Pester Lloyd - Abendblatt, Juni 1855 (Jahrgang 2, nr. 128-151)

1855-06-01 / nr. 128

Jlbendblattdespcstcr oyd. e»stei!ag,1.3uni. Nro.128. ER) Münyuriar Well,1855. Telegraphische Depeschen der»Oesterr.Korrespondenz««. Neueste levantinische Post Der Dampfer 9A11stria­­ ist zu Triest aus der Levante eingetroffen;er brachte Nachrichtenaxts Konstantinopel bis 21.d.M. Hiernach fan­den täglic­h starke Zuzüge vom Westen für die Krimm statt;allein,wie man von­ dort her vernimmt,verstärkten sich auch die Russen in steter Progression.Statt den Lagerzelten w­urden in Maslak festeVaracken,vermut­lich für den Fall eines dort zu bildenden Winterlagers errichtet.Die Bildung des anglo-türkischen Korps schritt nur langsam vorwärts.General Beatson ist aus der Krim Itt zurückgekehrt.Die Pforte beabs­­ichtigt,wie es heißt,das neu zu errichtende Najahkorps dem Komma­kdo britischer Ge­­neräle anzuvertrauen.Reschid Pascha’s Abreise ist nunmehr für unbestimmte Zeit ver­­schoben worden.Ein großherrlicher Befehl zur Errichtung eines La­­gers in Unkiar Skelessi für einige Tausend von den Engländern anzuwerbender Legionäre ist erschienen;den griechischen Konsuln in Galatz, Braila und authodus ist von­ Seite der Pforte das Exequator ertheilt worden.Nach­­richten aus Athen von 35.d.M.zu Folge soll Hr.Maurokordatos wegen der von den­ Westmächten über unzureichende Maßregeln der griechischen Regierung gegenüber­­handnehmende Räubereien seine Entlassung angeboten haben.——J.J.kön.Hoheiten der Herzog und die Herzogin von Brabant waren am 14.von Rhodos nach der Insel Candia abgereist,woselbst sie zu Canea am 17.anlangten;sie begaben sich hierauf nach Rettimos.—Zu Smyrna war die bevorstehen­de Ankunft der k.k.Es­­kadre mit Bestimmtheit angesagt worden. XPest,1.Jul­i.Wir haben heute keine neuern Nachrichten vom Kriegs­­schauplatze,dagegen bringen wir,interessante Kommentare über die Bedeutung der letzten Kämpfe,und nicht minder wichtige Withmaßungen über das,was die nächsten Operationen der Alliirten mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.Diesen Siegen und Siegeshoffnungen gegenüber ist es gut, an die Stimmung in Petersburg zu erinnern. Man schreibt hierauf bezüglich der "Indep. bel." aus Paris: „Diese Leute bilden si ein, daß die Einnahme­ Sebastopols den Frieden herbeiführen wird; sie sind in einem tiefen Irrthume befangen. Mir liegt ein Brief eines hervorragenden russischen Staatsmannes vor, dessen berühmter un­­ir das Symbol der Friedenspartei gilt. Im diesem Schreiben seie ich Fol­­gendes : „In den französischen Journalen finde ich Artikel, die von dem Erstaunen Zeug­­niß ablegen, welches man in Frankreich über­ die ungeheure Ausdehnung der russischen Vertheidigungsanstalten empfindet. Dies Erstaunen wird aufhören, wenn ich Shen sage, daß man in Rußland von einer zehnjährigen Dauer des Kampfes überzeugt is. Viel­­leicht werden wir Niederlagen erleiden — was weiß ich? vielleicht die­ Krimm verlieren. Aber deshalb ist der Löwe noch lange nicht zu Boden geworfen: die Schlappen werden und siegen Tehren! Im allen Kriegen, die wir zu bestehen gehabt haben, sind unsere ersten Seldzü­ge gemeinhin unglücliih gewesen. Auf glänzende, vernichtende Erfolge haben wir niemand gerechnet, aber wir haben eine Kampagne durchgemacht, in der wir die Stärke unserer Feinde kennen gelernt. „ir nehmen den Krieg am und den Fehdehandschuh, den England uns hin mirft (es ist — fügt der Pariser Korrespondent hinzu — bemerkenswerth, daß Frank­­reich an dieser Stelle mit seinem Worte erwähnt wird). Unser Vertrauen in den Gang der Ereignisse und in die Zukunft ist größer, als man draußen glaubt. Und wenn man uns nach Gebastopol’d Fall Friedensvorschläge machen wollte, die Rußland’ nicht würdig wären, so werden wir antworten, was General Kutufos Herrn von Lauriston nach der Einnahme Mostaws erwiederte, als der französische General Unterhandlungen einleiten wollte. Aber, Herr General, Sie belieben zu scherzen; für und beginnt ja der Krieg erst mit dem heutigen Tage!