Pester Lloyd - Abendblatt, Januar 1876 (Jahrgang 23, nr. 1-24)

1876-01-14 / nr. 10

— = Der in der heutigen Situng vom Finanzminister ein­­gereichte Gefegentwurf lautet: Gefegentwurf betreffs der Radeinlösung eines Theiles der auf Basis der Gejeß- Artikel XXXIII:1873 und XIV:1874 emittirten Shaßbond. §. 1. Der Finanzminister wird ermächtigt, von den aus der Verwerb­ung der zweiten Hälfte das auf Basis des Gefeg-Artikels II: 1875 zu emittirenden Renten-Ansehens einfließenden Summen 20—22 Millionen Gulden zur Rackeinlösung der auf Grund der Gefeg-Artikel XXXIII : 1873 und XIV : 1874 emittirten Schaßbons zu verwenden. , 8,2. Ueber die Durchführung dieser Operation wird der Finanzminister dem Reichstage Bericht erstatten. . ..§. 8. Mit der Vollziehung dieses Gefeges wird der Finanz­minister betraut. Budapest, 12. Jänner 1876. Koloman Szelt. = In Angelegenheit des Kredits der Kleingrunds­tefiger fand gestern Vormittags im Justizministerium eine Kon­­ferenz unter Borsik des Staats-Sekretärs Karl Csemegi statt, an­­ welcher seitens des Ministeriums des Innern Ministerial­­rath Sofef Riba­r 9, seitens des Finanzministeriums Ministerial­­rath Leeb, seitens des Unterrichts-Ministeriums Gestionsrath Franz Boncz und vom Handelsministerium Dr. Kl Herrich theilnahmen.­­ Im Kultus und Unterrichts - Mini­sterium erschien — wie „Glienör“ meldet — gestern unter Führung 063 Schul-Inspektors Sosef Liber eine Deputation aus Ipolyfag. Die Deputation hatte den Zweck, das Mini­sterium mit den Spolyfäger Schulverhältnissen bekannt zu machen und Diese der Unterfrügung des Ministeriums zu empfehlen. S 3 erilu­rt in Spolyfäg eine vorzüglich eingerichtete jüdische Schule,­­ welchte die dortigen orthodoxen Israeliten (fünf Familien) duch die Errichtung einer besondern orthodoxen Schule unmöglich machen wollen , die 30 Familien zählende Gemeinde i­ nicht im Stande zwei Schulen zu erhalten, und im Falle der Theilung der Gemeinde müßten sich beide Schule auflösen. Die Deputation richtete daher an das Ministerium die Bitte, den Orthodoxen nur für den Fall die Gründung einer Schule zu gestalten, wenn sie für die Erhaltung derselben einen sichern Fond aufzuweisen ver­­mögen. Außer dieser Angelegenheit faum aug noch eine in Spolyfag zu errichtende bürgerliche Mädchenschule zur Sprache ; Kieselbe würde ein mächtiger Faktor fü­r die Verbreitung der ungarischen Nationalität und Hebung der Bildung im Honter Komitate sein, und würde deren Errichtung auch seine großen Opfer erheirschen. 68 wird im Ganzen vom Ministerium gefordert, daß dasselbe der Stadt Ipolyfág, beziehungsweise dem SHonter Komitate gegen vollkommene Sicherstellung einen Borschuß von 20.000 Gulden ertheile, von welchem Betrage 18.000 Gulden zum Anlaufe des Schulgebäudes, 2000 Gulden zur ersten Einrichtung desselben verwendet werden sollen. Wie wir erfahren, entspingt das in Aussicht genommene Gebäude dem Zmwede besonders ; der Werth desselbern beträgt circa 40.000 bis 50.000 fl., doch kann es, da die Lizitation ausgeschrieben it, um 18.000 fl. getauft werden. Dieses Gebäude wird behufs ‘ Sicherstellung der dargeliehenen 20.000 fl., auf den Staat übers­­chrieben und insolange auf dessen Namen geben, bis die Summe nicht rüderstattet würde, was nach dem Offert binnen 10 Jahren geschähe. Wenn das Ministerium das Offert nicht acceptirt, so entgeht die günstige Gelegenheit zum Anlaufe des Gebäudes und Spolyfag und das Honter Komitat können an die Aufstellung einer höhern Mädchenschule so bald nicht denken. Das genannte Blatt sett diesbezüglich keinen Zweifel weder in den Herrn Kultusminister, der ein so empfängliches Gemüth für unsere nationalen und Kultur­interessen befsst, noch in das