Pester Lloyd, Dezember 1884 (Jahrgang 31, nr. 331-359)

1884-12-03 / nr. 333

» « . Budasyeft, 2. Dezember. Vergangenen Sonntag hielt Dr. Ladislaus Rieger in Prag einen Vortrag über die politische Lage in Ungarn, aus welchem wir sowohl im Montag, wie im Dienstag­­als ehen­ und aufrichtig zu nehmen sind, Morgenblatte telegraphische Auszüge brachten. Gern Hätten wir nun den vollständigen Tert der Mode abge­wartet, ehe wir eine Meinung darüber abgeben ; allein da ung devselbe aug bis heute Abends nicht zugenommen tt, missen wir befürchten, daß wir mit unserer Besprechung möglicherweise erst zu einer Zeit kämen, da das Spätereffe an dem Gegen­­stande zum größten Theile bereits verflüchtigt ist; denn — das müssen wir sofort bemerken — einen tieferen nachhal­­tigeren Eindruck hat die Rede Rieger’s, soweit sie bis jebt bekannt ist (und die Telegramme haben doch wohl alles MWesen­liche wiedergegeben), in den hiesigen politischen Kreisen nicht gemacht, und zwar tragen hieran, unserer Aufrufung nach, sowohl persünlige, wie fachliche Gründe die Schuld... Die mißtrauische Brage, welche heute in einzelnen Blät­­tern aufgeworfen wird, ob nämlich die Erklärung % Mieger’s aufrichtig gemeint feiern. Diese rage­n­ es nicht, welche auf das Untheil unserer politischen Kreise bestimmend einwirkt. Man hat allerdings Er vergessen, Daß es eine Zeit gab, im welcher Herr Dr. Rieger uns gegenüber minder freundliche Desinnungen hegte ; allein : Sapientis est, consilium mutare in melius und es ist immerhin möglich, daß eine Neide von Er­fahrungen und das augenblicliche Spätere sie den hervor­­ragenden ezechiichen Politisk­ dahin gebracht haben, seinen früheren unfreundlichen Gesinnungen Heute ganz aufrichtig freundlichere zu subtituiren. Wohl aber beiräftigt man si mit der viel näher liegenden Frage: und wenn die von Herrn Dr. Rieger zum Ausdruch gelernten Unfichten wer feht Heute hinter ihm und mie groß ist die Anzahl derjenigen ezechiischen Bolitifer, von denen feine Versichten getheilt werden ? Und da kann man wohl bei aller Achtung vor jener bedeutenden Mole, welche Dr. Rieger in der Ver­gangenheit gespielt hat, sich d­ennoch niggt der Erkenntnig ver: Feh­een, daß der Einfluß Dieses cink so gefeierten Führers Heute bedeutend reduzirt erscheint. Während ich früher das Guss aller national gesinnten Politiker in Böhmen u­meine Fahne schaarte, machen si Heute an der Moldau zwei Strömung­­en geltend, deren eine Kurzweg duch den Namen des Gtofen Clam-Martinis, die andere eben­so prä­­ale duch jenen des Dr. Gregr geheimzeichnet wird, während Dr. Rieger — außerhalb Beider steht. Keine jener beiden heute dominirenden Strömungen aber ist von der Art, daß sie einer Annäherung an Ungarn günstig wäre, oder daß ein Bersuch in dieser Richtung, unch wenn er von czechischer Seite wirklich unternommen würde, hier auf sympathische Aufnahme zu rechnen hätte. Vom Grafen Slam Martini trennt uns in politischer, von Dr. Gregr in nationaler Beziehung eine geradezu un­­überblühbare Kluft und so hat es dem fü­r uns eine immerhin sehr hohe moralische, aber leider nur relas­tiv geringe praktische Bedeutung, wenn von Herrn Dr. Rieger und einem kleinen Häuflein seiner Getreuen in der That ganz aufrichtig ein näheres Verhältniß zu Ungarn angestrebt würde. Allein auch aus fachlichen Gründen ist man hier wenig geneigt, in der jüngsten Enunziation des Herrn Dr. Rieger ein Ereigniß von größerer politischer Tragweite zu erbliden und der sonntägige Vortrag hat hier umso weniger sensa­­tionell gewirkt, als Herr Dr. Rieger bereits seit einer Reihe von Jahren wiederholt Gelegenheit gesucht und gefunden hat, ungarischen Politikern gegenüber dieselben Ansichten zum Ausdruck zu bringen, welche den wesentlichen Inhalt seiner Rede im Prager Brechen-Klub bildeten. Es ist darin , absolut nichts Neues enthalten und so weiß man denn auch hier nichts Neues darü­ber zu sagen. Vor etwa drei Jahren, unmittelbar nachdem Herr Dr. Rieger ansere Hauptstadt mit einem längeren Besuche beehrt hatte, nahmen wir uns