Neue Zeitung, 1963 (7. évfolyam, 1-52. szám)

1963-08-02 / 31. szám

ORGAN DES DEMOKRATISCHEN VERBANDES DER DEUTSCHEN WERKTÄTIGEN IN UNGARN EIN TAG EINES DORFES Unsere Reporter berichten über Raizpetre Raizpetre/Ü jpetre bei Fünf­­kirchen ist ein Dorf mit schönen, vorwiegend schwäbischen Häu­sern. Bis zur Befreiung lebten liier fast ausschliesslich Schwa­ben, nach 1945 änderte sich aber die Zusammensetzung der Ein­wohnerschaft. Anstelle der aus­gesiedelten Deutschen wurden ungarische Gesindeleute, Fami­lien aus Komiár im Komitat Bi­nar und Ungarn aus der Slowa­kei angesiedelt. Immerhin sind noch heute mehr als 30% der Be­wohner des Dorfes Schwaben. Auch diese Gemeinde hatte die für die vierziger Nachkriegsjahre so bezeichnende Krankheit der ungarndeutschen Dörfer, die Zeit des Nationalitätenhaders, durch­zumachen. Doch wer das Dorf heute besucht, findet von all dem höchstens Spuren der Erin­nerung. Keiner benachteiligt Die Vorsitzende des Gemeinde­rates, Maria Fajnár, eine statt­liche Dreissigerin mit klugen, dunkeln Augen, ist Ungarin. Sie hat vor der Befreiung als Tag­löhnerin angefangen, wurde dann Arbeiterin und schliesslich nach dem Besuch der Partei­schule „erste Frau” der Gemein­de Raizpetre. . — Ja, — sagt sie, — es gab Jahre, in denen manche Leute es mir übel ankreideten, dass ich „schwabenfreundlich” gesinnt bin. Aufrichtig gesagt bin ich weder Schwaben- noch ungarn­freundlich gesinnt, hab es aber nie zugelassen, dass jemand, nur weil er Schwabe ist, benachteiligt werde ... Im Gemeinderat sind die Schwaben ihrem Prozentsatz ent­sprechend vertreten. Acht von den insgesamt 25 Ratsmitgliedern sind schwäbischer Herkunft: nämlich Josef Pfeil, Stefan Baschta, Josef Mammel, Georg Schwamberger, Karl Schärt, Ed­mund Flober, Franz Oberritter und Frau Anna Borbély, gebo­rene Wittmann. Deutsche Bücher und Deutschunterricht Raizpetre ist vorwiegend von LPG-Bauern bewohnt. Aber es leben hier auch Bergarbeiter, die täglich mit dem Bus nach Fünf­kirchen fahren. Das Dorf — es zählt insgesamt 1212 Seelen — ist mit kulturellen und wirt­schaftlichen Einrichtungen ver­sehen, die sogar einer Bezirks­stadt Ehre machen könnten. Ein Kulturhaus mit 300 Sitzplätzen und einer Bibliothek, in der es auch deutsche Bücher gibt, ein Kindergarten und eine Säuglings­krippe, eine Sparkasse und ein Selbstbedienungsladen, ein Klein­warenhaus und ein Textilge-Schaft sowie eine Apotheke, ein Arzt und ein Tierarzt stehen den Bewohnern von Raizpetre zur Verfügung. Das Kulturhaus wird von Schwaben und Ungarn gern be­sucht. Oft finden hier Vorstellun­gen des Fünfkirchner Theaters statt. Auch an Filmvorführun­gen fehlt es nicht. Grossen Er­folg erntete im vorigen Jahr das Gastspiel der deutschen Kultur­gruppe aus Werisciiwar/Pilisvö­­r ős vár. Im Dorf ist auch eine Laien­spielgruppe tätig. Im Winter führten^gie das Drama „A tanító­nő” (Die Lehrerin), von Sándor Bródy auf. In der Grundschule erhalten die schwäbischen Kinder Deutsch­unterricht von Frau Maria Ott, die ihr Lehrerdiplom vor drei Jahren an der Fünfkirchner Lehrerbildungsansta! I erworben hat. Die Kleinen sind in guter Hui Fröhlicher Lärm empfängt uns im schattigen Hof des Kinder­gartens. Eine Gruppe spielt ge­rade „Einkäufern” — Bitte, gében Sie mir einen Laib Brot und zwei Kilo Para­­cieis ... — piepst die kleine Edit Deká ny. Die Leiterin des schönen, mo­dern eingerichteten Kindergar­tens, Frau Therese Polatschek, geborene Lauer, versteht es, die Phantasie der Kinder zu wecken. Eine gelbe Strassenbahn, die richtig bimmeln kann, ein blauer Autobus und ein bunter Kahn, aus einfachen, gestrichenen Lat­ten hergestellt, stehen im Gar­ten . . . Spielend eignen sich die Kleinen eine Menge nützlichen Wissens an. Kein Wunder, dass Seppi Herr, Mariechen Maszlag, Franzi Garo.m, Tibi Muck — und wie sie alle heissen — eine rich­tige „Ersatzmama” in ihrer Tan­te Therese finden. Drüben in der