Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1928. július (75. évfolyam, 147-172. szám)

1928-07-01 / 147. szám

i'KS'rVir __________________ Somit können wir auf einem doppelten Wege M feinem vollen Verständnis aelan-^enr einerierts durch das Deuten seiner Persönlichkeit, andererseits durch den Hin­weis auf die geistige Zeitlage, die seine ungeheure, durch­­ffchlagende Wirkung bedingte. Die Persönlichkeit erichlretzt sich uns in den Werken, Briefen und Selbstichilderungen, Lie in all ihren seltsamen Verkleidungsmethoden doch das wahre menschliche Wesen des Verfassers offenbaren. Wir ffehM ihn, die kranke, lügenzerfressene Seele, wie sre durch Las feindliche Lebeir gehetzt und gepeitscht wird, und die Laum erträgliche Schande der eigenen Unterlegenheit !im starren, krampfhaften Willensdrange des Ueberwin- Lens aufzulöseir sucht. Eine trostlose Kindheit, voll mo­­sralischer Verwahrlosung, niederschmetternder Erniedii- Mngen und heiher Versuchungen schlechter Triebe qei^hnt ihn 'früh chur Lüge und zum Bedürfnis, sich vor den Men­schen zu verkleiden und zu verstellen. Dazu gesellt sich, nach den ersten Würfen hastigen und skrupellosen Glua­­suchens, die leidenschaftliche Begierde, sich überlegen zu sfühlen, das unerträgliche Gefühl der Niedrigkeit und des Verachtetseins in sein Gegenteil zu verkehren. Er scheut kein Mittel, er setzt sich über sede Norm hinwe^Dw Jahre Les Zusammenlebens mit der verdächtigeir „Maman de Warèns, das kr mpte Geschäft um den Religionswecysel für einen Teller warmer Suppe, dann die Lakaien-und Landstreicherepisode atmeir eineii übelkeiterregenden Dunst gänzlicher moralischer Verkommenheit airs. Dann kommen die Jahre langsamen, hartnäckigen Ausstiegs' durch die Phasen des Gesandtschaftsschreibers, Privatphilosophen, IMusiklehrers und Komponisten findet sich langsam der Schriftsteller. Man rechnet Rousieaus^ geistesgeschicytlichr Bedeutung von dem Aufsatz, mit dem er an dem Wett­bewerb für den Preis der Akademie von Dison teilnahm: hier nämlich formuliert er zuerst den paradoxen Satz, der Fortschritt der Künste und der schönen Wissenschaften habe die Menschheit um keinen Schritt vorwärts -geb,rcht, eher brächten sie Unruhe und Verwirrung in die. Welt, die sie ihrer frommen Unschuld beraubt hätten Nur ent­springt diese Anschauungsart keineswegs rein theoretischen Erwägungen; Rousseaus persönliche Beschaffenheit schließt diese Möglichkeit von vornherein aus. In diesem Satze, wie in allen grundlegenden Sätzen seiner Milosophie, sucht er unbewußt die auLgleichende Formel, Lie sein mißartetes Verhältnis zur umgebenden mensch­lichen Gesellschaft zuechtzustellen, seine Ansprüche auf Anerkenimng zu rechtfertigen imstande wäre. Der in­nere Mechanismus dieses Formelsuchens ist etwa fol­gender: arls allen Wertschätzungen, die im allgemeinerr Urteil eine fest bestehende Geltung hatten, fühlte sich Rousseau hoffnungslos ausgeschlossen. Er war von niedriger Geburt, gehörte zu keinem festgeordneten Stand, besaß keine humanistische Bildung. Der Begriff der Wchrhaftigkeit und Rechtschaffenheit — gegen die er nur zu oft verstoßen mußte, um seinen Weg machen zu xgnnen — verknüpfte sich in seinem Denken mit all dem, worMs er durch seine individuelle Lage ausgeschlossen war: mit den Wertbegriffen des Adels, der Vornehmheit, Les Reichtums, der höheren Bildung. Alle diese Werte mußte er verneinen, um für die eigene Existenz eine woralische Basis zu findem Und da hierdurch gar Nichts mehr als Wert gelten konnte, was an persönliche Lei­stung, an moralische und geistige Vortrefflichkeit gebun­den war, mußte eine neue universelle Grundlage