die Freiheit, in einem Artikel unseres Blattes das politische Ergebniß der während der Ab­wesenheit des Herrn Dr. Rieger hier gepflogenen Besprechungen zu verumiren. Allein neu konnte Dasjenige, was Herr Dr. Rieger hier er­fuhr, ihm Schon damals nicht sein, denn es ging einfach dahin, dab man in Ungarn den Erechen gegenüber nicht nur von jeder Voreingenommenheit frei sei, sondern ihrer Nationalität wie ihrem Lande aufrichtig das beste Gedeihen wünsche, im Uebrigen aber an den bestehenden Gelegen unbedingt festhalte, welche uns ein Hinausgehen über diese guten Wünige nich­t gestatten. Wir bezeich­­neten damals — ebenfalls an der Hand des Gefeges — allerdings auch jene Fälle, in­ denen Ungarn aus bdieser Zentralität herauszutreten genöthigt und verpflichtet wäre, nicht weil es irgendwie Luft hätte, sich in die österreichischen­­ Angelegenheiten einzumischen, sondern weil es den Ausgleich muve unter gewissen Bedingungen abgeschlossen hat, durch deren Wegfall auf der Ausgleich seine Geltung verlieren würde. Als solche Bedingungen bezeichnet (mebst . der selbstverständlichen Wiederherstellung der ungarischen Bew­fassung) das Gefeg­­baz auch in den übrigen Ländern und Provinzen Sr. Majestät streng verfassungs­­mäßig regiert werde und dann, „daß einerseits die Länder der ungarischen Krone zusammen, amndererseits die Übrigen Länder und Provinzen Sr. Majestät zusammen als zwei besondere und vollkommen gleich­­berechtigte Theile betrachtet werden.” Diese mehrere Bedingung it es, Die wir jederzeit Der ganz besonderen Beachtung der­ ezechischen Bolititer empfohlen haben; denn wenn Ungarn, im Sinne des Ausgleiches, für die ganze Monarchie gemeinsame Angelegenheiten anerkennt und sich an einer gemeinsamen Behandlung bieser Angelegenheiten herbeiläßt, so kann dies im konst­tutionellen Wege nur dann mit Erfolg geschehen, wenn dem mugarischen Barla­leichberechtigte ei­n Vertretungskörper fü­r die übrigen Königreiche und Länder gegenüber steht, sowie denn auch der Gebante, daß wir jemals über diese gemeinsamen Angelegenheitn mit so und so vielen österreichischen Landtagen zu verhandeln­ und uns zu verständigen Hätten, von ungarischer Seite jederzeit auf das Entschiedenste zurückgewiesen worden ist. Herr Dr. Rieger dürfte vielleicht einen hervorragenden­­ Beneg nennen, welcher vor einigen Jahren beg­elegenheit einer Besprechung mit einem jeher maßgebenden ungarischen Staatsm­anne sich darüber befragte, daß man Böhmen in Oesterreich nicht einmal jene Stellung einräumen wolle, welche Kroatien in Ungarn genießt (Damals verglich man nämlich Böhmen noch nicht mit Ungarn, sondern wäre mit dem Lofe Kroatiens zufrieden gewesen!) und da Herr Dr. Rieger diesen czechischen Politiker — wie gesagt — sehr genau rennt, wird ihm vielleicht auch die Antwort nicht anbekannt sein, welche Legterem entheilt wurde. „Ich habe den Ansgler mit Kroatien nicht gemacht — sagte jene maßgebende ungarische Berfünkischkeit — und mill auch nicht disfutiren, ob er nicht besser hätte gemacht werden können, ob nicht in den Zugeständnissen zu weit gegangen wurde ; allein heute besteht dieser Ausgleich als Geieg, ich muß und werde ihn daher respettiren und ich glaube an, bei einigen guten Willen von beiden Seiten werde sich damit existiren lassen ; allein in Oesterreich wäre es mit einem Kroatien nicht abgethan; es müßte deren zwei oder drei geben, und damit läßt sich nicht existiren." So dacste man bei uns schon vor Jahren und so beuft man auch. Heute noch. Wenn Herr Dr. Rieger in seiner jüngsten Rede es den ungarischen Staatsmännern ans heimstellt, zu beurtheilen, ob sie zur Hohenwart’schen Zeit sehr gethan haben, an dem gemeinsamen Kroncathe theil- Ben, in welchem die Fundamental-Artikel zu Falle ges bat wurden, so it aug Hierauf die Antwort im Bor « stehenden enthalten."Jene an den Mal-Artikel habenfebcht die«Grundbedingungen des Ausgleichs zivisch H ungarnmid Oesterreich gurage gestellt und so war es­ nicht nur ein Recht,sondern auch die Pflicht der damals an der Spitze deligieru­­ng