Neuer Weg, 1969. szeptember (21. évfolyam, 6325-6349. szám)

1969-09-12 / 6334. szám

NEUER WEG / 12. September 1969 Der Dichter des Sieben­bürgen- Liedes Zum 150. Geburtstag Max Moltkes Am 15. September sind es 150 Jah­re seit der Geburt Maximilian Leopold Moltkes, des Dichters eines unserer bekanntesten Lieder, „Siebenbürgen, Land des Segens“. Ich stelle mir den Nachmittag des Frühjahrs 1848, als der junge Buchhändlergehilfe in ei­ner Kronstädter Kirschgartenlaube diese Verse schrieb, als eine Stern­stunde der Dichtung vor. Und ich .denke dabei an das Gesetz des Verge­hens und der Unsterblichkeit, an den glücklichen Augenblick, in dem ein Künstler das innerste Sehnen seiner Mitmenschen voll erfasst. Für einen solchen Augenblick, meine ich, lohnt sich ein Leben des Kampfs und der Arbeit. Moltke stammte aus Polen (Kostryn), er hätte sein Brot von klein auf als Buchhändlerlehrling verdient; er ar­beitete in Trnava und Pest, bis ihn 1841 der fortschrittliche Buchhändler und Verleger Johann Gott nach Kron­stadt verpflichtete. Als Redakteur "der „Kronstädter Zeitung“ nahm er 1848/49 immer eindeutiger für die Revolution Stellung, durch Wort und Tat. Wel­ches Bild soll man sich von Moltke machen ? Ich möchte ihn mit dem Mühlbacher Josef Marlin vergleichen, dem frühverstorbenen Dichter und Journalisten, vor allem wenn ich an Marlins Sinn für alle Farben und Völ­kerschaften dieses Landstrichs denke, an seinen bedingungslosen Freiheits­drang. Doch Marlin war einige Jahre jünger als Moltke, und so wäre viel­leicht ein Vergleich mit einem der grössten Männer jener Zeit, Stephan Ludwig Roth, .ebenso angebracht. Der Médiaseher" (17.96 geboren), der in sein Testament die Worte von der Liebe und Völkerverständigung schrieb, ge­hörte, ja ebenso wie Moltke zu den Mitarbeitern Johann Götts. Und be­steht ausserdem nicht ein wesentlicher Zusammenhang zwischen dem titani­schen Gesamtwerk Stephan Ludwig Roths und Moltkes Siebenbürgen- Lied ? Man könnte aber auch weiter zurückgreifen, auf die alten sächsi­schen Volkslieder, mit ihrem poeti­schen Sinn für die Landschaft und ihrem Idealbild eines Lebens nach Recht und Gerechtigkeit, man könnte an einen Gheorghe Şincai denken, der mit der Chronik seines Volkes im Zwilchsack durch die Dörfer zog, man müsste Moltke auch'an die Seite Pe­­töfis stellen, des Dichters und Hel­den der Revolution. Und man muss vor allem an die achtundvierziger Jahre denken, jene hohe Zeit der Ge­schichte, mit ihren Idealen und Irr-'s Max Moltke Siebenbürgen, Land des Segens Siebenbürgen, Land des Segens, Land der Fülle und der Kraft, Mit dem Gürtel der Karpaten Um das grüne Kleid der Saaten, Land voll Gold und Rebensaft! Siebenbürgen, Meeresboden Einer längst verflossnen Flut! Nun ein Meer von Ährenwogen, Dessen Ufer waldumzogen An der Brust des Himmels ruht! Siebenbürgen, grüne Wiege Einer bunten Völkerschar ! Mit dem Klima aller Zonen, Mit dem Kranz von Nationen Um des Vaterlands Altar-Siebenbürgen, süsse Heimat, unser teures Vaterland! Sei gegrüsst in deiner Schöne, Und um alle deine Söhne Schlinge sich der Eintracht Band! tümern, ihren Fehlschlägen und Lei­stungen, aus der heraus dieses ro­mantische Lied der Friedfertigkeit und