allen 'menschlichen Wertes gefunden werdem Diese Grundlage sozusagen das Gegengewicht zu den herrschenden Wert­prinzipien — fand Rousseau naturgemäß in der In­stanz, die für jeden Mangel reichlichen Ersatz zu bieten versprach: im fühlenden Herzen. Sein ganzer Moteft gegen Regierungs-. Erziehungs- und Dichtungs­­mechoden seiner Zeit stützt sich auf diesen einen Punkt: Las Einpfind-ungsvermögen, das Herz ersetzt alles, kann Äber durch nichts ersetzt werden. Die ständige Rechst^­­itigungsmethode, die er in den Oonkossions bei allen heik­len Punkten feines Lebenslaufs anwendet, läuft auf bissen Primat des Herzens hinaus: denn wer hat dre Stirn zu leugnen, daß er, Jean-Jacques, in allen Mo­menten seines Lebens, auch in den dunkelsten und unbe­rechenbarsten, das tiefste Vermögen zur gesühlsseirgen ^Rührung besaß? Mochte er sonst in allem der Letzte und Schlechteste sein: im innern Heiligtum des Busens schwelgte er in Triumphgefühlen, von denen der korrek­teste Ehrenrnann keinen Begriff besaß. Hier war er stberlegen. So kam es, daß er, der Gatte der Kuchen­magd, der seine Kinder dem Findelhause anvertraute, rn seiner Einbildung Apotheosen des reinen Famrlren- Leiligtums ersö^f; daß er zum Apostel der Mütterlich­keit werden konnte! Die Mitwelt begriff ferne Propheten­grolle; die Zeit, die auf Las Verneinen alter Werttafeln ^eingestellt war, jubelte dem neuen Kodex des Herzens stürmisch entgegem Nun war das, was wir das „Slsttem Rousseau inenncn dürften, für Zeit seines Lebens festgesetzt. Seine Menschliche Haltung entspricht fortaii dem Ueberlegenheits­­^prinzip, das er im „fühlenden Herzen" sand. Es heilte lsein Selbftbewußtsein, das unter dem peinlichen Gefühl jgesellschaftlicher Unbeholfenheit und Täppischkeit zu leiden chatte; er verdankte ihm die glückliche Eingebung des groß­zügigen Grolls gegen die falsche Jnrrigenwelt der Salons, Lie Mee der einsamen einsiedlerischen Größe» Denn ach, !wie gern hätte er in den Empfangsräumen glänzender und geistreicher Damen eine ebenso brillante Rolle ge­spielt wie der Taschenspieler Griinm und der Teufelskerl fDiderot! Es ging nicht; es blieb ihm aber seine Methode. Das Zerwürfnis mit den glücklichen Rivalen konnte nicht ausbleiben; und er nahm in l'Ermitage (wo er seinen Lebensunterhalt der sentimentalen Laune einer Dame der verachteten Salons verdankte) die Rolle des großen Fein­des der menschlichen Gesellschaft auf. Den literarischen und philosophischen Ertrag dreser Jahre bilden die Hauptwerke „Nouvelle Heloise" und „Emile". Jens verkörpert den einzigen goldenen Traum ^seines Lebens: der Held SaintMreux ist für den lang­sam schon grau werdenden Jean-Jacques das unerreich­bare Wunschbild des Liebeshelden. Alle Seligkeiten be­sitzender glücklicher Liebe, die die WiAlichkeit ihm hart­näckig verweigert hatte, kostet er in dieser Trauinphantasie bis zur Neige aus. Alle Frauen, die in seinem Leben die Rolle der erträumten Geliebten gespielt hatten, ballen sich zur Gestalt der Julie zusammen. Die neueste und wirk­lichste dieser Liebesheldinnen ist die blonde Mme. d'Houdetot, die den Park der Ermitage und seinen fieberhaft leidenschaftlichen Gast, den traurig ergrauenden alten Jüngling zu sentimentalen Spaziergängen benützte, von denen sie dann in die Arme des legitimen Liebhabers, des Ritters von Saint-Lambert, zurückkehrte. Die Freund­schaftsküsse, die Jean-Jacques bei diesen närrischen Mondpartien hie und da erhaschen durfte, verdichteten sich in seiner Einbildung zum Erlebnis hingebender, selig­machender Liebe. Das trennende Moment aber, das klare Bewußtsein entscheidenden Nichtbesitzens, gestaltete sich im