Neue Zeitung, 1968 (12. évfolyam, 1-52. szám)
1968-11-22 / 47. szám
NEUE ZEITUNG WOCHENBLATT DER DEUTSCHEN WERKTÄTIGEN IN UNGARN XII. JAHRGANG, NUMMER 47 Preis: 80 Fillér BUDAPEST, 22. NOVEMBER 1968 Im Spiegel eines halben Jahrhunderts von György Gräber Dis in der Sanduhr der Zeit ein hal" bes Jahrhundert hinabfliesst, vergeht fast ein Menschenalter. Dieselbe Zeitspanne bedeutet für die Geschichtsschreibung oft nur Stunden oder gar Minuten. Trotzdem: das verflossene halbe Jahrhundert war für die Menschheit von so grosser Bedeutung, dass es nicht einmal mit dem Massstab von Jahrhunderten real zu messen ist. In dieses halbe Jahrhundert fällt eine grosse Schicksalswende auch des ungarischen Volkes, wobei die Gründung der Kommunistischen Partei Ungarns (KPU) eine bestimmende Rolle spielte. Die Entstehung dieser Partei entsprang den inneren Bedürfnissen des Klassenkampfes in Ungarn und war zugleich eine Bedingung der weiteren Entwicklung des Landes. In diesem neuen, revolutionären Vortrupp vereinigten sich jene gewesenen Soldaten, die aus Sowjetrussland heimkehrten, wo sie die grosse Oktoberrevolution miterlebten, jene Mitglieder des linken Flügels der Sozialdemokratischen Partei, die die Notwendigkeit eines Bruches mit dem Reformismus und der Gründung einer kommunistischen Partei erkannten und schliesslich die Internationalisten der Gruppe der Revolutionären Sozialisten, Arbeiter und junge Intellektuelle. Führer der neuen Partei, Vorsitzender des Zentralkomitees wurde ein aus Sowjetrussland heimgekehrter Revolutionär: Béla Kun. Die Gründung der KPU stellt eine geschichtliche Wende in der Entwicklung der ungarischen Arbeiterbewegung dar. Das erstemal in der Geschichte verfügte jetzt die ungarische Arbeiterklasse über einen Generalstab, der sich die Ideen des Marxismus-Leninismus zu eigen machte und seiner historischen Sendung entsprechend die Interessen der Arbeiterklasse erkannte und vertrat, seinen Kampf bewusst führte. Ilas Entstehen der Partei am 24. Nou vember 1918 bedeutete zugleich die Schaffung der wichtigsten subjektiven Bedingung des Sieges der sozialistischen Revolution. In der objektiven revolutionären Lage war allein diese Partei imstande, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen. Diese These wurde durch die revolutionäre Praxis bestätigt, siegte ja kaum vier Monate nach der Gründung der Kommunistischen Partei die proletarische Revolution. Die ungarische Räterepublik wurde ins Leben gerufen. Es ist bekannt, dass fremde Mächte, die Eintente- und die mit ihr verbündeten Truppen und die Konterrevolution im Inneren die Macht des Proletariats in unserer Heimat erdrosselten. Auf ihren Spuren folgte die Schreckensherrschaft der Kapitalisten und Grossgrundbesitzer, die ihre Macht durch Landesverrat wiedererlangt hatten. Der Terror richtete sich in erster Linie gegen die Kommunisten. Für den zimperlichen Geschmack des Westens wurde dieser weisse Terror durch einen formellen Parlamentarismus,salonfähig” gemacht, doch sein Wesen blieb: Faschismus, der mit seiner ganzen Politik im darauffolgenden Vierteljahrhundert unser Land in eine neue nationale Katastrophe trieb. Dieses Vierteljahrhundert forderte unzählige Opfer, forderte einen entschiedenen und unermüdlichen Kampf von unserer, in die Illegalität gezwungenen Partei. Sie kämpfte unter Bedingungen des nicht nachlassenden Terrors weiter, opferte Tausende Helden aus ihren Reihen, erzog neue Kämpfer, die an die Stelle der ermordeten oder eingekerkerten traten. Immer wieder auferstand die Partei. Sie pflegte und nährte die Glut des Glaubens an den Sieg der Volksmacht. In den Jahren des zweiten Weltkrie-1 ges war sie die einzige Partei in unserem Lande, die mutig und konsequent die Parolen des Friedens, der nationalen Unabhängigkeit, des Antifaschismus und der Demokratie verkündete. Sie kämpfte unermüdlich für den Zusammenschluss der zur Verteidigung der