Pester Lloyd - Abendblatt, Februar 1855 (Jahrgang 2, nr. 28-50)

1855-02-23 / nr. 46

. Nro.46. l«., TAPest,1855. Freitag,23.Feber. «pest,23.Feber­.Wie sagten es vorher:das russische Manifest,mit seinen 800.000 Mann in Aussicht wird uich ohne Erwiderung bleiben,und heute schon lange aus Paris die telegraphische Nachricht ein-daß in den nächsten Tagen das Erscheinen eines kaiserlichen Manifestes an die französische Nation erwartet werde­­nach welchem die Nationalgarde auf Kriegsfuß gesetzt,werden soll. Diese Antwort ist deutlich. Eine andere nicht minder wichtige telegraphische Nachricht meldet uns,daß Lord Russel am 20.d.Morgens mit einer seiner Töchter nach Paris abge­­reist ist.Er war es,der zur Zeit,da er noch Präsident des Raths der Königin war,dem Unterhause die Erklärung gegeben,»daß die Regierung­ solange die drohende Festung Sebastopol bestände,das europäische Gletschge­ Be bedroht sieht ;" er wird beim Kongreß kaum eine minder entschiedene Sprache ühren. Die Oesterreich die Lage würdigt, erheb­t gleichfalls aus zwei Thatsachen. Wie uns nämlich die „Lithogr. Korr." heute aus Wien schreibt, dürfte Graf Rech­berg nach Stansfurt gehen, und Sch. von Profesh­ Orten als österreichischer Bevollmächtigter am Wiener Kongreß teilnehmen. Man weiß nun, daß der ge­genwärtige Bundespräsidialgesam­te die orientalischen V­erhältnisse aus jahrelanger eigener Anschauung kennt ; man weiß ferner, mit welcher Energie und Konsequenz er die öftere Interessen in Frankfurt zu vertreten verstanden : seine Mitwirkung an den Wiener Konferenzen könnte daher nicht anders als freudig begrüßt werden. Die zweite Thatsache bezieht es auf die Wiedereinbringung des Antrags auf Mobilmachung und Ernennung eines Bundesfeldherrn von Seite Desterreiche. Wir lesen nämlich in deutschen Blättern : „In einer zunächst an den Grafen Apponyi in München gerichteten Depesche vom 1. Leber erklärt Desterreich , daß es die Kriegsbereitschaft, die ohnehin faktisch nothwendig gewesen, nur als Vorberei­­tung zur Mobilmachung mit ihren Konsequenzen ansehe. Eine vorläufig vertrauliche Verständigung wegen der Leitung der Kontingente in bestimmter Srift, damit vorkommen venfa 18 seine Zögerung eintrete, wird als g­edmäßig be­­zeichnet." Der „D. A. 3." wird sogar, freilich mit einigem Vorbehalte berichtet : „Es werde in der Depesche angedeutet, daß Oesterreich einer schließlichen V­erta­­gung seines Antrags, wenn die Kriegsbereitschaft als solche aufgefaßt werden sollte, die Wiederaufnahme der Sonderverträge mit Bezug auf don Art. 42 vorziehen würde." Preußen alein beharrt in seiner raffenfreundlichen Anschauung. Den neuesten Beleg hierfür bietet ein Artikel in der ministeriellen „Pr. Korr." , welche unter dem 21. über schreibt : „Es kann nicht als ein Die Situation ummwandelndes Ereigniß gedeutet werden, daß Rußland eine allgemeine Landesbewaffnung ansrdnet, selbst wenn diese Maßregel gerade in einem Augenbliid bekannt wird, wo die Eröffnung des Sirenenstongreffes fi in nähere Aussicht stellt. Wir zweifeln nicht daran, daß Das Petersburger Kabinet der europäischen Diplomatie über den rein defensiven Charakter seiner militärischen Vorbereitungen unzweideutige Erklä­­rungen gegeben hat. Die Zusammenstellung der Glaubensgenossen Rußlands mit der ‚ganzen Ch­ristenheit im Orient beweist, daß der Kaiser seine Aufgabe ferner nir im Sinne eines ausschließlichen Protett­orates auffaßt, sondern sie im Einserständnisse mit den europäischen Örofmächten und ohne Eingriff in die Souveränetätsrechte der Pforte zu erfüllen gedenkt. Daß die an­­geordneten Rüstungen in seinen Gegenfaß zu den Friedensversuchen treten sollen, wird ansprüdlich durch die Stelle des Manifestes Tonstatirt, welche dem russischen Bolt eröffnet, daß der Kaiser no „in d­iesem Augenblick” die Zustimmung zu Unterhandlungen mit den Westmächten ertheilt hat. Endlich glauben wir auch auf die Mäßigung Gewicht legen zu dürfen, mit welcher das Maniifest von den Gegnern RAuslands sorit, deren Aufrichtigkeit und Ineigenwültigkeit der Kaiser nicht in Zweifel zu ziehen für billig erachtet". In seltsamen Kontraste zu diesen frießlicherofigen Anschauungen des offi­­giellen Berliner Blattes siehen andere Mittheilungen aus eben versellten Stadt über die Truppenbewegungen in Russisch- Polen. Sie melden, „daß GL. v. Prittwig mit vier leichten Kavallerie-Regimentern unverzüg­­li an die Öösterreichische Grenze vorrücen soll, um die durch Mndgang nach dem Innern hervorgerufene Verminderung beg­an ver Grenze auf­gestellten Korps zu befestigen. Das russische Gouvernement scheint jetzt vorzuges­weise größere Kavalleriemassen nach der Grenze vorschieben zu wollen. Die ges­tammten im Königreich Polen stehen­den Truppen haben An­fang vielen Monats Pelze erhalten, welche in einzelnen Distriften im Requi­­sitionswege beschafft wurden." Betreffd­­er in Paris über den preußischen Separatvertrag schwebenden Verhandlungen wird aus Berlin vom 19. telegraphisch gemeldet, daß Oberst v. Diberg nun Instruktionen an von General Wedel mitgenommen und daß bis zu dem erwähnten Datum in der Hauptstadt Preußens von der Unter­­zeichnung eines, die Neutralität Preußens anerkennenden Vertrages noch nicht­ bekannt war. Ueber den Stand der Verhandlungen selbst gibt unser­­­ Korres­­pondent aus Paris die besten Aufschlüsse. Aus den Mittheilungen preußischer Blätter geht eben auch nur soviel hervor, daß die Einigung durch Preußens prinz­genden Wunsch bei vom Wiener Kongresse zugelassen zu werden, jedenfalls schnell herbeigeführt werden wird; daß es aber noch zweifelhaft ist, ob die Dezemberalliir­­ten sich mit einer Neutralitätserklärung Preußens begnügen werden, welche die preußischen Grenzen dem russischen Handeln sperrt und die Verbündeten jeder Besorgniß vor einer Diversion von Seiten der norddeutschen Großmacht enthebt , oder ob sie nicht Doch mindestens auf einer solchen affinen Kooperation Preußens bestehen werden, wie sie die Deckung der österreichischen Grenzen erfor­­dert und der Aprilvertrag auch zugesagt hat. In Bezug auf das fernere Vorgehen Oesterreichs im Bunde erin­­nern wir noch daran, daß Oesterreich gleich von vorn­herein von Beschluß vom 8. Leber als ein Minimum acceptirt und deshalb ver Motivibrung der­selben ansprüchlich widersprocen hat. Diesem Beispiele sind seit Braun­­schweig und Nassau gefolgt. Diesen Motiven, mit denen die vereinigs­ten Ausschüsse ihre Anträge begleiteten, entnehmen wir, nach wen, angeblich auth­entischen Mittheilungen des „Schwäb. Mert." folgende Stelle : „Zur Zeit is noch Die