Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1892. April (Jahrgang 19, nr. 5566-5590)

1892-04-08 / nr. 5572

Siebenbürgisch-Deutsches Hermannstadt, Freitag 8. April Reduktion und A Administration Heltauergasse 23. Geschehut mit xiuznasimedes auf xsaiiip und Feiertage folgenden g sochentages täglich. glbonnements is­ Hermannstadt: mon­atlich 85kr.,vierteljährlich 2fl.50kr.,halb­­­jährig 6 fl.,ganzjährig 1()fl.ohn­e Zustellung in’s Haus,mit Zusti­llun­g 1 fl.,3fl.,6fl.,12fl. Abonnement mit Postversendung Für das Inland: vierteljährig 3 fl. 50 fl., Halbjährig 7 fl., ganz­­­jährig 14 fl. Für das Ausland: vierteljährig 7 RM. oder 10 Fres., halbjährig 14 NM. oder 20 Frcm., ganzjährig 23 RM. oder 40 res. Unfransirte Briefe werden nicht angenommen, Manuskripte nicht zurückgestellt. "Nero. 5572. XIX. Sahrgang Pränumerationen und Inferale übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauer­­­gasse Nr. 23, in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresswandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz G. 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Ob sie das ‘aus eigenem Antriebe oder beeinflußt von der Regierung gethan haben, bleibt für ung zzzweifelhaft. Daß aber ihr Auftreten hiebei von einer leicht zu er­­­ratenden Absicht bestimmt wurde, ist gewiß. Sie wollen offenes Zeugnis ab­­­legen davon, daß die Spiken der katholischen Kirche die eigentlichen Stügen und Freunde der ungarischen Regierung seien. Das hingt so gewinnend, daß selbst besonnene Rettungsstimmen sie darüber zu beifälligen Aeußerungen mitnehmen ließen, ohne die Folgen zu durchschauen, welche nur darin bestehen können, daß si die Regierung ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gegenüber der katholischen Kirche vergiebt. Ein solches Verhältnis gegenseitiger Gefälligkeit muß aber die Anhänger der anderen Bekenntnisse unbedingt verstimmen, zumal das Verhalten katholischer Priester in der Wegtaufungsfrage, sowie die übermäßig betonte Bedeutung des Fürstprimas für Ungarns Wohl und Wehe geradezu die Anmaßung m­ fi schließen, den Katholizismus als Staatsreligion auszurufen und die Bevölkerung unseres Vaterlandes damit zu identifizieren. Hieraus entspringt der Anstoß, Klarheit darüber zu suchen, welchen Dienst die Kirche dem verfassungsmäßigen Staate leisten solle. Das Verhältnis von Staat und Kirche innerhalb Europas wird durch­ die Geschichte am beten beleuchtet. Sie lehrt und, daß der Staat sie bi! zur neueren Zeit in den Dienst der Kirche gestellt hat. Das war das gerade Gegenteil von dem heutigen Verhältnis, dessen Entwicklung hier nicht dargelegt werden sol. Nur auf eines sei hingewiesen, auf das Bestreben der katholischen Kirche der Reformation gegenüber die „abgefallenen” Glieder wieder zu „res Katholisieren“. Auch unser Vaterland weiß davon zu erzählen, Die Forderung, daß in dem Gemeinderate eine gleiche Anzahl katholischer wie evangelischer Mitglieder fiten sollte, daß die höchssten Aemter Katholischen verliehen werden ; das Ansinnen des forum productionale an die evangelischen Gemeinden, mit Befunden zu beweisen, wie sie in den Befug ihrer Kirchen und Pfarrzehnten gekommen — als seien dieselben nicht unbestrittenes Eigentum der Gemeinden selbst gewesen; die damit zusammenhängende Enteignung oder schärfer gesagt Beraubung der Evangelischen, wenn ihre Beweise vor dem Nichter, der, im Grunde gesehen, auch der Kläger war, nicht stichhaltig s­­chienen; der Zwang, katholische Kirchen zu bauen und Schulen zu unterfiügen um