ersten Teil des Romans als.der naturwidrige Zwang des Standesunterschieds — so führte^ die Revolution des Ge­fühls Zur Revolution der Stände —, im Zweiten aber als die weihevolle Selbstüberwindung der beiden Liebenden, deren Herz vor der heiligen Altarflamme der Ehe ver­stummt. Julie nämlich ist verheiratet; ihr Mann ist der ehrenfeste, bieder-ernste Wolmar; er ist der Träger der naiv-grotesken Freundschaftsbeteuerungen Rousseaus zu Saintèmbert, durch die er die sich langsam zurück­ziehende Mme. d'Houdetot noch eine Weile an sich zu fesseln suchte. „Emile" ist schon ein Werk der Wende; ja, die Wende kündet sich bereits im zweiten konfessionell-häus­lichen Teil der „Hèloise" an. Von nun an tritt immer mehr das in den Vordergrund, was in seinem Weltbild feste Bindung, Ordnung und Gefüge bedeutet. Dabei müsten wir an keine objektive Gesetzmäßigkeit denken. Was hier Gebundenheit Hst: Religion, feste Norm, ist noch rousseauisch-subjektiv im echten Mnne. Aber das Wunschbild, das nun nach und nach zur Erscheinung ge­langt, färbt sich immer mehr ins Pathetisch-Gesetz­geberische. „Emile" ist schon ganz normativ gedacht; ein Traktat über das Thema, wie man Kinder erziehen soll. Das grundlegende Prinzip freilich ist wieder das Gefühl, das im Kinde ungefälscht zur Reife gebracht werden soll. „Natur" als oberstes Prinzip der Erziehung ist hier nicht der fröhlich-skrupellose Sinnenkult des alt­gallischen Gargantua; Natur steht eher im Dienste einer etwas vergrämten Skrupelhaftigkeit; sie ist die oberste Instanz, die dafür sorgt, daß Schuld und Sühne im Leben des Zöglings ausgeglichen bleibt. Sie ist einfach der Umweg, den die sittliche Erziehung nehmen muß, um ja keineswegs der kalM Begrifflichkeit zu verfallen, denn Begrifflichkeit, der Weg durch den Kopf, ist das Böse schlechthin: Natur hingegen, d. h. der Weg, der un­mittelbar durchs Herz führt, ist der rechte, denn er allein betrifft den wahren Menschen. Dies ist der Grund zur pedantischen Regulierung der Umwelt als erziehenden Faktors: das,Kind hört keinerlei fittlrche Mahnung, spürt aber die unangenehmen Folgen gleich am Leibe, wenn es sich gegen ein sittliches Gesetz verging. So bleibt seine „Reinheit", die Natürlichkeit seiner Moral gewahrt. Auch Rousseaus Religion besteht nicht aus aus­gesprochenen Thesen; über Gott bekommt der Junge erst etwas zu hören, wenn sein Gefühlsvermögen zum Erfassen des 'höchsten Wesens genügend reif ist. Diese Religion ist also Erfühlen Gottes, kindliche Hingabe des Herzens, seliges Auskosten der Ewigkeitszüge in Berges- und Waldespracht und im gestirnten Himmel; dabei noch, was schon einen Schritt über die zeitgemäße deistische An­schauungsweise hinaus bedeutet, in der herzergreifenden Schönheit des Evangelienberichtes. Die Attitüde des Propheten und Gesetzgebers wird immer eindringlicher. Bisher bildete den Brennpunkt der Gedankenströme Rousseaus das Individuum im Gegen­satz zur Gemeinschaft; nun richtet sich sein Augenmerk auf die Gemeinschaft selber, aus den Staat. Der Staat als Gemeinwesen soll all das verwirklichen, Mas dem Einzel­menschen vorgeschriebon ist: es soll Naturstaat sein, nicht auf starre Gesetze und auf Waffengewalt, sondern auf freien Entschluß seiner Mitglieder gegründet bestehen. Es schwebt ihm, nun sein Geist das Idealbild Les Staates erschafft, ein naturhaft-urtümliches Staatsgebilde vor, dessen Eharakter dem antik-hellenischen stoischen Republi­­kanismus am meisten entspricht. Die frühe Plutarchos- Lektüre des Kindes, das einst auf den Knien des rätsel­haften Vaters die gute alte Amyot-Uebersetzung phantasie­­umrauscht verschlang, klingt in der