Prager Volkszeitung, duben-červen 1971 (XXI/13-25)
1971-06-18 / No. 24
rer Mensch liebt Zukunftsträume, seit er denken kann. Sie sind schließlich der Motor seiner unersättlichen Neugier, seines Forschertriebs und seiner Experimente. Das spiegelt sich natürlich auch in der Literatur und in der Dramatik wider. Die utopische Weltliteratur hat seit dem guten, alten Jules Verne freilich ihre Themen geändert, vieles wurde ja inzwischen vom Traum zur Wirklichkeit. Flüge in den Weltraum sind für den heutigen Menschen eine Realität, Atombomben leider auch. Und so müssen immer neue, phantastische Stoffe gefunden werden — die Realitäten von morgen. Seit H. P. Lovecraft die Science-fiction in die Welt gesetzt hat, ihr die Filmleinwand und der Bildschirm erschlossen wurden, müssen die Autoren immer neue Gebiete der Phantasie finden, das der Technik allein genügt nicht mehr. Stanislav Lem, der heuer fünfzigjährige polnische Autor, ist in diesem Genre weit über die Grenzen seines Landes bekannt. Er bringt nicht nur schriftstellerisches Talent, sondern auch solide Kenntnisse aus dem Studium der Medizin, der Philosophie und der Kybernetik mit. Davon konnten wir uns in der Vorwoche überzeugen, als der zweiteilige sowjetische Fernsehfilm SOLARIS gesendet wurde. Das vor zehn Jahren geschriebene Buch Í deutsch unter dem Titel „Zur Sonne gehörig" bekanntJ setzt die Existenz stabiler Weltraumlabors als gegeben voraus — den Programmgestaltern gelang ungewollt höchste Aktualität in den Tagen, da die Orbitalstation Salut neue Gäste bekam. Die Probleme der Zukunftsmenschen Lems sind nicht nur technischer Art; hier geht es um die Entschlüsselung bisher unbekannter Kräfte, die ein geheimnisvolles Wesen, das die Wissenschaftler auf der Station den „Ozean“ des Planeten Solaris nennen, entfaltet die Materialisierung von Gedanken und Erinnerungen. Sie verkörpern sich zum Beispiel in Harey, der vor vielen Jahren durch Selbstmord aus der Welt geschiedenen Frau Kris Kelvins, des Neuankömmlings auf der Station. Und auch die übrigen Besatzungsmitglieder des Labors sind durch solche „Gäste" an den Rand des Wahnsinns gebracht. Gelingt es, dieses Geheimnis zu enträtseln? Lems Zukunftsmenschen sind nicht irgendwelche technische Roboter, sondern uns nahe, real denkende und fühlende Menschen mit hohem Verantwortungsbewußtsein. Und so sehen wir eine überaus spannende psychologische Sonde in ihr Innenleben im Augenblick der wichtigsten Entscheidungen. Sehen ein spannendes Zukunftsbild, dessen Grundthema die Menschlichkeit bleibt. * In der Vorwoche bot uns der Bildschirm auch die Teilnahme am VI. Pop-Musikfestival in Bratislava LYRA 71. Wir sahen und hörten in zwei Vor- und einer Endrunde so manche Maxikleider mit Ministimmchen, der Trend zum langsamen, melodischen Lied ist nach der Beat-Epoche deutlich, mit Recht ging die Goldene Lyra an das Autorenpaar B. Ondracek—Z. Borovec für „Feßle mich", zu dessen Erfolg die Interpretin Hana Ulrychovd wesentlich beitrug. Doch der Wettbewerb zeigte auch, daß das Übermaß an Festivals mit seiner Forderung nach immer neuen Melodien und Texten die Möglichkeiten unserer Komponisten übersteigt. Es waren unter den mehr als 300 Einsendungen, von denen dreizehn in die Schlußrunde kamen, kaum zwei oder drei, die die Aussicht haben, Hits zu werden, und kaum ein Adept für Evergreens. Die wachsen eben nur spärlich... »iM 50 Zv> M gM Z *1tfl 50 HXZ(/) PIz "fl Xzc/iPI PixPiz 50zpi«i C/i PiaPiz «i Pi 50 wZOD XM Z XHXzc/sw*3W Z *3 H30 Z</> M Xwz wXzC/3 XM Z **3 HXzC/3M XM Z *3tt Xzc/jM XM Z XzC/3wXH*3M Z Kulturchronk . Vom 8. bis 27. Juni steht unsere Hauptstadt im Zeichen des Prager Quadriennale 1971, des Festivals der Bühnengestaltung und der Theaterarchitektur. Im Prager Julius-Fucik-Park stellen bekannte Szenographen aus 27 Ländern ihre Kunst zur Schau. Vom 3. bis 12. Juni war Prag der Schauplatz des Kongresses der Internationalen Organisation der Szenographen und Theatertechniker (OISTT). ■ Die sowjetische Nationalkünstlerin und Trägerin des Leninpreises Ludmila Zykina war in unserem Lande zu Gast. Die Gastauftreten der bekannten Sängerin in aller Welt kann man als triumphal bezeichnen. In 37 Städten der USA, in Kanada, Australien, Japan usw. erzielte sie außergewöhnliche Erfolge. Ihre Schallplattenaufnahmen kommen zu Millionen auf den Weltmarkt und sind stets ausverkauft. Die Künstlerin gastierte im Mai in der Slowakei und bis 8. Juni in Böhmen. Vor kurzem verstarb in Budapest im Alter von 86 Jahren der ungarische Literaturhistoriker, Philosoph und Ästhetiker Georg Lukacs. 