stehenden unga­­rischen Staatsmänner,auf jene schweren Folgen auf­­merksam zu machen,von denen die Annahme dieser Artikel für das Verhältniß zwischen Ungarn und Oesterreich begleitet sein würde. Wir sind überzeugt, daß die heute am Ruder befindlichen ungarischen Staatsmänner jenen Schritt ihrer Vorgänger nicht nur nicht mißhilfigen, sondern in einem ähnlichen Falle auch heute genau dasselbe thun würden. Daß den Ezechen das Medgt nicht zustehe, im die ungarischen Angelegenheiten „ein Wort dreinzusprechen“, darin stimmen wir Heven Dr. Nieger vollkommen bei; die Grechen, oder richtiger gesprochen, das Königreich Böhmen bildet nur einen Theil jenes mit Ungarn paritä­tischen Faktors, mit welchem jener zweiseitige Vertrag, welen wie den Ausgleich nennen, abgeschlafen tourde, während, wie aus den oben zitirten ‚Worten Des Geieges Hervorgeht, nur alle jene cisleithanischen und Länder Sr. Majestät zusammen­­genommen einen mit Ungarn g­le­ich­berechtigten Faktor bilden. Würde Ungarn jemals den Ausgleich­ verlegen, dann könnten die Vertreter Böhmens allenfalls im Reichsrathe hingegen Einsprache erheben, aber in wenn der Reichsrath ihre Anschauungen zu den fehrigen macht. Dan könnte er, aber auch nur er, als der­­Bertreter der Ge­­sammtheit der zu Oesterreich gehörenden Königreiche und Länder den anderen kontrahirenden Theil — Ungarn — an dessen vertragsmäßige Verpflichtungen erinnern . Böh­­men, oder irgend ein anderes sterreichisches Kronland für sie, würde nie noch nimmer zu einem ähnlichen Schritte berechtigt fett, sowie wir denn auch über die Erneuerung der variablen Theile des Ausgleichs niemals mit den ein­­zelnen Theilen des jenseitigen Staatsgebietes getremmt, son­dern Stets nur mit der einheitlichen Gesemmiver­­“verung derselben verhandeln künnten. Was Herr De. Rieger über das BVerhaltuis der Ereigen zu den in den Ländern der ungarischen Krone leben­den Slaven sagt, das läßt uns, aufrichtig gesagt, recht gleich­­giltig. Unsere Slaven erfreuen sich hier eines so ausgiebi­­gen Mafes von Freiheit und — innerhalb der vom Gehege gezogenen, recht weiten Grenzen — auch der nationalen Selbstständigkeit, daß bei ihnen — einzelne Fanatiker oder Spekulanten ausgenommen — gegen den ungari­gen Staat oder die ungarische Nationalität gerichtete Agitationen­­an fruchtbaren Boden finden würden. Diese Slawen sind daher auch recht gute ungarische Patrioten und sie verdie­­nen wirklich nicht doch die Zumuthung beleidigt zu werden, als würden sie Dies nur so lange bleiben, als nicht von auswärts irgend Jemand Tommi, der sie gegen uns aufhießt. Wer also­ derlei Heßerein unter­­läßt, der hat sich damit Feinesiwegs noch ein DVerdienst und ebenso wenig einen Anspruch auf unseren­ Dant erwor­­ben; denn es ist fein DVerdienst und Feines Dantes wert­, wenn jemand Dasjenige unterläßt, was nicht nur an und für ih unerlaubt, sondern an von gar feinem Erfolg begleitet wäre. Weberdies stehen und für Die Befestigung der ungarischen Staatsidee und die Ausbreitung der ungarischen Nationalität glückicherweise so viele und so kräftige gejegliche Mittel zu Gebote, daß wir in dieser Beziehung auf feinerlei fremde Gnade angewiesen sind. Wir befassen uns daher auf nicht weiter mit jener subtilen Distinktion zwischen „politischem“ und „literarischen Banflavisum“, welche Here Dr. Rieger­ in seiner Rede aufstellt; das it ein Spiel mit Worten, welches für uns weder Wert­ noH Interesse Hat; wie werden mit herzlichen Theilnahme die Förderung und innere Ent­wick­­lung jeder in 1utterem Vaterlande bestehenden Nationalität begleiten, so lange sie si innerhalb der gesehlichen ren­­ten bewegt und nicht gegen Die­dee des­ wigarischen Staa­tes verstößt; jede darü­ber Hinausgehende­­Beltrei­bung werden wie mit den äußerten Mitteln bekämpfen, unter welcher Masse sie ss auch präsentiren möge... Su dem Gejagten liegt wohl eine genü­gende Meoti­­virung dessen, dag — wie wir eingangs erwähnten — die Nieger’sche Mede bei uns seinen tieferen Eindruck gemaßt hat. Sie hat einen Achtungserfolg