Verständigung, der tätigen Heimatlie­be und des Glaubens an die Zukunft entstand. Es hat mit unserem Thema weiter wenig zu tun, dass Moltke, der erst 1851 aus der österreichischen Gefan­genschaft befreit und nach Preussen ausgewiesen wurde, sich 1864 endgül­tig in Leipzig niederliess und weiter­hin — er starb 1894 — vor allem als Sprach- und Shakespeare-Forscher tä­tig war. Ein Zusammenhang . besteht höchstens in‘ diesem Sinn, dass gera­de ein Mann, dessen Leben quer durch Europa verlief, das Siebenbür­gen-Lied schrieb. Und ein Zusammen­hang lässt sich noch in dem Sinne aufdecken, dass Moltke, gleich dem Dichter dem Marseillaise, mit dem Sie­benbürgen-Lied das grösste und fast das einzig bleibende Gedicht seines Lebens schuf. Hinzuzufügen bliebe auch ein Wort über den Komponisten dieses Lieds : Er hiess Johann Lukas Hedwig, war ein Heldsdörfer Bauern­sohn. der später als Kronstädter Stadt­kantor wirkte und mit der träume­risch-weichen Siebenbürgen-Melodie, aufgebaut aus den ewigen Farben die­ses Landstrichs, ebenfalls die einzige bleibende Leistung seines Lebens voll­brachte. So zog also ein Lied durch die Zei­ten. mit der Botschaft der Verständi­gung und Eintracht, dem geistigen Land entgegen, das Sozialismus heisst. Wenn Maximilian Leopold Moltkes 150. Geburgtstag zu den offiziellen Ge­denktagen zählt, die Rumänien heuer feiert, so wird dadurch ein Dichter und Kämpfer geehrt. dessen beste Ideale weilerwirken auf unser aller Weg. — Hans Liebhardt Literatur mmammmmmamfmam&ata Auf geheimem Waldespfade Schleich ich gern im Abendschein An das öde Schilfgestade. Mädchen, und gedenke dein! verdüstert, i Suchen den erloschnen Schimmer Tief im aufgewühlten See. Deine Liebe lächelt nim­mer NIKOLAUS LENAU Auf geheimem Waldespfade Wenn sich dann der Busch Rauscht das Rohr geheimnisvoll, Und es klaget, und es flüstert, Dass ich weinen, iveinen soll. Und ich mein, ich höre wehen Leise deiner Stimme Klang Und im Weiher untergehen Deinen lieblichen Gesang. Trübe wirds, die Trübe wirds, die Wolken jagen, Und der Regen nieder­bricht, Und die lauten Winde klagen: „Teich, wo ist dein Ster­nenlicht ?“ Wolken jagen ... Nieder in mein tiefes Weh! Auf dem Teich, dem regungslosen ... Auf dem Teich, dem regungslosen, Weilt des Mondes holder Glanz, Flechtend seine bleichen Rosen In des Schilfes grünen Kranz. Hirsche wandeln dort am Hügel, Blicken in die Nacht empor; Manchmal regt sich das Geflügel Träumerisch im tiefen Rohr. (Aquarelle zu Lenaus „Schllfliedem“ : Paul Stransky Landkarten, Porträts, Handschriften Vorschau auf die umgestaltete Lenau-Gedenkstätte / Von Franz Iiiebhar d In den -letzten Wochen ist Lenaus Ge­burtshaus in der Gemeinde Lenauheim gründlich renoviert worden. In mancher Hinsicht kann man von einer Restaurie­rung dieses alten Baues sprechen. Schä­den wurden ausgebessert, die der Fort­gang der Zeit mit sich brachte, innen und aussen empfing das stockhohe an­sehnliche Gebäude eine neue gefällige Tünche, einige Ornamente über den Fen­stern sind durch ein strahlendes Weiss hervorgehoben. Da-s breit dastehende ge­räumige Haus, an dessen manchen Ein­zelheiten, wie Tür- und Fensterbeschläge, Klinken -von auffallender Altertümlich­keit, die