Pester Lloyd - esti kiadás, 1929. november (76. évfolyam, 249-273. szám)

1929-11-02 / 249. szám

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Blau, Győri & Nagy, Haasenstein & Vogler, Ludwig Hegyi, Simon Klein, Cornel Leopold, Judus Leopold, Magyar hirdető-iroda, Rudolf Aloise A.-G., Jos. Schwerz, Sikray, Julius Tenzer. Generalvertretung des Pester Lloyd für Oesterreich : M. Dukes Nachf. A.-G« Wien, Wollzeile 16. Einzelnummer für Budapest und für die Provinz: Morgenblatt an Wochentagen 16 Heller, an Sonntagen 82 Heller, Abendblatt 16 Heller. — Für Oesterreich : Morgenblatt an Wochentagen 30 Gr., an Sonntagen 40 Gr. und Abendblatt 30 Gr. — Für Jugoslawien: Morgenblatt an Wochentagen 3 Dinar, an Sonntagen 4 Dinar und Abendblatt 2 Dinar 50, Redaktion u. Adm.: Vn Mária Valéria-ucca 12, Telephon der Administration: 819-00. 76. Jahrgang. Budapest, Samstag, 2. November 1929« Nr. 249 Ausiandschau, — 2. November. — Pilsudskis Handstreich gegen den Sejm. ln Polen ist der sich schon seit Jahren hinzie­hende Konflikt zwischen Marschall Pilsudski und der Parlamentsmehrheit nunmehr in eine akute Phase getreten. Durch das Eindringen der hundert Offi­ziere Pilsudskis in das Sejm-Gcbäude hat die Krise eine scharfe Form angenommen, die ein weiteres Hinauszögern der letzten Entscheidung kaum noch möglich erscheinen läßt. Zum besseren Verständnis der Lage hat man sich folgendes zu vergegenwär­tigen: Marschall Pilsudski ist zurzeit der. eigentliche Gebieter Polens. Er ist es zunächst vermöge seiner großen Popularität in den breiten Volksmassen, die in ihm den nationalen Befreier erblicken; er ist es ferner durch die fanatische Anhänglichkeit der Wehrmacht an seinp Person; und drittens ist er es, weil er es in der Hand hat, das Offizierskorps und die Armee, die ihm unbedingt ergeben sind, in jedem ihm beliebigen Zeitpunkt zur Unterwerfung der widerhaarigen Parlamentsmehrheit aufzubieten. Nicht mit Unrecht erhebt der Marschall gegen diese Mehr­heit den Vorwurf, daß sie die Regierungskorruption unterstützt und deren Nutznießerin ist; ferner, daß sie durch ihre demagogischen Anwandlungen den Konsolidierungsprozeß hemmt, dessen das Land im Interesse seiner wirtschaftlichen und finanziellen Re­konstruktion so dringend benötigen würde. Die gegenwärtige Verfassung Polens gibt aber dein Staatsoberhaupt und der Regierung, überhaupt der Vollzugsgewalt keine Möglichkeit, den Sejm zu einer vernünftigeren und dem nationalen Interesse ent­sprechenderen Haltung zu zwingen, denn diese Ver­fassung stattet das Parlament mit nahezu unbe­schränkten Machtbefugnissen aus und reduziert das Staatsoberhaupt zu einer Rolle, die ihn von jeder Ingerenz auf die Staatsgeschäfte ausschließt. Nach der gegenwärtigen Verfassung kann der Präsident der Republik keine Regierung entlassen, und auch den gesetzgebenden Körper kann er nicht auflösen. Darum strebt Pilsudski schon seit Jahren eine Ver­fassungsreform an, die den Machtkreis des Sejm ein­schränken, die staatsrechtlichen Befugnisse des Staatsoberhauptes aber in entsprechendem Maße ausdehnen soll. Daraus erklärt es sich, daß Pilsudski im Jahre 1922 seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten ab­lehnte und lediglich das Amt eines Generalstabschefs der Armee behielt. Aber auch dieses Amt legte er ein Jahr später zurück, um, verärgert und grollend, sich auf sein kleines Landgut in Sulcjowek bei Warschau zurückzuziehen. Seine Volkstümlichkeit stieg