errungen,­ sowie ja bei Teduer selbst zu jeder Zeit und ebenso auch­ bei seiner jüngsten Anwesenheit in Budapest in allen Kreisen die syn­­pathischerte Aufnahme gefunden hat, und so Klein auch die Zahl derjenigen ezechischen Politiker sein möge, welche die freundlichen Definnungen des Herrn Dr. Rieger, für Ungarn theilen, wir wissen auch das Wohlwollen dieser Werigen zu schagen. Mehr vermögen wir jedoch nicht zu sagen. Herr Dr. Rieger bei seinem jüngsten Besuche in unserer Hauptstadt einem wungarischen Bolizifer gegenüber seine Verwunderung darüber aussprach, dab. es bisher so gar nicht gelingen wollte, zwischen Ungarn und Czechen intim­ere Beziehungen herzustellen, wurde ihm die Frage entgegen­­gehalten: „Was verstehen Sie, da ja unsere Beziehungen doch Gefege geregelt sind, unter intimeren Be­ziehungen ?" Und auf diese Frage wußte Herr Dr. Rieger seine präzise Antwort zu ertheilen; er hat diese Antwort auch nachträglich in seiner sonntägigen. Nede nicht entheilt und so wird denn diese legtere unwahrscheinlich nur „schüß­­bares Material” bleiben, eine platonische Feundschafts- Erklärung, welche Denjenigen, um die sie gerichtet ist, uns zweifelhaft wohltgut, allein von irgendwelchen praktischen Tolaen tanut begleitet sein dürfte, nicht existirte, während die weiteste Periode unserer Gesell­­schaft unfruchtbar geblieben ist an Anregungen und an Schöpfungen. Insofern ist somit die These fast unbestreitbar, welche der Abgeordnete Grünwald in der heutigen Signung des Reichstages aufgestellt hat und welche darin fulminirte. Die ungarische Gesellschaft Habe nichts mehr zu bieten und weil dem so sei, müsse dr Staat mit den vollendetesten Machtmitteln ausgestattet werden. Die Nede, deren leitenden Gedanken wir hier in einen einzigen Sat zusammenzufassen bestrebt gewesen sind, gehört unter die gedankenreichsten, die seit langer Zeit im ungari­­schen Abgeordnetenhause gehalten worden sind, und wir, die wir stets für jede Erhöhung des staatlichen Ansehens eingetreten sind, vermögen die Tendenz derselben nur mit vollster Billigung zu begleiten. Wohl heißt der Vortrag eine persönliche Sorge, die sich gegen den Minister-präsi­­denten richtet ; doch glauben wir trogdem, daß der derzeitige Kabinetschef selten eine so glänzende Würdigung erfahren habe, wie bei diesem Anlasse. Herr v. Grünwald hat sich gewissermaßen auf den Standpunkt des Historikers begeben, als er die bewegenden Elemente des verfassungsmäßigen Ungarn schilderte und die Stelle, welche der Kabinettchef inmitten derselben einnimmt. Und indem er den Minister- Präsidenten ausstattet mit allen geistigen Mitteln, welche die richtunggebenden Staatsmänner, die repräsentirenden Führer einer Epoche auszeichnen, hat er jedenfalls einen Grad der Unbefangenheit an den Tag gelegt, wie er in par­­lamentarischen Kämpfen selten, in unseren parlamentarischen Kämpfen geradezur beispiellos ist. Es ändert daran wenig, daß der Redner den Kabinetschef schließlich einem Geizigen verglich, der seine großen Schäge von­ Geist und Macht sorgsam versperre, ohne sie zu wüßen. Wie Herr dr. Gri­umwald selbst zu den interessantesten Gestalten unseres öffentlichen Lebens gehört, so zählt seine heutige Nede unter die originellsten Enunziationen, die in dem regigen Hause vernommen wor­­den sind. Cr it Fein „Wilder in dem banalen Simme, der diesem Worte im Parlament font­anhaftet; er gehört viel­­mehr unter die dezidirten Anhänger der gemäßigten Oppo­­sition. Allein gewin­nt, daß seine heutige Nede Beziehungen enthallte, welche ihn nohh weit mehr von der gemäßigten Opposition scheidern, als von der R­egierungspartei, der er selber die Fähigkeit, einer großen nationalen Bolitit Gefolgschaft zu leisten, bereitwillig zugesteht. Die dee, die Grünwald vertritt, im Die des einheitlichen, nationalen, zentralisirten Staates — die einzige Folge vielleicht in un­­serem­ öffentlichen Leben, welche werth ist, daß man ihr ein ganzes Leben widmet. Aber nichts zeigt, Dab Die gemäßigte Opposition dieser­dee, welche sie in ihrem