Unterrichts-Ministerium, daß es die günstigen Umstände erkennend, beide Angelegenheiten nach dem Wunsche des Schulinspektors und der Deputation erledigen werde. = Der Git des Ofen: Stuhlweißenburger Honved- Distrikts:-K­ommandos wird — mie , EM." meldet — von nun ab in Stuhlweißenburg sein, wohin sich der neue Kommandant Ernst Hollán und mit ihm natürlich der ganze Stab des Kommandos begibt. Dieser Wechsel it eine Folge der Vereinigung der beiden Hauptstädte, die Hauptstadt wird den Verlust nicht fühlen, während Stuhlmeißenburg dadurch nur gewinnen wird. = Gegenüber den Mittheilungen eines Blattes, daß Ober: Bürgermeister Karl Math dem Minister des Innern die der Hauptstadt gegenüber in Anwendung gebrachte Maßregel ange­­tathen habe, kann „Nemz. Hirl." in Folge von Informationen aus kompetentester Duelle erklären, daß der Ober-Bürgermeister in die­­ser Beziehung nicht nur seine V­orschläge gemacht, sondern vorher nur einmal Kenntniß von dem ministeriellen Erlaffe gehabt habe. Aus der gleichen kompetenten Duelle, bemerkt das zitirte Blatt weiter, können mir auch erklären, daß jene Mittheilung, als ob der Ministerialrath Zufaacs den fraglichen Ministerial-Erlaß verfaßt hätte, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. = Der Ministerialrath RibAary begibt si, wie die „Bud. Korr.“ meldet, obwohl die Verhandlungen über die Tren­­find, zur endgültigen Austragung der schwebenden Angelegenheit der Reifen: Öder­­berger Bayı nach Wien. = Wie man der „Bud. Korr.” aus Agram berichtet, dürfte Dödít unwahrscheinlich für die zu bejegende Stelle eines Froatischen Instischef, vom Banus der bekannte Flumaner Advokat und Kroatische, sowie ungarische Abgeordnete Marian Derencsin Sr. Majestät in V­orschlag gebracht werden. = Meber die Entwicklung Sebastopols und den An­­theil, welchen Oesterreich-Ungarn daran hat, wird der „Pol. Korr.“ aus Sebastopol, 2. Zänner, Folgendes geschrieben : “nung des Südbahn-Neßes vertagt worden Handel sein dürfte, möge die Handelswelt in Oesterreich-Ungarn selbst entscheiden.” — Nachdem zu Beginn der heutigen Sigung des Abge­­ordnetenhauses der Finanzminister eine Interpellation beant­­wortet und den an anderer Stelle mitgetheilten Gesechenumwurf ein­­gereicht hatte, wurde die Debatte über die Verwaltungs-Ausschüsse fortgefegt. 683 sprachen heute folgende Redner: Emerich Balogh für, Ernst Mutich gegen, Gabriel Barady für, Graf Aurel Deffemwffy gegen, Graf Emanuel Pichy für, Emil Sim­nyi gegen und [hließlich Thomas Bécsen für die Vorlage. Morgen wird die Debatte fortgelest. Fan. un OTET u­nd #­­ u. Aus dem Reichstage. Bräsident K­oloman Ghyczy eröffnet die Sigung des Abgeordnetenhauses um 10 Uhr. K­­olnar Als Schriftführer fungiren . Beöthy. Auf den Minister-Fauteuils: Tip­a, Széll Simond­, Berczel, Szende, Ziefort,Wendheim. Das Protofol der­­ gestrigen Sigung wird verlesen und authentizirh. Der Präsident meldet folgende Einläufe an: eine Petition des K­olozjer Komitats um Modifikation des Gemeindegefeges, das vom Abgeordneten Ludwig Mocsáry eingereichte Gesuch zahlreicher Miskolszer Bürger, um Einführung des allgemeinen Stimmrechtes oder wenigstens um Er­weiterung des Stimmrechts. — Die Gesuche werden dem Retitionsausschusse zugewiesen. · Anton Molnár,Referent des ständigen Verrickgtions- Ausschusses­ legt den Bericht desselben über die ihm zugewiesenen Wahlprotokolle der Abgeordneten Thomas Vecsey,Ladislau­s Hospu,Alexander Justh und Gedeon Tanazky vor.Die Protokolle der d­rei Erstgenannten wurden vollständig in­ Ordnung befunden und die Abeordneten mit Vorbehalt des B-tägigen Ter­­mins als verifczkrterlärt;betreffs des Wahl-Protokolls des Ab­­geordneten Tanazky beantragt der Ausschuß,dasselbe wegen eines assus,in welchem enthalten ist,daß der Wahlpräses einen Gegenandidaten nicht acceptiren wollte,weil derselbe unbekannt war und man nicht wußte,ob er Wähler sei oder nicht,an eine Gerichts-Kommission zu weisen.