Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1884. August (Jahrgang 11, nr. 3232-3257)

1884-08-02 / nr. 3233

Mauiou und Id missstumnx Heltauergasse 23, Seihelnt mit Ausma­­er der Horn- und un fägih­­ee Abonnement für Hermannstadt, monatlich 85 Er., vierteljährlich 2 fl. 50 fl., halbjährig Bf. übrig 10 fl. ung in’ « «swsnewsizkssgåkstgskks-gssskW­­­Abonnement uit Postverlendungt Stirbt-Hakus­­­vierteljährig 3 fl. 50 I, betbjährig TR, ganzjährig vierteljähri 14 RER. 0 Für das Ausland: 7 RM. oder 10 %red., Halbjähri OD Fech., praiäbdh 28 RM. Be 40 pres, Briefe werden nicht angenommen, Unse­­r Remsstrinte nicht zurtihasfiht N“: 3233. XI. Jahrgang. Siebenbürgisc)- Deutsches os | _sermannstadt, Samstag, 2 ZAugus Bräm­merationen und Infernie übernehmen außer Den Hauptbureau, Hek­atergas, Nr. 23, in K­ronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresz­­­nandt’s Nachfolger, Mediasch J. Hedrich’s Erben, Schässburg H. Zeidner’s Filiale, Bistritz Friedrich Wachsm­ann Nr. 187, Sächsisch - Regen:­­­ Karl Fronius, Mühlbach Jos. Wagner, Laufmann, Broos Paul Battoni, Lehrer, Wien Otto Maas (Haasen­­­stein & Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Moriz Stern, Heinrich Schalek, J. Danne­­­berg, Pest A. V. Goldberger, Frankfurt a. M. G. L. Daube & C. Aufertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile kostet beim einmaligen Einladen 7 kr., das zweitemal jr 6 fr., das drittemal je Sfr. 8.W. exklusive de; Stempelgebühr von je 30 !r 18854 Die Generalkirchenvisitation im Schäßburger Bezirk. VI: Keisd. —— Kirche und Schule. — Zunahme. — Ständen und Kadelzug. — Ein Nasttag. — Die Burg. Schon aus der Tenne waren sie sichtbar, die stattlichen Neiter; wenige Gemeinden in diesem Bezirk künnen mehr oder so viele aufbieten, als die Keisder, die auf der Keisder Hattertgrenze den Bischof am Samstag, 26. Juli, erwarteten. Es waren wohl ihrer jechdzig. Drd. Bodendorfer be­­­grüßte an ihrer Soige mit warmen Worten den erwarteten Garst, die Klosdorfer machten den Ehrenritt um den Wagen und nahmen Abschied, dann gings auf der guten Straße vorwärts, dem Markt zu, über dessen Gafjen weit hinaus die Burg ung entgegenleuchtete. Es ist die erste große Gemeinde, in die wir einziehen ; das ist ein Leben und Drängen Ar den Safjen, die Feuerwehr macht Spalier, der Weg ist mit Bäumen frisch bejegt worden, dicht gedrängt stehen die Schulkinder, vor dem Pfarrhof Presbyterium und Gemeindevertretung und im Namen derselben spricht der Pfarrer die begrüßenden Worte; der geräumige Pfarrhof, wo einst ©. P. Binder gewaltet, nimmt die Säfte Feindlich auf. Unvergeßlich ist das Bild der Gemeinde in der Kirche. Diese, ein Bau aus den Jahren 1493—97, gehört zu den schönsten Denkmälern des Verteidigungsstiles. Das ganze Kirchengebäude, ohne Turm, ist zur Ver­­­teidigung eingerichtet, Bogen-, Schieß- und Rechtcharten umziehen das ganze, und der Eintretende ist überrrascht durch den Gesamteindruck: die Wölbung sehr Hoch, Chor und Schiff (ohne Seitenschiffe, die Hier überall fehlen), gleich oder fast gleich hoch, das Gewölbe aufstrebend und leicht gefällig und Doch ge­­­waltig, alles so schön gehalten, unlängst sauber und geschmacvoll Hergestellt, e3 ist eine ee E3 ist seine Frage, daß wir nach dieser Richtung in den feäten Jahren Fortschritte gemacht haben. Die Umgebung