Worenentwurfe allerdings gestreift hat, in der That näher stünde als die liberale Partei. Dodd, es hiege den Werth einer solchen Nede und eines solchen Nenners herabjegen, wenn man­ blos den Gegentug, in dem sie sich zu einem bestimmten Barteipro­­gramm befindet, nachweisen wollte. Herr v. Grinmald­ ist ein viel zu unabhängiger Denker, als daß man ihn nach der Schablone der Barteien beurtheilen dürfte. Und für­­wahr, wir sind so reich um jenen Persönlichkeiten, die nichts repräsentiren, als die Anhänglichkeit an eine Barteirichtung, daß wir eine Individualität, welche nur Dieses Vorzugs entbehrt, gern würdigen. Es wird bald ein Jahrzehnt sein, daß Herr v. Grünwald ununterbrochen jene Aspirationen propagirt, die er auch heute in den Cat zusammengerast hat: „Wir werden eine taatliche Nation sein oder wir m wm wmerbden nicht sein!" Und dieser Grundtag gewinnt mit jedem neuen Tage an Boden, je mehr alle die Peinlichen Konvulsionen der ungarischen Gesellschaft darthun, daß sie nur dann eine Zukunft Haben kanı, wenn sie alle ihre Kräfte bedingungslos dem Staate unterordnet. Wenn­­ ein Mann von den seltensten und reichsten Begabungen der Berfuchung widersteht, Die ihm so viele Gebiete der Thätig­­keit zeigt, und sich aus­chließlich dem Dienste einer einzigen­dee widmet, so würde diese Disziplin des Charakters allein verdienen, daß man Darüber jede Disziplin der Partei vergesse. Die Stellung dieses Medners, die Auf­­nahme, die er heute gefunden, ist Dem auch eine ganz exzeptionelle. Man hat bei seinem Vortrag manchmal ein Gefühl wie das des Helden in der „Tragödie des Menschen‘“. Wie er den Hörer von einer Station zur anderem geleitet, die fünfzigen Formen der nationalen Entwicklung vorhersagend und illusteirend, empfängt man einen Eimbrnch, den die zwingenden Gebote der täglichen P­olitik selbst aus widerspünstigeren Geistern nicht zu bannen vermögen­. Der Minister-präsident, der auf Grün­wald folgte, hat zum Mindesten mit seinem Geiste heute nicht wie ein Geiziger gewicert. Selten wird jem­and den Kabinetschef wirkungsvoller sprechen gehört haben, als diesesmal,. Es war, als fühlte er sich angeregt, eine Illustra­­tion zu jener Schilderung zu liefern, welche das Haus soeben von seiner Begabung empfangen hatte. Neben zahl­­reichen P­ointen, die sämmtlich in den Reihen der Opposi­­tion ihr Ziel erreichten, werden die Ausführungen über das gemeinsame Bollgeleit das lebhafteste Interesse weden. Der Minister-präsident befannte sich auch heute ohne Mild­halt und Berksanfüh­rung als Anhänger der Gemeinsamkeit, und wenn Graf Apponyi ihm dieses Bekenntniß bei einer frü­heren Gelegenheit als mangelhafte Taktik ausgelegt hat, so meinen wir, daß ein Staatsmann im Gefühle seiner Verantwortlichkeit unmöglich eine bessere Taktik befolgen kann, als diese. Es handelt sich darum, einerseits Die Nation vor der Stusion zu bewahren, die man ihr ein­­­­flößen möchte, als enthielte nämlich das getrennte Zollgebiet den Schlüssel zur Heilung­ aller ihrer Gebrechen ; es han­delt sich aber andererseits auch darum, nach allen Seiten hin — amd dem nit durch Schlagwörter bes herrschten Theil der Nation nicht in legter Linie — zu zei­­gen, daß, wenn das Gebot einer nunabweisbaren Nothmen­­digkeit den ungarischen Staat schließlich doch auf die ultima ratio verwiese, welche in dem getrennten Bollgebiet gegeben ist, dieser Entschluß nicht leichten Herzens gefaßt würde, nicht ohne daß die Urheber desselben sich aller ver­­hängnißvollen Konsequenzen dieses V­organges bewußt ge­wesen wären. Von dem Staatsmanne, der heute wieder mit so viel Licht und Energie die Bartheile der Bollgemein­­schaft entwickelte, wird man unter keinerlei Ums­tänden und an seiner Stelle fagen bild­en, er habe die Loszeigung von Oesterreich in irgend­einer Zora vorbereitet. Die bemegteste Partie der Mode war diejenige, in welcher der Minister-präsident auf die Ausführungen Grün­wald’s erwiderte. Der Nenner führte Hier zurück auf die Wechselwirkung zwischen Staat und Gesellschaft und zeigte ganz