einer Handvoll importierte Gläubigen willen, das alles schließen die Sklavendienste der Staatsgewalt für eine begünstigte Kirche in sich. Ad, wie hat sich hieruch die großartige Idee Christi von der Gleichheit der Menschen als Kinder des einen himmlischen Vaters verkehrt in das Zerrbild einer erzwungenen Gleichheit im Glauben, der doch auch in der katholischen Kirche eine fortschreitende Ent­­­wielung nach innen und außen durchmachen muß! Ganz im Gegensage zu dieser parteilichen Dienstfertigkeit des Staates stieg der preußische König Friedrich II. auf eine Höhe politischer Reife, die seinem Staatsmanne vor ihm zugesprochen werden kan, indem er nämlich sein Verhältnis zur Kirche in den Sag faßte: In meinem Reiche kann jeder nach­ feiner Facour selig werden. Wenn das auch statt nach­ Freigeisterei oder gar nach Bleichgiftigkeit in Glaubenssachen riecht, so liegt doc viel mehr Meisheit und Gerechtigkeit darin, als in allen Toleranzedikten anderer Herrscher und Staaten. Denn der maflose Streit um den Vorrang eines der christlichen Glaubensbekenntnisse wird damit von der Tagesordnung des Staates gestrichen und das Seal, welchem die Neuzeit zusteuert, die Glaubensfreiheit im Rahmen der bürgerlichen Gefege einer sittlichen Gesellschaft kräftig betont. Man­­­ wird daher versucht, zu behaupten, daß all die aufstrebende Größe Preußens auf diesem Programme einer unparteilichen Erhabenheit gegenüber den eifersüchtigen Bekenntnissen gewachsen sei, während in anderen Ländern die Hingebung an die einseitig kirchlichen Ziele die Kultur in merklichen Maße niederge­­­halten habe. Zu einem ganz anderen Schluffe, als der philosophisch Klare Friedrich II. gelangten die verwegensten Geister der französischen Revolution. Hatte der Kampf um den Glauben so viele Schäden verursacht, so schien es am Klügsten, das Uebel an der Wurzel zu paden und den zweideutigen Glauben völlig außer Kraft zu fegen. Fort mit dem göttlichen Gebote, auf welches die Kirche ihren Anspruch, die Seelen zu beherrschen, fragte! Fort mit dem Geiste Gottes, der doch immer nur der Menschen eigener Geist war! Dieser allein ist gewiß und die Vernunft seine herrlichste Fähigkeit. So stempelten die Umstürzler die Vernunft zur Gottheit und führten die Verkörperung derselben in einer Sän­­­gerin theatralisch umher. Die Bosse dauerte aber nur so lange, bis ihr Ur­­­heber Robespierre einsah, daß ihm die Partei der Altgläubigen gefährlich werden künne. Sogleich vollzog er eine überraschende Schwenkung und hob den niedergetretenen Gott der Christen aus dem Staube wieder empor. Troßdem gingen alle Schrecen einer ungestümen zügellosen Willkür über Land und Leute und nur mit Mühe rangen sich aus dem Chaos die politischen Feen der Menschen­rechte hervor, welche die Gestaltung der modernen Staatsverfassung erzeugten. Dieser Blick in die Geschichte stellt zwei Wahrheiten unzweifelhaft fest: Erstlich hat die Regierung im parteilichen Dienste der Kirche immer und überall die näcsten Aufgaben politischer Gerechtigkeit versäumt; zweitens hat die Kirche an der Schaffung des verfassungsmäßigen Staates der Gegenwart entwweder gar felten oder noch nur einen sehr geringen Anteil. Aus dieser Einsicht, die bei den Staatslenfern fast allgemein herausgeset­ werden darf, ergiebt sich von selbst die Stellung der Kirche im heutigen Staate: "Sie ist vom Throne der Herrscherin Heruntergestiegen zun Schemel der Dienerin. Daß es der Kirche nicht Leicht geworden, die herrschende Stellung auf­­­zugeben und „si in die Beit zu