der Kirchen erscheinen jegt durchwegs edel und schön; in Keisd Tegen die Anlagen und die gut erhaltenen Wege von gutem Geschmack Zeugnis ab. Und drinnen die zahlreiche Schuljugend, die vielen Burschen und Mägde, alle in der Festtracht, die nahe an 300 Frauen, durchwegs „geschligert“ oder mit dem weißen Tu auf dem Kopf, den Blumenstrauß in der Hand. Die Schule ist viertaffig; sie besigt die notwendigen Lehrmittel, auch einen neu angelegten großen Schulgarten. Die konfirmierte Jugend ist in zwei Burschenschaften eingeteilt, in die „Bauernbruderschaft“ und „Redner­­­bruderschaft“, doch sind beide in der Tracht nicht unterschieden; der Knecht­­vater der legtern wird von der Faßbinderzunft eingelegt. Neun Nachbar­­­schaften umschließen die Gemeinde, im welcher vor kurzem eine stattliche Feuerwehr von 160 Mitgliedern organisiert worden ist, deren militärische Zucht allen eine Freude und sicher vorteilhaft ist. Die sächsische Gemeinde hat in den legten Menschenaltern um 200 Seelen zugenommen , doch haben in den legten Jahren Hagelschläge den Wohlstand arg geschädigt; im Jahre 1765 hatte sie 1008 evang. Einwohner, heute 1208; Schulkinder sind 163, die Dyphteritis hat vor einigen Jahren gar traurig dort gekauft. Der Schullohn, den der einzelne liebt, ist geringer, als in anderen Ge­­­meinden, indem jeder Wirt nur 1­­, Viertel Korn giebt; der Gesamtauf­­­wand der Schule beträgt 1576 fl. 32 fl. Reisch ist eine der Mark­tgemeinden, die den bäuerlichen Charakter fie durchaus bewahrt hat. Die Gassen tragen den bekannten Typus der sächsischen Bauart, doch häufig wenig geziert durch die unschöne Gitte. Die Häuser, als seien sie nicht ausgefertigt, ohne Anstrich, oft ohne Anwurf stehen zu lassen. Reisch steht vor einem Uebergang in seinem wirtschaftlichen Leben. Der fast zu große Hattert nährt nicht mehr wie in alter Zeit mit der hergebrachten Wirtschaft die­­­ Familie, da gilts bei Zeiten sich nach dem befsern umzusehen. Wald besißt der Ort ungeheuer viel, wenn auch nicht gerade 23 Gemeinden — so viele nehmen, ohne ein Necht zu haben, aus den Arkeder Wäldern — sich daraus beholzen, viele find’s doch. Die Schniberei­­­schafe des bekannten Ehrlich macht schöne Fortschritte, obwohl sie von der Negierung gar nicht unterstüßt wird. Solche Anfänge einer einträglichen Hausindu­strie sind überaus erfreulich. Am Abend überraschten die Feuerwehr und die sanglichen und musi­­­kalischen Kräfte die Bisitations-Kommission mit einem solennen, überaus schönen Ständchen und einem Fadelzug, an dem die besten der Gemeinde sich beteiligten und wobei einer der ersten Männer Reisch’s den Bischof und die Kommission feierte. In Schein des Mondes leuchtete die Burg gar schön in die be­­­wegten Gassen herab, als die Menge sich verlor und die legten Klänge verhallt waren. Der Sonntag (27. Juli) war ein Nafttag. Er steht bei vielen Mit­­­gliedern früherer Generalvisitations-Kommissionen nicht im besten Ruf. Der Mediarcher Freund, der ganz bestimmt zugesagt hatte, er werde nach Reisch anläßlich der Bifitation kommen, blieb aus, als er hörte, dort sei Rafttag. Da werden dann, hatte er gemeint, alle Altertümer aufge­­sucht, Burgen bestiegen, Steine gesucht u. dgl.; ich dante fir solche Nast. Dafür waren aber Schäßburger und Arfeder Freunde erschienen, Die jene Rast nicht scheuten. Sie hatten’s