Oedenburger Zeitung, 1886. September (Jahrgang 19, nr. 199-223)

1886-09-12 / nr. 208

’ Hi­ense in Rußland doch wahrlich auch heute nicht. Im Gegentheile,das Interesse der Torten Oesters reich-Ungarns,Deutschlands und Englands fordert unerbittlich die Fernhalung der Russen von Bul­garien denn schon der Selbsterhaltungstrieb sollte die genannten Mächtelehren den Czaren zu ver­­hindern, datt er sich dort am Balkan häuslichecw »richtet ohne sich um die Orientpolitik Europas zu­­ kümmern Es muß das Prinzip festgehalten werden daß k die Neuordnung der Dinge in Bulgarien ebens eine europäische Angelegenheit ist,wie die Errichtung dieses Staates ein Ast Europas war. “’Es wäre allerdings leichter gewesen,den Fürsten ,Alexander auf dem bulgarischen Thron zu halten,als ihn dahin zurückzubringen oder diesen Thron mit einer Persönlickeit zu befegen und mit Garantien zu umgehen, welche die Unterwerfung Bulgariens unter die vufjllige Botmäßigkeit aus­­fliegen. Doch ist es nuy immer nicht zu spät, gegen diesen neuesten Versuch einer russischen Ag­­gression ein Veto einzulegen. Im bulgarischen Volke regt fr unter dem Eindruckk Der drohenden Gefahr · oder Selbsterhaltungstrieb und dises Voll wird sich dem russischen Einflusse nur dann unterwerfen, wenn er von Europa völlig verlassen, förmlich in die Arme N Ruslands getrieben wird. Es wird sich sehr bald zeigen müssen, welche Haltung die Mächte der bulgariigen Krise gegen­­über einnehmen. Rußland wird zunächst bestrebt sein, in Bulgarien Unruhe zu stiften, um hiedurch eine Art Negstitel zu einer fremden­ntervention zu schaffen. Falls aber die vom Fürsten Aleran- Der eingefegte Negentschaft nicht die Kraft hätte der rufftigen Propaganda gegenüber die Ruhe des Landes zu wahren, so hätte denn doch zunächst die­­ souveräne Macht, nämlich die Türkei, das Recht und die Pflicht, für die Aufrechterhaltung der­­ Ord­­nung zu sorgen. &o wäre das freilich eine Even­­­tualität, welche mit allen mögligen Mitteln fern­­gehalten werden sollte, welche aber einer russischen­­ Oksupation vom Standpunkte der Selbstständig­ wäre das­­, seit Bulgarien d wo immer vorzuziehen wäre. Die russische Ossupation "Schlimmste,was in der bulgaris­ce Angelegenheit geschehen könnte Sie würde jede Lösung der bulgari­­schen Krise im Sinne der europäischen Synteressen von vorne­herein unmöglich machen und die Frage auf ein Gebiet hinüberleiten, wo Oesterreich- Ungarn nur zwischen der unbedingten Unter­­­­werfung unter die Diktate Rußlands und dem Kriege zu wählen Hätte. « · Eine oft ventilirte Souffrage. Oedenburg, 10. September. Der eben jegt jenseits der Leitha zusammen getretene Lehrertag hat sich im seiner überwiegenden Menjorität für die Wiedereinführung der für­­perlichen Züchtigung in den­ Stu Len erklärt. Die Mehrzahl der österreichischen Kehrer hat si unummwunden dahin ausgesprochen, Daß sie bei Kindern im zartesten und bildsamsten Alter ohne die körperliche Züchtigung nicht aus­­­kommen könne, und daß die Autorität des Lehrers an die Ruthe geknüpft sei, mit welcher er am Körper seiner Schüler den Beweis seiner geistigen­­ Niederlegenheit handgreifb­ erbringt. Es läßt sich nicht leugnem daß durch diesen »Beschluß wie durch seine Begründung eine Luft­wehr,jenergleich,die vor der konstitutionellen Aera in Oesterreich-Ungarn leider die allgemeine Atmosphpäre beherrschte Es ist die Einführung der Prügelstrafe in den Schulen entschieden eine reak­­tionäre Bestrebung,aber praktische­­ Schulmeister,die