alternden Seele nach. Und zur stoisch-republikanischen Ideologie, die im Oontrat sooial ihre Form findet, glaubt er die entsprechende Wirk­lichkeit im eidgenössischen Bunde gefunden zu haben. Nun bekennt er sich wieder als Schweizer Bürger, Eito^su cko Eöiièvs, und träumt von einem prophetisch-großartigen Lebensende als neuer Solon der Alpenrchublik. Die schwere Enttäuschung, die diesem Traum das Ende gab (denn nicht nur, daß er in Genf keinerlei Würde erstieg; nein: der enge Sinn und reaktioinäre Konfesfionalismus des Konsistoriums verwickelten ihn in Hetzen und Fehden, in denen or naturgemäß unterlag) —, diese Enttäuschung nun brach sein lganzes Leben entzwei. Nun kam das ruhe­­lost Gesagtsein, Verdüsterung, Verfolgungssucht, noch ein kurzes verstörtes Auflodern des kranken Willens in Paris, und dann das Grab unter den Weiden in Ermenonville, — und dann um dieses Grab die Wallfahrten der Dkrn­­schensteunde Europas; die Legende. . Er war einer der großen Selbstdeuter: immer wieder stellte er sich an, sein ergenes Wesen, seine eigenen Handlungen im wahren Lichte zu zeigen. Recht und Un­recht klar vor die Welt zu legen. Und aus dieser krampf­haften Selbstschilderungssucht ersteht nun wirklich der lebendige Mensch. Nicht der Prophet, der Ueberwinder, der Machtmensch, als den er sich manchmal geben wollte: nein, eine arme, blutende, gepeinigte <^Sle, die, zwischen brutakler Gewalt der AußeMvelt uNd Lüge und krank­>^ftiSM Trug im JiWern hin- und hevgsworfeu, kerrrtz Ruhe finden konnte. Durch das seelengeträn-kte Wori suchte er das eigene Ich zu erlösen; es ist AveifÄhaft, oS es ihm auch noch in den berauschtesten Momentan^ schwelgenden Sisgeâgefühls restlos gelang. Es gelang ihm aber unendlich mehr: er gab den erlösenden Auf.' schrei dam wortlvsen Dmuge einer unterdrückten Masseu­re. Das „Herz",^ dessen Banner er trug, wurde zuM Mcvchüvort die in dhr-em Ress^ntimeni g-sgen Mbrachte herrschende Werts ein neues wsvtbÄdendes Prinzip ersehnten. Und er selbst, einer der Unglück­­liWsn, dis je ihren Leidensweg verewigt haben, öffnete für Unzählige neue Bahnen zum Glück. Was er auch war, er wurde das, was nur die Wenigsten werden'- kvmr» ten: eine Kraft gestriger und heutiger èfHWe. .4. . ______I. ArK DieKefikrmngstrrmegitttS rmUahenMstP«. Von Berthold Molden. Es ist zwanzig Jahre her, seit in MäzsdonisN die RaucWviM aufftieg, die folgenschwere Ereignisse für das türkische Reich und ^ür Europa ankündigte. Am 3. Juli 1908 war es, daß nrer dem Eindruck der Nach­richten über bedrohliche englisch-russische Besprechungen in Reval Oberst Niagi Wendi in Rasna an der Spitze von zweihundert Gesinnungsgenossen, unter denen M der nachmals berüh-mt gewordem Major E-nver befaâ, gegen Movasbir aufbrach, mit dem Vochabsn, nach Konstantinopel zu dringen und die Wiedsrherstellung der Verfassung von 1876 zu erkä-mpifsn. Schon am 2-l. Juli mußte Sultan Abdul Hamid dis Verfassung anerkennen. Eine neue Aera sollte für das osmanische Reich beginnen, eine Aeva der Gleichberechtigung alles Stämme und Bekenntnisse unter dem Motto „Einheit und Fortschritt". -.Aber es war leichter, Abdul Hamid zu demütigea und zu stürzen, als das gefpaltene, zerrüttete, umlauertr Reich aufzurlchten. Die Aufgabe war nicht nur zu groß sür die Männer, die sie in Angriff nahmen, auch dis Größten hätten nicht mit ihr fertig werden können. Es kamen Unzufriedenheit, Zwfftigleiten, leidenschaftlicher Streit, es kanr der Verlust Tripolitaniens, es kam im BaAankrisig, den das verwahrloste uNd schlecht. geführt« Heer verlor, der Verlust fast aller europäischen Pro­vinzen, cs kam endlich der WelErisg, den Rußland