Pester Lloyd, April 1912 (Jahrgang 59, nr. 91-103)
1912-04-16 / nr. 91
4 und nicht nach Maßgabe der Haagermen, zu deren Unterzeichnern auch die beiden nie den Staaten gehörten, doch eine Vermittlung beigelegt werden konnte. Die aus diesem Anlaß gefaßte Resolution wurde in der Situng des interparlamentarischen Rates am 10. Februar zu Brüssel bestätigt. Die italienischen Mitglieder waren jener Versammlung ostentativ ferngeblieben. Nachdem ihnen die einstimmige Bestätigung der Pariser Resolution durch den Präsidenten des interparlamentarischen Rates, den belgischen Staatsminister A. Beer uaert, mitgeteilt worden war, erklärte die italienische Gruppe in einer in Rom am 27. März dieses Jahres abgehaltenen Sizung ihren Austritt aus der Union. In dem Bericht über jene Sitzung, der geht an das interparlamentarische Amt nach Brüssel übermittelt wurde, bestreitet die "italienische Gruppe dem interparlamentarischen Rat das Recht, über einen im Laufe befindlichen Krieg zu diskutieren und darauf bezügliche Entschlüsse zu fassen. Sie bestreitet, daß Italien die Haager Abkommen verlegt habe, indem sie sich auf jene samose Umstandsklausel beruft, nach der eine Vermittlung nur dann angenommen Werden soll, wenn sie einer im Krieg befindlichen Regierung gerade paßt. In der Pariser und Brüsseler Resolution erblicht die italienische Gruppe einen Tadel und eine „ungünstige Beurteilung ihres Landes. Sie bestreitet dem interparlamentarischen Rat die Kompetenz und die Sachkenntnis, und weist darauf hin, daß auch über die Vorgänge in Persien, wo das Völkerrecht verlegt worden sei, ein ähnlicher Tadel für die dabei beteiligten Länder angebracht gewesen wäre. Schließlich gibt die italienische Gruppe, ihrer Ansicht dahin Ausdruck, daß derartige Erklärungen der Gerechtigkeit widersprächen und auch dem Interesse des Friedens nicht dienen, sondern, im Gegenteil, Jim zu einem Kriegsinstrument ausgestalten können, das umso gefährlicher erscheine, als es mit dem Mantel des Pazifismus bedeckt sei. Aus diesen Gründen erklärt die italienische Gruppe, ss solange von der Interparlamentarischen Union zu trennen, bis in die Statuten ein Artikel eingeführt sein werde, duch den es dem Rat und den Gruppen der Union absolut verboten sein würde. Meinungen und Urteile abzugeben, die sich auf die Handlungen eines Staates beziehen; namentlich dann, wenn es sich um einen bewaffneten Konflikt handelt. Die italienische Gruppe verlangt demnach von der Interparlamentarischen Union ein wenig ehrenhaftes irn. Die Union, die heute bereits auf ein Vierteljahrhundert ihrer segensreichen Tätigkeit zurückkliden kann, Hat dem Völkerrecht und der Friedensorganisation bereits so hervorragende Dienste geleistet, daß er nicht angeht, an sie Forderungen zu stellen, die aus der zufälligen Situation eines einzelnen Landes heraus geboten wurden. Die Arbeit der Interparlamentarischen Union hat zu dem mächtigen Grundriß des Haager Werkes geführt, an dessen Weiterbau heute alle Kulturwölker mitarbeiten und als dessen Hüterin zu wirken die Union ein natürliches Recht erworben hat, dass ihr so lange auszuüben gestattet sein muß, bis die Regierungen selbst die Wahrung und die Verteidigung dieses Erbes in die Hand genommen haben werden. Durch den Ausbruch ihres Bedauerns über das Versagen der Haager Abmachungen im Tripoliskonflikt hat die Union weder ihre Tradition verlegt noch ihre Befugnisse überschritten. Der Hinweis auf Persien hat damit gar nichts zu tun. Denn da das Hemd näher ist als der Rod, hat die Union, die seit den Vorgängen in Persien noch keine Vollversammlung abzuhalten, In der Lage war, erst jene ernsten Ereignisse ins Auge gefaßt, die dem europäischen Interesse viel näher liegen. Abgesehen davon, daß die Vorgänge in Persien, die gewiß einer Kritik zugänglich wären, mit den Vorgängen in Tripolis an völkerrechtlicher Tragweite gar nicht zu vergleichen sind. Es ist merkwürdig, wie feinfühlig die