­­ Das Wahlprotokoll wird behufs Prüfung an die­ Ges­­ichtskommission gewiesen. Finanzminister Koloman Szäll wünscht,da die Monatss­frist,seitdem Josef Madaraß die Interpellation­ betreffs der T­ä­­tigkeit der Regierun in Angelegenheit der Feststellung des seer­­lichen Zinsfußes an ihn gerichtet,dieselbe zu beantworten ohne jedoch diesmal auf das Meritant derselben« Madard­» einzugehen, fragte, ob die Regierung sich durch den Beschluß des Hauses, der züuglic der gejeglichen Feststelung des Zinsfußes eine Enquete einzuberufen, gebunden fühle? Darauf antwortet der Minister, daß die Regierung sich verpflichtet fühle, dem Beschlusse des Hauses zu entsprechen. Was die zweite Frage betrifft, ob die Regierung die Nothunwendigkeit erkennt die Frage zu regeln, so antwortet Nedner, daß die Regierung die Wichtigkeit der Angelegenheit voll­­kommen er­fasse und die Nothunwendigkeit, ihre Stellung in dieser Frage dem Hause darzulegen. · Aber am besten werde sie dann dem Beschlusse entsprechen wenn das·Elaborat der Enquête vollendet sein u­nd dem H­ause vorgelegt wird·;dann wird die Regierung auch ihre diesbezüglichen Ansichten auseinandersetzen.Redner bittet die Antwort vorläu­fig zur Kenntniß zu nehmen. Josef Madaraß erklärt,daß er die Antwort läufig und bedingungsweise zur­ Kenntniß nehme.· Das Haus nimmt die Antwort zur Kenntniß. Finanzminister Szell:Geehrtes Haus!Paragraphs des Gesetzes über das 80-Millionen-Rentenanlehent ordnet an,daß ein Theil jenes Ansehens zur Schaffun­g eines ständigen Reservefonds­, ein­ anderer zur Deckung der Bedürfnisse der Eisenbahnen aus dem Gestchtspunkte der Investitionszwecke,ein dritter Theil aber zum Beginne der Amortisation des 153-Millionen-Anlehens, resp. der Nacheinlösung der einen Bestandtheil dieses Ansehens bildenden Schasbons verwendet werde, nur vor in ‚welcher es heißt, daß die Modalitäten der Einlösung durch ein 908 erwähnte Gefeg verfügt aber nicht über diese Rad­­einlösung in einem andern Paragraphen, als durch jene Verfügung, besonderes­ Gefes bestimmt werden. Diesbezüglich bieten sich zwei Modalitäten dar: die eine besteht darin, daß die Swingbons bis zur Höhe jener Summe, bis zu welcher Höhe das Land sie einzu­­lösen wünscht, börsenmäßig zurückgetauft werden ; die andere, daß gemeisten, jedenfalls unter dem Nominalnwerb­e festzustellenden Kurse an Zahlungsstatt angenommen werden. Beide Modalitäten haben ihre Vortheile, und besonders vortheilhaft scheint mir die legtere zu sein, wenn der Kurs entsprechend und hinsichtlic­her Verhältnisse des Geldmarktes motivirt sein wird. · ·. In diesem Falle,glaube ich,werdet­ die Vortheile dieses bei der Einzahlung des Nenten-Ansehens selbst Schagbong zu einem Modus eventuell größer sein, als die des ersten, da im alle des börsenmäßigen Anlaufs, wenn dieser in größeren Mengen geschieht, des­ Kurs eine solche Höhe erreichen kann,daß die Differenz zwis­chen dem Nominalmertbe und der Summe des Anlaufs nicht 19 bedeutend wäre, als vielleicht dann, wenn zu einem bestimmten entsprechenden Kurse die Einzahlung auf das Geldrenten-Ansehen bis zur Höhe einer gewissen Summe in diesen Schabbons erfol­­gen würde.