Säuglingskrippe ist das Mittagessen gerade zu Ende. Auf die kleine Liesl Szend­rei, einem süssen Ding mit blon­dem Wuscnelköpfchen, der „ewigen Nachzüglerin” beim Es­sen, müssen die anderen jeden­falls noch warten. Denn „Mahl­zeit” sagen darf man nur, wenn alle fertig sind. Ihr Tischnach­bar, der kleine Seppi Krist schaut sie vorwurfsvoll an. Er möchte schon zum Spiel zurück — Wir pflegen und verkösti­gen hier den Sommmer hindurch 24 Kinder — sagt uns Frau Mar­garete Herr, die Leiterin , des Hortes — und tun alles, damit sich die Kleinen wohl fühlen ... Sohn des letzten Blaufärbers Johann Arnold steht hinter dem Pult des Textilwarenge­schäftes und breitet vor dem Strassenbauarbeiter Ludwig Tur­ner gerade einen weissen Hem­denstoff aus. Das „Textilgewerbe” ist in seiner Familie Tradition, war ja sein Vater der letzte Blau­färber des Dorfes. Bekanntlich hatte die Blaufärberei in der Bra­­nau grosses Ansehen. Heute ist dieses Gewerbe schon ausgestor­ben. Die letzten kunstgerecht gefärbten Röcke und Schürzen hat das Fünfkirchner Museum dem alten Anton Arnold abge­kauft. Der Sohn blieb aber den Stof­fen treu, er wurde ein guter Kaufmann. Das Geschäft hat im Monat durchschnittlich einen Umsatz von 18 000 bis 20 000 Fo­rint. Auch im Selbstbedienungsla­den nebenan geht das Geschäft gut. Helene Schum bedient ge­rade Margarete Güssinger: — Sodawasser, Essig, Zucker, — ■nacht: sechsundzwanzig dreissig — sagt sie deutsch. — Mit den Lieutschen reden wir deutsch, mit den Ungarn un­garisch, — erklärt mir Frau Schum. Wir erfahren auch, dass im modernen Laden, wo von kochfertigen und halbfertiger'. Speisen über Konserven und Frischwaren bis zu den modern­sten kosmelischen Artikeln alles zu haben ist, monatlich mit einer Einnahme-von 80 000 bis 105 000 Forint zu rechnen ist. Wir sparen für ein Eigenheim Im blühenden kleinen Vorgar­ten des buntgestrichenen Hauses sitzt ein blonder Mann in den mittleren Jahren, die rechte Hand in einem Gipsverband. Die Frau macht sich in der peinlich sauberen kleinen Sommerküche zu schaffen. Johann Igert, Hauer im Schacht „Béke” (Frieden) des Fünfkirchner Bergwerks hat sich eine Sehnenentzündung zugezo­gen und muss jetzt zu seinem Verdruss das Haus hüten. — Wir wohnen hier in Miete. Unser grösster Wunsch ist es eben, ein eigenes Heim zu be­sitzen. Dafür sparen wir nun fest. Die Bewohner von Raizpetre haben 3,5 Millionen Forint in der Sparkasse liegen — erfahren wir von Frau Elvira Fehér in der Sparkasse des Dorfes. — Heute z. B. haben wir 20 000 Forint um­gesetzt, davon kommen ungefähr 25% auf Einzahlungen. Die mei­sten Familien spaten für ein Haus oder ein Auto. Wir haben schon sechs Personenwagen im Dorf — fügt sie stolz hinzu. — Leider wurden bisher in Raiz­petre wenig neue Häuser errich­tet, aber sehr viel ältere reno­viert oder umgebaut. Es geht aufwärts In der LPG „Petőfi” wird Gerste gedroschen. Am nächsten Tag kommt der Weizen an die Reihe. — In den letzten zwei Jahren hatten wir leider falsche Rech­nung gemacht — sagt uns der Vorsitzende Johann Gere-Germ. Heuer klappt’s endlich und die 30 Forint pro Einheit sind so gut wie gesichert. Nun geht’s auf­wärts ... Die „Petőfi” beschäftigt sich vorwiegend mit Viehzucht. Auf den 1777 Joch werden Futter­­und Industriepflanzen gezüchtet. 100 Milchkühe, 770 Mastschweine und 40 Zugpferde bilden den Viehbestand der LPG. Dieses Jahr wurde schon ausschliesslich mit Maschinen geerntet. * Die Sonne verschwindet hinter den Häusern. Es dämmert. Ein grosser Bus hält vor dem Rat­haus an. Bergleute entsteigen ihm. Auf der Gasse eilen Bauern nach Hause. Ältere Frauen und Männer sitzen vorm Haus, hal­ten einen kleinen Plausch. Es ist Feierabend. Erika Äts und Thomas Jobst Grete-Base kauft ein ... Johann Arnold hinterm Laden­pult Lieschen Szendrei nimmt sich Zeit beim Essen Igerts sparen für ein Eigenheim

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