jedoch noch höher, und namentlich in der Armee schwoll die Begeisterung für ihn nachgerade zu einem Fa­natismus an. Die Sejm-Mehrheit ließ sich dadurch nicht be­irren, denn sie glaubte, daß Pilsudski nach seiner freiwilligen Ausschaltung aus dem öffentlichen Dienst aufgehört habe, ein noch irgendwie beachtenswerter Faktor zu sein. Sie hat sich darin schwer verrechnet, denn als im Mai 1926 der wegen seiner korrupten Machenschaften schön zweimal von der Spitze der Regierung verdrängte Bauernführer Witos zum drit­ten Male Ministerpräsident wurde, setzte Marschall Pilsudski eine Militärrevolte ins Werk, die nach fünf­tägigen Kämpfen das Kabinett Witos und auch den damaligen Staatspräsidenten Wojciechowski ver­jagte. Unter dem Schlagwort „Rettung Polens von der Korruption“ hatte sich der Aufstand erhoben, und nach seinem erfolgreichen Verlauf wurde zwei Wochen später Pilsudski von der Nationalversamm­lung zum Staatspräsidenten wiedergewählt. Der Marschall lehnte aber diese Wahl ab und empfahl an seiner Statt den Professor Moscicki, einen dem poli­tischen Leben bis dahin völlig fremden Gelehrten, für das Amt des Staatsoberhauptes. Auch Minister­präsident wollte Pilsudski nicht werden, lediglich als Kriegsminister trat er in die Regierung ein. Seit­her ist Pilsudski sozusagen der aliein entscheidende Faktor in Polen. Der Staatspräsident ist seine Krea­tur, die jeweiligen Ministerpräsidenten werden auf sein Geheiß ernannt, und die Armee steht ihm un­bedingt zur Verfügung. In solcher Machtstellung trachtet er seit drei fahren unausgesetzt den Widerstand des Sejm ge­gen die von ihm gewünschte Verfassungsreform zu brechen. Er ließ nicht locker in diesem Streben, aber auch die Sejmmehrheit ließ nicht locker in ihrem Widerstande. Vor einiger Zeit versetzte sie den früheren Finanzminister wegen Kreditüberschrei­­tungen in den Anklagestand, weil sie wußte, daß die Kreditüberschreitungen zugunsten der Wehrmacht von Pilsudski gefordert worden waren. Als der Staatsgerichtshof Pilsudski verhörte, erklärte dieser, der Finanzminister habe pflichtgetreu die höchsten Interessen des Staates wahrgenommen und ver­diene dafür Lob und Anerkennung. Gleichzeitig überhäufte Pilsudski den Sejm mit Ausbrüchen sei­ner Verachtung und herrschte den Staatsgerichtshof in barschester Weise an. Die Gegensätze waren also in fataler Weise zugespitzt, und es schien aus­gemacht, daß wenn im Herbst der Sejm wieder Zu­sammentritt, der Zusammenstoß zwischen diesem und Pilsudski unausbleiblich sein werde. Unter solchen Umständen kam es vorgestern zum Eindringen der hundert Offiziere in das Sejm­­gebäude. Der Parlamentspräsident — in Polen heißt dieser Würdenträger „Sejm-Marsphall“ — ist zur­zeit der Sozialdemokrat Daszynski, dem ungeachtet seiner Oppositionsstellung gute persönliche Be­ziehungen zu Pilsudski nachgesagt werden. Da­szynski weigerte sich, die Sitzung zu eröffnen, und forderte den Abzug der Offiziere. Die Forderung blieb unberücksichtigt, Pilsudski lehnte die Inter­vention bei den Offizieren ab, und diese ließen sich in den Wandelgängen häuslich nieder. Da wandte sich Daszynski an das Staatsoberhaupt mit dem Anliegen, von Pilsudski den Abzug der Offiziere zu erwirken. Das Staatsoberhaupt erklärte jedoch, auf dieses Ansinnen nicht eingehen zu können, weil Pilsudski ihm den Sachverhalt anders als der Sejm.