­­ Damit in dieser Richtung,entsprechend den Verhältnissen und der Situation des Geldmarktes geschehen könne,was zur Durch­­führung dieser Einlösung im Interesse des·Staatsschatzes·gelegen erscheint, lege ich einen Gelegentwurf vor, in dem der Finanzmini­­ster ermächtigt wird, aus der zweiten Hälfte dieses Newzen-Ansehens die Nacheinlösung von Schagbons bis zur Höhe von 20—22 Millio­­nen zu Alt «« noch das Anlehen behufs Subskription auf den Markt gelangt,sih unterbreite diesen Gelegentwurf darum feßt, um, bevor der, Lage zu ein, den Interessen des­­ Staatsfrages genügen und diesen Geltung verschaffen zu können. Ich bitte demnach, den Befeb-­entwurf,der die Möglichkeit bietet,daß diese Operation möglichst de Interessen des Staatsschatzes entsprechend ausgeführt werde, dem Finanzausschusse behufs Berichterstattung zuzuweisen.(Zustim­­mung im Zentrum.) N Debatte über den DerGesetzentwurf wird dem Finanzausschusse zugewiesen. Folgt die Tagesordnung. Die Gefegentwurf betreffe der Verwaltungs-Ausf­üsse wird fortgefegt. Der erste Redner Emerich Balogh wendet sich nament­­lich gegen die Vorschläge der O­pposition der Nechten, welche das Land auf die Bahn der Zentralisation drängen wollen, ohne zu be­denken, welche Folgen die Zentralisation für das Staatsleben hat. Die stramme Zentralisation führt zu den furchtbarsten Revolutio­­nen, sie hat in Frankreich zum Petroleum geführt, Wir müssen uns vor sold" gefährlichen Experimenten hüten, wir müssen eine der bisherigen Ent­wicklung unserer Verwaltung kongeniale Ber­­befjerung anstreben. Da Redner diesen Zied in der Vorlage an­­gestrebt sieht, acceptirt er dieselbe­­­ Zustimmung, im Draft Musics erklärt, daß er ihn mit tiefem erfüllt habe, von Koloman­ipa, bheidiger der Munizipal-Selbstverwaltung, eine Vorlage eingebracht zu sehen, welche darauf abzielt, diese Selbstvernwaltung zu vernich­­ten. edauern dem einstigen glänzenden Berz­brot aller gegentheiligen Behauptungen werde der Entwurf, wenn er zum Gesebe wird, diese Folge haben. Ohne die Gelbst­­im Geringsten auf tiefere findet Nebner doc in der Nivellirung, welche der Entwurf zwischen Komitaten und Städten verwaltung der Munizipien auch nur Linie zu stellen, als böte städtische, ausführt, ein Motiv, um denselben abzulehnen. Er erwartete von einem liberalen Ministerium die Aufhebung der Institution der Bildlisten der städtischen, Obergespäne und anderer reaktionärer Hinrichtungen ; statt­dessen werden neuere Nachhschritte gemacht. Schließlich stimmt Nedner für den Mocsawy’schen Beschlußantrag. (Zustimmung von der Äußersten Linken.­­eiteres im Morgenblatte. Tombor, Z­entrum.). Tagesneuigkeiten. Gefjebes-P­ublikation) Das Amtsblatt publizirt den von Sr. Majestät sanktionirten IV. Gefegartitel vom Jahre 1875 über das 1876er Staatsbudget. Eine glänzende Soirée beim Grafen Georg Festetitz,­ zu meldet die in der Hauptstadt meilenden . — Geliebt und verloren. Roman aus dem Englischen von Wilkie Collins. Autorisirte Weberfeiung.) Zweiter Theil. (26. Fortlegung.) Ein Kellner, ein ganz junger Bursche öffnete. Als das Licht des Borplaktes auf mein Gesicht fiel, hielt er plöglich mit der beab­­sichtigten Anrede inne und trat ein paar Schritte zurück. Ohne mich auf Erklärungen einzulasfen, s&leß ich die Thu­r Hinter mir und sagte kurz: „Ein Herr und eine Dame kamen eben in dies Hotel.” „Was wollen Sie hier?" Er zögerte und fügte dann in verändertem Tone hinzu: „Was wünschen Sie von denselben, mein Herr ?“ „Ich wünsche, daß Sie mich an einen Ort führen, uno ich ihre Stimmen hören kann , nichts weiter. Da ist ein Govereign für Sie, wenn Sie mir milsfahren.“ Er blickte begierig nach dem Goldstück, welches ich ihm vor die Augen hielt. Dann schlich er auf den Zehen ein paar Schritte zuid und lauschte nach dem Ende des Ganges hin. ch hörte nichts als das schwere stürmische Boden in meiner eigenen Brust. Er kam zurück, reife vor sich hinmurmelnd: „Der Herr ist unten beim Nachtmahl — ich mage ez! Aber Sie versprechen mir,“ fügte er flüsternd hinzu, „daß Sie gleich weggehen und die Mühe des Hauses nicht stören werden ? Wir sind stille Leute hier und können seinerlei Lärm brauchen. Sagen Sie es gleich heraus , versprechen Sie, leise aufzutreten und sein Wort zu reden ?" „IH verspreche es." „So folgen Sie mir, Herr, und treten Sie um Gotteswillen leise auf.