ent­zündete, um die Meerengen in die Hand zu bèkommem Der Marinsminister Dschemal, der vorher Frankreich vergebens ein Bündnis angeboten hatte, und der stür­mische, Kriegsminister Enver sollen die Teilnahme der Türkei an der Seite der Mittelmächte erzwungen haben. Man hat dies ihnen und den Jungtürken überhaupt als schweren Fehler vorgeworfen, aber sie hatten den rich­tigen Instinkt dafür, daß die Türkei als unbeteiligt zum Kompenfationsobjekt geworden wäre, und daß sie sich gegen Rußland schützen mußte. So hat sie mitgeholfen. das Zarenreich M überwinden. Aber der^ Friede von Sèvres stürzte, sie tief hinab, und schließlich sollte so>gais auf Keinasiätischem Boden selbst Griechenland sich fest­setzen. Das war zu viel. Unter Führung von MuftafL Kemal raffte das erschöpfte Heer und Volk sich auf,, des Frisdensvertrag wurde zer-rifsen, der Sultan vertrieben,, die Türkei zur RepMik erklärt. Befreit von der Last, ein großes Reich verteidigen zu müsstn, aus dem die' Mchrheit der Bevölkerung wegströbte, freilich auch im^ Besitz verkleinert um das schwer zu Verschmerze-Nds! Mesopotamien und Shrien, kann jetzt das türkische VvlH in seinem anatbl-ischen Heimatland sich sslbst leben, ' , Mit eiserner, rüch'ichtslöser Strenge, die fpätsr auch die Reste der Jungtürken furchbar zu spüren békáméin, haben Mustafa Kemal und sein Kreis den Staat urnge­­staltet. Die Türkei hat Veränderungen durchgomacht, nichr viel geringer sind als die, die sich in Rüßland voll-^ zogen. Sie hat damit, wiederum wie Rußland, auch auf' Kraftelemente aus der Zeit der monarchischen Herrschaft verzichtet. Die neuen Herren in didsen beiden Reichen, ill! denen der religiöse Glaube am tiefsten zu wurzeln schien, haben gefunden, daß es mit seiner Vorherrschaft übeb dis' Gemüter zu Ende sein soll, ja, schon zu Ende sei, und haben daraus im Innern und nach außen hin dis äußer-', .sten Konsequenzen gezogen. Die russische Politik, dis^ zweihundert Jahre mit dem Schlagwort Les Schutzes der Orthdoxen 'arbeitete und Eroberungen machte, här dieses Schlagwort abgoschafft und jenes andere verkündet, das, wie man in Moskau überzeugt ist, die Arbeiterklasse Europas schließlich auf ihre Seite und zum Kommunis­mus führen muß. Die Türkei hat das religiöse Macht­mittel aufgegeben, über das sie in der Kalifenwürde ihres Oberhauptes verfügte unL das sich zwar oft als schr un­zulänglich erwies, aber doch zuweilen nicht unwesentliche Dienste leiste^re; sie hat sogar, indem sie dem Islam den Vorrang als Staatsreligion nahm, die frommen Gläubi­gen im gesamten Orient schwer verletzt. An die Stells des religiösen Gedankens will sie im Innern, nach dem Muster des revolutionären französischen Radikalismus, den nationalen und den Fortschrittsgedanken setzen, und sie zweifelt nicht, daß es ihr gelingen werde. Ob das türkische Volk dafür geeignet ist, ob es nicht dabei seine Hauptvorzügs einbüßen kann, die mit konfervätive-m Festhalten am Ueberlieferten eng verbunden waren, ver­möchten nur intimste Kenner seines Wesens ganz zu be­urteilen. Daß es aber, um sich in der modernen Welt zu behaupten, aus dem Stillstand h!erausg.erisssn werden mußte, fft selbstverständlich, und es gehört ja zur Tragik der Zurückgebliebenen, daß sie durch den Gang der Ge­schichte zwischen die Gefahr des Verdorrens und der Auf­lösung gestellt werden, und daß zwischen beiden nur ein schmaler, schwer einzuhaltender Weg führt. Glücklich, wenn nicht stindliches Ausland sich die fast unvermeidlichen Rückschläge zunutze macht, und daher wird die Frage der äußeren Sicherheit um so wichtiger.

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