italienischen Delegierten jett geworden sind, essen, daß sie mitgewirkt haben an jener Nution" dieses Rates vom 2. Dezember 1901, wo aus Anlaß des Burenkrieges und der chinesischen Expedition die Union in eindringlichster Weise den beteiligten Regierungen die Haager Abkommen in Erinnerung gebracht hat. Sie haben teilgenommen an der interparlamentarischen Konferenz zu St. Louis, wo sich die erste Resolution der Interparlamentarier gegen jene Regierungen richtete. Deren Heere sich damals auf den mandschurischen Schlachtfeldern gegenüberstanden. Wenn die italienischen Interparlamentarier sich heute so verlegt fühlen, daß sie jenem großen Verbande den Rüden kehren, weil er gegen ihre eigene Regierung eine Stellung einnimmt, die er unter ihrer eigenen Mitwirkung, gegen England, Rußland, Japan und gegen die Teilnehmer an der <inesischen Expedition des Jahres 1900 eingenommen hat, so ist “dies nur ein neuer’ Berweis dafür, wie die Hochspannung des kriegerischen Elans8. die Geister verwirrt. Als die Meldung über den Austritt der Italiener duch die Zeitungen ging, wurde gleichzeitig die Mitteilung verbreitet, daß diese Separation den Bestand“ der Interparlamentarischen Union erschüttere. Davon ist natürlich nicht die Rede. Die Interparlamentarische Union ist heute eine so angesehene und in ihrer Wirkung in der ganzen Welt so anerkannte Körperschaft, daß sie bestehen bleiben würde, wenn selbst die Mitglieder mehrerer Parlamente nicht mehr mitarbeiten wollten. Der Austritt der Italiener ist an sich bedauerlich — im Interesse Italiens bedauerlich —, aber sicherlich kein Grund zu einer Erschütterung der Union selbst. Wenn in nicht zu ferner Zeit der unselige Krieg ein Ende gefunden haben wird, werden „die italienischen Parlamentarier sich ihrer eigenen hohen, pazifistischen Tradition erinnern und sie werden leicht wieder den Weg zur Union zurücfinden. Die Ernüchterung folgt jedem Kriege auf dem Fuße, wie die Abspannung einem Fieberanfall folgt. Sie wird nicht ausbleiben bei dem italienischen Volke, und sie wird dann jene Männer zeitigen, die notwendig und fähig sind, damit Italien, mit den anderen Völkern Europas und Amerikas vereint, wieder für die Entwicklung der Kultur, für den Ausbau der internationalen Organisation und eines gesicherten Rechtsfriedens wird mitarbeiten können. Die Interparlamentarische Union kann diesen Augenbli in Ruhe und mit reinem Gewissen erwarten, grühren Vom Tage. Budapest, 15. April;“/< Die Situation. Will man nicht in den Fehler der Kannegießerei verfallen und sich auf ein Gebiet begeben, auf dem man, von nervöser Ungeduld getrieben, verschiedensten Prophezeiungen „und Kombinationen, Tür und Tor öffnet, wird man gut tun, sich mit der Konstatierung der Tatsache zu begnügen, daß die Situation einen hohen Grad von Spannung zeigt, die nach endlicher Entladung ruft. Es sind in der legten Zeit tagtäglich neue phantastische Pläne aufgetaucht, alle vierundzwanzig Stunden sind der Regierung neue Absichten zur Lösung und Entwirrung des tatsächlich arg verworrenen Knäuels der parlamentarischen Schwierigkeiten zugemutet worden; wer aber die jüngsten Ereignisse mit Aufmerksamkeit hat und diesen DIEWMEN von wi daß die gestrige Anwesenheit des Mini in Wien zur augenblinlichen Verbesserung der parlamentaris nicht wesentlich beigetragen hat, wenn auch andererseits festgestellt werden muß, daß sich die Situation heute nicht ärger gestaltete als sie vordem war. Unserem Dafürhalten nach dürfte auch vor der der Delegationen seine radikale Aenderung eintreten. Ist Budgetprovisoriun unter aber einmal das gemeinsame m sind die Schwierigkeiten Dach und Fach gebracht und überwunden, die sich hinsichtlich der Person des Kriegsministers einem glatten Verlaufe, der Sizungen der ungarischen Delegation sicherlich in den Weg stellen werden, dann wird die Regierung keinen Moment mehr zaudern dürfen, um an zu Hause im Parlament Ordnung zu schaffen, dann wird