Haynal Kornél kiállítása (Dorottya utca, Budapest, 1985)

Wieder ein unübersetzbares Wort. Wenn ich „Handarbeit "schreibe dann assoziiert man sofort auf das Ergebnis der die weibliche Kreativität abzapfenden, die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens verdrängenden überflüssiger Sorgfalt. Und es erscheint das Handwerk, das zutiefst neidisch ist auf die Geschwindigkeit der Maschinellen Produktion und dessen grösster Wunsch ist, die Spitzentechnik der Zeit zu erreichen. Das Wort Handarbeit drückt gleichzeitig die der Notwendigkeit Tugend abringende Leistung und die Tugend in Notwendigkeiten umwandelnde allgemeine Zustände aus. Des weiteren gewinnt dieses Wort nur in Mittel-Ost-Europa seine komplexe Bedeutung, nur hier wird es zu jenem besonderen Begriff, der nicht mehr auf ein gemeinsames Bewusstsein voraussetzender Folklore bauen, und sich noch nicht auf den industriellen Hintergrund der höheren Produktivität stützen kann. Was „schon" und „noch" ist, also all das ist der Kunst von Kornél Haynal bis ins Mark fremd. Es ist etwasauf mönchische und monumentale Seele deutende darin, wie ein mehrere Quadratmeter grosses Dipa- Papier zum Preis von fast einjähriger Arbeit Ausstellungsgegenstand wird, wie die gewählte Technik des Werkes regelmässige tägliche Penitenz, Rückgrad marternde Kauern und eine die Knie schindende „erdnahe" Schaffensmethode voraussetzt. Und auch darin ist etwas Respekt Gebietendes, wie die Themen der Riesengraphiken als Ergebnisse der im wortwörtlichen Sinne genommenen Forschungsarbeit, der Spontaneität ausschaltenden Vorauswahl geboren werden. Das Packendste ist jedoch die Einheit von Technik und Thema. Heutzutage kann man nämlich so vieler hyperrealistischer „Handarbeit" und so vieler mit Fotographie in Zusammenhang stehender Interpretation begegnen, dass gesondert weder die Manier noch das zitierte Medium sich um das Prädikat beispiellos bewerben können. Beispiellos wird das ganze dann, wenn wir dem Akt der Entstehung des Kunstwerkes über das Endergebnis nähern. Buddelschiff — fiel mir im ersten Moment beim Betrachten der Riesengraphiken ein. Da verblüfft den Menschen der Anblick der in die Flasche geschmuggelten dreimastigen Segelschiffes. Denkmal in Kirschkern geschnitzt — dachte ich im zweiten. Da pflegt sich der Betrachter zu entsetzen beim Wahrnehmen des die Selbstdisziplin auf Mikrometern dargestellten Abdrucks. Parlament aus Streichhölzern — höhnte ich im dritten Moment. Doch letztere verwarf ich schnell. Die Karikatur des Arbeiterinstinkts hat wirklich nichts mit der Haynalschen Askese zu tun. Sie hat mehr mit einer auf jedes Detail eingehenden, gründlichen und beunruhigend vollkommenen Streitschrift zu tun. Die Blätter Haynais sprechen darüber, dass es töricht ist, uns dem Mythos der maschinellen Vervielfältigung des Bildes hinzugeben. Dem Mythos der über alles die Oberhand gewinnenden Kraft der technischen Zivilisation. Denn siehe da: Es gibt jemanden, der auch Tausende von Arbeitsstunden nicht scheut, um zu zeigen: Die Nachahmung des mechanischen Verfahrens bringt ein besseres, präzieseres und schöneres Werk zustande als das Modell, als das Foto selbst. Wir sind also Zeugen einer Revanche. Wenn wir uns einst im dem Glauben wiegten, die von Menschenhand unberührte Technik überragt mit ihrer Unpersönlichkeit von vornherein den Menschen, so können wir jetzt sehen: es genügt ein einfacher Bleistift, um Vergrösserung und Montage, Fotoapparat und lichtempfindlichem Papier Hohn zu sprechen. Haynal macht also Zeichnungen, die fotografischere Fotografien sind, als die Fotografien selbst, wenn auch nicht zum grösseren Ruhme Gottes, so aber als herrliches Dokument der unbeugsamen Beharrlichkeit des schöpferischen Menschen. Er lässt gigantische Un-Stofflichkeit entstehen, da er mit dem Material seiner Welt maximal unzufrieden ist. Mehr noch. „Das Nichtentsprechen" des Stoffes überträgt er auch auf den Inhalt. Denn was vermittelt die auch einem buddhistischen Mönch ein anerkennendes Zungenschnalzen entlockende Schaffensmethode? Wovon handelt das mit der Demut eines Gobelinwebers geschaffene bisherige Lebenswerk? Von Popstars, Minutenmenschen, von epochemalenden Staffage-Figuren. Genauer geht es um in Massenmedien durcheinander wimmelnde, vor karismatischer Kraft strotzende zweidimensionale Persön­lichkeiten, um hintergrundlose Helden politischer Bewegungen, um einan­der ablösende Marken-Göttinen von Magazinen der Verbrauchergesell­schaft. Über minutenweise auftauchende und fast gleichzeitig wieder verschwindende menschliche Schatten. Würde diese gattungsmässige Form der Disziplin einen besseren Vor­wand verdienen? Ich glaube kaum. Wir, die wir in den sechziger Jahrenjung waren, sahen uns plötzlich einer neuen Kultur gegenüber. Jede frühere Wertordnung, alles, was früher zum Leben gehörte, hatte für einen Moment seinen Sinn verloren. Die Diseuse wurde ebenso annullierbar wie der Diktator. Der Universitätsdozent konnte genauso zu einer fehlerhaften Ware degradiert werden wie das bürgerliche Tafelbild. Felsenfest glaubten wir an die alles umwälzende Kraft der neuen Scheinwelt, und wir hätten dessen Blut vergossen, der an der Festigkeit der einander feindselig gesinnten Burgen der hohen Kultur und der Massenkultur zu zweifeln wagte. Wir waren nicht nur am Eindringen der Kunst ins Leben interessiert. Wir konnten uns solch ein Leben gar nicht vorstellen, welches das neue Ästhetikum nicht durchdringt. Dieser Welt und unserer eigenen Jugend setzt Kornél Haynal ein Denkmal. Nicht nur im Sinne der bildenden Kunst, sondern auch in dem der Ideologie. Mit seinen Riesenzeichnungen beweist er, dass die Ikono­graphie der alles verneinden blutlosen Kulturrevolution sich genauso willig einordnen lässt in das Museum der an sich selbst erinnernden Menscheit wie die übrigen Ikonographien. Wie die der Griechen und des Quattrocento, des Rokoko und des Jugendstils. In diesem Sinne entbehrt seine Tätigkeit nicht einer gewissen Ironie. So gesehen ist eine gewisse, durch Nostalgie ausgelöste Rührung möglich, aber nicht erlaubt. JULIANNA P. SZŰCS

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