Neues Pester Journal, April 1877 (Jahrgang 6, nr. 91-119)
1877-04-20 / nr. 109
. | ABTENNTE Zahegang Ne. 109. ki Hi : pibonnentent: Ganzj. FI. 14, Halbj. fl. 7, viertelj. fl. 3.50, monatlid) fl. 1.20. täglich, Das „Neue Belter Journal" erscheint auch an Montagen. Freitag, den 20. UP Redaktion und Administration: Reopoldft. Kirchenplat Nr. 2. | Einzelne Nummern 41 Inferate nach aufliegendem Tarif; , Theater: und Beramannasbiett.,, Die nee Hage der Dinge. Mit der Nahhtpost erhalten wir von unserem Mitener Korrespondenten folgende Darstellung über die politische Lage, wie sie den jüngsten Vorgängen und der Auffassung des heutigen Tages entspricht: Wien, 19. April. "” Die Belfer Europa’s werden sich noch einige Tage in Geduld fassen müssen. Graf Alexander und der Großfürst-Thronfolger treten exit heite Die Neffe nach Kitchinew an, sie werden am Montag dort eintreffen. Der Aufenthalt in Kitchinew dürfte wohl auch einige Tage dauern und da es noch keines wegs ausgemacht ist, dab das striegd manifest von Sifdinew aus in die Welt geschidt, die Wahrsceinlichkeit vielmehr dafür spricht, daß erst die Nachkehr des Kaisers nach Petersburg abgewartet werden wird, so Dürften bis zur Märung der Situation immerhin noch mehrere Tage, vielleicht sogar ein bis zwei Wochen vergehen. Die Zwischenzeit wird von den Diplomaten mit ohnmächtigenersuchen zur Vermittlung ausgefüllt. Die Diplomatie hat eben ihre Pflicht, wennn sie auch selbst an den Erfolg ihrer Schritte seine großem Hoffnungen fmmpft. Die neuesten Bestrebungen zielen dahin, Neupland und die Pforte einander näher zu bringen, sie vielleicht in direkte Verbindung miteinander zu feßen. Im Schoße der Pforte sollen in den festen Tagen friedlichere Strömungen hervorgetreten sein, welche die Anbahnung eines Versuches der eben erwähnten Art nicht ganz abf und erscheinen Taffen. Gewiegte türkische Vollzifer und solche, welche im Krieg den einzig möglichen Ausweg erblicken, geben zu, daß immerhin noch ein Ginlenfen der Pforte denkbar it, wenn auch eine soldge Wendung feineswegs ihren Winschen entspricht. Sie sagen, daß die Z Türkei gegenwärtig so großartige Anstrengungen zur Masfenbereitschaft gemacht hat, daß sie dieselben unmöglich ein zweites Mal wiederholen könnte. Der Krieg mit Ruhland sei nun einmal unvermeidlich und die Türkei werde ihn niemals unter günstigeren Boranziegungen, aufnehmen können, als eben jeht. Sleichwohl, meinen sie, könnte er möglich sein, daß der Sultan den von allen Seiten auf ihn dringenden Mahnungen denn doch Gehör Schenkt und einen Schritt zur Versöhnlichkeit thut. , Bon Rußland weiß man, da dasselbe Durch die in den rechten Tagen hervorgetretene Haltung Englands finbig geworden. Auf ein so schroffes Auftreten des Kabinets Derby war man in Petersburg nicht gefaßt. Der Widerstand Englands tritt schon in dr Muffassung der Stellung Rumäniens, wie sie vom Staatssekretär Bourke im Parlament dargelegt worden, febr. markant. hervor. Angesichts dieser Haltung Englands, so meint man, werde auch die Kriegsbegeisterung Nußlands einigermaßen abgestumpft werden und man denkt, daß der Ezar sich jebt vielleicht mit geringen Zugeständnissen begnügen würde. Die „Times“ muß wohl Kenntniß haben von den eben erwähnten Bestrebungen, Nubland und die Pforte einander näher zu Bringen ; sie meldet ausdrücklich, dab. Ezar und Sultan eine Zusammenkunft an der Grenze ihrer Territorien haben würden. Das klingt wohl wunderlich und es ist nicht anzunehmen, daß solch? ein, aan Darf jagen, waghalsiger Gedanke die Diplomatie länger als einen Augenblick beschäftigt habe. Aber auf dem Tapet war die Idee immerhin und sie, scheint wo nicht ‚ganz fallen gelassen zu sein ; sie tritt nur in einer geeigneteren, praktisch realisierbareren Form auf und läßt sich in kurzen Worten dahin definiren, daß Annäherungsversuche zwischen Nubland und der Pforte noch immer auf der diplomatischen Tagesordnung stehen. " Al dies sei hier erwähnt, weil es Die Vorgänge, die