“ Eine seltsame Kälte und Ruhe, eine eisige Unempfindlichkeit, ein dunkles Gefühl, als würde ich von geheimen, unwiderstehlichen Mächten vorwärts getrieben, übersam mich, als ich ihm die Treppe hinauf folgte. Er führte mich leise in ein leeres Zimmer und flüsterte, nach einer Seite deutend : „Es ist nur ein Brettermond” — dann wartete er lautlos, die Augen ängstlich und unverwandt auf jede meiner Bewegungen gerichtet. 39 lauschte, und doch die dü­nne Scheidewand hörte ich Stimmen — ihre Stimme, seine Stimme Ich hörte und erfannte — meine namenlose Schmah! Ich hörte ihn über die Geduld und Vorsicht triumphiren, die den Erfolg des abseitlichen Komplott gesichert hatten, das, Monde um Monde heimlich geplant, nun in der Nacht vor eben dem Tage zur Ausführung kam, an dem ich eine elende Berbrecherin als Gattin heimzuführen dachte. 939 war seines Wortes, seiner Regung mächtig. Das Blut stieg mir fochend zum Hirn ; mein Herz zuchte und bäumte sich auf in wilder Dual; das L­eben tobte und miütb­ete in meinem Innern, als wollte es die Hülle sprengen. Ganze Sahre der furchtbarsten geistigen und physischen Leiden waren in diesen einen qualvollen Dennoch verlor ich nicht ganz das DBemußtsein. Ich hörte den Kellner balb laut sagen: „Mein Gott ! Ich fühlte ihn meine Halsbinde lodern und mich mit faltem Wasser besprengen. Er schleppte mich zum Zimmer hinaus auf den Borplat, öffnete ein enfter und hielt mich mit fester Hand so, daß mir der Nachtmind ins Antlit blies. Ich war mir all dieses bewußt, ich fühlte wie der Parorismus vorüber­­ging und nicht, als eine fröstelnde Kraftlosigkeit in jedem Gliede zurückließ. Bald begann auch meine Denkkraft langsam zurückzukehren. Schmerz, Scham und Abscheu und die Sehnsucht, mich vor allen menschlichen Augen zu verstehen und mein Leben im Verbor­­genen auszumeinen, übermäctigten mich. Dann ihmwanden diese Empfindungen, und ein Gedanke stieg langsam an ihr ei­ne Stelle auf — und trat jeden Gewissensstrupel nieder, jeden an" ergogenen Grundtag, jede Sorge für die Zukunft und Erinnerung an die Vergangenheit, jeden schmäh­enden Einfluß gegenwärtiger Leiden, das jedes Band, fesselte, jede Besorgniß für den guten Ruf jede Hoffnung auf das Senseits. Vor dem grimmen Gifte dieses Gedankens mußten alle anderen, gute mie böse, sterben. Aber er rief meine physische Kraft zurück; ich fühlte sie heiß und Hastig durch meine Adern strömen. Ich wandte mir und blickte nach dem eben verlassenen Zimmer — meine Gedanken flogen weiter, flogen zu dem Zimmer, wo sie sich befanden. Der Kellner Hatte neben mir gestanden und mich scharf be­­obachtet. Plöglich fuhr er zurück und deutete mit bleichem Gesicht und angstvollen Augen auf die Treppe. Io „Gehen Sie“, flüsterte er, „gehen Sie gleich! CS­it Ihnen jeßt besser — ich fürchte mich), Sie länger hier zu Laffen. Ich sah Ihren Eli, Ihren gräßlichen Eid wag jenem Zimmer. Sie haben gehört, was Sie für Ihr Geld hören wollten — gehen Sie gleich ; oder, und wenn ich meine Stelleg dafür verliere, ich schreie Mord und alarmire das Haus. Und das merken Sie si : so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich warne die Beiden, bevor sie den Fuß über unsere Schmelle fegen.