Neue Zeitung, 1960 (4. évfolyam, 1-53. szám)

1960-04-22 / 17. szám

6 Budapest, 22. April 1960. (Fortsetzung auf Seite 7.) Der Mórer Ezerjówein {Tau­sendgut), der hat es in sich, sein Feuer kann aüch Leute zum Leben erwecken, die sich schon halbtot wähnen. Er schmeckt köstlich und erhöht die Lebens­geister, wie wir ihm da am Tische des LPG-Vorsitzenden Franz Schmidt zusprechen. Die Gläser klirren zum freundlichen Ge­spräch. Die Gäste sprechen durch­einander ungarisch und deutsch, jeder in seiner Muttersprache. Dieser erlesene Wein mit dem zarten Aroma folgt in der Rang­ordnung der Weine gleich nach dem Tokajer. Edle Grundstoffe nährten diesen guten Tropfen, viel Sonnenschein hat die Reben gereift, viel Arbeit, Fachkennt­nis und sorgsame Mühe von zwei­einhalb Jahrhunderten schenkten die „Blumen”. Die ersten Wein­stöcke wurden am, Fusse des Vértesgebirges gepflanzt, als ein Kaiser des Hauses Habsburg die ersten sieben Winzerfamilien hier angesiedelt hat, die Abele, Hippele, Negele, Himele, Weker­­le, Rimele und Wundele. Die „Salze der Erde” Dieser Wein, der auch Halb-, tote zum Leben erwecken kann, wie sollte der dem „Franzi” nicht die Zunge lösen, dem LPG­­Vorsitzenden, dem Weinglas wie Rebenschere vertraut sind, und der bei den Ungarn, wie bei den Deiktschen gleich hohes Ansehen geniesst. Franz Schmidt hat vor neun Jahren auf 135 Joch die LPG „Kossuth” gegründet, in der die schwäbischen Winzer sich zu­sammenschlossen. Heute umfasst sie 4000 Joch. Damals bildeten die Ungarn eine eigene Genossen­schaft, es gab auch eine dritte, wo Ungarn und Deutsche ge­meinsam Wirtschaft führten. Jede der drei Genossenschaften hatte Anerkennung für die Arbeit der anderen, jede sah im Fleiss der anderen „Das Salz der Erde”, aber das Misstrauen, das vergan­gene Zeiten gesät hatte, lag ihnen noch im Blute und jedem Zusammenschluss im Wege, Bis dann im Herbst des Vorjahres, durch d'e vollen Keller der ..Kossuth” überzeugt, durch das pulsierende Leben, die schöpferi­schen Ideen angezogen: die zwei anderen LPG sich mit ihr zu einer grossen Genossenschaft vereinigten. Franz Schmidt hebt sein Glas mit dem reinen, funkelnden Wein, als wollte er dem Vértes zutrinken und sucht die Ursa­chen für das alte Misstrauen zu erklären, das wie ein Hemmschuh jeder Vereinigung im Wege ge­standen hatte. Er holt weit aus. in die Geschichte dieser reichen Weinreviere und arbeitsamen Menschen, spricht aber klar, ver­ständlich: — Wie oft hatten die Schwa­ben in den alten Zeiten ge­wünscht, wenn man nur den ho­hen Berg abtragen könnte, um ihn über und über mit Reben zu bedflanzen. Denn der Kaiser von Österreich hatte die sieben Fa­milien, die er nach der Nieder­werfung Rákóczis und seines Unabhängigkeitskampfes aus den deutschen Bergen hergebracht hat. vor allzu harte Aufgaben ge­stellt. Er dachte, sie würden mit ihrer alten Winzerkulltur dem Bo­den mehr abgewinnen als die Un­garn ... Alle lauschen den Worten des Vorsitzenden. Er spricht darüber, \ dass die angesiedelten Schwaben ' sich mit den altangesessenen Un j garn gut ergänzten. Die alther- ' gebrachte Handwerkerindustrie lieferte die Geräte für den Wein- j bau. Ungarn und Deutsche such- j ten immer in des anderen Seele nach jenen Offenbarungen der i Menschlichkeit, die das Herz hö­her schlagen lässt. Ausbeutung im Schoss der Erde und über der Erde Die Habsburger hatten aber auch die Gutsherren Trautenberg und Szécsen hier angesiedelt, die auf Kosten der billigen bäuer­lichen Arbeitskraft den Wiener Kaiserhof mit wohlfeilen Waren belieferten und ihre Besitztümer immer mehr ausbreiteten. Bald fand sich neben der Landwirt­schaft eine zweite Möglichkeit der Ausbeutung: die Kohlen­bergwerke. Die ihrer Weingärten beraubten kleinen Bauern mussten tief im Schacht der Erde nach Kohlen graben und zwar gleich, ob sie ungarisches oder deutsches Blut in den Adern hat­ten. Als sich dann im Jahre 1848 das ganze ungarische Volk er­hob, ulm das Joch des Hauses Habsburg