nicht zu bereuen. E3 war ein wunderschöner Sonntagsnachmittag, da wir zur Burg aufstiegen. Erst vor Furzem sind Wege angelegt worden, die bequemer hinaufführen als die bisher gangbaren Stege. E3 ist ein hübsches Bild des Hügellandes, das sich bietet; weitaus kann der Blick ins Land Hinein­­­schweifen. Die Nußbäume, die in einer Unzahl an der Berglehne wachen, werden ergänzt durch neue Pflanzungen; im Aufstieg klingen die Töne der Mufik von unten herauf, die Se­­nd hat den Tanz begonnen. Der Burg­­­hüter hat heute die Burg geöffnet, ohne das Läuten zu erwarten. Die fast erloschene Inschrift: „rommen werd’ ich aufgemacht, Böse Leut stehn im Verdacht, 1720“, an der einen Thür mahnt, daß früher der Eingang nicht so leicht war. Welch ein Bild alter sächsischer Thatkraft! Diese Mauern hier oben, diese Tü­rme, diese Häuschen, der Brunnen, jedes allein schon eine That und hier man vereinigt zu einem Gesamtzeugnis, wos v Dort steht der Pfarrers­­­tnem, der Fürstenturm u. |. f., dort vor allem der Schulturm, nach seiner Form einer der ältesten. Man mag diee sächsischen Bauernburgen so oft ansehen als man will, sie verfehlen des tiefsten Eindruches nie, am wenigsten, wo der Schulturm sich so im Munde des Volkes erhalten hat Sind doch­ diese Schultienne”so recht ein Gleichnis unserer Ge­­­schichte! Die Burg geht in ihrer Anlage sicher ins 14. Jahrhundert zu uidt, wenn die Jahreszahl, die solches Finden sollte, auch nicht zuver­­­lässig ist, und ist dann in den folgenden Jahrhunderten weiter ausgebaut und stärker befestigt worden. Sicher haben die Nachbargemeinden, wie sie Schuß dort fanden, auch Anteil an dem Bau gehabt. Der Rundgang um die Burg, der sehr an die Nofenauer erinnert, durch dichten Wald auf ein­­­samem Pfad zum vielsilbigen Echo, ist lohnend; wie oft wurde doch von außen die Befestigung verstärkt, und der Gang auf dem erhaltenen Umlauf im Innern gewährt manche schöne Ausblicke bald auf die Gemeinde, bald auf den tiefen Graben, der die Burghöhe von der benachbarten Berglehne trennt. Die alten Kelche aus dem 15. Jahrhundert, vor einigen Jahren aus der Kirche gestohlen, werden hier nun sicher aufbewahrt, desgleichen alte Schriften, die von den Thaten und Leiden der Väter erzählen. Die einen wie die anderen, wie die ganze Burg Thaten deutschen Geistes. So ließ sich da oben gerade von solchem Geist doppelt gut reden mit dem Universitätsfreund, der von der Ostsee den fernen Weg hieher gefunden und, leider nur einen Tag, an sächsischem Dorfsleben und Burgenschönheit und an Erinnerungen an deutsches Hochschulleben „an der Grenze der Tirfei“ sie mit uns erfreute. Unten in der Gemeinde tanzten sie noch immer, und es war ein ‚Bild wie aus dem Mittelalter dort im Schatten des alten Gotteshauses, das Fr. Müller vor bald 30 Jahren zuerst so schön beschrieben, neben dem alten romanischen Turm (dem jegigen Stundturm), unter den alten Bäumen das junge Volk zu sehen, dem­ die stattlichen Bläser aufspielten, unter denen der betagte Presbyter voll Freude seinen Mann stellte, wie es sich im Takt drehte und die Bauten mit dem „deutschen Lied“ ausfüllte! So mag es allenthalben gewesen sein, als Walther von der V­ogelweide seine zierlichen und tiefempfundenen Weisen sang und unter der Dorfslinde der Heini von G Steier aufspielte. Es bleibt sich doch so manches im