Art und Weise, wie die inneren und äusseren Fensterstöcke durch halb in die Miauer eingelassene Eisenhaken sicherheitshalber miteinander verbunden sind, der lange Querbalken an der In­nenseite des mächtigen Tores und ‘nicht in letzter Reihe die Einfahrtspflasterung mit Hartholzwürieln lassen die fachliche Gediegenheit des Handwerks der Bauzeit erkennen. Die Gesohichte des 1776 erbauten Hau­ses ist ein Stück Ortsgeschichte. Sie er­zählt uns von der Erhebung der erst vor kurzem angelegten Gemeinde zum Sitz der Tschatader Kreisverwaltung, die sich über ein Gebiet erstreckte, das rund ein Viertel des damaligen ausserhalb der Militärgrenze gelegenen Banats umfasste. Doch diese besondere Rolle der Ortschaft war nicht von langer Dauer. Die Ge­meinde sank einige Jahre später erneut in die Reihe der Dörfer zurück, über die sie als Verwaltungszentrum und Sitz eines Gerichts mit weithin reichender Kompetenz vor kurzem noch hinausge­ragt war und führte erneut ausschliess­lich das Dasein einer ackerbautreibenden ländlichen Gemeinschaft. Wenn sie sich von den anderen Siedlungen der nähe­ren Umwelt in etwas unterschied, so war es die Anwesenheit eines Rentamtes der kameralischen Güterverwaltung, das die­ser Geimende, dank dem vorhandenen stattlichen Gebäude zufiel. So bestimmte der Bau, der auf der ganzen Heide nir­gend seinesgleichen hatte, in* einer nicht unbeträchtlichen Weise die Geschicke der Menschen und ihres Heimatdorfes. Der Renovierung von Lenaus Geburts­haus und des Gemeindehauses, in das man durch einen Säulenvorbau gelangt und das den Hintergrund zum Denkmal bildet, folgte die Neugestaltung der Le­nau-Gedenkstätte. Diese umfasst heute “sieben ineinander gehende Gemächer mit den-“ Fenstern zűr Strassehfront, feine gan­ze Flucht von Zimmern, in denen in chronologischer Reihe eine Schau von Stücken und Landkarten, Porträts und Handschriftskopien, alten Abbildungen und Schriftstücken untergebracht ist.,Die Unterschiede dem einstigen Lenau-Mu­seum gegenüber lassen sich im folgenden zusammenfassen : erstens eine wesentli­che räumliche Erweiterung, zweitens eine starke Vermehrung der ausgestellten Ob­jekte und drittens eine konsequent durch­geführte Systematik in der Anordnung, die die Übersicht erleichtert und den Besucher mit dem Gefühl entlässt, etwas gesehen zu haben, das er lange nicht vergessen wird. Die Neugestaltung der Gedenkstätte war einer im Rahmen des Kreiskomitees für Kultur und Kunst errichteten Fachkommission anvertraut, während die viel Aufmerksamkeit und eine permanente Dokumentation erfor­dernde museale Durchführung in den Händen der Mitarbeiterin des Banater Museums, Frau Annemarie Podlipny- Hehn, lag. die ihre Eignung für diese Ar­beit durch die seinerzeitige Jäger-Aus­stellung im Museum und in jüngster Zeit durch die Einrichtung .der Hatzfelder Ge­denkstätte bewiesen hat-. Schon der Vorraum mit einem Ölpor­trät Lenaus und seiner Büste, einem Werk des bekannten Temesvarer Bild­hauers Andreas Orgonas, ist angetan die natürliche Neugierde zu steigern, die ge­wiss jeder Besucher dieser Gedenkstätte mitbringen wird. Seine Erwartungen werden von Zimmer zu Zimmer in wach­sendem Masse ihre Erfüllung fördern. Aufgabe dieser Zeilen