Nothwendigkeit, zur Erfüllung der durch den Ber­­­flug vom 9. Dezember 9, 9, übernommenen Defensinverpflichtung zu sehreiten, nicht nachgewiesen. Wenn nun aber die Ausschüsse Deffen ungeachtet die Anträge der Militärkommission vor Genehmigung der hohen Versammlung anempfehlen , so erachtes­ten sie sich Hiezu Durch die Erwägung verpflichtet, daß die Lage der europäischen Ange­­legenheiten fortan als eine bedrohliche erscheint. . . Der Zeitpunkt, wo die Auf­­stellung des Bundesheeres beschlossen werden muß, ist noch nicht ein­­getreten." Medrigens ist fest Dnd Protofoll­ber­eigung am 8. Feber fon definitiv ausgefertigt und binnen vierzehn Tagen müssen daber alle Kontingente so friegebereit sein, was sie, zwei Wochen nach einem etwaigen Mobilmachungsbefehl, sicher ins Feld rüden können. J Paris, 19. Leber. Die Reife des Kaisers als ein bestimmtes Projekt, zu dessen Ausführung als Vorbereitungen getroffen werden, steht nun­ mehr unzweifelhaft fest. Fraglich ist es nur, ob es nicht vielleicht Doch den Nahe richten, welche der zurückgekührte General Niel sicherbringt ; ob es den Bitten der, vor der ihnen zufallennen Verantwortlichkeit zurückschred seinen Minister;; ob es den Einwendungen der britischen Regierung gegen eine soprononiert flie­­gerische Wendung im Augenblicke der Kongreßeröffnung , ob es dem Zögern Preußens, desssen Separatvertrag nothwendig vorher abgefehloffen sein mll, gelingen wird, Napoleon zum Aufgeben seines Planes zu bewegen. Unter diesen Vorbehalten, ist so viel fonslatirt — Fonflatirt, obwohl das Staatsoberhaupt noch gestern zum Admirale Hamelin gesagt haben sol, nie Spee sei aufgegeben , daß die Pferde für die kaiserliche Campagne bereits angetauft sind; daß der Palast­­práfett Merle als Quartiermacher nach Marseille abgegangen ist, wo die „‚reine Hortense“ regelfertig liegt; daß eine Kommission untersucht, wie die Schiffs­­mannschaft Napoleons I. eingerichtet gewesen; daß ein Manifest an das Land fertig und unterzeichnet is. Man nennt sogar schon ven 25. Leber ald den Tag der Abfahrt und den Prinzen Napoleon als Begleiter des Kaisers ! Wäre dem so, so hätten wir also in der ersten Hälfte dos März eine entscheidende Aktion, unter den Augen Napoleons und zweier russischer Großfürsten, zu erwar­­ten. Vierzig Jahre nach der Schlacht bei Waterloo wurde der Erbe Napoleons I. eine englische Armee vor Sebastopol Kommandiren und dem Adjutanten Welling­­ton’s, der bei Waterloo seinen Arm ließ, Befehle ertheilen! Aber nochmals­­ ver­­geilen Sie nicht, was ausgemachte Fatta nur die Vorbereitungen zu der Expedition sind. Aehnlich wie mit der Krimireife steht es mit den Nachrichten über Die Ver­hauplungen mit Preußen. In der Hauptsache ist so viel sicher, waß an der Herstellung der Einigkeit zwischen den drei Kabineten kaum mehr zu zweifeln ist, a na sich die Sache aber noch hinziehen, wie weit man von jeder Seite mit den Zugeständnissen gehen wird, d­arüber sind wenig mehr alle V­ermuthungen erlaubt. Man hat Preußen die offizielle Auslegung der vier Punkte mitge­­theilt ; feiner gereizten Empfindlichkeit, feiner flren Idee, die Westmächte wollten es in das Schlepptau von Oesterreich bringen, alle mögliche Beruhigung gewährt; man hat durch dieses Entgegenkommen, unter freundlicher