bestimmt den Buatt, am dem die gesellschaftliche Aktion selbst dem zentralisirten Staate, vor Allen aber dem u­n­­garischen Staate zu Hilfe kommen müse Die Ber­einigung der auseinanderstrebender Kräfte, Die Natio­­nalisirung des Landes, um es ohne Mut­schreibung zu sagen, das ist der Beruf der Gesellschaft. Mit Recht verweist der Minister-Präsident darauf, daß man in unseren Tagen dur­ Negierungsmittel nirgends mehr eine Nationalität aufrichten oder beseitigen könne. So weit über­­haupt noch in dieser Zeit der Individualisieung eine Auf­fangung fremdgearteteer Theile doch­ den leitenden Faktor stattfinden Fanır, it dies nur möglich, indem dieser Retere in jeder Beziehung seine Anziehungskräfte vermehrt. Nicht die DBerwaltung der Waisengelder im die Aufgabe der ungarischen­­ Gesellschaft bilden ; ‚auch werden nicht mehr jene liheroischen Kraftäußerungen von­­ ihr gefordert, durch welche sie sonst Werke schuf, Die der Anerkennung gewiß sein dürfen, so lange der ungarische Ge­danke lebendig ist undkm dieser Stelle herrscht.Ichi­ gehen weiter und sagen,daß für die meisten Leistungen, welche unter normalen Verhältnissen ander­wärts der Gesellschaft zugemuthet werden­,selbst die unga­­rische Gesellschaft unserer Tage noch tauglich befunden werden dürfte.Allein ihr fallen eben besondere Aufgaben zu,die aus der Besonderheit des ungarischen Staates stammenz auf diese besonderen Auf­­gaben hat Niemand mit gleicher Präzision verwiesen,wie dchinister-Präsiden­t in den Schlußsätzen seiner heutigen Rede.Wer­ aber beschreiben wollte,wie die ungarische Gesellschaft Diesen ihren Beruf ausfüllt, dem wirde es in einem gewissen Sinne ergehen wie den großen Engländer — man künnte Bände schreiben und vermöchte Doch nichts Anderes zu beweisen, als daß eine ungarische Gesellschaft in solcher Aufteilung nicht einfüirt ! — Der Trimunitäts-Aunsichtig des Abgeordnetens Haufes hält morgen um 5 Uhr Nachmittags eine Sagung, in wel­cher die Immunitäts-Angelegenheiten der Abgeordneten Yvan Simo­­nyi, Alerius Bap, Gedeon Rohongzy, Ladislaus Tipa, Koloman Deffenffy und Julius Verhovay zur Verhandlung gelangen.­­ Die neue Organisation der Artillerie wird dem­­nächst im Armee-Verordnungsblatte verlautbart werden; der bezüg­­liche Akt befindet sich — wie die , Breffe" berichtet — gegenwärtig beim General-Artillerie-Inspektor FZM. Erzherzog Wilhelm zur Schlußredaktion. Die wichtigeren Einzelheiten der neuen Ar­tillerie-Organisation sind schon gelegentlich der jüngsten Delegations­­verhandlungen bekanntgeworden. Wie das genannte Blatt nach­träglich erfährt, werden jedoch gleichzeitig mit den neuen organischen Bestimmungen für die Feldartillerie auch solche für den Artilleriestab erscheinen. In jedem Korpsbezirke werden alle Abtheilungen der Feld- und Leitungsartillerie einem Artillerie-Brigad­e-Kom­­mando unterstellt. Nur im Bereiche des 15. Korps und des Militär-Kommandos, Zara bleiben auch kü­nftighin die bisherigen Artillerie-Di­veitoren in MWirkjanteil, da die im Ofsupationsgebiete, beziehungsweise in Dalmatien stehenden Artillerie Abtheilungen zu gering sind, um eine Brigade zu formiren. Die 14 Artillerie-Brigadiere werden zur Hälfte Generalmajore und zur Hälfte Oberste sein, während die beiden­ Artillerie- Direktoren in Sarajevo id Zara nach wie vor Oberst­­lieutenante bleiben. Für die neun mächtigeren Festungen in Oesterreich-Ungarn (rzenysl, Krakau, Komorn, Olmüs, Bola, Cattaro, Karlsburg, Trient und Spiefstadt) sind: 4 Oberste, 4 Oberstlieutenante und­­ 1 Major als selbstständige Artillerie-Dirertoren systemisirt. Durch die Schaffung von 14 Korps-Artillerie-Regimentern zu 3 schweren und 2 leichten Batterien, 1 Munitionsparf und 1 Griat-Depotkadre als „Korpsartill­erie”, ferner von 28 seiestständigen schweren W Batterie- Divisionen zu je 3 schweren Batterien, 1 Munitionspart und 1 € Ersat-Deportaire als „Divisions-Artillerie“, dann von acht reitenden Batterie-Divisionen zu je 2 reitenden Batterien für die 8 Kavallerie-Truppen-Divisionen, endlich von 9 schweren