Meinungen und Stimmungen je Tages charakterisirt. Der Leer wird dadurch im fein allzu sanguinisches Temperament gerathen. Er wird sich selbst jagen, Daß dergleichen Vermitlagsversuche vor jeder ausbrechenden Fliegerischen r— Sotastrophe auf der Tagesordnung waren, und daß sie, wie so oft vorher, sich and diesmal Höchst wahrscheinlich als fruchtlos erweisen werdet. Ohnedies wird er sich vorhalten, daß die erwähnten Mittheilungen und Meinnngen nur die eine Seite der Medaille repräsentiren, die noch eine zweite düsterere Seite hat. Auf derselben sind die Berichte zu lesen von dem bereits in Szene gefechten Vormarsch der rufsischen Armeen, von dem bereits festgestellten Kriegs-Manifeste, Dad nur noch der linterschrift des Grafen harrt, von der Kriegsluft der rufsischen Armee und von den Kriegsgeschrei der Heinen Nangen in Montenegro und in der Herzegowina. An diesen Thatjacjen gegenüber ist er gerathen, seinen Glauben mit einem eisernen Panzer zu umgürten und einen Sinn allen illusorischen Friedens- Hoffnungen zu verschließen. Selbst das, was in den Tekten Stunden von einer Parallel-Dissupation gesprochen wird, darf nicht beirren. Die Mächte, d. h. England, Desterreich-Ungarn und Italien, die dabei zunächst in Frage kommen, denken nir daran, gemeinsam mit Rußland einzuschreiten. Man sagt, daß damit der russischen Aktion die Seite abgebrochen wäre. Stamohl! Allein die Mächte würden sich nur zum Mitsehuldigen Nußlands machen und würden damit mehr zur Vernichtung der Türkei, zur Zerstörung ihres Ansehens beitragen, als selbst von Ruhland geplant wird. Weberdieb hat Oesterreich-Ungarn schon einmal die Einladung zur Kooperation in aller Form abgelehnt. England war von jeher ein Feind von Gewaltmaßregeln und hat nicht einmal zu einer Flotten-Demonstration seine Zustimmung ertheilt, und was endlich Italien betrifft, so spielt dies Königreich in der That nur zweite Violine und seine ganze Haltung beweist, daß es gegenwärtig mehr mit England, als mit Nußland Eefertigt. Man fan die Parallel-Offupation nicht einal einen Überwundenen Standpunkt nennen, denn niemals haben sich auf diesem Boden auch nur zwei Mächte zusammengefunden. Bon der Parallel: O Offupation it denn ac ernstlich nicht die Nede ; von diplomatischen Vermittlungs-Bersuchen ist wohl noch die Nede, aber nur auf den Krieg sind alle Gedanken gerichtet. In Europa und Asien. Sie in 2 Seiten Beilage, enthalten» Die Nomen-Zeitung, sowie Das befreundeten Boden Rumäniens bemühen werden, bevor sie der Hauptmacht der Türken, welche zwischen Middin und Nuftschuf konzentrirt ist, an den Leib gehen. Während also das Gros der rufe fischen Armee den Donauübergang ‚wahrscheinliich erst oberhalb Nuftfchhuf zu forchen suchen wird, dürfte der einte Flügel der bessarabischen Armee, wenn er auf geschlagenen Brüchen den Bruth patz firt Hat, den Uebergang über die Donau bei Gala oder Braila vollführen. Denn dieser Tinte Flügel der russischen Armee besteht zumeist aus Stavallerie, in welcher Truppengattung die Rufen den Türken weitaus überlegen sind. Diese Kavallerie kann aber zunächst Zaun eine andere Verwendung finden, als auf den Steppen und Dünen der Dobrudsca, an deren Eingang, nämlich zwischen den Festungen Matscin und Sarattsch, die Türken gebt aber eine kleine Armee von 12.000 Mann Konzentriren. Der rechte Flügel der bessarabischen Armee bei Chotim bildet gewissermaßen das nördliche N Meservoir der General-Armee, wie Odefsja ihr südlicher ist. Von beiden Orten sind die Nachrchabe zu erwarten. Das Endziel des russischen Operationsplanes, wenn man Konstantinopel ausgeschloffen hält, entzieht sich noch dem Blicke. Das Gerücht, daß die Neffen in Europa mit Demonstrationen gegen die Tirfen vorgehen wollen, während in Asien der Haupts frieg stattfinden würde, erscheint durchaus unglaubwürdig ; denn einerseits würde Rußland nur ein solches Manöver fiedes Haupteffektes bei den slavischen Stämmen der Türkei begeben, und andererseits können die Russen in