ist es, keineswegs, umfassend über die Schau zu sprechen, nicht desto weniger soll nicht unterlas­sen werden, manches hervorzuheben und dadurch eine erste Bekanntschaft mit der umgewandelten Gedenkstätte zu ver­mitteln. Anhand der stark vergrösserten Foto­kopien alter Karten verfolgen wir die Entstehung der Ortschaft Tschatad vom unbewohnten Weideland über die Cam­­binteurstation zur Ortschaft, werden wir eingeweiht in die Hildebrandsche Bau­technik der Kolonisierung, lernen wir ei­nen Ansiedlungsschein kennen und ge­winnen schliesslich auf einer Grosskopie der sogenannten Griselini-Karte einen ge­nauen Überblick über die einzelnen Sta­tionen des Banater Aufenthaltes von Franz von Niembsch und seiner Frau Therese, geb. Maigraber. Hier sind auch alte Abbildungen ihrer Tochter zu sehen, die die Niembsch auf ihren Fahrten so oft posiert haben. Zum festlichen Anlass der Temesvarer Tagung der Internationa­len Gesellschaft werden auch die Matri­­kelbüoher von Neupetsch, Lippa und Le­nauheim ausgestellt, in die die Geburt der beiden Töchter und des Sohnes Niko­laus, sowie das Ableben des in Neupetsch geborenen ältesten Kindes eingetragen ist; zu sehen sein wird auch der Grabstein, der 1934 im Lenauheimer Friedhof fast völlig von Erde bedeckt gefunden wurde. Aus der Lenau-Galerie sind an erster Stelle zu erwähnen : die Wiedergabe eines Kindheitsbildes, die Kopte der ersten Fotoaufnahme, und die Bildnisse aus der Zeit als Pflegling der Döblinger Irren­anstalt. Als ein örtlicher Beitrag zur Ge­denkstätte ist die von dem Handwerker Matthias Gebl eigenhändig gemeisselte Steintafel, die das Zitat „Welt befreien kann die Liebe nur“ aus den Albigen­sern in gothischer Schrift trägt und meh­rere Jahrzehnte in die. Aussenwand des Gebäudes eingelassen war. Diesem Le­nau-Enthusiasten sohickte Adam Müller- Guttenbrunn seinerzeit seine Fotografie und adressierte die mit seinem Namens­zug versehene Widmung „meinem gröss­ten schwäbischen Landsmann“. Die Su­che nach einer Fotografie dieses vortreff­lichen Volksmannes bei den Nachkom­men erwies sich leider als vergeblich. Einen wichtigen Bestandteil der Lenau- Schau bilden > die ins Rumänische über­setzten Lenau-Texte und Lenau-Ausga­ben in beiden Sprachen, die seit 1944 von unseren Verlagen in die Hände einer breiten Leserschaft gelangten und bewei­sen, wie lebendig die Beziehungen sind, die unser Land mit Lenau und dessen' Verehrung verknüpfen. Lenaus Eltern Peter Härtling, in Westdeutschland vor allem als Lyriker und Essayist be­kannt, erhielt für seinen Lenau-Ro­man „Niembsch oder Der Stillstand“ den Westberliner Kritiker-Preis für Literatur. Die Romansuite ist keine Aufbereitung einer Lenau-Biographie, sondern eine Paraphrase auf den letz­ten Lebensabschnitt des Dichters. Härtlings Lenau kehrt nach einem ent­täuschenden Aufenthalt in Amerika nach Europa zurück. Nachstehend ver­öffentlichen wir einen Auszug aus „Niembsch oder Der Stillstand“, Roh­­wolt-Verlag Am 22. Juli 1833 kehrte Nikolaus von Niembsch, von seiner Mutter wie von seinen Freunden Nikosch gerufen, auf dem, Schiff Atalanta aus Amerika zurück. Die Überfahrt war ereignislos gewesen, ein Band von grauem Nichts, eine Erin­nerungsblende. Ihm