Batterie-Divisionen zu je 3. schweren Batterien auf verminderten­­ Friedensstände (d. h. mit nur 2 bespannten Geshngen im Frieden und 1 Munitionspark-Radie) für die 2 Landwehr-Divisionen ergibt sich natürlich bei der bevorstehenden U­mgestaltung eine weitgreifende Transferirung, beziehungs­weise Verfehtebung von Oiffizieren, Mann­­schaften, Pferden, Geshüßen, Wagen, Monturen, Munition und son­stigen Artillerie-Gütern. Die hiedurch bedingten Vermehrungen im­­ Offiziersstande vom Oberlieutenant aufwärts haben auch Beförde­­rungen im Gefolge, die jedoch nicht jet, sondern erst beim regel­­mäßigen Beförderungstermin Ende April nächsten Jahres statt­­finden werden. sz Eine Berliner Aufchrift der „Politischen Korrespondenz" weist darauf hin, daß die scheinbar nur für die Wahllanpagne ges­tohlossene Koalition zwischen dem Zentran und den Freis­­fnnnigen offenbar auch fest für die eigentliche parlamentarische Kampagne etablirt sei. Diese Erkenntnis bildete das Hauptmotiv des entschiedenen Auftretens des Fürsten Bismarc und seiner schonungslosen Charakteristik der beiden Parteien, um die Anomalie und Unmöglickeit einer solchen Verbindung dem allgemeinen Be­­wußtsein in Deutschland ver­kräftig darzutellen. Die deutsche Regierung habe kein Interesse, doch taktische Mittel Diese Partei- Koalition, die in sig selbst den Todesfeim trage, zu sprengen- Den mwmentanen Stillstand der Gesetzgebung werde das Deutsche­­­leichtertragen.Es sei einerseits kein­e Aussicht auf kirchenpolitische Konzessionen oder auf die Anregung der Herzöge von Gumber- Fand in Braunschweig, andererseits seine auf Etablirung eines parlamentarischen Regimes und auf Verwirklichung der „freisinnigen“ Steuerobjekte vorhanden. Deutschland befise die geringsten indirekten Steuern unter den großen Staaten Europas, und nur deren Ver­­mehrung, nicht die der diverten sei ins Auge zu lassen. Während der Periode des Stillstandes bleiben die Krone und der Bundesrath die Wächter der nationalen Einheit und Entwicklung.­­ Die aufgreifende deutsche Kolonial-V­olitik mag dem überseeischen Handel Deutschlands jeder namhafte Impulse zur führen, aber wo Licht ist, findet sich allemal auch einiger Schatten, und so ist denn bei den neuen Erwerbungen in Weitafrisf immerhin aug) der Umstand zu berücsichtigen, daß jeder überseeliche Besit Deutschlands in einem etwaigen Kriege mit einer maritim über­­legenen Macht vmachtlos jedem Angriffe und der Brandschasung duch den Feind preisgegeben ist. So ansehnlich auch die deutsche Kriegsflotte ist, mit der französischen oder englischen darf sie gar nicht in einem Atheimzuge genannt werden. Sie wird selbst nach ihrer weiteren Entwicklung ihre höchssten Aufgaben erfüllt haben, wenn sie gegebenen­falls im Stande ist, die weitgedehnte heimische Küste von der Mündung der Ems bis zum Syrisschen Haff wirtsem zu fügen und in der Ost wie in der Nordsee die Herrschaft zu behaupten. Die Befigungen in Afrika, denen mit einzelnen detachiirten Kriegsschiffen nicht viel geholfen wäre, müssen ihrem Shiefate überlassen bleiben und können eventuell dem auf der See übermächtigen Gegner willkommenen Anlaß bieten, jene Politit der Faustpfänder zu praktiziren, welche eben England und Frankreich in neuerer Zeit in Schwung gebracht haben. Das find­eFährlichkeiten, welche Weutfehland bei seiner Kolonial­­politik nicht zu umgehen vermag. St­and deren N­adwirkung auf den Gang der großen Ereignisse, auf die militärische und politische Entscheidung in Europa eine fast versch­windende, so bedroht sie doch die Geschäftsthätigkeit und ansehnliche Befisthü­mer deutscher Staatsbürger, wodurch die materischen Grrungenschaften,­ die ja die eigentlichen praktischen Ziele einer jeden vernünftigen Kolonialpositit bilden sollen, paralysirt er sehjeinen. Bei solchem Bewenden legt ein sehr tiefer Sinn in dem Streben des­­ Fürsten Bismarc, die Neuntralisation des Kongo-Frei­­staates auf der Berliner Konferenz zu erwirfen. 