hidden“, dag kann man ihren Führern nachfühlen. Denn während im Bereiche der Naturgefege seine Kraft verloren geht, erzeugt es im Bereiche lebendiger Entwicklung immer Berdruß, wenn die einmal gewonnene Stärke anderen Faktoren nachgeben muß. So gewiß das ist, so gewiß man die Kirche im weiteren Verlaufe staatlicher Entwicklung die frühere Stellung nicht mehr erringen, weil sich das frühere Ideal des Priester­­­staates als Trugbild erwiesen hat und der Bestand des Staates durchaus an bürgerliche und keineswegs nur an kirchliche Tugenden gebunden ist. Begreiflicherweise wird es au) noch ziemlich lange dauern, bis die Kirche die Bersuche, als treibende Macht zu gelten, aufgeben wird, da ja das Ver­­dächtnis das goldene Zeitalter früherer Alleinherrschaft immer wieder verlobend vorspiegelt. Dienen ist schwer; es wird noch schwerer denjenigen, welche nicht von Kindheit auf daran gewöhnt wurden. Man kann nun im jenigen Zeit­­­alter dem Staate Kirchlicherseits nicht weismachen, daß man ihn diene durch Meh­flucht im Sinne der vormaligen Einsiedler heiligen oder der Mönche und Namen, die ja ihre Kraft und Arbeit dem Staate entziehen und zum Schluffe drängen, daß die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer staatserhaltenden profanen Berufsthätigkeit und Mannigfaltigkeit durch einen dauernden äußerlichen Gottes­­­dient — Singen, Beten, Karteien, Wallfahrten aller Einwohner — gar bald aufgelöst sein w­ürde. Ebenso ersichtlich­­ht es, daß man dem Staate durch Schenkungen von Geld und Grund zu Kapellen und Altären, Heiligenbildern und Statuen und vergänglichem Schmud seinen Dienst erweist. Darum hat der bezeichnende Ausdruck: Vermögen „der toten Hand“ seine vollste Berech­­­tigung. Nicht minder­­bar ist es, daß auch durch eine um sich greifende freis­­willige oder erzwungene Ehelosigkeit dem Staate ein nur negativer Dienst er­­­wiesen wird,­­­ wie das manche Stämme in Nordamerika bezeugen, die aus Zehengüberdruß das Aussterben ihres Geschlechtes in angegebener Weise herbei­­­führen (Chontalen und Mises). Geradezu unsinnig wäre es ferner, zu behaupten, daß der volfswirtschaft­­­lge Aufschwung eines Staatswesens durch eine größere Zahl von Feiertagen mehr begünstigt werde, als durch die ausschließliche Feier der 52 Sonntage. "Jedenfalls darf man den Anspruch der Kirche, daßs der Staat seine Macht zur Einhaltung von Feiertagen zweifelhaften Ursprungs einfege, noch als ein Ueberbleibsel jener „alleinseligmachenden Beschränktheit” bezeichnen, welche abseits liegt von den Lebensbedingungen des modernen Staates. Damit dient man dem Staate nicht, sondern macht ihn zum Diener von Interessen, die seine Unabhängigkeit gefährden. 33 Gebiet eitlen Wahnes muß man auch die Ansicht weisen, welche das Heil des Staates noch damit zu bereiten sucht, daß aller Volksschuls­­unterricht, alle Bildung, Wissenschaft und Kunst den Stempel der kirchlichen Nechtgläubigkeit erhalte, emgemäß sol ein auf sechs Jahre beschränkter Schulbesuch der niederen Volksschichten größere Bürgschaft bieten für einen sittlichen und möglichen Lebenswandel, als die achtjährige Schulpflicht, und innerhalb des Lehrplanes sollen alle Bildungselemente in Einklang gebracht werden mit den dogmatischen Ausdeutungen des Christentums, ohne Mücsicht darauf, daß jede Wissens Haft einzig und allein der Wahrheit zu dienen habe. Man wiederholt die Forderung: Alle Bildung sol s­­chriftlich sein, mit vollem Nachdruch und vergißt oder will vergessen machen, daß es eine Zeit ge­­­geben hat, darinnen