1919 war Lukacs während der ungarischen Räterepublik Volkskommissar für Kultur. Später emigrierte er nach Wien. 1945 wurde er Professor an der Budapester Universität, 1955 Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Beim 14. Internationalen Musikfestival in Mariánské Lázne stellte sich der 80 Mitglieder zählende Thomannerchor aus der DDR vor. Unter der Leitung von Professor Erhard Mauersberger wurden Kompositionen von Orlando di Lassa, J. S. Bach und Johannes Brahms vorgetragen. ■ Zum Internationalen Kindertag fand in Pitest der zweite Wettbewerb im Puppenspiel statt. Um den Skupa-Preis kämpften 8 professionelle Puppenspiel-Ensembles. ■ Nach jahrelangen Reisen durch die sozialistischen Staaten ist die Gemäldesammlung von etwa 120 Gemälden tschechischer Autoren des 19. Jahrhunderts wieder in die Heimat zurückgekehrt und in der Prager Burg-Reitschule zu sehen. EK Zum Andenken an V. Vancura Vor 80 Jahren, am 26. Juni 1891, wurde in Háj bei Opava der Nationalkünstler in memoriam Vladislav Vancura, Schriftsteller, Dramatiker und Filmschöpfer, geboren, der die Entwicklung der tschechischen Literatur stark beeinflußte. Als Widerstandskämpfer aus den Reihen der Intelligenz wurde er in der Heydrichiade am 1. 6. 1942 in Prag erschossen. Foto: Archiv CTK Der Kinderchor von Jirkov vertritt die CSSR im Ausland Der Kinderchor des Klubs der Werktätigen in Jirkov, Bezirk Chomutov, feierte im Mai 25 Jahre seiner Tätigkeit. Diese 25 Jahre waren voller anstrengender Arbeit, brachten aber auch unvergeßliche Stunden und Freude über die geleistete Arbeit mit sich. Die Chronik des Klubs sagt vieles über diese Zeit Sie enthält Bemerkungen über Erfolge, über Enttäuschungen, über Hoffnungen, Freundschaftsverträge, Zusammenarbeit mit anderen Kinderchören, über Komponisten. Sie zeigt Plakate, Einladungen, Fotografien. Auf einigen von ihnen sehen wir unsere 40jährigen Zeitgenossen noch in kurzen Hosen oder mit Schleifen in den Haaren. Die größten Verdienste um den Kinderchor hat der Lehrer Jaroslav Cyrus, der mit ganzer Seele der Musik ergeben ist. Der Klub gehörte nach der Gründung im Jahre 1946 zur Schule von Jirkov, später übernahm ihn das Haus der Pioniere und im Jahre 1964 der Klub der Werktätigen in Jirkov. Die ganze Zeit hindurch arbeitete Jaroslav Cyrus mit dem Kinderchor, der außer Jirkov auch andere Städte mit seinen Auftritten erfreute: Radaft, Chomutov, Zatec, Litvinov, Komorany, Jisetín, Lom. Die Kinder sangen für Soldaten, für Lehrlinge, für Textilarbeiterinnen, für die Mitglieder der KPTsch bei Mitgliederversammlungen, bei feierlichen Anlässen. Dreimal trat der Chor in Prag auf, in Karlovy Vary, in Teplice, Ústí n. L., Budajovice, in Most, Sumperk, Olomouc usw. Er war zu Gast in der Slowakei und bereits dreimal in der DDR. So könnte man über die Geschichte des Kinderchors noch lange weiter berichten, von seinen bescheidenen Anfängen bis zu seinem heutigen Ruhm. Der Kinderchor repräsentiert in diesem Jahr die Tschechoslowakei bei dem Internationalen Festival der Kinderchöre in Celje in Jugoslawien. Dort wird er seine Fähigkeiten mit Chören aus der Sowjetunion, Ungarn, Italien,Finnland und Österreich messen. Dazu ist der singenden Jugend aus Jirkov viel Glück zu wünschen. A. MARTINOVSKY Der Kinderchor von Jirkov Foto: Autor Viktor Dobrovolny-Künstler und Revolutionär Viktor Dobrovolny ist von der engagierten Zeichnung ausgegangen. Seine ersten Entwürfe für die „Krónika“ und für den von deutschen antifaschistischen Emigranten in Prag herausgegebenen viersprachigen „Simpl“, für den auch Bidlo und Pele gearbeitet haben, sind erhalten. Selbst im KZ von Dachau und Mauthausen gelang es Dobrovolny, zu zeichnen. Der Zeichnung bleibt er auch nach dem Krieg und der Befreiung treu, nur wird sie plastischer und verrät den Bildhauer. In den fünfziger Jahren widmet