“ Ich hörte ihn wohl indeß ich hinaus ging, aber ich achtete feiner Worte nit. Keine Stimme hätte mich zurüdeuten Können von dem nun betretenen Wege. Der Kellner beobachtete mich mach­sam von der Thür aus. Dies bemerkend, machte ich einen Um­­weg und fehrte exit zu der Stelle zurück, mit meiner Vermuthung gemäß der Wagen noch auf die Beiden wartete. Der Kutscher Schlief im Innern desselben. Ich mechte ihn, sagte ihm, daß man mich gefhicht habe, um ihn diese Nacht jedes meitern Dienstes zu entheben, und bezahlte unbedenklich, was er forderte. 34 sah ihn davonfahren, sah das erste Hinderniß auf meinem verhängnißvollen Wege beseitigt. Als der Wagen verschwunden war, blichte ich zum Himmel auf. Die dunkeln zerrissen treibenden Wolfen zogen sich immer mehr in eine ungeheure, formlose, dräuende Maffe zusammen und verdunkelten gänzlich den Diond. Ich ging in die Straße zurück und stellte mich in den finstersten Schatten eines Ganges, der dem Hotel gerade, gegenüber an Pferdestallungen entlang führte. Indeß ich in der Mitte und Dunkelheit thatlos bearrte, stieg mir ein Gedanke unmilitärlich auf die Lippen und mechanisch faßte ich ihn in Worte. Leise flüsterte ich vor mig Hin: 39 werde ihn tödten, wie er beraubtritt. Dieser eine Gedanke beherrschte mich vollständig — ich Dachte seinen Augenblick an mich, an sie. Der Schmerz war erstarrt in meinem Herzen, und das Bewußtsein meines Elends war vor Schmerz erstarrt. Der Tod vernichtet Alles , und der Tod und mein Gedanke waren Eins. Einmal, während ich so auf der Lauer stand, wurde ich von müthender Unruhe gepeinigt. Denn gerade, als es nach meiner Berechnung Zeit für sie war, sich auf den Weg zu machen, um North Billa zur festgerechten Stunde zu erreichen, hörte ich einen langsamen, schweren, regel- 68 war der Polizist des Distriktes, der seine nächtliche Runde machte. Als er dem Ein­­gang der Stallungen nahe gekommen, blieb er stehen, gähnte, wehte die Arme und begann dann eine Melodie zu pfeifen. Wenn Mannion herauskam, während er dort war! Mein Blut ftohte bei dem Gedanken an diese Möglichkeit. löslich hörte der P­olizist au pfeifen auf, blickte die Straße hinauf und hinunter, probirte das Schloß einer nahen Thür, — — ging einige Schritte vorwärts — blieb wieder sehen und versuchte an einer zweiten Thür — und dann murmelte er schläfrig vor sich hin — „Ich habe hier schon nachgeschaut : es ist eine andere Straße, die ich eben vergaß.” Er ging auf demselben Wege zurück, den er gekommen war. Ich hef­tete meine brennenden Augen wahsam auf das Hotel, indem seine Schritte in der Entfernung immer sehmäc­er wurden. Sie verhall­­ten ganz ; dann blieb Alles stil — der Mann, auf dessen Leben ich wartete, kam noch immer nicht. Zehn Minuten verstingen — da öffnete sich die Thür­­ig hörte Mannion’s Stimme und die des Burschen, der mir Cinlag gegeben. „Sehen Sie sich vor, ehe Sie hinausgehen“, sagte der Kellner, „die Straße ist nicht sicher fir Sie.“ Ungläubig, menig­ Ntend scheinbar, wies Mannion den Kellner zu und u und b Fuchte seine Mitschuldige zu­ beruhigen, indem er behauptete, die Warnung sei nur ein Versuch, Geld als Belohnung zu erpresfen. Der Bursche erwiderte aufgebracht, daß er sich weder um das Geld des Herrn, wo um den Herrn selbst im Geringsten tümmere. Dann hörte ich eine innere Thür heftig zuschlagen und wußte nun, daß Mannion seinem Schicsal überlassen worden. Ein momentanes Schweigen entstand ; dann sagte er seiner Mitschuldigen, er werde allein nach dem Wagen sehen gehen, und daß sie am besten thäte, die Thür zu Schließen und seine Rückunft ruhig im Hausgang zu erwarten. 