Ungarische Rundschau für Historische und Soziale Wissenschaften 3. (1914)

1914 / 1. szám - Dr. Felix Schiller: Die österreichischen Hausgesetz und das ungarische Staatsrecht

2 Ungarische Rundschau. der dem Reiche mechanisch eingegliederten unzähligen Territorien andererseits bestand: jenes Verhältnis von Obrigkeit und Untertan, das gleichfalls eine begriffliche Voraussetzung — Ursache und Anlaß — der reichsständischen Autonomie, der Gewährung einer materiell begrenzten Befugnis zur Rechtsbildung, bildete. Der König von Ungarn besaß, auch nachdem er aufgehört hatte, der alleinige Gesetz­geber zu sein, einen zu großen Anteil an der Gesetzgebung, seine Privilegien- und Verordnungsgewalt bot ihm desgleichen — soferne es sich nicht geradezu um Aufhebung gemeinrechtlicher Normen handelte — Bewegungsfreiheit genug, als daß er es für nötig hätte halten können, behufs Schaffung eines dynastischen Sonderrechts eine außerordentliche Kompetenz der Rechtsbildung, eben als Haupt und Organ der Dynastie, in Anspruch zu nehmen. Ein vom Land­recht der Adeligen abweichendes, besonderes Recht der Mitglieder des Königshauses läßt sich übrigens in Ungarn tatsächlich zu keiner Zeit nachweisen. Der Umstand, daß die ungarische Verfassung kein Hausrecht der königlichen Familie kannte, schloß es natürlich aus, daß das Haus­recht der österreichischen Dynastie, allein vermöge der Thron­besteigung eines Hausmitgliedes in Ungarn, Geltung erlange. Die Habsburger, die auf dem ungarischen Königsthron kein Hausrecht der abgegangenen Dynastie vorfanden, konnten ebensowenig ihr eigenes Hausrecht als solches einfach herüberbringen. Die öster­reichischen Hausgesetze3) wurden an sich, in ihrer Totalität nicht zu Bestandteilen des ungarischen Rechts; sie bilden in Ungarn keine Rechtsquelle. Daß eine Norm des Hausrechts in Ungarn Geltung habe, dazu bedurfte — und bedarf — es der Anerkennung, der Aufnahme seitens der ordentlichen Faktoren der Rechtsbildung. Hinsichtlich jeder einzelnen hausrechtlichen Norm, die in Ungarn gelten soll, muß es besonders nachgewiesen werden, daß eine ungari­sche Rechtsquelle — ein Gesetz, eine königliche oder Regierungs­verordnung, ein Munizipalstatut oder das Gewohnheitsrecht — sich deren Inhalt zu eigen machte; und die rezipierte Norm besitzt eben jene rechtliche Kraft, die den Äußerungen der betreffenden Rechts­quelle eignet, also ein etwa durch königliche Verordnung rezipierter Satz des Hausrechts wird kein Gesetz, noch Landesgewohnheitsrecht brechen. Und da die hausrechtliche Norm ihren Bestand in Ungarn einzig der Inkorporation seitens einer ungarischen Rechts­quelle verdankt, wird sie im Bereiche des ungarischen Staates und 3) Des Wohlklangs wegen hier, ebenso wie im Titel, anstatt: «Hausrecht des Hauses Österreich» gebraucht; neben dem gesatzten Recht ist also die Observanz mitverstanden.

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