sie biß ins Kleinste erfüllt wurde: die Zeit, als die doctores subtiles und universales oder angelici miteinander ohne Ende stritten um die Natur der Engel, um die Wirkung des göttlichen Geistes in einer Gurke, um das pro und contra der Göttlichkeit und Unbeflecktheit der Maria und­ dergleichen Klopffechterei in leeren Worten mehr; die Zeit, als die Adthymie oder die Kunst, aus umedlen Metallen durch verschiedene Grade der Behandlung edle, besonders Gold zu machen, ihre Adepten oder Meister hatte und das Leben seliziv alle Krankheiten heilen, das Alter verjüngen und un­­­sterblich erhalten wollte; die Zeit, wo das D­olf alles Ungewöhnliche Für Wunder ansah, und Kopernicus wegen unbiblischer Lehren mit dem Bann bedroht und Galilei für seine „heidnische Weisheit“ in den Kerker geworfen wurde. Endlich hat man nach vielem Geisteszwang die Wissenschaft frei­­ge­­­sprochen von den Vorurteilen vergangener Zeiten und der heutige Staat ver­­­dankt dieser Freiheit zahllose Güter der Industrie und des Verkehrs, die forwohl in ihrer Erzeugung und­­­ Versendung, als in ihrem Verbrauche über aller­­lichsien Meinung stehen. Die Verdummung der Völker könnte vielleicht einer farhlichen Partei zur Vermehrung ihres Einflusses verhelfen, aber den Staat würde sie im Wettbewerbe mit geistig freien Staaten in eine untergeordnete, wenn nicht un bedeutende Stellung herunterdrücken oder zur sicheren Beute lebenstüchtiger Nachbarn machen. Schließlich wü­rde dem Staate auch damit ein verderblicher Dienst er­­­wiesen, wenn man seine Bürger­­schiede in Orthodore und Reber, in Freie und Geduldete, in Auserwählte und Verdan­mte, wie es früher üblich war. Mag man über die Kleinigkeit hinwegsehen, ob ein Tempel die Thüre gegen den Hof oder die Gasse haben, ob ein Turm mit Glocken darüber gebaut werden dürfte oder nicht, eine Kleinigkeit, die der Negierung früher mancherlei un­­­nötige3 Kopfweh gemacht hat, so fan­t es doch nicht mehr angehen, daß ein Bürger um seines Bekenntnisses willen als gut oder schlecht, verläßlich oder liederlich, ansiedlungsfähig oder zu bloß eintägigem Aufenthalte zugelassen, hingestellt werde. Das bürgerliche Gewissen empört sich gegen solche Rechts­­­abstufungen; die tägliche Erfahrung bestätigt, daß es in jedem Bekenntnis gute und böse Menschen giebt, daß der Jude und Türke seinem Handwert ebenso eifrig und geschidt obliegen kann, wie der Christ. Die Bevorzugung eines Bekenntnisses hat die Verbitterung der anderen­ zur unausbleiblichen Folge und fördert die Ziwietracht unter den Bürgern, welche doc alle ihr Vaterland mit gleicher Hingebung zu fragen berufen sind.­­­ Wie sich doch die Zeiten und Menschen ändern! Was früher als sicherstes Zeichen christlichen Lebens galt und den Stempel eines gottgefälligen Werkes für si hatte: A der eben erwähnte Dienst der alten Kirche für den Staat, das lehnt der heutige Staat als ihm schädlich ab, ja er leitet gegen manches das Strafverfahren ein. Gäbe es nun nichts besseres an der Kirche, so wäre sie am Anfange ihres Endes angelangt und die Entwickklung des Kulturstaates würde darüber unbarmherzig fortschreiten und all die irchlich zähen Anstalten und Anhänger in die Winkel abgelegener Dörfer zurückcdieben, wie es einstens die legten Heiden (pagani) im römischen Reiche erfuhren. Benilleton. Hans de Lagarde T. Am Tage, da die Sonne des ablaufenden Jahres 1891 am tiefsten stand, um dann wieder die aufsteigende Bahn zu betreten, hat die grausame Hand des Todes mit raschem Eingriffe dem deutschen Wolf noch