Neue Literatur, 1973 (Jahrgang 24, nr. 1-12)

1973-04-01 / nr. 4

hinter dem Tor, wenn es einmal fertiggestellt ist, könnte etwas stehen. Wenn auch nicht gerade Allah, so doch Mohammed, sein Prophet. Und wäre keiner da: der Angelegenheit käme auch dann außerordentliche Bedeutung zu. Mit dieser Arbeit hat Meister Shakrollah Sanizade sich den Menschen in den Weg gestellt: sein Tor macht ihn zum Pförtner des Paradieses. Fortan ist er nur zu umgehen, wenn man die Moschee durchs Fenster betritt. „Was kostet es?“ frage ich. „0, nicht viel“, antwortet der Meister. „Ich arbeite preiswert. Alles in allem vier Dollar dieser Becher.“ „Und das Tor?“ „Das Tor ist etwas teurer“, lächelt er uns an, „dreihundertfünf­zigtausend Dollar. Wenn Sie eines wünschen... für dieses Jahr habe ich keine weiteren Bestellungen.“ „Oh“, bedanken wir uns, „diesmal wollten wir bloß nachfragen, aber bei nächster Gelegenheit.“ Er sagt: Glück mit Ihnen, er stünde uns jederzeit zur Verfügung. Letztlich ist es auch in unserem Interesse, in das Paradies nicht durch ein beliebiges Tor emzuziehn. Freitag-Moschee. Warum Freitag? Das ist im Augenblick nicht zu ermitteln. Millionen von Arabesken; rankenartiges Flechtwerk, geome­trische Formen, die zu singen scheinen. Das Auge findet keinen Ruhe­punkt: strahlendblauer, pausenloser Wellengang. Gleich der Leiden­schaft führt auch er mich hinter geschlossenen Lidern in Versuchung, schließt mich in seine Arme und wiegt mich ein, dreht mich und wen­det mich und berauscht mich. Vielleicht ist es Absicht: vor den Farben der Gottheit ist es für den Menschen besser, berauscht zu sein. Kühl und nüchtern könnte er unter Umständen eine Warze des Herrn ent­decken, seine Fehlbarkeit oder auch seinen größten Mangel: den näm­lich, daß es ihn nicht gibt. Es gehört zu den Kennzeichen der Arabeske, daß sie die Ord­nung wiederkehrender Motive nicht kennt. Seit Urzeiten ist dem Künst­ler Wiederholung untersagt. Wie ein Kurzsichtiger beginne ich, die Wandmalerei aus nächster Nähe zu untersuchen. Bei irgendeinem Kniff werde ich den Meister gewiß ertappen; irgendwo dürfte ihn seine Arbeit in Bewunderung versetzt haben. Wäre es denn möglich, daß der Erfolg ihn nie berauscht und er nie als Draufgabe das dargebracht hätte, wo­mit er den Sterblichen schon einmal bezwungen? Hat, letzten Endes, ein Künstler etwas zu sagen, so sagt er sein Leben lang das Gleiche. Wie Petőfi über die Freiheit, Ady über den Fluch und Kemény Zsig­­mond über die Sünden der Tugend. Stets und wahrhaftig das Gleiche, allerdings mit der Stimme der lebendigen Natur, die zwei gleiche Früh­­linge nicht kennt, ja nicht einmal zwei gleiche Grashalme. Den Schlüs­sel hierzu fand, glaube ich, Illyés Béla, als er im Dichter den flüch­tenden Menschen entdeckte: Lot, der Sohn Arons, dem es verwehrt ist, auf Sodom zurückzublicken, ansonsten er zur Salzsäule erstarrt. Welcher der Söhne des mesopotamisohen Aron ist hier gesenkten Hauptes vor­beigekommen, die blaue Vision vor Augen, ringend mit der Vergangen­heit, die über sein Haupt hereinbricht? Ich kann bloß feststellen, daß er, aufbrechend von hier, wo ich soeben die Spur seiner Hand bewun-

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