63 geschab. Er trat in die Straße hinaus. Die zwölfte Stunde war schon vorüber. Kein fremder Schritt war hörbar , sein menschliches Wesen in der Nähe, das den kommenden Kampf sehen , verhindern konnte. Sein Leben ge­­hörte mir. Todbringend folgten ihm meine Schritte bis zur Straßenehe. Dort angelangt, sah er sich rings nach dem Wagen um, und als er ihn nirgends erblickte, wandte er sich hastig zurü­c. In diesem Augenblill stand ich ihm Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ehe ein Wort, ein Blid gemechselt werden konnte, umklammerten meine Hände seinen Hals. Er war größer und schmerer als ich und rang verzweifelt mit mir, wohl wissend, daß er um sein Leben kämpfte. Er konnte meinen Griff nicht abschütteln, aber er zerrte mich auf die Chauffee hinaus — zerrte mich acht, zehn Yards von der Straße hinweg. Ich hörte feine Feuchenden, halberstichten Athemzüge ; er schmanzte unwüthend hin und Her und schlug nach mir mit hocherhobenen Fäusten. Ich stand fest und hielt ihn auf Armeslänge von mir ab. Indem ich meine Fersen in den Boden bohrte, um festern Fuß zu fallen, hörte ich das Knirichen von Steinen — die Landstraße war neuerlich mit Granit gepflastert worden. Da kam mir ein bar­­barischer Einfall, der meine tödtliche Entschloffenheit zu blinder Muth aufstachelte. Ich schob meine Hände weiter rüdmarte in seinen Naden und schleuderte ihn mit der ganzen Gewalt meiner rasenden Muth, das Gesicht nach unten, auf die Steine. In dem wahnsinnigen Triumph dieses Augenblick. Hatte ich mich schon zu ihm niedergebeugt, wie er besinnungslos unter mir lag, um ihn wieder aufzuheben und nicht nur sein Leben, sondern auch jede Spur von menschlichen Zügen auf dem Granit zu zer­­schmettern, als ich, in der unheimlichen Stille, die dem müthenden Ringen folgte, die Hausthür des Hotels noch einmal öffnen hörte. IH sprang empor und stürzte — ohne bestimmte Ursache oder Ab­­sicht — dahin zurück. Auf der Treppe vor dem Hause, auf der Schwelle dieses ver­­suchten Ortes, stand das Weib, das der Priester Gottes mir vor des Höchsten Angesicht zur Gattin angetraut. Scham und Verzweiflung duchschanderten mein Herz bei ihrem Anblick und risfen meinen Geist aus feiner Erstarrung empor. Tausende und abertausend Gedanken wirbelten mir in milder Ber­­mh­rung durch den Kopf — Gedanken, die mein Hirn zu verbren­­nen schienen — die mir mit höllischer Marter sprachlos machten, gerade als ich mein Leben hingegeben hätte, um eine Sekunde lang meiner Stimme mächtig zu sein. Stumm und thränenlos trat ich auf sie zu, ergriff ihren Arm und zog sie mit mir fort. Ich hatte eine unklare Absicht, sie niemals [08­, nie einen Schritt breit von meiner Seite zu lassen, bis ich ihr gemwisse Worte gesagt. Aber mal diese Worte waren, oder wann ich sie aussprechen mirde, davon mußte ich nichts. Ein Schrei um Gnade schmebte auf ihren Lippen, aber als sich unsere Augen trafen, erstarb er in einem langen, reifen, hytte*­rischen Stöhnen, ihre Wangen waren geisterbleich, ihre Züge starr, ihre Augen leer wie die eines dioten; Schuld und Schreden hat­­ten ihre Schönheit schon zerstört. IH 309 fie einige Schritte weiter. Dann, mie­­des auf der Zandstraße liegenden Körpers erinnernd, blieb ich stehen. Die ra­­ende Kraft, die ich vor wenigen Minuten beseifen, hatte mich bei ihrem Anblick verlassen. Best ichmankte ich aus rein physischer Schwäche, ihr Kenden und Schaudern, ihr unartikulirtes­ Murmeln um Gnade flößte mir ein übernatürliches Entfegen ein. Meine Finger zitterten um ihren Arm, der Falte Schweiß tropfte mir wie Regen über’s Gesicht herab, taumelnd ergriff ich ein Gitter neben mir, um mich vor dem Fallen zu Shen. Da entriß sie mir ihren Arm, so leicht al wäre ich ein Kind gemesen, und floh mit einem Hilferuf die Straße hinab. Noch immer trieb mich der seltsame Suftiakt, sie nicht loslaffen zu wollen. Wie ein Betrunkener Bin, und herfgwanzend, eilte ich ihr nach. Aber schon im nächsten Mo­­ment war sie meinen Augen ents­chwunden. Nichtsdestoweniger ging ich weiter­­ weiter, und weiter, und weiter, ich mußte selbst nicht wohin. Ich verlor jeden Begriff von Zeit und Entfernung Man: mal durchschritt ich immer und immer wieder dieselben Waffen, stets denselben Kreis beschreibend. Manchmal eilte ich in gerader Richtung vorwärts, Und wohin ich ging, mir schen, daß ich noch immer ihre Spur verfolge , daß sie sich eben von mir losgerissen und nun vor mir her fliehe. 