III. Quadriennale des Kunsthandwerks Sozialistischer Länder (Erfurt, 1982)

Heutzutage diskutieren Künstler und Theoretiker immer heftiger in der ganzen Welt über das Wesen der einzelnen Kunstarten, die Beurteilung ihrer Rolle, ihre Nützlichkeit und ihren Wert, ihre Auswirkung auf die Ge­sellschaft und auf unsere Umwelt, ln dieser Diskussion argumentieren die Künstler mit ihren Werken, indem sie entsprechend den duch ihre Mate­rialien und Mittel gebotenen Eigenarten immer tiefer dringen, und die Theoretiker vergleichen die Charakteristika der sich parallel in mehreren Kunstarten ergebenden Analysen mit den Merkmalen und Erscheinungen unserer Umwelt, die zwar anders geartet sind, aber ähnliche Lehren be­reithalten. In diesem ständigen Wetteifern tauchen Tag für Tag immer neuere Materialien, Techniken und Technologien auf, und eine jede von diesen zwingt den Schaffenden, seine traditionellen Mittel und Formen um­zuwerten, zusammen damit jahrhundertealte Normen und Kanons abzu­lehnen oder seit langem vergessene neu zu beleben. Die Anregung durch dieses Abenteuer ist enorm. Nie hat man in der Ge­schichte der Menschheit etwas ähnliches miterlebt. Vorher sind geschlos­sene Kulturen nie derart ineinandergedrungen, ihre Normen befruchtend und verzerrend, die vorher als für alle Zeiten gültig angesehen wurden. Noch nie haben Wissenschaft und Kunst, Technik und Umwelt, Materie und Intellekt die gegenseitigen Basteien derart bestürmt. Die Gefahr dieses Abenteuers ist aber, wenn überhaupt möglich, noch größer. Mária Geszler. ..Frühlingsskizze". Keramik Gyözö Lörincz, „Meditationen über die Linie“, Keramik Imre Schrammel Die Wahrnehmung dieser Gefahr bestimmt die Verantwortung des Schaf­fenden, fast mit verbindlicher Kraft. Diese Verantwortung muß übernom­men werden — sie bildet die Wasserscheide zwischen Künstler und Gaukler. Die ungarischen Kunstgewerbler übernehmen diese Verantwortung, sie reden immer kraftvoller in der Debatte mit, in der das Experimentieren, die Klärung ein auch Mißerfolge mitbringendes Risiko ist. Die in den traditionellen Kunstarten tätigen Textilkünstler, Goldschmiede und Keramiker finden an einem Endpunkt ihres Weges das Design, das formgestaltete System der großindustriellen Serienproduktion, während der Weg über die andere Grenze in die auch autonom genannte Sphäre der traditionellen bildenden Künste führt. Diese beiden Grenzen sind keine starren Linien, die Künstler schweifen auf Gebiete voneinander weit ab, und sie formen, fördern, ersetzen und zerstören die Festungen zwischen ihnen. Die Konservativen, die an die ewige Gültigkeit der Werte glauben, lehnen auf beiden Seiten jede Eindringung mit heftiger Kritik ab; die Neue­rer glaubten, einen Weg zur gegenseitigen Befruchtung zu bahnen. Der Bürger sieht in dem Gegenstand einen Hüter der Werte und hierarchisiert aus Prestige dessen formelle Hülle, als Spiegelbild seiner eigenen Positio­nen; wir müssen zwischen nötigen und unnötigen Gegenständen unserer Umwelt jeweils nach dem inneren Wert des Gegenstandes selektieren. Die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft schuf besonders in den sozialistischen Ländern, so auch in Ungarn - eine Situation, in der statt der Formgebung, die sich der Logik nach mit der Industrie zusammen entwik­­keln müßte, auf paradoxe Art die traditionellen Handwerkkunstarten ge­fördert wurden. Der Aufschwung der Entwicklung war viel größer als die natürlichen inneren Energien der Kunstarten. So wuchsen oftmals sehens­werte, aber schwache Zimmerpflanzen und so fanden die Textilkünstler, die Goldschmiede und die Keramiker auf die Herausforderung des De­signs und das Design auf die bildenden Künste oft keine überzeugenden Argumente. Es scheint heute, daß wir sowohl den Wellenberg als auch das darauf folgende Wellental der Konjunktur hinter uns haben. Wir haben die sonnige Periode des leicht erworbenen Erfolgs genossen und die schattige seines Verschwindens erlitten. Inzwischen ließen uns der Rationalismus des Designs die ethischen Schwächen und die Krise der bildenden Künste die Unhaltbarkeit der Kategoriengrenzen bewußt werden. Es ist jetzt Zeit, unsere eigene Lage, unsere Materialien, die Mittel unserers Berufes —ein­schließlich des Ausdrucks sowie aller Möglichkeiten der Verlängerung un­serer Hände — nochmals zu werten. Diese Frage wurde uns von der Gesellschaft gestellt und die nötige finan­zielle Grundlage dazu gesichert, also ist es ethisch unmöglich, der Antwort aus dem Wege zu gehen. Es handelt sich um die folgenden Fragen: Werden Materialien und Energie für überflüssige, dem Selbstzweck genügende gefallsüchtige oder für nütz­liche, nötige, unentbehrliche Gegenstände verwendet? Kennt man die Auswirkung der Handwerkertradition auf den Menschen im Lichte der erschließenden Tätigkeit der Naturwissenschaften? Kennt man den in die Tiefe führenden Informationscharakter der Materialien, ih­rer Erscheinungsformen, der Eigenart ihrer Fläche, der die Goldreserve des Handwerks ist? Verleiht oder entleiht man, oder macht man in die Sphäre anderer Kunst­arten Ausflüge im Interesse des befruchtenden Ergebnisses der Wechsel­wirkung wahrer Werte oder aus existentiellem Interesse? Im Bereich dieser Fragen könnten wir allerorts Tiefbohrungen unterneh­men und auch die abzweigenden Linien der Einzelheiten untersuchen. Das kann aber wohl nicht mehr die Aufgabe der Einführung eines Kataloges sein. Wir wollten nur die kampfreiche Verpflichtung andeuten, alle ein­geübten und gewöhnlichen Formen zu verändern, in Verbindung sogar mit der Anregung durch ein altbewährtes Mittel, wie z.B. der Linie, wenn ihr Schaffender wirklich nach ihrem Wesen forscht. Wir möchten die Auf­merksamkeit auf die Erkenntnis der Kunstgewerbler lenken, daß sie weder andere Kunstarten ersetzen, noch andere ihre Arbeit leisten können, wenn wir eine wirklich menschenwürdige Umwelt wollen.

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