­­Präsident dargestellt habe. Unter solchen Umständen, nahm der Sejm-Marschall von der Eröffnung der Sitzung überhaupt Abstand, die Abgeordneten gin­gen unter begreiflicher Erregung auseinander, und nun weiß niemand, wie sich die Dinge in Polen weiter entwickeln werden. Vorgestern abend hieß es, daß Arbeitermassen in den Warschauer Vorstädten vor daß Sejmgebäude ziehen und dort gegen das Pronunziamiento der Offiziere stürmische Kund­gebungen veranstalten würden. Glücklicherweise ist es nicht dazu gekommen, vielleicht weil die Sozia­listenführer beschwichtigend auf die Arbeitermassen eingewirkt haben. Anderenfalls wäre es sicherlich zu sehr ernsten Weiterungen gekommen. Jetzt fragt es sich, ob Pilsudskis Gegner im Sejm schon in hinreichendem Maße mürbe gemacht sind, um sich einer Verfassungsreform nicht weiter zu widersetzen? Und weiter fragt es sich, ob, wenn das nicht der Fall sein sollte, Pilsudski entschlossen ist, sie nunmehr über die Klinge springen zu lassen? Ferner fragt es sich drittens, ob man sich unter den gegebenen Umständen darauf gefaßt zu machen habe, daß an die Stelle der bisherigen verkappten Diktatur nunmehr die offene Diktatur Pilsudskis kommen wird? Die Lage in Polen ist kritisch gespannt, und niemand kann Voraussagen, wie die Dinge sich wei­­' ter gestalten werden. Der Freispruch Sanchez Guerras. Das Kriegsgericht in Valencia hat, wie bereits kurz gemeldet, den der Verschwörung angeklagten ehemaligen Ministerpräsidenten und Führer des linken Flügels der Konservativen, Sanchez Guerra, wie auch dessen Sohn und die übrigen mitangeklag­­ten Zivilpersonen freigesprochen. Die beteiligten Offiziere erhielten nur zwei Monate bis ein Jahr Gefängnis. Sanchez Guerra hatte im Januar von Frankreich aus eine Erhebung gegen die Diktatur vorbereitet und war zu diesem Zwecke heimlich nach Valencia gekommen, wo sich das Zentrum der Bewegung be­fand. Das Schiff hatte aber unterwegs eine Havarie erlitten, und da der Führer des Putsches nicht recht­zeitig angekommen war, wurde der Generalkapitän von Valencia wankelmütig und verriet die Sache. An einigen anderen Orten hatten die Putschisten vor zeitig losgeschlagen, und so gelang es mit Leichtig­keit, die Einzelaktionen niederzuwerfen. Die Ver­teidigung hatte für Sanchez Guerra ein früherer konservativer Minister übernommen und ebenso wurde sein Sohn von einem ehemaligen Minister ver­teidigt. Der Expremier war auf einem Kriegsschiffe interniert, konnte sich aber sonst frei bewegen. Er wurde mit der denkbar größten Rücksicht behandelt, da er 70 Jahre alt und kränklich ist. Außerdem ist Sanchez Guerra außerordentlich populär. Er war seinerzeit zum Zeichen des Protestes gegen die Sus­pendierung der Ver/assung freiwillig ins Exil gegan­gen. So lange er sich aber im Lande befand, be­nützten die Gegner der Diktatur jede Gelegenheit, um ihn zu feiern. Von vornherein war es klar, daß die Inhaft < nähme Sanchez Guerras für Primo de Rivera eine große Verlegenheit darstelle und demzufolge ist das Urteil keineswegs so überraschend, als es den An« schein hat. Sanchez Guerra hatte nämlich seiner Aktion den Titel „Königsputsch“ gegeben. Er er« klärte, daß er nichts anderes wolle, als dem König alle verfassungsmäßigen Freiheiten wiederzugeben und eine Verfassungsreform und Neuwahlen der Cortes zu erzwingen. Die Verteidiger plädierten' für Freispruch unter Berufung darauf, daß es keinen Gesetzesparagraphen gebe, der eine Erhebung, die für die Verfassung eintrete, strafbar mache. Dabei könne ja auch die Diktatur eine patriotische Sache