den gelehr­­­testen, tiefsten und umfassendsten seiner Denker, den liebevollsten seiner Sorger und Berater und den unenschrecensten seiner Geistesvorkämpfer entrisfen. Der Professor der semitischen Sprachen an der Universität Göttingen, Paul Anton Bötticher, geboren zu Berlin am 2. November 1827, später nach seiner der französischen Kolonie entstammten Mutter de Lagarde genannt, it am 22. Dezember 1891 aus den Reihen der Lebenden geschieden, und gar mancher seiner Freunde und Verehrer, seiner Schüler im engen und weiteren Sinne, wie sie über ganz Deutschland und soweit die deutsche Sprache verstanden wird, schon in großer Zahl verbreitet sind, mußte die Schmerzenskunde am Abend des Weihnachtsfestes unter den Zweigen des Christbaumes mit er­­­bangendem Herzen und stodendem Pulsschlag vernehmen. Aber dem Tode entspringt neues Leben, und so wollen wir denn zuversichtlich glauben, daß hier der Tod, der mit dem Vergänglichen und Verwegsichen abschließt und so mit ernstem Fingerzeig auf das Ewige hinweist, eine Wiedergeburt der deutschen Wolfsseele im Geiste dessen bedeutet, der in der Weihenacht als Heilbringer für alle Menschheit geboren wurde,­­­ denn eine solche Wiedergeburt herbei­­­zuführen, war das eigentlichste Ziel der mühevollen Arbeit und der tiefen Sorgen unseres großen Toten. Er hatte aus dem Vorne des Lebens getrunken und vernahm sein Rauschen und Riefeln in den Weberlieferungen grauer Ver­­­gangenheit, wie durch den Lären und das Getöse der Tagestümpfe hindurch,­ die das Ohr der Lebenden betäuben und abstumpfen. Diese Lebenden, und zwar zumeist und zuerst die seines eigenen M Wolfes, dem seine ganze Liebe gehörte, wieder empfänglich zu machen für jenes Cwige, an das die Be­­dingungen alles Dauerlebens gebunden sind, darin sah er die Aufgabe seines eigenen Erden daseind. Darum tritt im allen seinen Säristen, auch in den allergelehrtesten, die zunächst nur für wenige bestimmt scheinen, für den Ein­­­­­­­­­­­­geweihten überall die Beziehung der behandelten Fragen zu den Bedürfnissen unserer Gegenwart und näheren Zukunft deutlich hervor, und wenn er in seinen Urteilen gegen Mitlebende herb und Hart ist, ja zuweilen grausamn eva icheint, so liegt der Grund hiervon darin, daß er in ihnen nicht die Person anschaute, sondern nur die Idee und Auge gefaßt hatte, als deren Träger und Werkzeuge ihm die Personen erschienen. „Er lebt und kämpft im Geiste” — sagt die nur wenige Monate vor seinem Tode erschienene anonyme Schrift „Unsere nationale Erziehung” — „und ist darum der rechte Manır, zum Leben und Kampf im Geiste sein Wort tüchtig zu machen. Und das Wesen von Denken und Sprache, von Religion und Staat zu erkennen, geht er in die Jugendtage der Menschheit und der Völker zurü­d, "wo Den­ken und Sprache, Glaubens und Staatsgemeinschaften unter göttlicher Führung duch tägliche Arbeit und Kämpfe erobert wurden, und so lehrt er Wert und Un­­­wert dessen erkennen, was wir Kultur nennen. Er überzeugt und, daß der Prenfch auch geistig nur das besißt, was er selbst erworben hat, und so befreit er von der Herrschaft der P­hrase. Miederall weist er auf die Quellen des Lebens zurü­ck und fordert auf, von neuen zu Werden und zu erwerben; des die Arbeit seines Lebens’ gilt der Zukunft und vor allem der Zukunft des Deutschtums, die er in eine neue V­ollsjugend verwandeln will, in der die rechte V­ersöhnung des Zeitlichen mit dem wigen, de Glaubens mit dem Wissen neue Schößlinge anregt.