angeschlossen hatte sich, die langen Tage auf dem Meer keineswegs verkürzend, der junge Anselm Schlorer, ferner bemühte sieb eine Eng­länderin um ihn, die ihren Bekannten gegenüber behauptete, Niembsch sei eine europäische Zelebrität, ein Poet magyari­scher Herkunft (ein Hunne, erläuterte sie), doch sie hatte keines seiner Gedichte gelesen, obwohl einige in englischer Über­setzung erschienen waren ; die anämische Aus dem Lenau-Roman wie exaltierte Dame fand ihn herunter­gekommen, allerdings nicht ohne Charme, und dass er ihr „seelisch mitgenommen“ vorkam, zog sie an. Niembsch hatte sie mehrfach abgewiesen, ihr Lächeln (er sass während der Mahlzeiten am Neben­tisch) nicht erwidert; er reagierte ohnehin kaum auf Anreden, selten zeigte er ver­hangenes Interesse, beispielsweise als der Kapitän, um vor den Leuten aufzutrump­fen, schilderte, wie er, es sei vor den Falkland-Inseln gewesen, vor einigen Jahren, bei einer Kollision im Nebel, fast ertrunken sei, den Tod im kalten Wasser schon „gefühlt“ habe; Niembsch erkundigte sich eindringlich nach je­nem „Gefühl“, der Kapitän _ ver­mochte nicht zu präzisieren, „ein Ge­fühl eben 1“ und wurde ärgerlich, wonach Niembsch schwieg und sein deutlich ver­quollenes Gesicht ' in stumpfer Abwesen­heit sich verschloss. Manchmal schwärm­te Niembsch von seinem amerikanischen Aufenthalt, zeichnete die ungeheuren Geier, die seine Schläfen mit ihren Schwingen geschlagen hätten, und dann diese Kaskade, die kein Ende nähme, man verliere sich im Wasserstaub, ge­nannt Niagara Falls, er sei kaum fähig, Atem zu holen : Sehen Sie mich doch an! noch immer seufze ich, diese Last in der Luft, Wasser, zerstäubt von eige­ner Gewalt. Er schien in der Tat betäubt, als er dies sagte: die Schwestern, Maria und Margarethe Win­terhalter, erfassten die mitgeteilte Ge­walt nicht, ergötzten sich aber an seinen ausladenden aufgeregten Gesten. Karó­imé, zu ihr würde er reisen müssen und alle diese Geschichten des Staunens und der Wirrnis, die ihm auf den Lippen lagen, würde er bei ihr abladen können, ach, wollte sie ihm denn zuhören ? Sein Kinn prallte an den Tisch. Er bat die Schwestern, sie mögen ihn allein lassen, jetzt nicht, sagten sie, es gehe ihm gar zu übel, er solle sich auf die Chaiselongue legen, ausruhen, sich nicht den Kopf zerbrechen über Dinge, die vergangen seien, vergangen, sagte er, vergangen, es näherten sich ihm Scharen von Figuren, die er mit Rufen aufzuhalten wünschte, sie Lessen sich nicht rühren, drängten ihn zusammen zu einem kleinen erin­nernden Klümpchen, da behelligte ihn Peter Härtlings eine Vergangenheit, die sich von ihren Wurzeln gelöst hatte, in Formeln, in Signaturen aufgegangen war. Ich hatte erwartet, schrieb Maria Win­terhalter in ihr Diarium, Nikosch Niembsch verändert wiederzutreffen, doch dass er sich derart verliere, alle Ver­bindungen abschheide, dies nein ; ich war heute mit ihm im Garten spazieren, Gustav begleitete uns eine Zeitlang, gab es dann verstört auf, da Niembsch ihn mutwillig übersah. Als Gustav uns ver­lassen hatte, stellte mir Niembsch seine Aufgaben vor, die ihn nach allem Scheitern, das anscheinend ihm verbun­den sei, erwarteten. Ganz nahe habe er sich an den Kern seines