abzuschütteln, da scharten die Ungarn und die Schvjaben von Mór sich gemein­sam unter den Fahnen der Frei­heit. Nach dem Sturz des Frei­heitskampfes mussten die Be­wohner von Mór wiederum alle Härte und Bitternis der Unter­jochung erdulden. Wieder wurden die Abele, Negele, Windele und * * Kakasd ist eine kleine Gemein­de im Komitat Tolna: Seine Be­wohner sind Bauern, Gruben- und Fakriksarbeiter. Reich an alther­gebrachten Volksbräuchen war einst das Dorf. Ein Teil dieser Bräuche —- sie galten als Perlen der Folklore — verfiel naturge­­mäss der grossangelegten, raschen Entwicklung, der Modernisierung des Lebens. Ein anderer Teil lebt in der Erinnerung der älteren Ge­neration und einem dritten be­gegnen wir noch heute in den Dörfern. Nachstehend will ich ei­nige — bereits versunkene, bzw. heute noch lebende — Kakasder schwäbische Osterbräuche schik dem. * Der junge Lenz besiegte end­lich, nach heftigem Ringen, den müden Greis, den Winter. Stür­misch und brausend musste der Alte Abmarsch blasen und die Herrschaft dem jungen Sieger, dem Frühling, überlassen. Nun herrscht der letztere und setzt die Natur und die Menschen wieder in Bewegung. Wie jede Jahreszeit, hat auch der Frühling seine eigenartigen Feste im Volksleben. Der 1. Mai — der tradionelle Feiertag des Weltproletariats — ist neben sei­ner geschichtlichen Bedeutung auch ein Frühlingsfest. Das Oster­fest zeigt — besonders im Leben der Bauern — ebenfalls viele Be­ziehungen zur Natur, zum Früh­ling. Es ist ursprünglich auch ein Frühlingsfest gewesen. In der Fastenzeit war der Ge­nuss von Fleischspeisen be­schränkt. Da die schwäbischen Bauern grossen Milchüberfluss hatten, ersetzten sie die Fleisch­speisen häufig durch Milchpro­dukte. Besonders liebten sie die „Käslaibchen“. Diese wurden be­reits im Januar zubereitet. Der frische Topfen wurde mit Salz und Paprika gemischt, dann rund geformt und in einem irdenen Topf aufeinander gehäuft. Der j Topf wurde zugebunden und im ihre ungarischen Schicksalsge­nossen in die dunklen Schächte der Bergwerke hinuntergestossen. Aber jeder hatte sich ein Stück­chen Grund und Boden erworben, Keller aufbewahrt. Bis zur Fa­stenzeit reiften die „Laibcherí' heran. Die „Käslawl“ waren eine besonders beliebte Frühstücks­speise der Männer. Nach alter Sitte im Keller verzehrt, wurden sie natürlich mit einigen Gläslein guten Schillerweines hinabgespült. Die Kleider der Frauen und Mädchen widerspiegelten die „ernste Zeit des Fastens". Farbi­ges trugen sie nicht. Die Mäd­chen durften zu dieser Zeit nicht pfeifen, sonst „hätten sie einen närrischen Mann“ gekriegt. Drei Tage vor Ostern zog eine Kinder­schar mit selbstgefertigten Rat­schen durchs Dorf und sagte da­bei: „Wir ratschen, wir ratschen den Ostergruss, dafür heut nie­mand zahlen muss! Am Samstag vor Ostern gingen sie wieder von Haus zu Haus. Jetzt forderten sie den Lohn für ihre Mühe, indem sie sagten: „Wir ratschen, wir­­ratschen um drei-vier Eier“. Die Hausfrauen beschenkten reichlich die Ratscher. Samstag in der Früh wird vor der Kirche der „Bengel“ ver­brannt. Der „Bengel“ ist ein 50 cm langes Holzstück. Dies hat der Vater geschnitzt. Er hat auch das Monogramm des Sohnes eingra­viert. Nachdem das Holzstück ein wenig verkohlt war, trug es der Kleine nach Hause. Es wurde auf dem Hausboden unter dem Dach­stuhl aufbewahrt. Beim Gewitter wurde der verkohlte „Bengel“ ins Herdfeuer gelegt, „dass der Blitz ins Haus nicht einschlage". ein paar Hufe Acker, einige Wein­stöcke, der eine weniger, der an­dere mehr, und daran hielten sie fest. Im Jahre 1919, während der Räterepublik, schien die Zeit ge-Am Sonntagmörgen legte der Osterhase den Kindern die bun­ten Eier in die Scheune, ins Heu. Am Nachmittag ging die „Gote“ (Taufmutter) zum Patenkind und beschenkte es mit Kleiderstücken, Lebzelterrossen oder Puppen. Die Gote brachte aber auch gefloch­tenen Kuchen, Mehlspeise und Zuckerwerk mit. Bei dieser Gele­genheit wurde die Gote bewirtet. Gemeinhin wurde ein „Schwar­tenmagen" auf geschnitten, eine beliebtes Gericht, das bei den meisten feierlichen Gelegenheiten auf den Tisch kam. Ostertagnachmittag zog die Ju­gend auf die Wiese. Die Mädchen brachten die Ostereier mit. Bald begann ein lustiges Spiel, das „Eierwerfen". Die Burschen nah­men den Mädchen mit List und Gewalt die Eier weg und warfen diese in die Höhe. Die Eier wur­den von den Burschen abgefan­gen, Die schönsten, buntesten Ei­er, die bisher gut versteckt wa­ren, warfen die Mädchen selbst in die Höhe, und zwar so, dass der Bursche, der zum Mädchen be­sonders nahe stand, das Ei abfan­­gen konnte. Bisweilen wurden auch hölzerne Eier geworfen. Die­se machten freilich dem Abfän­ger — wie man sagte — die Fin­ger weich". Daraufhin wurde ge­lacht und geklatscht. Bis zur Füt­terungszeit wurde die Wiese wie­der leer. Nur die bunten Schalen der aufgegessenen Eier „zierten” die Wiese. F. F-. kommen für die Arbeiter, den alten harten Zwang zu sprengen, den Bauern das Joch von den Schultern zu nehmen, das ihnen die Früchte mühsamer Arbeit sauer werden Hess; da sollten Bauern und Handwerker endlich die Herrschaft über die Wein­berge von Mór übernehmen. Aber es ist anders gekommen. Ein Vier­teljahrhundert der Unterjochung folgte, das Horthy-Regime, das wieder den Trautenberg’s, den Szécsen’s die Macht in die Hände spielte. Im zweiten Weltkrieg wiegelten die Volksbundisten auch das Volk der Weinberge auf. Bei manchen Familien, in manchen Gehöften stiessen die Hetzreden auf ein williges Ohrs und Zerissen das Einvernehmen zwischen Un­garn und Schwaben. Im verhee­renden Stufrm der Geschichte vernahmen nicht alle Ohren den Klang der Sturmglocke, ohne den sie, ob auf dem Meere oder auf festem Boden, sich verirren wür­den. Wie bald lässt man sich zu Taten hinreissen, die man später bitter bereut und teuer bezahlen muss! Und heute? Worauf hat „Franzi” sein Glas geleert ? Auf die Deutschen und Ungarn, die in einer kollektiven Wirt­schaft, mit vereinter Kraft vor­wärtsschreiten. Auf den Mórer Ezerjó, der Weltruf, Aroma, Sub­stanz und Feuer behalten hat, durch jede Verwirrung der Ge­schichte hindurch. „Franzi“ stosst an und setzt das Glas hart vor sich hin. Dann holt er die Wirtschaftsbücher der LPG hervor und lässt die Tatsachen sprechen. Und jetzt erzählt er von den Mitgliedern der Genossenschaft, die alle Gegensätze der Vergan­genheit vergessen haben, Die Ju­gend von Heute kennt die Be­griffe und Worte: „Trautenberg”, „Herrschaftslakei”, „Herrschafts­diener” nicht. Dafür sind ihr Be­griffe vertraut, wie „Hervor­ragender Werktätiger der LPG”, „Komsomol”, „Kommunistische Jugendvereinigúng”, „Wettbe­werb”. Feri Negele, der beste Melker, der 500 Liter Milch im Tage melkt, Abkomme der ersten deut­schen Siedler im Weinrevier, be­ginnt zu sprechen: — Ich habe Wein, Geld, Frau und Kind. Bin Du und Du mit dem Vorsitzenden, der Parla-mentsabgeordneter ist. Er sollte schon längst Kossuthpreisträger sein. Ich hoffe mit allen jungen Mitgliedern zusammen, dass wir jetzt auf der vergösserten LPG durch u'nsere gute Arbeit unserem Vorsitzenden den Kossuthpreis erwerben. Bis dahin werde ich mein eigenes Haus haben. Das Geld liegt bereit, aber bisher konnte ich nichts entsprechendes finden. — Wir haben hier einige ältere Leute unter den Mitgliedern; drei von ihnen waren bereits Land­wirte der Goldenen Ähre, fünf I Landwirte der Silbernen Ähre, als I sie in die LPG eintraten. Martin 8 Manner ist vielleicht der belieb­­| teste unter allen. Übrigens gehört I er zu den besten Weinzüchtern I des Landes. Einige seiner Weine hatten die Goldene Medaille er­worben. Die Volksbundisten hal­ Mór —eine einzige LPG Was wir bei einem Glase Ezerjówein erfahren — Verbrüderung der Ungarn und Deutschen auf ehemals gräflichem Boden Osterbräuche in der Gemeinde Kakasd „Wenn ich nun aber nicht glaube, dass du ein Osterhase bist, hast du einen Ausweis?” Julia Gerstmahr Franz Schmidt

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