sie sich rasch zu einem entscheidenden Schritt entschließen müssen, wenn sie nicht die Geduld ihrer eigenen Partei der härtesten und äußersten Probe, die Erwartungen des Landes aber einer gefährlichen Enttäuschung aussehen will. schen Lagers "des Lyris doch „Beschreibenden, des Stimmungsvollen, der ver große Holzplastik „Tanzende Faune“ zeigt, eine der bestenrbeiten dieses vortrefflichen Künstlers. Stemolaks Grabstein für Hofrat Skarup, ein trauernder Jüngling an einen Felsblog gelehnt, vom Künstler aus Salzburger Marmor selbst ausgehauen, verdient Lob, wie auch seine Bronzeköpfe Anerkennung finden. Franz Upılas „Alte betende Frau“ ist breit und kräftig gearbeitet und ein sehr lobenswertes Werk. David Edström, ein in Paris lebender Schwede, hat mehrere Arbeiten gesehit, die eine gute französische Schule und Hinneigung zu Rodin verraten. Ein Mädchenkopf in Majolika, von Elsa Kalmar-Kövesházy modelliert und selbst ausgeführt, ist eine sehr beachtenswerte Leistung. In der Galerie Miethke ist jebt eine Ausstellung zum Andenken an den zu früh verstorbenen Wiener Maler “Emil Jakob Schindler zu sehen. Es sind jecht gerade zwanzig ‚Jahre, seit diese vortreffliche Künstler in seinem fünfzigsten Jahre aus dem Leben schied. Die ausgestellten Bilder geben uns ein klares Bild der Schöpfungen des Künstlers vom Jahre 1878 bis zu seinem Tode. Wir können daher ermessen, wie viel weiter‚reich an ihm verloren hat. Er wäre gewiß einer der Ersten gewesen, der sich an die Sezession angeschlossen und seinen Platz an der Seite Rudolf v. Alts eingenommen hätte. Wie oft sprach Hevesi mit mir über diesen Künstler, bedauernd, daß ihm nicht eine höhere Entwicklung vergönnt war. Er erzählte von jenen Tagen, als Makart und Schindler ihre Ateliers in demselben Hause in der Gußhausstraße hatten, von der glücklichen sonnigen Natur, von den zweifellos großen Talenten Schindlers, die ihn zu viel Größerem berechtigt hätten. Das Erhabene, Monumentale fand nicht "den Weg zu seiner Seele, dafür aber war er der Maler eiten und besonders war'er der Maler ' des Wienerswaldes, dessen Reiz Schindler eigentlich erst entdeckte und verherrlichte. Die herzerfreuende Lieblichkeit der frischen grünen Wälder im Frühling übertrug Schindler in seine unübertrefflichen harmonischen Bilder, in entzüdende Lyrik voll Anmut und Stimmung. Die jeit bei Miethke ausgestellten Bilder zeigen, wie sehr Schindler die Natur verstand, wie er von ihrem Geiste erfüllt, von ihr begeistert und inspiriert wurde. Wir sehen hier lange Reihen von Landschaften, durch die sich ein Fluß, wellenförmig schlängelt, Landstraßen von Tannen und Birken begrenzt, von denen besonders „Die Waldstraße von Scharling“ wundervoll gelungen ist, Motive aus Goisern, Weißenbach und dem immer wiederkehrenden, immer frischen und ewig-jungen Wienerwald. Der Kameraklub feiert sein zwanzigjähriges Bestehen durch eine Ausstellung im DOesterreichischen Museum. Sie bietet ein Bild der Entwicklung der künstlerischen Photographie vom Jahre 1887 bis zum heutigen Tage. Höchst interessant ist es zu beobachten, wie diese Kunst sich allmählich verfeinert hat und welche Fortschritte in dieser Zeit auf dem Gebiete des Gummibruchverfahrens gemacht worden sind. Besondere Verdienste sind hier den Herren Dr. Henneberg, Dr. Kühn, Dr. Spißer, Dr. Reiniger, Dr. Julius Hoffmann und Waßek zuzuerkennen. In der modernen Abteilung tritt viel Talent zutage. Von Damen halfen die Frauen Mizzi, Jelle und Dely Peruß, die Malen Helene Bittmann, Olga v. ann Bertha Klose der Ausstellung Erfolg, verschaffen. Dr. Reinigers Arbeiten zeigen Originalität und künstlerische Fertigkeiten, Dr. Franz Angerer und Philipp Ritter v. Schöller bringen stimmungsvolle Landschaften, Ricco Weber außerordentlich gute Genrebilder. Von Porträtisten wären Dr. Paul Cohn, Norbert Reichert, Otto Scharf, Alfred und Robert Baier und Hauptmann Nicolas Schindler zu nennen. Die Ausstellung erregt viel