wir darüber befragen,sagen,die­­ Jugend von heutzutage ist vielleicht noch angehn­­diger­,als jene vor Anno 1848 war,und wenig­­stens muß die Ruthe als Schreckmittel dessen Anwendung allerdings nur auf die äußersten Fälle zu beschränken ist,den Lebt­erer be­­lassen werden.Idealisten,deren es überall,also­­ auch auf pädagogischem Gebiete gibt,werden freilich »die körperliche Züchtigung der Schulfrequentanten Eperhorreszireiy allein in der Praxis hat sich die Abschaffung der Ruthe bei sehr vielen, schon von Natur aus entarteten Kindern als das­­­ Hinderniß erwiesen,sie trotz ihrer schlimmen Natur­­­­anlagen zu brauchbaren Menschen heranzuziehen. »Man wundert sich,d­aß sich der Reaktion,welche­­ in der Wiedereinführung der Prügelstrafe liegt,ein großer Theil eines Standes ergeben habe,welcher dem «X Liberalismus die Befreiung aus dem ent­­st würdigenden Zustande der Abhängigkeit dankt,den er vor noch drei Dezennien eingenommen hat.Wenn der Lehrer heute nicht mehr der demüthige Diener »bestarret,ist,wenn er nicht m­ehr Meßner­­­dienste verrichten muß,um sein kärgliches Eink lommen aufzubessern,wenn er eine geachtete gesell­­schaftliche Stellung eimnimmt,dann dankt er all das dem vielverlästerten Liberalismus, auf den der jüngere Nachwuchs der Lehrerschaft mit hoheitsvoller Verachtung herabsieht. Aber so schön D diese Betrachtung auch flingen mag, schließlich sol der Lehrer doch die ihm aus vertraute Jugend erziehen und überträgt er den Liberalismus, der ihm gedient hat, auf noch unverständige Kinder, so wird er selten mit ihnen Etwas ausrichten. Wahrlic ! auch wir sind im Prinzipe entschieden gegen die entwürdigende körperliche Büchtigung, sei es beim erwachenen, mehr oder minder intelligenten Soldaten, sei es beim eigens willigen, unbesonnenen, in feinen Beistandeskräften noch unentwickelten Rinde, sei es endlich bei den zwar schon verständigeren, aber infurabel faulen, hartnädig verstocten oder unverbesserlich leigtsin­­nigen Studenten ; allein gerade so ablehnend ver­­halten wir ung — ım B Prinzipe!— gegen die Todesstrafe, fänden es jedoch demohngeachtet sehr unpraktisch, soferne man rudlose Mordthaten nicht mit der Berwirtung des Lebens am Schuldigen ahnden würde, und genau so bleibt im praktischen Leben auch gewissen hartgesottenen Naturen gegens­über, auf deren Ehrgefühl und Selbstachtung sich ihlechterdings nicht mehr wirken läßt, die durch vernünftige Vorstellungen, liebreiche Mahnungen und gelinde Strafen absolut nicht zu forrigiren sind, kaum etwas Anderes übrig, als das äußerte Korrektionsmittel..., dr Stod! Auch wir haben die pädagogischen Doktrinen über Erziehung der aufgeklärtesten, edelsten Beister, mit Bewunderung seinerzeit studirt und uns für die Mar­men eines Diderod, Voltaire und 3.3. Roupeau begeistert, aber — wie gesagt — das ist eben der Idealismus im der geistigen und erziehlichen Bildung der Schuljugend, und es sei dies ein Kollegium lauter sittlcch geläuterter Charaktere unter der schulberuhenden Generation vor­­aus. Da aber ein großer Theil der Studirenden zukaufe nicht jenes edle­s Beispiel, jene sorgfäl­­tige ethische und geistige Pflege findet, die ihn auch den sanftesten Lehren zugänglich macht: so muß den Lehrern ihre schwierige Aufgabe duch alle Mittel erleichtert werden. Die sie im „Interesse ihrer Lösung für unabweislich halten. Die Aufgabe des Lehrers ist eine hohe, sie bürdet ihm eine schwere Verant­­wortligkeit auf und ist wahrhaftig nur im Hand­­umdrehen zu