Menschenleben, troß allen Wandels gleich, vor allem alles, was echt und recht it und die Herzen erheben kann. Biel gebundene Kraft liegt in der Gemeinde vorhanden, die alte Energie wieder zu wehen und in Thaten umzufegen, wird wohl der rechten Arbeit der Wadern dort gelingen! unsere Geschichte in unseren Burgen so manches aufzuweisen hat, sind die Türme und die Mauern gut erhalten,­­­ wie hier. Politische Nebensicht. Hermannstadt, 1. August. In Böhmen fpigt sich die nationale Bewegung immer mehr zu; die Deutschen sind nan an der Reihe, um, wie der technische Ausdruck lautet, zu „Iu­fen“. Das Land bef ist einen „Zanderkulturrat“, der am 31. Juli vom Fürsten Karl Schwarzenberg zu seiner zweiten Session eröffnet wurde. Die deutschen Delegierten haben mit Ausnahme von einem oder zwei ihren Austritt von den Beratungen der S Körperschaft beschlossen und dem Präsidenten derselben nachstehende Erklärung überreicht: „Wir unterzeichnete Vertreter deutscher landwirtschaftlicher Vereine Böhmen sind im Medereinstimmung mit den Wählern, die uns in den Landeskulturrat entsendet haben, zu der betrübenden Webterzeugung gelangt, daß diese Körperschaft in ihrer jenigen Zusammenlegung nicht geeignet ist, die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen, nämlich in objektiver Weise und im Interesse der gesamten landwirtschaftlichen Bevölkerung die vorkommenden hoc­hwichtigen Landeskulturfragen zu begutachten. Diese U­eberzeugung mußte si uns auf­­­drängen, nachdem im Laufe der setten Jahre im Kreise des Landeskulturrates Strömungen­ sich­ bemerkbar machten, welche ausschließlich den Tendenzen jener Fraktion des Großgrundheftes dienten, deren scheinbare Interessen mit jenen des mittleren und kleinen Grumbdbefiges in­­­ unvereinbarem Widerspruch stehen. Wir können in den von einflußreichster Seite geförderten Pro­­­tekten der Beschränkung der Preiteilbarkeit des Grundbefites, der Er­­­richtung bäuerlicher Fiveikommisse und der Erleichterung der Ver­­­größerung des ohnehin in Böhmen in so abnormem Maße vorfindlichen Fideifommiß - Großgrundbefiges seinen anderen Grundgedanken finden, als den, die wohlt­ätigen Wirkungen der nahezu vor vierzig Jahren statt­­­gehabten wirtschaftlichen U­­wälzung auf indiveksem Wege wieder zu beseitigen. So wie in früheren Generationen der Großgrundbefiß in der zwangsweisen unentgeltlichen Arbeit der bäuerlichen Grundbefiger seine wirtschaftliche Grund-­­lage suchte, so würde nunmehr auch die allmälig fortschreitende Bindung des Grundbefiges, durch die teilweise Enterbung der nachgeborenen Kinder der Landwirte ein Ländliches Proletariat geschaffen werden, welches seine Arbeits­­­kraft um das möglichst geringe Entgelt zur Verfügung zu stellen’ genötigt ist, und welches in regelmäßigen Beiten willenloses Werkzeug feiner Brotgeber ist, bei jeder wirtschaftlichen oder staatlichen Krisis aber dem gesamten Staats­­­wesen ernste Gefahren bereiten kann. Wenn wir die Aussicht hätten, inner­­­halb des Landeskulturrates mit Erfolg diesen Tendenzen entgegentreten zu können, so müßte allerdings das immer öffenntlicher sich offenbarende Hervor­­­treten derselben uns zum Beharren in dieser Körperschaft veranlassen. Leider aber müssen wir bei der Mehrzahl unserer der tschechischen Nationalität an­­­gehörigen Standesgenossen die Wahrnehmung machen, daß dieselben, die