99 erinnere mich, in diesem Zustande an zwei Männern in­ einer großen Straße vorübergekommen zu sein. Beide blieben Stehen, drehten si um und gingen mir ein paar Schritte nach. Der Eine lachte über mich als einen Betrunkenen. Der Andere hieß ihn mit ernster Stimme schweigen , denn ich sei nicht be­­trunken, sondern wahnsinnig — er habe mein Gesicht beim Schein der Gaslaterne gesehen und sich von meinem M­ahnsinn überzeugt, mir wie die Eine Furcht Hatte mich überwältigt, die sich in ihrer ganzen gräßlichen Wahnsinnig!— Das Wort schallte Stimme des jüngsten Gerichtes wag. Wahnsinnig! Berworrenheit in dies eine Mort faffen ließ — eine Y Furcht, die fglimmer ist als Todesfurcht, die feine menschlie Zunge in "ihrer ganzen entseglichen Wirklichkeit zu schildern vermag. Bisher war ich unaufhaltsam weiter geeilt, weil ich ein Gespenst vor mir der fliehen sah — einen Schatten, der mich nach sich 309, dunkler als die Dunkelheit der Nacht. Auch jebt eilte ich vorwärts, aber nur weil ich nicht innezuhalten wagte. Ich weiß nicht, wie weit ich gefommen war, als mich alle Kräfte verließen und ich Hilflos niederfan­d an einer einsamen Stelle wo nur wenige zerstreute Häuser standen und Bäume und Felder undeutlich aus der Dunkelheit emportauchten. So barg mein Ges­­icht in den Händen und suchte mich zu überzeugen, daß ich no bei Sinnen sei. Ich strengte mich an, meine Gedanken zu Sammeln, meine Erinnerungen zu unterscheiden, eine einzige klare Idee aus der allgemeinen Verwirrung zu fassen — und konnte es nicht. In dem furchtbaren‘ Singen um Selbstbeherrschung fehlen mir alles Bargefallene, als das Entfegen dieser entfeglichen Nacht in Nichts zusammenzuschrumpfen. Ich blickte nieder auf und suchte meinen Beistand dur das einfachste Mittel zu erproben — indem ich mich bestrebte, alle sichtbaren Häuser zu zählen. Die Dunkelheit vermirrte War es denn dunkel ? Oder zog dort im mich. Dunkelheit ? — trüben Often die Morgendämmerung herauf? Wußte ich, was ich sah ? Schien mir ein Gegenstand zwei Sekunden lang der­­selbe zu sein? Was war das unter faltes, weiches, thaufrisches Gras. Ach beugte meine Stirn darauf nieder und versuchte zum lettenmal meine Sinne burg Beten zu beruhigen ; versuchte ein Gebet zu sprechen, das ich von Kindheit auf gefannt und täglich wiederholt hatte — das Baterunser. Aber die heiligen Worte kamen nicht auf meinen Ruf — nein! nit ein einziges von ihnen allen! 34 bob mig mühsam auf die Kniee. Ein rother Lichtglanz flammte mir entgegen ; ein Glanz wie von höllischen G luthen, aus dem Tausende von Dämonen auf mich niederregneten ; dann eine strahllose Finsterung — eine Finsternis, wie sie den Blinden umfängt — dann endlich­ Gottes Barmherzig­­keit — die Nacht des Vergessens. Als ich wieder zum Bewußtsein kam, lag ich auf dem Sopha Mein Vater Hüste mein Haupt auf den Kiffen; der Doktor fühlte mir den Puls und ein Bolizist berichtete ihnen eben, wo er mich gefunden und wie er mich nach­­baute gebracht. Ende des zweiten Theils, ·Augenblick zusammengedrängt. -e­r­ stirbt!« mich an Leimath und Familie in Diesem Leben und­­ mäßigen Schritt die Straße herab­kommen. in meinem eigenen Studiozimmer. mir? GragP jal N A

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