bewältigen, sondern er muß im Sampfe um den Preis, denn er erringen sol, alle seine Kräfte einfegen ; mithin darf man diese nicht nur hy perhumane Tendenzen und alzu liberale Maf­­regeln beschrängen. Gute Gefege verhindern Kriege, allerdings­ wird man aber deshalb in einem Neic­e, wo nur gute Gefege gelten und nur verständige, edeldenkende Gefeßgeber walten, deshalb alle Ka­­nonen vernageln ? Nein, gewiß nicht, man wird seine schweren Gefüge für den äußerten Nothfall in gutem Stand halten und sich ihrer als Schred­­mittel bedienen. In der Schule soll auf die Ruthe nur als allerlegtes Auskunftsmittel, wenn alle sanfteren nicht verfangen, beibehalten werden. Es ist grundfalch zu glauben, daß vielleicht die exk­lusiven Kreise oder das wohl­­habendere Bürgerthum seine Kinder nicht in die Schule finden werde, soferne die körperliche Züch­­tigung wieder aufkommen sollte. Auch der vor­­nehme Theil unserer Bevölkerung hat ein vitales Autoreffe daran, daß seine Kinder zu tüchtigen Diensten heran gebildet werden, gleichviel zu wel­­chen Mitteln deshalb gegriffen werden muß, denn die Quelle eines jeden Unglücks ist Unbildung und Sittenlosigkeit, diese muß der Lehrer bei der ihm anvertrauten Jugend ausmerzen und sollte er zu diesem Ende selbst zu gewaltthätigen Maßregeln seine Zuflugt nehmen. Aber nicht willführlich dürfte er die Äußerfin Strafmittel über die straf­­fälligen Kinder verhängen. Bei V­ollftrefung einer förperligen Zügtigung sollte stets ein größerer Rath von Lehrern der betreffenden Anstalt, unter Prosidium des Direktors, zusammen berufen wer­­den. D­erselbe müßte über den speziellen Straffall, sowie über die psychologischen Eigenschaften des zu bestrafenden Kindes genau zu informiren sein und endlich mittelst gewissenhaft erwogenen Natusschlusses die weiteren Verfügungen treffen. Wir können in jedem Falle beruhigt sein, der weitaus größte Theil der Lehrer von b heutzu­­tage steht auf der vollen Höhe seiner Aufgabe, seine Bildung fügt ihn vor den­­Verjuchungen eines vielleicht zur Anwendung von Gewaltmaß­­regeln für sinneigenten Zeitgeistes ; die etwaige Wiedereinführung der körperlichen Züchtigung in den Schulen wird sicherlich nir ohne die aller­ sorgfältigsten Erwägungen sämmtlicher „Für“ und „Wider“ beschlossen werden und lehnt die Gefetz­gebung dieselbe ab, so werden wir der freudigen Ueberzeugung leben dürfen, daß unserer Jugend im Allgemeinen d­rastischer Erziehungsmittel nit bedarf, sondern bildungsfähig, wie geihmei­­ein so treffliges Materiale in der Hand der Lehrer ist, daß er jede Form willig ans­nimmt. Wenigstens werden wir annehmen dürfen, daß dieser erfreuliche Zustand bei uns in Ungarn als Regel gilt, denn Ausnahmen kommen eben überall vor und können nict bestimmend auf gefegliche Normen, zivilisatorische Bestrebun­­gen, oder pädagogische Methoden einwirken. Wir versichern, daß uns bei dem Betonen obiger Vorauslegung, nämlich betreffs des ethischen Werthes unserer heranwachsenden Generation, keiner­­lei Ironie in den Sinn kam, denn es ist ja möge­n­ch, daß im Allgemeinen hier in Ungarn die­­ dh 0*­nungsvollsten Unterrichtsprinzipien wirklich auch die Entsprechendssten seien, aber dies zu beurtheilen und zu entscheiden müssen wir den Männern vom Zadhe überlassen. In Ungarn wird ja gerade für das er­­stieicbliche Moment am allermunifizentesten von Staatswegen gesorgt. Mean betragte sich nur die maschinösen und imposanten Balätte, die zu Schul­­zweden bei uns, selbst in den kleineren