wahren Interessen der Nation berufenen Arbeiterklasse, des Bauerntums und der Geistesschaffenden. £jie wies einen gangbaren Ausweg aus der Hölle des Krieges und der faschistischen Unterdrückung. Dies ermöglichte, dass, nachdem die Sowjetarmee den deutschen und ungarischen Faschismus niedergeschlagen und unsere Heimat befreit hatte, die Partei nach einem Vierteljahrhundert währenden Kampf nun — sich auf die Volksfrontpolitik stützend — effektiver Führer unseres Volkes wurde. Ulenn wir jetzt anlässlich des fünfzig*' jährigen Jubiläums der Gründung der Kommunistischen Partei Ungarns gedenken, müssen wir betonen: ein charakteristisches Merkmal dieses heldenhaften Kampfes war die Tatsache, dass die konsequente Vertretung der nationalen Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes sich stets verknüpfte mit der Treue zur Idee des Internationalismus. Die Kommunisten haben erkannt: Die Unabhängigkeit, die Freiheit, der Aufstieg und das Glück unseres Volkes ist untrennbar verbunden mit der Sache des internationalen Fortschritts — vor allem mit dem Erfolg der revolutionären und kommunistischen Bewegung in der Sowjetunion und in den Nachbarländern, mit dem internationalen Vorwärtsschreiten und mit der Festigung der Sache des Sozialismus. F'ünfzig Jahre sind vergangen, seitdem die ungarischen Kommunisten das erste Mal die Werktätigen unter ihr Banner riefen, zum Kampfe um die Befreiung der Unterdrückten, um ein neues, menschliches Leben, um die Schaffung der neuen sozialistischen Gesellschaft. Zurückblickend auf dieses halbe Jahrhundert können wir sagen: Mit vollem Stolz stehen wir zu dieser Vergangenheit. Unser heutiges Leben, unsere bisherigen Erfolge beweisen, dass 1918 die Kommunisten den richtigen Weg eingeschlagen haben. II m 50. Jahrestag ihrer Gründung " senken wir die Fahne der Ehrfurcht vor unserer Partei im Bewusstsein: Wir sind nur dann treu zu den Traditionen dieses halben Jahrhunderts, wenn wir danach trachten, mit all unserem Können zur Verwirklichung der grossen Zielsetzungen unserer Partei beizutragen. Der sowjetische Aussenminister verhandelte in Ungarn Der polnische Parteitag — ZK-Sitzung in der CSSR — Kaltkriegerische Töne aus Brüssel Ein hervorragendes Ereignis der ungarischen Aussenpolitik war in diesen Tagen der Besuch des sowjetischen Aussenministers Gromyko in unserer Heimat. Die Budapester Verhandlungen, im Laufe derer sich der sowjetische Aussenminister mit führenden ungarischen Staatsmännern traf, gliedern sich organisch in den kontinuierlichen Vorgang des sowjetisch-ungarischen diplomatischen Kontaktes ein. Eine Bedingung dieser wirksamen und erfolgreichen Zusammenarbeit, die zwischen der SU und Ungarn zustandekam — und die ein gutes Beispiel dafür ist, dass zwischen einem kleinen Land und einer Grossmacht Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung möglich sind —, ist ein ständiger und systematischer Kontakt, der sich auf alle Ebenen dßr Diplomatie ausdehnt. Dementsprechend war dies nicht der erste Ungambesuch Gromykos. Das letztemal war er 1965 zu einem offiziellen Besuch in unserer Heimat und als Gegenbesuch reiste 1966 Aussenminister János Péter in die Sowjetunion. Die Bedeutung der Budapester Verhandlungen des sowjetischen Aussenministers wird dadurch betont, dass der Besuch zu einem Zeitpunkt stattfand, als zahlreiche brennende Fragen der komplizierten Weltlage die Völker und Regierungen der beiden Staaten stark beschäftigen. Jetzt, da die anwachsende Aktivität der Nato die Frage der europäischen Sicherheit mit grossem Gewicht aufwirft, muss man der wirksamen diplomatischen Zusammenarbeit mit der SU besondere Wichtigkeit beimessen. Dies bezieht sich jedoch auch auf andere offene Fragen der Weltlage, auf das Vietnamproblem und die Nahostkrise. Im Laufe des Budapester Aufenthaltes des sowjetischen Aussenministers kam es zur Unterzeichnung eines ungarisch-sowjetischen Abkommens