Neues Pester Journal, Februar 1878 (Jahrgang 7, nr. 32-59)

1878-02-14 / nr. 45

—­ ef, N j den Abgang des bisherigen­­ Krieges eingebracht haben. Dann wird das bulgarische Kontingent ver­schiedene Positionen belegt halten können, dann wird die Türkei in das tiefste Batallenverhältniss zu Nußland gerathen sein. Dann wird die Vertreibung der Rufen aus Bulgarien ein schwieriges, wenn nicht unmöglies Unternehmen sein. Freilich würde die Armee Oesterreich-Ungarns allein auch fest nicht leicht wie Ruffen aus Bulga­­­ien vertreiben können, und zwar aus dem ein­­fachen Grunde, weil unsere Armee den Rufen doch nicht bis Konstantinopel folgen könnte. Wir müßten am Balkan oder font wo in der Mitte des Weges Halt machen und die weiter vorgeschobene russische Armee könnte indeß ihre Verpflegung ganz gut auf Dent Seerwege von Obella erhalten. Ganz anders würde sich die Sache augenblicklich gestalten, wenn Desterreic-iingern im Verein mit England den Krieg führen würde, dann wäre die rufsische Zus­fuhr zur See abgeschnitten. Damt wäre die ruffische Armee in der Front und im Süden zugleich ange­­griffen, dann wäre sie offenfundig verloren. Über die Naffen würden die Gefahr nicht so nahe Formen lassen. Sie fordern zwar heute alles Mögliche und werden, so lange sein ernstliches Ent­­gegentreten vorhanden u­, au darauf bestehen. Aber sobald sie den Ernst sehen, werden sie bei ihrer finanziellen und militärischen Schwäche es nicht auf einen Krieg ankommen lassen. Früher sagte England: „Dieser Zweig der türkischen Macht be­­rührt nur mein Interesfe’ und Desterreich Ungarn sagte: „Jener Zweig berührt nur mein Interesfe." Nun haben beide Staaten gesehen, Dab mit dem Falle des Stammes beide Zweige am Boden lie­gen. Diese Wahrnehmung, die seit Gemeingut ger worden, läßt es kaum möglich erscheinen, daß jeder der beiden Staaten in der Orientfrage seinen sepa­­raten Weg gehe. Freilich, mit gemeinsamen Noten werden sie nicht viel ausrichten. Sie müssen das Schwert ziehen und ihre Truppen marschren las­­set — und dann wird ohne Krieg Alles in Ord­­nung Tonmen. Sest it wo Der Moment zu Dieter That vorhanden, der, verabsäumt, sich schwerlich je wieder einstellen wird. Rußland müßte von Wahn: Finn befallen sein, wenn es Diesen Krieg annähme, aud Oesterreich-Ungarn und England müßten von fcredlichen Vorurtheilen befangen sein, wenn sie diesen Krieg nicht anbieten wü­rden. Nehmen wir diesen Moment (so weit es in unserer Macht liegt) zum Abschluß der Allianz mit England nit wahr, so wird uns Diese Allianz auch nicht lange offen bleiben. England tun leicht seine Vertheidigungs- Linien hinausschieben und sich mit der unabänder­­lichen Tshatsache zurechtfinden — während unsere Monarchie in ihrer Unbe­weglichkeit als Landmacht allen Nachtheilen der russischen Erbumwälzung un­­zeitbar anheingefallen wäre. der Yindelin Angaı.ı Budapest, 13. Februar. „Die Armlicgste Wahrheit it mehr wert), als ‚die königlichste Lüge.” Dieses goldene Wort des eng­­lischen Historizers Carlyle prangt als Motto auf dem soeben erschienenen neuesten Werke Des Durch seine Schriften über die ungarische Verwaltung wohlbes­pannten Bizegespans des Kohler Komitates, Bela Grünwald, welches den Titel „A felvidék" führt und die panslavistische Propaganda in Oberun­­garn zum Gegenstande hat. Damit haben wir zugleich ausgesprochen, wie zeitgemäß Dieses Buch it. Und wenn wir erst näher auf seinen Inhalt eingehen‘ und staunend die vom Autor mitgetheilten Thatfarben ver­­nehmten, so werden wir zugeben müssen, daß die im dieser politischen Studie Fehnnberte Frage eine geradezu brennende Tagesfrage genannt werden kann. Fürwahr, es liegt ein tiefer Sinn in dem Eingangs c­tirten Motto! Nur daß uns Herr Grünwald seine ärmliche, sondern eine tieftraurige Wahrheit lehrt. Von einer literarischen Kritik Des Buches