Mitwirkung des Wiener Ministeriums­, die Bedenken des Generals Teve gehoben, so daß dieser auf Annahme der von ihm nach Berlin übersandten Vorschläge rechnet Ja, es scheint sogar, daß gestern Abend irgend ein auf das preußische Separatabkommen bezüge­liches Artenstück unterzeichnet worden ist : ob es aber eine Konvention, ob es ein ÜBertrag war, ob ein Offensivtrat tat ob blos eine strenge Neutralitätserklärung, si b Bezug auf Absperrung der Grenzen gegen russischen Handel ? bag ist mehr als ich weiß. " Die Aufmerksamkeit,welche die Krimm und die diplomatische Lage in An­­spruch nehmen,hindert übrigens weder unsere,noch die englische Regierung,sich gleichzeitig für die nächste Ostsee-Campagne mit allen Kräften zu rüsten, um aus der genauen Kenntniß des baltischen Meeres,die man 1854 erworben, jetzt den ausgedehntesten Nutzen ziehen zu können.England hälttön Frankreich 60 Kriegsfahrzeuge bereit,darunter viele von ganz neuer Bauart,deren Konstruk­­tion ihnen eine unerhörte Gewalt für den Angriff und eine bisher unbekannte Fe­­stigkeit für den Widerstand verleiht.Der neue britische Chefkommandant für die Ostsee,Saunders Dundas,war vor einigen Monaten hier und genießt dies­ wie jenseits des Kanales den Ruf eines ebenso ausgezeichneten als energischen Seei­mannes.Auch ist Herr Lindsay,ein englisches Parlamentsmitglied,hier anwei­send,der sich sein ganzes Leben lang mit Schiffsausrüstungen beschäftigt hat:er wohnt Konferenzen bei,welche den Truppentransport im großartigsten Maßstabe organisiren sollen.Das ganze Lager von Boulogne soll als Landungsarmee miti gehen«—so wird die baltische Expedition in diesem Jahre sich ihre Angriffszeiten und Angriffspunkte nach Belieben wählen können. Der­,Moniteur««meldet heute-daß Vely Pascha eine Audienz bei dem­ Kaiser gehabt hat,um sich für das Großkreuz der Ehrenlegion zu bedauken,und daß in Belgien die Subskriptionen für die Kriminarmee den besten Fortgang nehmen.Ein Herr Chaslin soll ein neuessprojektile erfunden haben, das sich ohne Lunte durch einen chemischen Prozeß in einem verschlossenen Gefäße entzündet und selbst im Wasser nicht sofort wirkungslos wird.Auch soll die Ex­­plosionskraft desselben sicherer und größer sein,als die anderer Geschosse:ferner ist es zur Nachtzeit nicht sichtbar und der Zeitpunkt-wohaömeph­enerfolg­ soll sich nach Belieben verzögern lassen. Striegs Schauplan.­ ­ Schwarzes Meer. Der „Moniteur" vom 19. Leber hat Nachrichten aus Konstantinopel vom 8. d. M. Nach denselben lauteten die Berichte aus der Krimm sehr günstig. Das Wetter war anhaltend günstig. Die Belagerungsarbeiten waren beinahe beendet und hatte man überdies die Ueberzeugung erlangt, daß die Ziffer über die, den Ruffen zugenommenen Verstärkungen sehr übertrieben war. In der „Times“ lesen wir folgende telegraphische Depetche vom 17. D. „Die beiden russ­­ifchen Großfürsten befanden sie mit einem Heere von 30.000 Mann zu Duvantg am Berber. Die Batterien der Verbündeten in der dritten Parallele sind so gut aufgepflanzt, daß sie die Süßseite­rer Festung vollkommen beherrschen. Der Rest des türkischen Heeres, faum 10.000 Mann starb, wird reorganisirt werden­ und­ das obere Thal bei Zichernaja und Balaklava vertheidigen. L

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