zur Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet. Das Abkommen kräftigt weiter die kulturelle Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten und — wie Gromyko sagte — trage dies zur weiteren Vertiefung der Freundschaft zwischen den beiden Ländern und Völkern bei. Die Budapester Verhandlungen verliefen in einer Atmosphäre der brüderlichen Freundschaft. Sie widerspiegelten das völlige Einverständnis, das auf die Beziehungen der beiden Staaten in weltpolitischer Hinsicht und Fragen der unmittelbaren Zusammenarbeit anbelangend, charakteristisch ist. In Warschau und Prag Zwei Parteien beendeten in diesen Tagen ihre Beratungen: Der 5. Parteitag der Vereinigten Arbeiterpartei Polens und die Sitzung des ZK der KP der CSSR. Westliche Voraussagen, die vom polnischen Parteitag eine sensationelle Wende erwarteten, trafen nicht zu. Der Parteitag wählte erneut Gomulka zum ersten Sekretär der Partei und billigte die Politik, deren Grundsatz Treue zur Sowjetunion, Kampf gegen die Unterwanderungstätigkeit des Imperialismus und stabile Einheit der sozialistischen Staaten sind. Auf der Schlussitzung des Parteitages betonte Gomulka, dass das freie und unabhängige Polen ausschliesslich ein sozialistisches Land sein könne. Er erklärte: Wir können es der SU verdanken, dass wir in den letzten 50 Jahren zweimal unsere Unabhängigkeit zurückgewinnen konnten. Auf dem polnischen Parteitag beschäftigten sich die Delegierten ebenso wie die Vertreter der Bruderparteien eingehend rhit den tschechoslowakischen Ereignissen. Im Laufe der Diskussion wurde eindeutig festgestellt: wenn die Staatssicherheit, die innere Ordnung eines sozialistischen Landes gefährdet ist, gerät gleichzeitig auch die Sicherheit der brüderlichen sozialistischen Staaten in Gefahr. Aufgrund all dessen ist das grosse Interesse, mit welchem die Prager Beratungen des ZK der KP der CSSR verfolgt wurden, verständlich. Im Laufe der Beratungen wurde die seit Januar gebildete Politik der Partei bis in die Einzelheiten analysiert. Unter den Rednern zeigten sich im Laufe der Diskussion oft bedeutende Meinungsverschiedenheiten. Es zeigte sich, dass hinsichtlich der Auswertung der Zeit nach Januar innerhalb des Zentralkomitees ernste Meinungsverschiedenheiten festzustellen sind. Ein Teil der Redner betonte energisch, dass man gegen die dem Sozialismus feindlichen Kräfte entschlossener auftreten und die Einheit in der CSSR und den anderen sozialistischen Staaten festigen müsse. Das ZK diskutierte über das Referat des ersten Sekretärs Dubcek, das unter dem Titel stand: Die wichtigsten Aufgaben der Partei in der kommenden Zeitspanne. Die im Laufe der Diskussion auftretenden Meinungsverschiedenheiten zeigen, dass das Zentralkomitee in den wichtigsten aktuellen Fragen noch keinen endgültigen Standpunkt gebildet hat und wahrscheinlich wird die im ZK geführte Debatte innerhalb der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei weitere Kreise ziehen. Mit absoluter Mehrheit billigte das ZK den Beschluss, laut dem die Einberufung des 14. ausserordentlichen Kongresses der Partei verschoben werden müsse. In seinem Schlusswort betonte Dubcek, man müsse die Januarpolitik von den Fehlem der vergangenen Periode säubern. „Aufgrund dessen — sagte er — müsse man die führende Rolle der KP der CSSR regeln. Da wir internationalistische Kommunisten sind, sind wir hinsichtlich der strategischen Fragen unserer Politik einig, auch was unsere Verbündetenbeziehungen zur SU betrifft, sagte Dubcek. Er betonte des weiteren, dass man die Provokationen sozialismusfeindlieher Kräfte und extremistischer Auffassungen, deren Vertreter die neuen Aufgaben nicht verstehen, energisch Zurückschlagen muss. Nato-Drohung Die in Brüssel beendete Nato-Konferenz zeigte erneut, was für grosse Kräfte innerhalb der führenden Kreise des Imperialismus die Rückkehr der kaltkriegerischen Politik .wünschen. Viele