische Entwicklung leugnen und in der Scheinwelt aprioristischer Schlagwörter leben, suchen wir keine Verständigung. Weder hier, noch anderswo. Es ist ja eben der Daseinsgrund und der Beruf des «Magyar Figyelő»1), die auf der Feststellung der Tatsachen, der Lebenswirklich x) In dessen II. Jahrgange, Heft 17 (vom 1. September 1912) die vorliegende Abhandlung erschien. Anm. des Herausgebers. Ungarische Rundschau. II. Jahrg., 1. Heft.1