kann an dieser Stelle nicht die Nede sein, wo wir auss­cchließlich den politischen, stofflichen Gehalt des Wer­­tes zu prüfen haben. Die Form it in diesem Falle ohnehin Die Nebenjahe und es it nur ein besonderer Vorzug des Berfassers, daß er­ auch­ dieser eine nicht genug anzuerkennende Sorgfalt zugemendet hat. Und der Inhalt des Buches? Der ist nicht mehr und nicht weniger, als die Anklage gegen die leiten­­den Staatsmänner Ungarns, daß die Der flavischen Propaganda in Ungarn nicht rechtzeitig Halt geboten, daß sie dieselbe sogar oft — freilich unmissentlich — unterstüßt haben! Der Berfasser, welcher die Verhält­­nisse Oberungarns genau fennt, schäßt die Zahl der daselbst jeghaften Slovaten auf 1.800.000, welche einen Slächenraum von 750 Quadratmeilen bewohnen, somit ein Territorium, welches dreimal größer als das Kö­­nigreich Sachsen und zweimal größer als das König­­rei Württemberg ist. Diese Bürger des Staates haben Steta, selbst zur Zeit der Revolution, sehr warm für Ungarn empfunden, seine Sache vertheidigt, sich selbst als Ungarn gefühlt und jeden Berund auswär­­tigen Not­atoren, sie der Anhänglichkeit gegen den Staat zu entäußern, mit aller Kraft abgewehrt. Und diese große Zahl guter Bürger wurde, wie Herr Grün­wald in seinem Budhe nur zu überzeugend ausführt, der panflavistischen Propaganda [du$- und willenlos preisgegeben. An Veit hatte man nie Zeit für Diese „Kleinigkeit“, denn man war stets mit großen, welt­­bewegenden Fragen beschäftigt und einsichtige Beamte mochten die Regierung noch so oft und noch so ein­­dringlich auf die drohende Gefahr aufmerksam machen, sie that wenig oder nichts, um dem Weber zu steuern. Das ist die Summe jener Anklagen, welche wir der Darstellung des Grünwald’schen Buches entnehmen. Der Berfairer bleibt jedoch bei solchen Allgemeinheiten keineswegs stehen, sondern bietet im Detail so viel Material zur Begründung dieser Anklage, daß an Des­sen Stichhaltigkeit länger nicht gezweifelt werden kann. Die flavische Propaganda in Oberungarn datirt nicht von heute; sie wird seit einem Jahrzehnt syste­­matisch und leider auch mit gutem Erfolg betrieben. Der Rubel auf der Neife in Ungarn ist nach Der Behauptung Grünmwald’s Feine Ausgeburt der auf­­geregten Phantasie ; er beruft sich auf die Manipula­­tionsbücher des Postamtes in Turdcz: Szt.­Már­­ton, aus welchen sich Jedermamm, überzeugen Tann, daß der Nubel sehr oft in Dieses Centrum Der endlich aufgehobenen Math­a-Agitat­ion gefonmen ist. Der Derfaffer fügt sogar Hinzu, Da­ Herr v. Ezlavy zur Zeit seiner Ministerpräsidentschaft rechtzeitig und genau über diese Thatsachen unterrichtet war, daß er jedoch mit anderen, großen Dingen allzu sehr beschäftigt ge= mesen ei, um für Ddiese Vappalie Zeit zu gewinnen. Von dem genannten Rostamt weiß Herr Grünwald, überhaupt recht auf erbauliche Dinge zu erzählen. Es stand lange unter der Leitung eines notorischen Banz­ren, VEL NES ammlıdgen Druier­ Ichaftem durchglühte und dem pan- Ylapistischen Komitee zur Mbfdrift überbief. Hie und­ da machten sic) Die Herren sogar den Nur, einen folgen: Er laß in ihremt. Organe: zu publiziren, noch ehe derselbe fi in den Händen­ des Obergespans befand, so daß im Publikum allge­­mein geglaubt wurde,­ die Vanflavisten hätten einen. Affilirten im Ministerum fißen und d­ieser betreibe diesen Amtsmißbrauch. Später kam ein gleichfalls flavischer Amanuensis in dieses Postamt, der sogar 25 fl. monatliches Gehalt von dem Hoz­mité der Panflaven bezog, damit er diesen Verrat­ fortlege.. MUS sich jedoch­­ herausstellte, daß diese Er­­lässe zumeist sehr unschuldiger Natur seien, entzog man ihm wieder diese Subvention. Dadurch sah er der Wadere einer Einnahmsquelle beraubt, weshalb er sich eine neue eröffnete, indem er­­ Defraudirte ; darum in Untersuchung gezogen, gab er das eben hier Erzählte amtlich zu Protokoll. Noah mehr! Herr Grünwald berichtet: Da der Staatsanwalt von Turócz-Ott.