Provinzial­­städten wie Pilze aus der Erde schiefen und ein riesiges Kapital von der Gesammtsumme der so mühsam zu erpresfenden Steuergelder absorbiren. Wie? in einem solchen Lande sollten nicht alle Schulfragen gewissenhaft geprüft und auf’s Sorgfältigste gelöst werden ?! E83 ist gar nichts Anderes denkbar bei der vastlos fürsorgenden und­­ verschwenderischen Manier mit der un­­ser Unterrictsministerium zu Werke geht. In die­­ser Beziehung äußerte sich erst Fürzlih ein sehr vornehmer, ungarischer Kavalier, der im Auslande eine der höchsten Stellen im Staate be­­fleidet, sehr abfällg über die enorme Verschmen­­dung des Heren von Trefort im Bezug auf Schuldauten. Diesem Kavaliere, dessen unga­­rischer Batriotis­mus ein ebenso lau­­terer, als glühender it und dem auch der frechste Chauvinismus nicht Mangel an Liebe zum Vaterlande zum Vorwurf machen kann, wurde näml lich, gelegentlich eines Besuches in der Heimath, von einem vaterländischen Schulvorstande angefan­ nen, eine eben errichtete monumentale Staatslehr­­anstalt zu besichtigen, auf welche der besagte Schul­­vorstand sich sehr viel einzubilden sc­heint, weil sie in der That in der Provinzialstadt, in welcher sie erbaut wurde, eines der allerbemerkenswwerthesten Bauwerke bildet. Unser Kavalier, der zugleich ein erfahrener und erleugteter Staatsmann ist, lehnte aber die ihm zugemutlichere Gelegenheit, Herrn von Tre­f­forts Baulust zu bewundern, mit den Worten ab: „Ein leider halb banferotter Staat, wie Uns garn, sollte besser mit den Steuergeldern hause halten und es si verjagen, den Schulm­achen und Schulmachen golde fostbare Paläste aufzubauen ; … gibt im Schulwesen Ungarns — fuhr der hohe Herr fort — viel unendlich Wichtigered zu refor­­miren, als den Bauzustand der Lehranstalten, und wäre er Unterrichtsminister, so würde er V­erans­taltung genug finden, zur Erneuerung der mythischen Herfulesthat in den Ställen des Königs der Epeer, des bekannten YAugtas!“ Iu dieser Beziehung, sowie mit Hinblick auf die Hier angeregte Frage, nämlich über Die Wiedereinführung der körperlichen Züchtigung in den Schulen, welche gewiß an­­drerseits von eminenter Wichtigkeit it, würden wir sehr gerne die Ansichten hiesiger erfahrener Schulmänner ver­­nehmen und wollten dann auch willfährigit D diesen Ansichten im Blatte Raum geben, gleichviel, ob ihnen Die Tendenz zu Grunde läge, daß die für­­perliche Züchtigung aus den Schulen nach wie vor zu verbannen sei, oder ob die gegentheilige Auf­­fassung zum Ausbruch gebracht werden wollte. E. M. tiged Wachs, Dem Tage. Julius Horvath vor seinen Wählern. Der Neidetags - Abgeordnete der Liberalen Partei Julius Horvath legte seinen Wählern in Balavasarer Bezirke fürzlich den übli­­chen Nehenschafts-Bericht ab und betonte namentl­­­ich darin, daß es das Unt­reffe Ungarns erfordere, unsere Politik mache ihren ganzen Einfluß geltend, damit die Vörkerschaften des Orients, namentlich Serbien, Rumänien und Bulgarien, jene Unabhängigkeit und jene Freiheit genießen, welche jeder Nation gebühren, auf daß sich dieselben selbst erhalten und ohne Äußeren Einfluß entwiceln und fonfolidiren fünnen. Die gegenwärtigen Ereignisse im Oriente seien für die ungarische Nation von besorgnißerregender Natur. Die ungarische Nation wisse sehr wohl, daß die Befestigung der Macht Nurlands an der unteren Donau gleichbedeutend’mit der Gefähr­­­dung der Monarchie und ihrer eigenen Fortlegung in der Beilage. nn

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