“ Auf diplomatischen Gebiete herrscht scheinbare Stille. „Am 25. Mai­ schreibt man und aus Wien, hat der f. Tf. Gesandte, Bar. von Hübner, die lekten österreichischen Depeschen dem Grafen Walemwsty mitgetheilt, welcher sich vor­behielt, darüber seine Meinung auszusprechen, wenn er die Befehle des Kaisers eingeholt und mit dem britischer Kabinet die nöthige Nachsprache gepflogen haben wird, so daß man vor der Hand den Eindruck welchen die erwähnten Depefchen auf die französische Negierung gemacht haben, nicht näher bezeichnen Tanz." Die französische und englische Presse scheint jedoch der ablehnenden Antwort gewiß zu sein. „Zimes* von 28. Mai beloben in ihrem Leader die Walsisty'­­sche Note, und wünfchen Den Alliirter Gl dazu, daß die Konferenzen unter­­brochen sind. Granier de Ga­ff­agn­ac beweist im neuesten „Constitutionnel“, daß Frankreich und England auch ohne ‚Oesterreich Nußland zum Frieden zwingen könnten, indem­ sie die rufsischen Häfen block­ten und einen Punkt der Küste nach den anderen bejekten. Ja, dieser Weg, den Frieden nur durch eigene Mittel herbei zu führen, habe vor dem anderen Wege sogar nochjr Vorzüge. Wir kommen im Morgen­blatte auf diese, etwas spätreife Erkennt­­nd des Franzmannes zurück. Sr­egafa Jauplaß. Schwarzes Meer. Die, aus den jüngsten Stegen der Allie­r­ten fließenden Vortheile und die ganze, daraus resultirende Situation rassen die „Debat8“ folgendermaßen zusa­mmen: „Was erstens die eigentlichen Belagerungsarbeiten ande trifft, so sind die, am 2. Mai mit Sturm­­, so wie die vom 22. bis 24. Mai in nächtlichen Schlachten genommenen Werke bereit mit unserer vierten Parallele verbunden worden: sie sind jeßt trefflich je Vertheidigungslinien gegen feindliche Ausfälle und gleichzeitig Laufgräben, die uns den Schanzen bis auf eine Ent­­fernung von 400 Fuß genähert haben. Die Bretchbatterien und Meinen werden nunmehr wohl bald zu spielen beginnen. Auf der ganzen Linken der Angriffe: hinten ist der­ Feind aus den Außenmwerken verjagt und in die Ningmauer zurück­gedrängt. Sehnliche Operationen stehen wahrscheinlich auf der Rechten bevor, auf der Seite des Arsenales und des Malakofftwurmes. Inzwischen werden die Belagerungsarbeiten im Zentrum wie auf beider Flanken mit Äußerster Energie betrieben, möglich ist es indeß schon, daß man mn Eine Seite dieser dreifachen Attaque als die entscheidende, als diejenige betrachtet, welche zum Sturme leiten sol, und mit den beiden anderen blos die gleichzeitige Beschäftigung des Feindes auf allen Eden und Enden, beabsichtigt. „Das zweite Ereigniß von Wichtigkeit ist die Befetung des Tidher­najathales. Der Fluß begrenzt bekanntlich das Lager der Allierten und mündet, unter den Ruinen von Inferman, in die innerste Bucht der Rhede; ehr steile Felswände bilden seine Ufer. Auf der Einen Seite hatte sich das Beobach­­tungskorps der Verbündeten festgelest in Positionen, die mit Nedouten umgeben waren. Ihnen gerade gegenüber hatten die Naffen ein, ebenfalls durch fortifika­torische Anlagen verstärkte Stellung eingenommen, und gerade von diesem Punkte aus schten ihre Hilfe­ und Entfacharmee uns unaufhörlich mit einem allgemeinen Angriffe zu bedrohen. Auf den Felsen oberhalb Inferman’d hatten die Feinde sogar Batterien mit Gefehligen von schwerem Kaliber ausgeführt, durch welche, der großen Entfernung ungeachtet, die Aliirten in ihren Belagerungsenheiten auf der Äußersten Rechten gestört wurden. „Um die ganze Bedeutung dieser Operationen ermessen zu können, muß man w­iffen, daß wir durch diese rufftichen­­ Rinten blockiert und gleichsam selbst bes­lagert waren, und daß bisher jeder von beiden Theilen vor einem Angriffe auf die Positionen des Andern zurüczuschieden schien. Was die Nuffen bewogen hat, jene ihre alte Stellung nicht in gewohnter Zahl befegt zu halten? ob man sie von vorne angegriffen, oder vermittelst eines Marsches durch die Berggegend, Die sich vor Balaflama ausdehnt, im Rüden gefaßt hat? — das sind Fragen, auf welche die telegraphischen Berichte Peliffier’s noch Feine Antwort geben. , es­ steht nur, daß der Feind fi­eber die Gebirge Hin, wahrscheinlich auf Sympheropos zuh­egezogen hat, und daß die alliirten Armeen, nun