sich Dobrovolny dem Porträt und sein Gottwald-Bildnis zählt zu den besten aus dieser Zeit. Zum IX. Parteitag hat Dobrovolny eine Leninmedaille modelliert, die den Delegierten überreicht wurde. Fast alle seine figuralen Rundplastiken sind monumentale Werke, die den Menschen als Arbeiter und Denker darstellen. Die Mittelböhmische Galerie und die Galerie der Hauptstadt Prag hat Dobrovolnys Lebenswerk von 1928 bis 1970 im Prager Gemeindehaus zu Ehren des 50. Jahrestages der KPTsch ausgestellt. —tie Frauen malen Es war eine Freude für mich, Kamila Hájkovás Bilder besichtigen zu können — in ihrem Heim, wo sie entstanden sind. Es ist nicht mehr die enge Wohnung, wo früher Frau Hájková ihre Werkstatt in einem Korridor aufgeschlagen hatte, neben ihrer Nähmaschine. Denn sie war Schneiderin, ehe ihr die Phantasie den Pinsel in die Hand zwang, um die Fülle ihrer Erinnerungen aufs Papier zu zaubern. Jetzt malt sie im gut beleuchteten Zimmer, in dem genug Platz ist für die vielen Bilder, die eingerahmt an den Wänden hängen. Was für ein Unterschied zwischen dem ersten, aufrichtig gefühlten, technisch aber noch unbeholfenen Gemälde in Rosarot, und den mit sicherer Hand schnell und leicht in visionärer Farbharmonie komponierten Aquarellen! Da ist eine ganze Wand von ergreifenden Erinnerungen an das Konzentrationslager Terezin: „Das vergessene Püppchen", „Schuhe gab ich für Brot“ und viele andere aus der Kriegszeit. „Der tote Freund" (der trauernde Araber mit dem toten Kamel im Arm, die quälende Komposition "Migräne", "Der Jäger in der Taiga", die Rembrandt Porträts, die farbenfrohe Clown-Serie, die an Chagall denken läßt. Als ich diese Bilder in der Prager Spanischen Synagoge — auch Alte Schule genannt — wiedersehe, ist es nicht möglich, sie in Ruhe zu betrachten. So viel Leute sind hierher gekommen, um sich an der Vernissage der dort stattfindenden Ausstellung zu beteiligen. Kamila Hájková ist keine unbekannte Malerin mehr, sie hat bisher 40 Ausstellungen im In- und Ausland beschickt und überall Erfolg gehabt. Auf dem Krönungsweg liegt das Haus aus dem 15. Jahrhundert, in der Jilska ulice der Prager Altstadt, in dem ein mit zwei Säulen gestützter, gewölbter Laden als Ausstellungsraum der Kleingärtner dient. Anstelle der lebenden Blumen waren im Mai dort nur gemalte Blüten zu sehen. Allerdings hat die Autorin ihre „Modelle" auch in ihrem Garten selbst gezüchtet — mit ebenso viel Liebe, wie sie dann gemalt wurden. Der Gatte der Malerin Marie Hlobilová-Mrkvickova ist Komponist, Professor an der AMU. Beide Töchter malen. Die jüngere Tochter stellt mit ihrer Mutter gemeinsam ihre leuchtenden, phantastischen Art-Protis (Tapisserien), ebenso mit Blumenmotiven, aus. Art-Protis ist eine tschechoslowakische Erfindung, die bereits in 55 Staaten patentiert worden ist. In letzter Zeit beteiligte sich Marie Luisa Hlobilová mit diesen Tapisserie-Spezialitäten auch an einer Ausstellung in Karlovy Vary. HK Wiener Festwochen An das internationale Musikfestival Prager Frühling knüpft traditionsgemäß ein jedes Jahr das internationale Treffen der Künstler in Wien bei den Wiener Festwochen an. Auf ihrem Programm stehen heuer vor allem Brahms, Schubert und moderne Komponisten. Auf den Wiener Bühnen erschienen einige neue Inszenierungen. Eine von ihnen ist das Drama von Capek „Aus dem Leben der Insekten“. Es geht hier um die erste Aufführung dieses tschechischen Werkes in deutscher Sprache. In der Einstudierung des Intendanten der Wiener Festwochen Ulrich Baumgartner spielte eine der Titelrollen Heinz Conrad, ein populärer Theater und Fernseh-Schauspieler. Das Drama erfüllt durch seine humanistische Tendenz seine politische und gesellschaftliche Mission. Zu den Wiener Festwochen gehört heuer auch das Puppenspiel-Festival. Hervorragende Ensembles aus aller Welt sind in Wien vertreten: aus der Sowjetunion, aus Frankreich, Italien, Amerika usw. Die Tschechoslowakei repräsentiert das Prager Puppentheater Spejbl und Hurvinek. In den Frühlingstagen beherbergt die Donaustadt Spitzenkünstler aus aller Welt, ähnlich wie unsere Hauptstadt Prag. Beide internationale Treffen haben viel Gemeinsames, doch jedes von ihnen ist ganz originell und seiner Art.