Állami főgimnázium, Nagyszeben, 1863

4 Die charakteristische Aeusserung des römischen Geistes war „das Handeln als Bürger.“ In Rom erhielt nämlich das Individuum seine Bedeutung nur dadurch, dass es ein Werkzeug des Staates wurde, dessen Interessen es überall wahrnehmen und selbst mit eigener Gefahr fördern musste. So fassten die Römer von achtem Schrot und Korn — und das waren doch wohl die Stoiker, einige unwürdige Glieder der Schule abgerechnet — ihre Stellung auf. Obgleich wir daher gar viele Anhänger dieser Secte im Dienste des Staates treffen, so ist doch das Verhalten zweier Männer ganz besonders geeignet, das Verhältnis der Stoiker ?ur Monarchie und zu den Regenten im wahren Lichte zu zeigen. Diese Männer sind Thrasea Paetus und Helvidius Priscus. Wir wollen ihre öffentliche Thätigkeit näher beleuchten. Thrasea wohnte — und das gestand sogar sein Ankläger — fleissig den Verhandlungen im Senate bei*); nicht selten widersprach er den Anträgen, konnte aber, obgleich die Senatoren in den meisten Fällen seine Ansichten billigten, mit denselben dennoch nicht durchdringen, weil die Furcht vor Nero zu gross war. Auch mochten viele Römer die Misbräuche und Krebsschäden, woran der Staat damals litt, kennen und deren Beseitigung wünschen; aber keiner hat es gewagt, dieselben mit solchem Freimuthe zu tadeln, wie Thrasea es gethan hatte. Gross war daher auch der Beifall, der seiner Rede folgte, welche er bei Gelegenheit der Anklage des Claudius Timarchus aus Kreta hielt, und welche den Zweck hatte, den römischen Beamten die unrechlliche Gunstbewerbung unmöglich zu machen3). Noch mehr aber trat sein Freimuth in dem Processe des Praetors Antistius4) an den Tag. Dieser Mann war der Schmähgedichte wegen, die er auf Nero verfasst hatte, nach dem damals erneuerten Majestätsgesetze zum Tode verurlheilt worden. Da erhob sich Thrasea und sprach für die Verbannung des Angeklagten auf eine Insel; „denn diese Strafe könnte über ihn verhängt werden, ohne die Regierung des Fürsten zu brandmarken und ohne die Richter grausam erscheinen zu lassen.“ Dieses sein Beispiel wirkte so mächtig, dass fast alle Senatoren seiner Meinung folgten und jene mildere Strafe über den Schuldigen erkannten. Dieser Schritt hatte ihm den Hass des Tyrannen zugezogen, der gerne die Hinrichtung des Antistius gesehen hätte ä). Aber nicht nur durch diesen Freimuth kränkte Thrasea den Nero, sondern auch dadurch, dass er alle Schmeicheleien, welche gegen jenen im Senate so häufig vorkamen, mit Stillschweigen überging, was doch bei der damals herrschenden Kriecherei nothwendig auffallen musste. Als !) Tac. Ann. XVI. 22. 3) Tac. Ann. XV. 21, 21. 4) Anu. XIV. 48. 5) Ann. XIV. 49.

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