sein, aber im Gesetzbuch sei kein Passus darüber vorhanden. Dieser Argumentation schloß sich denn auch das Kriegsgericht an und verurteilte lediglich die mitangeklagten Militärpersonen, die den Eid auf Primo de Rivera gebrochen hatten. Das Urteil des Kriegsgerichtes unterliegt noch der Bestätigung von seiten des Generalkapitäns von Valencia, jedoch ist kaum anzunehmen, daß dieser Protest erheben wird, da Primo de Rivera, gestützt auf die Erfolge der Diktatur und auf die durch ihn bewirkte starke spanisch-portugiesische Annäherung« die auf das Volk Eindruck machte, auf der ganzen Linie eine versöhnliche Haltung einnimmt und hin­sichtlich der Verfassungsrevision seine Gegner durcli ein Kompromiß versöhnen will. Ungarn im englischen Spiegel. Vor Wochenfrist haben wir die in Ungarn emp­fangenen Eindrücke eines englischen Publizisten, des Sonderberichterstatters der angesehenen britischen Zeitschrift Spectator hier wiedergegeben; nun liegt uns der zweite Artikel über Ungarn vor, der schon ausschließlich der Beleuchtung der ungarischen ter­ritorialen Revindikationcn gewidmet ist. Im Artikel wird mit besonderem Nachdruck der ungarische Standpunkt hervorgehoben, daß der Trianonfrieden ein an der Menschheit begangenes Verbrechen ist, und daß ein Volk von alter und tiefer Kultur, das überdies noch Europa Jahrhunderte hindurch gegen . den Ansturm der Türken verteidigt hat, nicht in sei­nem heutigen bedauernswerten, zerrissenen Zu­stande belassen werden darf. Der Verfasser stimmt seinerseits der ungarischen Auffassung, wenigstens was die ethnisch strittigen Gebietsteile betrifft, mit dem Vorbehalte zu, daß eine Revision des gegen­wärtigen Gebietsstatus mittels Volksabstimmung und unter der Aufsicht des Völkerbundes durchgeführt werden müßte. Es sei schwer zu bestimmen, fügt er hinzu, mit wieviel sich die Ungarn zufriedengeben würden, doch könne man sich dem Eindruck nicht verschließen, daß wenn die Hälfte der heute unter fremder Herrschaft lebenden Magyaren, deren Ge­samtzahl ungefähr 3,300.000 beträgt, mit dem Mutterlande wieder vereinigt, den in den Nachfolge­staaten verbleibenden Ungarn aber ihre Minderheits­rechte nach kanadischem Vorbild gesichert würden, die gemäßigte ungarische Öffentlichkeit sich mit diesem Erfolge vielleicht zufriedenstellen würde. Die Ungarn weisen immer wieder darauf hin, fährt der Artikel sodann fort, daß Ungarn sämtliche Bedin­gungen der F.jiedensverträge ehrlich durchgeführt habe, es sei also schlechthin undenkbar, daß Europa für immerwährende Zeiten vor der Ungerechtig­keit des gegenwärtigen Zustandes seine Augen ver­schließen sollte. Die Politik der Nachbarstaaten trachte aber, den Zeitpunkt einer Revision so weit als möglich hinauszuschieben, in der Hoffnung, die ungarischen Minderheiten werden sich mittlerweile in ihr Schicksal ergeben. Das Problem ist in der Tat ein überaus schwie­riges, lautet die Schlußfolgerung des Artikels, weil die Siegerstaaten den Trianonvertrag als ein sankro­­sanktes Instrument darstellen, dessen Abänderung den an sich schon prekären Frieden des östlichen Europa angeblich bedrohen würde. Eben im Interesse dieses osteuropäischen Friedens, so lautet die Schlußfolgerung des englischen Publizisten, sei es aber ganz und gar nicht erwünscht, daß ein stolzes Volk mit einer glorreichen Vergangenheit ständig von dem bitteren Gefühl einer schweren Ungerechtigkeit gepeinigt werde.

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