Redner der Brüsseler Beratung liessen die Argumentation und den Wortgebrauch der kaltkriegerischen Zeiten wieder aufleben, und auch das Schlusskommuniqué der Brüsseler Beratung rief solche Erinnerungen wach. Unter dem Vorwand der tschechoslowakischen Ereignisse startet diese Erklärung scharfe Ausbrüche gegen die SU. Darauffolgend gibt das Kommuniqué — sich auf die „veränderte Lage” berufend — eine Intensivierung der Militärmassnahmen der Nato bekannt. Charakteristisch für die innerhalb der Nato herrschende Einheit ist, dass sich Frankreich jenem Passus des Kommuniqués, der intensivierte Militärmassnahmen bekanntgibt, nicht angeschlossen hat. Eben der Mangel an Einheit ist offensichtlich einer der Gründe, weshalb der Nordatlantikpakt bestrebt ist, kaltkriegerische Methoden zu beleben. Innerhalb der Nato können die Gegensätze leichter geschlichtet werden, wenn es gelingt, die Atmosphäre der Kriegsvorbereitung zu schaffen und diese von den Mitgliedsstaaten annehmen zu lassen. Deshalb sind Reden über die „Änderung des Kräfteverhältnisses” notwendig und deshalb wird die Notwendigkeit der Wachsamkeit nicht nur im Zusammenhang mit den tschechoslowakischen Ereignissen, sondern auch im Zusammenhang mit den Ereignissen im Mittelmeerraum so oft erwähnt. Das Brüsseler Schlusskommuniqué fordert im Zusammenhang mit der Mittelmeerlage „ausserordentliche Wachsamkeit”, es beruft sich auf die Anwesenheit der Einheiten der sowjetischen Kriegsmarine und behauptet, diese bedeute gegen die Mitgliedsstaaten des Nordatlantikpaktes eine Herausforderung. Im Mittelmeerraum jedoch ist nicht die Anwesenheit der sowjetischen Kriegsschiffe beunruhigend, sondern die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten seit längerer Zeit bestrebt sind, in diesem Raume ihre Position zu festigen. Die Schwarz- und Mittelmeerflotte der SU hat vor allem deshalb Bedeutung, weil sie gegen die Anwesenheit der 6. amerikanischen Flotte in diesem Raum ein Gegengewicht darstellt. Zur Wahrheit gehört, dass im Laufe des Nahostkrieges die 6. amerikanische Flotte bei der Ermutigung der Aggression keine unwesentliche Rolle gespielt hat. Die Tatsache, dass die Kriegsschiffe der SU im Schwarzen und Mittelmeer anwesend sind, entspringt aus der geographischen Lage der Sowjetunion. Aufgabe dieser Kriegsschiffe ist die Verteidigung des Friedens in diesem Raume, nicht zuletzt im Interesse der Sicherheit der SU. Eine ganz andere Frage ist, mit welcher Begründung die 6. USFlotte viele tausend km von Amerika entfernt dort manövriert bzw. sich dort auf hält? Besonders besorgniserregend ist die Brüsseler Erklärung des amerikanischen Aussenministers Dean Rusk, die eine neue Nato-Theorie beinhaltet. Das wesentliche dieser Theorie ist, dass sich Rusk mit der bisherigen Kontrollrolle der Nato nicht zufriedengibt, sondern auch solche neutralen Länder unter die Schutzherrschaft des Militärblocks stellen will, die nicht Mitglieder des Nordatlantikpaktes sind und die niemals um eine Schutzherrschaft der Nato ersucht haben. Rusk erklärte, die Sicherheitsinteressen der Nato würden auch dadurch verletzt werden, wenn — wie sich Rusk ausdrückte — die SU gegen Österreich einen Angriff starten würde. Auf ähnliche Art und Weise will Rusk auch Jugoslawien in den Wirkungskreis der Nato einbeziehen. Besonders gefährliches Element in der neuen Theorie ist, dass Rusk von den Interessen der Nato ausgeht und es nicht einmal versucht, den Standpunkt der interessierten Länder in Betracht zu ziehen oder zur Ausdehnung des Wirkungskreises der Nato irgendeine juridische Basis zu suchen. Georg Kertész Der Aussenminister der Sowjetunion Andrei Gromyko (dritter von rechts) bei der Verhandlung mit seinem ungarischen Kollegen János Péter (dritter von links) im ungarischen Aussenministerium. Aus dem Inhalt: Reiseerlebnisse in der SU 2 Die Ratssekretärin 3 Besuch in Szederkény 5 Neues Kulturhaus in Németkér 5