gemeinsamen Interessen der deutschen und tschechischen Landwirte ver­­­fennend und ausschließlich auf die Förderung ihrer nationalen und politischen Zwecke bedacht, der oben gekennzeichneten Richtung in seiner wirk­­­samen Weise entgegentreten wollen oder fünnen. Wenn wir sonach voraus­­­sehen müssen, daß unsere auf Aufrechthaltung der Errungenschaften der neuen Zeit gerichteten Bemühungen im reife des Landeskulturrates erfolglos bleiben würden, so sehen wir uns genötigt, an den Arbeiten des Iehreren uns nicht zu beteiligen und mit allen geieglichen Mitteln die Trennung des Landes­­­ /LFV Senilleton. Ferne Schatten. Novelle von W. Höffer. (5. Fortlegung.) Auf leichten Sohlen schleichend begab sie sich in ihr Zimmer und drehte den Schlüssel im Schloß. Als später Sidonie klopfte, öffnete sie nicht. Die Kleine Ungeduldige rüttelte und­­­ trommelte mit beiden Händchen. „Du, du, ich will wissen, wo der Doktor steh­. Die Nachmittage gehören ihm und nicht dir, wie du weißt. Ex hatte mir einen Spaziergang versprochen”. Ein Schauder überlieferte die Romreffe: „So suche ihn, Sidonie, Ich befümmere mich um die Freistunden des Dienstpersonals nicht. Sei so gut, mich in Ruhe zu lasfen, ich Habe Kopf- Schmerz“. Auch die besorgte, von heimlichen Gewissenschiffen geplagte Französin bat und flehte vergeblich um Einlaß. Der junge Gelehrte fort und ihre Schuß­­­befohlene an Migräne Leidend, — hm, hm, man müßte nicht vierzig Jahre hindurch junge Damen vor Amors Schlingen gehütet haben, um da ganz unbesorgt zu bleiben. Was wü­rde Monsieur le comte jagen? — man dieu, sie war außer fi. Eine neue Stellung im Alter von fünfundfünfzig Jahren, daran ließ sich nicht denken, sie mußte bis an ihr Ende im Schluffe bleiben. „Mon ange“, schmeichelte sie, dur das Schlüffelloch flüsternd, „mon bijou,­­­ laß mich zu dir, Herzchen“. Aber sie erhielt seine Antwort. Sollte auch ein sterbliches Auge sehen, daß Julie weint? Das Kammermädchen kam mit dem silbernen Präsentierbrett die Treppe herauf und blieb dann kopf schüttelnd stehen. Was nun beginnen und wie es dem Lieutenant mitteilen, daß auch eine goldveränderte Bifitenfarte seinen Einlaß fand? Stunde nach Stunde glitt Tangfam dahin. Eine wahrhaft tropische Hite lag über der Landschaft, seine Tierstimme ließ sie hören, sein Blatt regte sich. Schwarze Wolfen stiegen höher und höher am Himmel empor. Sidonie von Holten hatte den Doktor nicht gefunden, der Lieutenant war fchweiggam aus Kummer über sein gründliches Mißgeschic von heute Morgen, und der alte Graf ging ärgerlich auf und ab. Er war doch zu starr, wie die Komtesse den jungen Mann maltraitierte; er wollte bei nächster­­­ Gelegenheit ein ernstliches Wort mit ihr sprechen. Die Verlobung mußte binnen Kurzem gefeiert werden. So lag es lähmend auf der ganzen Bewohnerschaft des Schlosses. Die glühende Rite brühte wie Blei. Oben in ihrem Zimmer, ohne Licht, ohne Gesellschaft, saß Luk­e am Fenster und starrte hinaus in die dunkle Nacht. Ein einziges Wort wieder­­­holte das zucende Herz, ein einziges Wort unter allen — — Warum ? Am Himmel sein Stern, ringsumher fein Laut, nur dann und wann ein leises Grollen des Donners und ein schwacher Blik im Osten. Die Rom­­­reffe Eingelte ihrer Zofe, um Licht bringen und das Haar für die Nacht frisieren zu lassen. „&3 giebt noch ein sch­weres Gewitter”, feufzte angstvoll das Mädchen. „Ich fürchte mich recht, und auch Frau von Holten weint, daß es einen Stein erbarmen möchte.