Daseins heran­gepirscht, er sehe eine helle, schwingende Kugel vor sich, von der er glaube, nein, im Grunde sei er sicher — da brach et ab, presste die Lippen zusammen, obwohl ich ihn drängte, weiterzureden. Winterhalters hatten sich vorgenom­men, ihm eine freundliche, ruhige An­kunft zu bereiten, die beiden Frauen be­­grüssten ihn anmutig, nicht feierlich, Gustav, der Bruder, war durch Arbeit verhindert; Niembsch benahm sich ei­nem Nachtwandler gleich, stieg mit suchend vorgehaltenen Händen die ihm vertrauten Treppen hoch, die Frauen führten ihn in den Salon, durch die hohe, reizvoll geschnitzte Tür hinein ; die schilfgrüne Tapete, in die silberne Blät­ter hauchdünn eingewirkt waren, und die das Licht fassbar, körperlich machte; und es hatte sich auch nichts verändert, noch immer war die gegenüberliegende Tür, die zum Speisezimmer führte, von den zwei zierlichen damastüberzogenen Stühlen flankiert, die beiden schwester­lichen Sekretäre mit den vielen Seiten­­fächerchen standen an ihrem Platz an den Längswänden, die Chaiselongue und der ovale Tisch davor, in dessen Platte, in hellerem Holz, eine ganze Jagd einge­legt war, der erstarrte hechelnde Eifer von Hunden und Treibern, die Standuhr aus demselben Holz, das nachgedunkelt zu haben schien, vielleicht, weil sich das Gehäuse, im Eifer, die Zeit einzuhalten, überanstrengt hatte. Er blieb, mit hän­genden Armen, stehen, alles bewegte sich von ihm fort, in einer merkwürdig per­spektivischen Ordnung, so als würde das Mobiliar von einem fernliegenden Punkt an Schnüren gezogen, die dort in einer Hand zusammenliefen. Die Frauen merk­ten ihm die Schwäche an, sie riefen So­phie, die Magd, sie möge Herrn von Niembsch Wasser aufwärmen für ein Bad, er winkte ab: Nein, er wünsche nur auf sein Zimmer zu gehen, er dürfe doch seines wieder bewohnen, das schmale Kabinett mit dem Guckioch, durch das er auf den Garten hinunter­blicken könne, auf den Fischteich und auf die überwucherte Laube, in der nachts, wie die Nachbarkinder steif und fest behaupteten, ein Hutzelweib phan­tastische Süpplein koche, nach deren Genuss — und das Zeug schmecke nicht übel — man von Mitternacht bis halbfünfe fliegen könne, wohin man wolle. Ich hab’s noch nicht probiert, sagte er, und die beiden' Schwestern fragten aus einem Mund : Was denn, Nikosch ? Fliegen, sagte er. Sie hatten Grund, sich zu ängstigen, zwar hatte er ähnliche Anwandlungen schon vor seiner Amerikafahrt, wenn auch, wie sich die Damen, erinnerten, unter grösserer geisti­ger Kontrolle; seinerzeit hatten sie während solcher Szenen immer einen Anflug von Ironie verspürt; diesmal war es Melancholie, undurchsichtig, nicht um Vertrauen werbend. Sophie führte ihn hinauf in seine Stube, wo er so­gleich zum Fenster eilte und hinaus­schaute. Er ist von einer Angelegenheit auf­gewühlt, schrieb Margarethe Winterhal­ter an ihre Freundin, an der seine uns unbekannten Erlebnisse in Amerika gar keine Schuld haben müssen. Waren die Wurzeln nicht schon vorher gelegt ? allein, dass er verstört ist mehr als je, und nicht durch poetische Sensationen oder dergleichen... Es reicht tief. Wir dringen kaum zu ihm. Dabei benimmt er sich überaus chevaleresque, und noch immer bezwingt