Mien keine solchen Erfolge erwarten, um die Türkei zur Nacjagiebigkeit zu zwingen. Dagegen sceint uns auch das andere Gerücht sehr fraglich, welches einen Varstoß, der Türken über die Donau zunächst bei Widdin, nach dem rumänischen Skalafat in Rusfit stellt. Wir können nicht glauben, daß die Trürfen einen Kampf die Donau im Rücken suchen werden, und wir glauben auch nicht, daß ein solcher Kampf für sie einen glücfichen Ausgang nehmen könnte. Das andere Kriegstheater, auf welchem Masaland seine Humanität und sein Christenthum den Türken praktisch zur Anschauung zu bringen sucht, liegt in Kleinasien. Wenn man die Türkei mit einen Baum vergleicht, so steht in Europa feine Krone, während in Asien seine Wurzeln liegen. (63 ist na= türk), daß in Asien die ersten Schüffe fallen werden, denn dort grenzt Rußland direkt an die Türkei, während es in Europa nur durch den Morast des Donau: Delta 3, wo weder Schiffe, noch Landarmee sümpfen können , mit Der Türkei benachbart ist und sonst Rumänien es von demselben trennt. Gestaltige Heere haben beide Mächte in Mileinasien konzentrirt. Die russische Kaukasus - Armee, die in Asien die Offensive ergreifen wird, besteht sanmt den ihr zugeteilten Milizen aus circa 200.000 Mann. Die turfische Armee, zunächst gesättigt auf die Festungen Batını, Molahan und Kara, dürfte nur 120.000 Mann stark sein. Allein die Verhältnisse sind den Türken in Reinasien sehr günsig. Die Russen müssen bedeutende Streitkräfte zum Schuße ihrer Küsten am Schwarzen Meere und zur Üeberwachung der mohamedanischen Gebirgsbevölkerung detachiren. Die Festung Kars, neuerdings mit Außenforts und mit Krupp’schen Ge Tüßen versehen, hat bereits im Jahre 1855, als sie von Murawieff angegriffen wire, erfolgreicher Widerstand geleistet. Sollte aber selbst Harz — was nur nach regelmäßiger Belagerung geschehen könnte — fallen, so haben die Türken eine zweite Verteidigungslinie an der starren Festung Erzerum. Außerdem befinden sich die Türken in Kleinasien inmitten einer Bevölkerung, welche Zodeshap gegen die seit Dezennien allerdings Tiete vordringenden tufsischen Groberer empfindet. Auf diesem heimischen Boden kann man den fanatischsten Widerstand der Türken erwarten. Sollten aber selbst , die Nuffen — mag ‚gegen alle Wahrschein lichkeit — in den Besiß ihres strategischen Zieles, in den Bejib Erzerums gelangen, so befinden sie sich erst wieder in einer Sadgasse, da’ Erzerum’3 Bedeutung — von einem Militär. — Auf zwei Kriegsschauplänen, die im Großen und Ganzen durch das Boden des schwarzen Meeres getreimt sind, sucht Rußland der Türkei an’3 Leben zu gehen. In Bessarabien steht das Gros der russischen Armeen, und zwar in einer Aufstellung, die von Ghotim am der galizischen Grenze über den Generalpunkt Kischinew 518 hinab an die Dniester- Festung Adermann reicht. Nach einer Meldung des „Journal des Debats" soll der Anmarsch der bessarabischen Armee am 24. b. erfolgen. Dieser Anmarsch wird wahrscheinlich auf folgende Art stattfinden : Das Centrum der Russen wird die recht erweiterte Gifenbahn benügen, welche von Kitchinemw über den Pruth nach Nya, Galas, Bukarest und Ginrgewo führt. Die Zweigbahn, die weiter von Bukurest nach Krajova, Werzeromwa und überhaupt gegen Serbien geht, dürfte vorläufig weniger in Betracht kommen. Die Besorgnisse von Oesterreich- Ungarn werden die Russen abhalten, den Krieg nach Serbien zu tragen, des, wie früher einmal bereits bemerkt, gewissermaßen der Giebel der nach Oesterreicher Ungarn gerichteten türkischen Grenze ist, von welem aus man in das Herz unserer Monarchie eindringen könnte. Andererseits nimmt man auch nicht an, daß der suzeräne Staat Serbien nach kaum abgeschlossenem Frieden sich offiziell an dem Kriege betheiligen werde, wen es auch unzweifelhaft scheint, daß derselbe Zein Hinderniß der Ausrüstung von Freiwilligen oder Insurrestionsbanden in den Weg legen würde. Indessen liegt’es in der Natur der Sache, daß die Kuren so weit wie möglich den i 7