da sie längs des Tiehernajathales stehen und beide Seiten desselben beherrschen, si in einer Lage befinden, die zur gleichzeitigen Lösung jener mit der Krimmerpedition verbundenen Doppelaufgabe wie geschaffen ist: zur Betreibung der Belagerung von Sebastopol und zur Eröffnung einer Kampagne im freien Felde gegen Die russische Armee. „Aber das einschneidendste Faktum it drittens die Befehung Des azowischen Meeres duch die verbündeten Geschwader, so wie die Ein­nahme von Kertich (dem Panticapäum bei Mithridates) und von Jent tale, zweier einer Setzungen, welche die, in die Meer führende Straße her herrschen. Auf diesem Wege erhielt die russische Armee bisher den größten Theil ihrer Zusendungen von Lebensmitteln und Mimitionsvorräthen: die­ Versorgung ging so viel bequemer vor sich, als über die Landwege von Perefopr. „Die Vorräthe wurden den gewaltigen Don herunter verschifft, der sich in das atomw’sche Meer ergießt, nachdem er die fruchtbarsten Provinzen Rußland’s durchströmt, oder sie wurden auch aus dem Süden des Reiches in großen Massen nach Taganrog und Mariupol verführt, die beide wegen der Ausdehnung ihres Getreidehandels in Griechen­zeiten berühmt sind. „Die Waaren wurden dann bis auf die jüngste Zeit zu Wasser nac Keltsch geschafft und von dort zu Lande nach Sympheropol erleich­t. Bon jest ab wird es der russischen Armee fehener werden, sich die nöthigen Subsistenzmittel zu besorgen, während die Verbü­ndeten in dieser Beziehung jeder Sorge überhoben sind, weil sie das Meer beherrschen. ı B: „Der Plan der Expedition von Kertih gehört dem General Ganrobert an, der bekanntlich schon 42.000 Mann zu diesem Behufe hatte einschiffen lassen, al eine Depesche aus Paris die Unternehmung fiftirte. Heute hat General Peliffier sie ins Werk gefegt, und zwar hinter Mitwirkung Der Engländer. Gleichzeitig ist der neue Chefkommandant mit seiner Armee avancert, und Alles das unter der energischen Betreibung der Belagerungsarbeiten. Die Stärke der drei kombinirten Armeen kann man fett. Dank den unaufhörlich anfangenden Verstärkungen, ohne Medertreibung auf 180,000 bis 200,000 Mann veranschlagen. Alles­ berechtigt daher zu dem Glauben, daß die bevorstehende Kampagne in der Krimm einen entscheidenden Einfluß auf den Gang des Krieges, wie der Politik ausüben wird.* „Die „Spru­hhritte der Fortifikationsarbeiten von Ka­mtesch, deren eine der Depefchen B­eliffter!3 gevenft — schreibt man der „Ind. b." aus Paris — hängen mit dem neuen Feldzugsplane zusam­­men. Man will große Anstrengungen machen, um Sebastopol zu nehmen, oder um wenigstens die russische Flotte im Hafen zu zerstören und um in der Stadt nicht einen Stein auf dem anderen zu lassen. Dann würde ein Theil der Ar­mee sich wieder einschiffen. Kamiesch aber würde als Waffenplan beibehalten werden ınnd eine Garnison von 20.000 Mann darin zurückblicken, welche birch die verbündeten Geschwader ohne Unterbrechung verproviantert werden konnte. Die Position von Kamiesch scheint nämlich von Natur so furchtbar zu sein, daß sie mit einigen Zut­aten der Kunst ein anderes Gibraltar daraus machen ließe. Gleichzeitig würde man Kontantinopel auf unbestimmte Frist belegen: die Garnison der türkischen Hauptstadt soll aus 40.000 Truppen bestehen. Eben­so würden die Miii­zen Barna, Gallipoli und Adria­­nopel in ihren Händen bewahren. Herren so vortrefflicher Stellungen könnten sie sie alsdann auf die fortdauernde Vernichtung des gesammten russischen Han­dels beschranken und ruhig, ohne neue Opfer zu bringen abwarten, bi der Be­tersburger Hof die Hand zum Frieden bieten will." Die französtschen Berichte aus der Krim, vom 15. Mai, bringen Näheres über zmwei Ausfälle, welche die Rusen in den Nächten des 13. und 14. gegen die englischen Linien­ machten. Der erste Ausfall wurde vom Feinde mit nur ger­­ingen Streitkräften unternommen; die englischen Schilowarden schlugen zu rechter Zeit Lärm, die Nuffen wurden mit einem wirksamen Feuer empfangen und nach halbstündigem Gefechte zurücgeschlagen. Die Engländer hatten etwa 60 Kampf:

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