seine Gestalt, seine Haltung, womöglich stärker als ehedem. Der Zauber, der von ihm ausstrahlt, ge­fährdet und hat — wie soll ich es nur ausdrücken ? — keinen Kern. Er ist wesenlos, als komme er von einem Ding oder als leuchte er aus einer einzigen Idee hervor, nicht aus einer Seele. Wir wissen uns nicht zu helfen, warten auf Gottholt Kürners Hilfe, der, wie Dir be­kannt ist, da. wo der Wahn und sol­cherart Unheimlichkeit anfängt, kundig ist. Was war von ihm übriggeblieben ? Er hatte das Schiff verlassen, dem Träger sein Gepäck übergeben, der hölzerne Steg hatte seinen Schritt zögernd* erwi­dert, ein den Atem des Meeres wieder­holendes Auf und Ab, er hatte die Luft eingesogen, die weniger körnig war als auf der offenen See, strenger und schär­fer im Geruch, angereichert von den Dünsten des angeschwemmten, am Kai sich fortwährend erneuernden und auf­gebenden Tods, er hatte gesehen, wie eine Kinderschar mit bunten grossen Tüchern winkte, ehe das Schiff, unmutig noch und in seiner Fahrt verfangen, am Ufer vertäut wurde, nicht ihn hatten die Tücher begrüsst, und er hatte rasch, mit einem Blick, die Gestalten an Land überflogen, dann hatte er die Luftzeich^ nuugen der Möwen verfolgt, so gab er sich dem Schaukeln des Steges hin, bis ein nach ihm kommender Passagier ihn zur Seite stiess ; niemand wartete auf ihn, er fasste das Seil/fest, nein, er hatte es nicht nötig, die lebendigen Buchsta­ben der Ankunft am Kai zu lesen ; er nahm sich vor, nichts zu erzählen, was ihm wohl nicht schwerfallen würde : er entschloss sich, zu warten, bis alle Pas­sagiere vorübergegangen waren, aüfge­­schluckt von dem Pulk der Wartenden. Fr spürte sich nicht mehr, er lebte von sich getrennt, über sich schreiben könnte' er wie über einen, anderen, die1 Stunden, die Tage und die Jahre seines Lebens drängten sich zusammen zu einem Kri­stall, einem unbeweglichen Stein, dessen Facetten nur einenr aufmerksamen Auge erkennbar waren. Niemand hatte be­wirkt, dass er sich verlasse, um sich anzusehen. Hatte er Furcht gehabt vor seinen Entschlüssen, die stets spontan und unübersichtlich gewesen waren? War dies die Ursache der Verdoppelung? Er schaute zu, wie jetzt die Harid an dem Seil sich lockerte, wie sie steif über den geraffelten Stoff strich, er sah Niembsch zu, wie er, torkelnd dem Geschaukel der Bracke nachgebend, hinunterging und, ohne den Kopf zu heben, den Rücken gekrümmt, einen Herrn ansprach — er hatte sich , von Niembsch getrennt, von seiner Herkunft, von der Zeit, die an :hm hängengefclieben war, und er ging ihm nach. Der Herr hatte Auskunft ge­geben, wo sich die Posthalterstelle be­finde. Die Häuser am Hafen strengten sich an, einander in Ähnlichkeit zu über­trumpfen, grau, verschmierte Fenster­scheiben, fleckige Vorhänge, die sich vorm Wind bauschten, er liess sich .eine Droschke rufen, verkroch sich in den Polstern, und er dankte seiner Müdig­keit, die barmherzig war und keine Antworten wünschte. Wie leicht wäre es für ihn, alles zu löschen, es fehlte nur ein Schritt über die Linie, die ihn von dem, was ihn noch umgab, ihm noc> anhing, für alle Male trennen würde. Die Ankunft Nikolaus Lenau Seite 3

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