63 fol wenigstens an der breiten Kongomündung und in den großen, heute zumeist noch unerschlosfenen Ländern, die nach der neuen Terminologie der Berliner Konferenz unter den Begriff des Kongobodens fallen, der Kaufmann in seinen Handel und Befug vor den Nachheilen ein Krieges in Europa gefast bleiben. V­oraussichtlic werden es haupt­sächlich Engländer, Franzosen, Deutsche und Portugiesen sein, melden sich mit ihren Schiffen und Wannen auf dem Kongo und in den Neguatorial-Ländern bewegen oder daselbst Niederlassungen gründen werden. Wie leicht könnte daher ein europäischer Krieg seinen Ren­­dant zu Wasser und zu Land im Kongoboden finden, und zum Gre gößen der eingeborenen Schwarzen, der Kongoneger und Suahelis, würden dann die weißen „Kulturträger” fi selber gegenseitig todt­ Schießen und ihre Niederlassungen zerstören. Die auf der Konferenz grundläglich ausgesprochene Freiheit des Handels und der Schifffahrt im Kongogebiet erhält Jonach exst dann dauernden Werth, wenn dem Kong­o-Freifaate ein internationaler Charakter verliehen und dessen Gebiet in seinem ganzen Umfange neutral er­­klärt wird. Es bleibt dann natürlich nad je der drei Monate nach Ratifikation der Schifffahrtsakte seitens der europäischen Mächte zu etablirenden Kongo-Regierung, der „internationalen Kommission“, durch ein entsprechendes Aufgebot eigener Sicherheits-Organe die Garantien für die allseitige Beobachtung der Neutralität zu schaffen. ment ein . Sr.Majestät» Königreiche Als Budapest, 2. Dezember, A Die wir im der DBudgetdebatte des Reichstages seit drei Tagen unaufgörlich von den Wesen und der Natur der ungarischen befehtfigaft sprechen hören, will uns die sammarische Kritik nicht aus dem Sinn, die ein wiliger französischer Akademiker — in Frankreich gibt es nämlich sogar wilige Mlademiter — jüngst ü­ber das berühmte Werk Herbert Spencer’s, die „Einleitung in die Gesellschafts-Wissenschaft” abgegeben hat. Der Begründer der Soziologie gebt nämlich in jener Arbeit wiederholt und immer von neuem Höchst eingehend die Schwierigkeiten aus­­einander, welche jede systematische Darstellung der Gesell­­schafts-Wissenschaft hindern. Darauf bezog sich das Urtheil des Franzosen : Der. Herbert Spencer habe zwei Bände Soziologie geschrieben, um zu be­weifen, daß es seine Sesellchafts-Wissenschaft gebe und­­ der Beweis sei ihn über Erwarten geglüht. In der That ist nichts verfäng­­licher als jeder Bersuch, die tausendfältig divergirenden Erscheinungen des gesellschaftlichen Organismus gemeinsam zu erfassen und zu erklären. Und wie schwanfend bei uns zu Lande noch die Anschauungen über Diese schwanfenden Probleme sind, dafü­r gibt es wohl man einen sehneidigeren Beweis, als das ein Parlamentarier­ von dem Mange des Abgeordneten Horángfy die Verwaltung der Waffen­­waffen und das Gesundheitswesen unter die gesells­­chaftlichen Agenden zählen konnte ! Es ist jedoch geboten, auch der ungarischen Gesellschaft ihr Recht werden zu lassen. In dieser Stunde genießt sie im­ Allgemeinen den Ruf, der sie auch nach unserer Ueber­­zeugung verdient. Gleichwohl hat sie­­ noch bis in die jüngste Zeit hinein geradezu imposante Leistungen hervorgebracht. Es gibt vielleicht keine zweite Hauptstadt in der Welt, wo das gesellschaftliche Wirken so deutlich und allgege­nwärtig zu dem Beschauer fynace, wie in Budapest. Von der Aka­­demie bis zum Museum, von da bis zu zwei großen Thea­tern, bis zu dem Gebäude für Kunstausstellungen gibt ein­e lange Kette von Anstalten Zeugenschaft für das Walten des gesellschaftlichen Geistes. Allerdings gehören die meisten Diez fer Anstalten einer Periode an, da der ungaische Staat « ER ., Celear. Depefden, A. „Welter Toyo", Arad, 2. Dezember. (Orig. -Telegr) Das Stefativ-Komite der Liberalen Partei hielt heute die erste Sithung nach den­ Reichstagswahlen. Parteis‘ präses Dr. Bonts rreferivte. Der Abgeordnete der Stadt Arad, Dr. Max Falk, habe ihm gegenü­ber, als er fün­f in Budapest weilte, seine Bereitwilligkeit ausgesprochen, nd Arad zu kommen, da er seit den der Wahl vorangega­st te­n­o

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