“ Alle Kultur und „VBildung” wurzelt aber für Lagarde in der Religion, und er hat ohne allen Zweifel auch hierin recht, denn die Geschichte zeigt mir widerleglich, daß die großen und kleinen Kultur- und Bildungskreise der Erde sämtlich auf verschiedene Religions-Stiftungen zurücweisen. „Der Vater aller Geister” ist für ihn der Punkt, im dem sich die Geister jener einigen müssen, die eine lebendige Gemeinschaft darstellen wollen. Der Wetteifer der Gemeinschaften in diesem Sinne bildet für ihn die Geschichte des Neic­es Gottes, und die Theologie in eigentlich wissenschaftlichen Sinne, den Lagarde aber für sie erst gewinnen, das heißt er kämpfen will, ist ihm „die Wissenschaft vom Wachstume des Reiches Gottes an allen Orten und zu allen Zeiten, nut bloß in Israel”., Die Monopolisierung der Heili­­­dee, wie sie das Judentum, insbesondere das rabbinisch-talmudische, ausgebildet hat, it für ihn „Lüge“, denn diese Heilsidee und das Streben nach ihrer Verwirklichung war [horn lebendig in den Wölfern des Altertums, noch ehe es ein Israel gab, und ist diesem nur aus der allgemeinen Entwicklung der Kulturwölfer zugetroffen. Hier liegt die tiefere Wurzel vom Lagardes Antisemitismus. Zur wirsamen Bekämpfung dieser jüdischen Lüge verlangt er „das entschlossene Isolieren der Unwahrheit: Man muß ale Lebenselemente, die dieser aus der allgemeinen Entwickklung zufließen, und die sie verborgenerweise als aus ihr selbst entsprungen darstellt, ihr unzugänglich machen, damit sie nur auf sich selbst angerwiesen sei.“ Daran aber stirbt die Lüge, und die geistige Sich­erung des Judentums, die für dasselbe tötlich sein muß, unter und ans gebahnt zu haben, ist ein Hauptverdienst Lagardes. Das Wesen des Pharisä­­­ismus, den das Evangelium Christi bekämpft, als eines zielbe­wußten, theoretisch­­­praktischen „Separatismus“, hat er überzeugend nachgewiesen. Dercher,dem­ Lagardes Schriften noch unbekannt sind,,möge aber ja nicht glauben,daß es sich hier um theologische Streitigkeiten rein gelehrter Art handle.Dergleichen hatte für ihn seinen Wert und keinen Sinn,er selbst hebt den alten Satz hervor:«Pi«imum est vivere,deinde philosophski« querst handelt es sich um das Lebei(danin erst umz Philosophieren,d.h. um­ das Nachdenken darüber,wie zu leben sei),und so m­uß bei ihm auch die Erörterung jen­er Fragen,die si­r so viele Gelehrte nur den rein abstraktem ostabstrusen Charakter haben,lediglich den Zwecken des w­irklichen Lebens dienen­ dessen Grundlage das leibliche und m­aterielle Leben istis Die Gewähr dieses m­­ateriellen Lebens liegt aber in der richtigen Erfassung und Behandlung der volksw­irtschaftlichen­ und der Erziehun­gsfragen,und deshalb zieht Lagarde dieselben überall in den Kreis seiner Betrachtungen mit hin­ei­n,—von den Fragen der Volksernährung und des Geldwesens bis zu den höchsten Problem­en der Gesellschaftsgestaltu­ng und Nationalerziehung,und auch in der Erörterung der Fragen der inneren und äußeren­ Politik,von den­en ja die Lösung aller anderen Probleme im­m­er abhän­gig bleibt,packt er,weit entfernt,der persön­­­lichen Gefahr aus dem­ Wege zu gehen,den Stier bei den Hörnern.Er kan­nte keine Furcht,aber die alt-germanische Königstreue hat er immer gewahrt, sowie Bigmarc,wenn er auch von dessen­ Meinungen in vielen Stücken abwpeicht und sein­e Maßregeln nicht überall billigt.Insbesondere hat er den ·,,Kulturkampf« tief beklagt,durch den­ die deutsche Kirchenspaltung nur erweitert, so,wenn er nicht noch rechtzeitig abgebrochen worden wäre,die Gefahr neuer ·

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