- Márton seine amtli­chen Briefschaften in einem benachbars­ten Komitate auf Die PVost legen lie­ ke diese Sendungen vertrauliche Mittheilungen ent­­telten ! ö Herr Grünwald bezeichnet als den Hauptsit Der Propaganda das Tirnauer Seminar, in wel­­ches speziell unter der Aufsicht des Fürstprimas steht und die Volkösschule in Oberungarn. Selbstverständlich sett er voraus, daß der hohe Kirchenfürst nicht darum wisfe, in wel’ staatsfeindlichenm Sinne Die jungen Klerifer, in jenem Institute erzogen werden, die aus demselben als veritable Agenten Nußlands hervorge­­hen. Die Lehrer an den Boltsschulen sind heute gleich­falt zumeist Panslavisten und träufeln dem Kinde das staatsfeindliche Gift schon beim ersten Unterricht in die junge Seele. „Die Statistis — wir citiven hier wörtlichh aus dem Grünwald’schen Buche — zeigt uns, daß in den zehn Komitaten Oberungarns zusammen 703 F­atholische Geistliche einfüiren, darunter gehören 268 zur panslavistischen Bartei; von den 178 lutheranischen Pfarrern­ zählen 99 zu den P­ans flaven. Das bedeutet soviel,d­aß Rußland auf dem Gebiete des fichlichen Lebens in Oberungarn allein über 357 Agenten verfügt.” Das ganze Land nennt den Verfasser als einen ungemein ernsten, fachkundigen Mann, Der sich nies­mals zu einer solchen Behauptung versteigen würde, wenn er nicht Die vollste Berechtigung dazu besüße, Nehmen wir no­ die Zahl der panflavistischen Schull­ehrer dazu und wir werden beschümt, ja erschüttert zugeben müssen, daß Stußland in unserem eigenen 8 mit der Malt­a und Nachhau nit gar so ernst und beschaulich gemeint sei. Er fest seinen Siegeszug nach Ungarn fort und ich bin gewiß, daß er uns in seiner­­­­ Weise bezwingen wird. «Was irst’ss:t uneige1­tlich mit diesem Rhapso­­"’djsr.en? » Statt einer ästhetisirend-kritisirende 21 Antwort »auf­ diesse­­ Frage..,die vielleicht mancher Leser stellen .«tvivd«,,fahsreich in der Erzählung fort,mit welcher Riefe Skizze begonnen hat.Also,Wilhelm Jordan er­­s ho­b«sich­.unnd bega im zu spreche11.Er erzählte uns von ’d­en­ Schlachten und Siegend­ deutschen Heeres,von dem­ Erfüllen der Verheißung,welche die Vrust eines jeden d­eutsche 21 Patriote 11 bewegt,von­ den­ Hoff N­u 11­ »gen,smelche das Neid­ von feiner Jugendhege,vom Ideer­egeisterung,w­es1che die Jugen­d von ihren Eltern als«Erbth­eiilsüberkomme11.Alles dieses hat man schon O­ßig­ehö­rt,aber niemals so gehört,wie aus Jordan’s Mund.Sein Toast war ein inprovisirtes Gedicht in den Etabreimen der Nibelungensiropfe. Man nennt Die Deutsche Sprache gewöhnlich Spröde, widerspenstig gegen die Melodie des Bertes. Das mag immerhin wahr sein im Vergleiche zu mancher anderen gelitteten Sprache und im Sublid auf die Hafiiihe Metril. Al­­lein die deutsche Sprache wird zu einem Feillidy singenden Instrument, wenn ein Meister der Allitteration, wie Sor­­dan, sie handhabt. Was ein Etümper, ein alteri hü­­melnder Wort- und Silbenträmer daraus machen kann, wenn er über das wehrlose XDiom herfällt, das hat die gebildete Welt an den sogenannten poetischen Wersen des Cozusagen-Dichters Nichard Wagner schaudernd erlebt. Wilhelm Jordan hat dieses Yikten­­tat des Komponisten der atlasnen Schlafrede gefütont, die Ehre des allitterirenden Gesanges gerettet. Seine Sprache fließt majestätisch breit, schön und wud­ig, dahin, wie der Neveltrom des wahren Dichters, dei. Stabreim ist ihm seine Spielerei, nicht der, Nothbehel,f­­einer leergebrannten, unvermö­dern Die, Fromm der Komposition, in m welcher er das deutsche Hiom am wohllauten osten exälingen mach, genden Phantasie, fant / Wo wir auch immer feine Nibelungen-Dichtung auf­schlagen, überall umfängt uns Der Zauber vieser Sprache, wenn wir nicht schon durch Den Zauber der Sage