Aufmerksamkeit, und mit Recht, 3 ; ; Auer ! Vor allem 1 ; i , i ‚Is , gé CI Bil? € > ; , » i v DAT ; Fr — egz - A | — - - Der Ausnahmszustand in Kroatien, Budapest, 15. April, Der königliche Kommissär 9. Cuvaj in Budapest, Der königliche Kommissär Dr. Eduard v. Cuv 02% besuchte heute nachmittags abermals den Ministerpräsidenten Grafen Karl Khuen-Héderváry und pflog eine längere Konferenz mit ihm. Dr. Duval dürfte erst nach zwei, drei Tagen nach Agram zurückehren. in, (Telegramme,des „Besten: Lloyd die Erpedierung Konfiörationen. t 3 a Fiume, 15. April, Die Zeitung ‚Novi List“ wird, da sie,sich troß des Deribotes mit Politik beschäftigt, von den kroatischen Behörden Tag für Tag konfisziert. Freitag traf in Susak. und dem kroatischen Städten des Litorales eine Verordnung ein, die den Versand des Blattes erschwert. Hierauf stellte die Administeation Oesterreich geht der Versand ungestört vor sich 7 . Eine Protestversammlung in Wien Wien, 15. April Heute abends fand hier eine Protestversammlung kroatischer, serbischer und slowenischer Studenten statt, der auch die Abgeordneten Trefics und Popovics anwohnten. Ein Polizeikommissär erschien in der Betzsammlung und wurde von dem Abgeordneten Tresics begrüßt. Nachdem die Legalität der Versammlung kontrolliert war, verließ der Polizeikommissär das Lokal. Es wurde eine Resolution angenommen, in der gegen die Sistierung der kroatischen Verfassung Protest erhoben wird. An den Abgeordneten Lorkovics, der zu drei Monaten Gefängnis verurteilt ist, wurde eine Begrüßungsdepesie gerichtet. Der Abgeordnete Treffen richtete an die Studenten die Aufforderung, im Kampfe gegen die „magyarischen Oligarchen“ Besonnenheit an den Tag zu legen, des Blattes ein, Nach Dalmatien m Die Situation in Oestereich; Telegramm des „Pester Lloyd“Yy Ein Polizeipräsident in Prag. EEG Prag, 15. April, Wie die „Bohemia“ meldet, hat der König den hiesigen Polizeidirektor Krkava zum Polizeipräsidenten ernannt. Außer Wien ist Prag »die einzige Stadt Oesterreichs, die einen Polizeipräsidenten haben wird, ; ás — — > Eine angebliche ? Dd Aenßerung des Kaisers Wilhelm. (Telegramm.) patriotisches Volk Nach Angabe eines italienischen Blattes soll Kaiser Ben R Venedig einer italienischen Persönlichkeit gegenüber geäußert haben: Wenn ich ein so intelligentes und t wie die Italiener sind, würde ich die Hälfte Europas erobern. . B. Da diese Nachricht bedauerlicherweise auch in die deutsche Presse übergegangen ist, ist das „Wolff-Bureau“ ermächtigt, festzustellen, daß es sich um eine höschlassige Erfindung handelt. („Wolff-Bureau.“) ; Berlin, 15. April E hätte, Die deutschen Wehrvorlagen. (Telegramme bes „Pester Lloyd“) Berlin, 15. April. Dem Reicfstage sind heute die neuen Wehrvorlagen zugegangen und im Zusammenhange damit eine Ergänzung zum Gratsentwurf für 1912 mit einer Denkschrift über die Dedung der Kosten. Auch ein Gesehentwurf über die Beseitigung des Brantweinkontingents ist dem Reichstage zugegangen. Zur Deckung der Mehrkosten stehen der erwähnten Denkschrift zufolge zunächst für das Jahr 1912 eine Reihe von Mehreinnahmen zur Verfügung, die bei der Aufstellung des Etats im Frühherbst so nicht zu erwarten gewesen seien, auf die aber jehr mit Bestimmtheit zu rechnen sei, insgesamt 80 Millionen Mark. Den Rest bringt die Aufhebung des Branntweinkontingents, das im nächsten Jahre 145 und in jedem folgenden Jahre 36 Millionen Mark Mehreinnahmen ergeben wird. Das Kontingent wird, für Bayern, Württemberg und Baden herabgeseßt, in den übrigen Teilen des Reiches aufgehoben. Sollte die gegenwärtige wirtschaftliche Lage sich fühlbar verschlimmern, und sollten besonders neue Somnerneen an das Reich herantreten, würde sich die otwendigkeit ergeben — so heißt es in der Denkschrift —, neue Einnahmsquellen zu erschließen. Berlin, 15. April. Zu den heute dem Reichstage zugegangenen Wehrvorlagen schreibt die „Nordd. Alla Ata." unter Ei vel ae Sie Fr . ” Bi 4