“ Die Komtesse zuckte unmerslich: „Des Gewitter wegen, Susanne ?“ Das Zöfchen ging ordnend ab und zu: „Wer weiß? “ Der Herr Doktor Stein hat alle seine Bücher in die Kiste gepact und feine Sieben­­­fahen in den Mantelrad. Vielleicht haben si die beiden erzürnt und der hübsche Herr will das Schloß verlassen. Lulie erhob sich und trat vor den Spiegel, t wo ihre Hände maschinen­­­mäßig das lange, aufgelöste Haar durchwühlten. Paul Stein und Sidonie­­­­ war das überhaupt möglich? Und doch gab es viele Stunden, in denen sie selbst ähnliches geglaubt, doch schwebte verwirrend, wie die Verfürperung der Lü­ge, Über ihren ganzen Gedankenreif das rosige, Lachende Untlig der jungen Witwe. Ein Strom unerträglicher Hilfe ergoß sich durch alle ihre Adern: „Deffne das Fenster, Susanne!“ Die Zofe t­at, wie ihr befohlen, und wurde dann entlassen. Julie stand im weißen, lang herabfallenden Nachtgewande am Fenster , aber draußen war er nicht Fühler, als hier drinnen im Zimmer. Aller Mut, alles Denkvermögen schmolzen gleichsam dahin vor dieser glühenden Atmosphäre. Sie ließ die Fensterflügel weit offen stehen. Er war im zweiten Stock­­­wert, also konnte sein profaner Blid das Heiligtum entweihen. Nur die Weinranfen an dem alten Gemäuer reichten empor bis zu den Scheiben, nur die Baumgipfel im Park rauschten schattenspendend ihnen gegenüber. Susie löschte die Lampe und warf ich auf das heiße ruhelose Lager, starren Blices Hinaussehend in die Dunkelheit. Sie überhörte den Donner, sie träumte wachenden Auges. Und immer tiefer senkte sich die Nacht. War es Wirklichkeit, waren es Bilder der erschreckten, überreizten Phantasie? — Hatte nicht ein Schlag, lang anhaltend und gewaltig, Die Luft zerrissen? Zuchte nicht ein Stammenschein, ein Meer von Glut in hüpfenden gelben und blauen Lichtern um ihr schmerzendes Hirn? Und dann Ruhe, Ruhe, alles so still, so selig, — die Liber senkten sich sch­wer herab und aller beffenmende Drud war von der Brust genommen, Feuer! — Feuer! %* Angsterfüllte Menschen stürzten hinaus in den strömenden Regen und das Geschrei des Entfegens erfüllte die Luft. Der rechte Flügel brennt von oben bis hinab zu der Veranda am Buß! — Es ist alles in lodernde Guten gehült, es Fracht und m­istert in den alten ausgedörrten Pruntzimmern vol feuerfangender Gegenstände wie ein ganzes entfesseltes Meer, es schlägt in Purpurwolfen aus allen Senftern und sendet schwarzen, tötenden Rauch hinaus in die Nacht: „Mein Kind, großer Gott, mein Kind.“ Der alte Graf, jegt im eilig übergeworfenen Schlafrad, ohne das falsche Toupe und die falschen Zähne nur noch ein zitternder, Hilfloser reis, ein ohnmächtiger Mensch wie sein geringster Unterthan, dieser bejammernswerte Bater steht Händeringend vor der versammelten Schaar seiner Knechte und Bedienten. „Rettet, rettet, meine Tochter, und ich will Euch Füniglich belohnen Ich gebe Euch, twadh hr verlangt, aber rettet die Komtesse !” Zwanzig Mugen sehen empor zu dem brennenden Schloßflügel, in zwanzig Herzen pocht das Verlangen nach den Schäßen des millionenreichen Gebieters — man flüstert, man erwägt und plappert Stoßgebete, aber — da Leben a eine

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