befangen sind. Als Beispiel wi­ire ich die ersten Derfe aus dem Vorspiel zum zweiten Theil der Sig­­friedsage, wo es heißt: A rauschenden Nheine läutert die Nebe Den süßen Saft, der die Seele beflügelt Und bezaubernd entführt in ferne Zeiten. In rauschenden heine ruht das Geheiimniß Der Niblungenmär und allnächtlich verwehmbar Slüttern es die Stut­en beim Flimmern der Sterne. Beim Rauschen des Nheines errieth ich die Räthiel, Erfuhr ic) den Sinn der Sage von Siegfried, , Erlauscht( id) des Liedes verlorene Fügung, auf rauschenden Nhein erblict ich den Reigen Der Niren der Tiefe, der Töchter Niblungs, MS Der Mond ihn um Mitternacht mild bestrahlte. Die verflungene Mär ward Kar im Gemüthe Und bervauschendes Rheingod, im grünlichen M­önter Selber zerfloffen zu feuchten Flammen, Füullte das Herz mit dem Heiligen Feuer Un­geschindfen und rein im Die funstvoll geschmühte Sußform­ zu gießen den Goldstaub der Gage . . . an seinen Vorträgen reeitirt Kordan seine Mibe­lungen-Dichtung frei aus dem Gedächtnisse und er ver­­steht es wie feiner sonst der Deklamation den impro­­visaten Charakter zu leihen. Dem Zuhörer ist, als ob die Dichtung in Demselben Augenblicke exit entstünde, in welchem sie an sein Ohr schlägt. Zunächst muthet der ungewohnte Vers fremdartig an, aber mälig be­­ginnt man ji heimisch zu fühlen auf den schaufelnden Wellen der altveutihen Strophe und unbehelligt von Der äußeren Gewandung lauscht man begierig dem Ge­halte der Dichtung. Den Namen eines­ Nhapsoden hat Sordan also vollkommen verdient. Wie die Sänger des alten Hellas den Haflischen Boden ihrer Heimat­ Durchwanderten und von den Heben der Sl­ad und­­ der Odyssee fangen und sagten, solcher Weise das ein­­­zige Gedicht der Nahmelt erhaltend, so hat uch Wil­­helm Zordan die Gauen purhfise ist, soweit Die Deuts­­che Zunge reicht und soweit sie neue Länderstriche erworben hat jenseits des Meeres, überall die alten schlummernden Sagen zu neuem Leben, zu neuer Era­­uidung erwecend. &3 wäre hier Die verlobende Gelegenheit, den interessanten Lebenslauf des Dichters zu schildern, allein in ausreichender Weise fan­n­ es an diesemx Dite nicht geschehen und für Die Dürren Thatsachen­­ genügt das Nachchlagen in jedem beliebigen Lernton. Nur Einiges sei hier angeführt, was für Jordan’s­­ Versäns­lichkeit bezeichnend ist. Der Dichter steht recht an der Pforte der Sechziger und dann auf eine­­ reich bes­ewegte, ehrenvolle Vergangenheit zurückbliden. Er stan­m­ aus Ostpreußen, wo jene Ahnherren zu Norz­fitten die Stelle des Bastors bekleideten, für welchen Stand auch er ursprünglich bestimmt gewiesen; allein schon frühzeitig regte sich in ihm Der poechische Drang — hatte er do schon auf dem Gymnasium ein ganz 308, großes Epos gedichtet! — und auf Flügeln des Gesanges entfloh er dem elterlichen Haufe, den Fes­seln des theologischen Studiums und stürzte sich kopf­­über in die Mysterien der Philosophie, wo ihn Norens franz zurechtwies, und in die Arme seiner Muse. Mit rührend einfachen, zum Herzen sprechenden Mors­ten fciliert und Jordan d­iesen Widerstreit seiner Neigungen mit dem Willen seiner Eltern in dem Ge­­dicht „Eine Taleatspfeife”, welches in den schon erwähn­­ten „Andachten” enthalten ist. Schon hatte ich zweimal als Student beschritten, Nies damals Braud), die Kanzel zu Norkitten Und mir, dem Engel in des Ahn’s Talar, Erbaut, gerührt gelauscht die Beterichaar. Da riß vom alten Stamm den jungen Aft Der Sturm der­ Geister, der auf ihn erfaßt „SG Heuchle nicht“, rief ich entschlossen aus, us fünfmal ich gelesen David Strauß. Einen argen Thoren, einen verlorenen Cohn, in Giftgewählich am alten Stamm, einen gottlosen, toll gewordenen Bereifer nannte ihn seine Familie und­­ selbst die Mutter „vermocht es mühlem nur, zu_ mil | \

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