Neuer Weg, 1970. január (22. évfolyam, 6429-6452. szám)

1970-01-16 / 6439. szám

NEUER WEG / 16. Januar 1970 Kritik / Theater EMINESCU 120 Jahre seit seiner Geburt Am 15. Januar waren es 120 Jahre seit der Geburt Mihai Eminesous, des grössten Dichters des rumänischen Volkes. Wie jedes Kunstwerk muss auch die Dichtung Eminescus in jeder Epoche, von jeder Generation von neuem erworben werden. So kann man es als einen Gewinn jün­gerer Eminescu-Deutung werten, dass Eminescu nicht bloss als der grösste ru­mänische Dichter, sondern als der grösste Dichter unseres Landes überhaupt ange­sehen wird. Davon geht auch die unmit­telbare Beziehung aus, die die deutsche Bevölkerung unseres Landes zu diesem, dichterischen Universum gewonnen hat. Bleibendes auf diesem Weg zu Eminescu hat Alfred Margul-Sperber geleistet, der nicht nur einige der schönsten Eminescu- Nachdichtungen hinterliess, sondern auch in seinem eigenen Schaffen immer wieder Eminescu-Motive in deutscher Sprache an­klingen liess. Auch der bedeutende Nach­dichter Zoltán Franyó fand im Werk Emi­nescus einen Pol, zu dem er immer wie­der zurückkehrte. Und schliesslich gehen auch die mittlere und die jüngere Gene­ration — wir bringen diesmal Nachdich- . tungen Georg Schergs — das dichterische Werk Eminescus an, um seine Eigenart und seinen Reichtum in deutscher Sprache zu vermitteln. „Das Leben Mihai Eminescus1*, George Cälinescus faszinierende Monographie, liegt seit einiger Zeit in der gediegenen deutschen Übersetzung Harald Krassers vor, als Lebensdokument, aber auch als • spannende Lektüre. Man kann dabei den landschaftlichen Wegen des jungen Dich­ters nachgehen, seinen Moldauer Jahren, seinen Wanderungen nach Blasendorf und Hermannstadt, seinem Banater Aufenthalt, der insbesondere von dem tiefsinnigen Kenner Banater Kulturgeschichte, Franz Liebhard, erforscht wurde, Eminescus Bukarester Tätigkeit. Man wird dabei feststellen, dass gerade diese Wander­jahre, in denen der Dichter durch alle von Rumänen bewohnten Gebiete kam und auf denen er alle Landschaften und jede Art von Volksdichtung in sich auf-, nahm, die innere Struktur seines Schaf­fens am nachhaltigsten beeinflussen soll­ten. Man kann auch einen Blick auf den Studienaufenthalt des Dichters in Wien j und Berlin werfen, seine Abstecher nach : Florenz, Venedig und Genua verfolgen, I sein organisches Interesse für alle gei­stigen Strömungen der Zeit kennenlernen j und dabei zur Schlussfolgerung gelangen, I wie Eminescu alle diese Gedankenflüsse durch sein ureigenstes Wesen aufnahm und verarbeitete. Dichtung ist ja nicht in I Verse umgesetzte Philosophie, sondern I eine eigene Art der Weltentdeckung. Eminescu hat das Allgemeingültige und ! das Besondere seines Volkes mit solcher I Tiefe und Einmaligkeit erfasst, dass sein j Werk selber zu einem Charakteristikum des rumänischen Wesens wurde. Deshalb wirkt dieses Werk heute mit der gleichen | Kraft wie vor hundert Jahren, deshalb j gewinnt diese Wirkung von Jahr zu j Jahr an Intensität. Hans L i e b h a r^l t Mihai Eminescu : Zu den verlassnen Pappeln Zu den verlassnen Pappeln schlich ich oft im Unverstand. Die Nachharn alle kannten mich, du hast mich nicht gekannt. Zu deinem Fenster sah ich hin, es glänzte auf im Licht. Die ganze Welt verstand den Sinn, nur du verstandest nicht. Wie oft verharrte ich im Trug, dass du mir Antwort gäbst. Ein Tag war mir ja schon genug, dass du mein Herz erhöbst. Dass wir als Freund den Freund begrüsst, der Lieb für Liebe gibt: Ich hätt die Stunde totgebüsst, die du mich so geliebt. Hätte nur einen heitern Blick dein Auge mir geschenkt, mein ganzes künftiges Geschick hätt es als Stern gelenkt. Venedig Erloschen ist Venedigs stolzes Leben. Kein Lied erklingt, kein Glanz erstrahlt von Festen. Auf Marmortreppen, zwischen den Palästen um alte Tore spinnt des Mondes Weben. Mit der Kanäle klagenden Regesten bereit, aus ganzer Kraft sich hinzugeben, umwirbt Okeanos voll blühendem Leben die schönste Braut in tauben Mauerresten. Die Stadt liegt wie ein Friedhof in der Stille. San Marco bleibt ein Priester finstrer m Zeiten, so unerbittlich schlägt er Mitternacht. Voll Würde ruft mit Worten der Sibylle er in der Stunde abgemessenes Schreiten: „Vergeblich. Tote sind noch nie erwacht.“ (Deutsch von Georg S c h e r g) Costea Simion: Volksbräuche BE m Christian Maurer Tagebuch ■MMHHMWUWiftrtr&g'.fo’ Notizen Zur Diskussion Theater und Publikum 14. Dezember 1959 Schnee, im Harbachtal, ist weisser als sonştwo in Siebenbürgen. Hier heissen die Dörfer Hundertbüchein und Streitfurt — (Stradford up on ... Harbach — wann wird’s auch bei den Siebenbürger Sachsen einen guten Stückeschreiber geben ? !), sie heissen Denndorf und Alzen, Jakobsdorf und Leschkirch. Weisse Namen. Schnee­namen. Elstern in Winterbäumen. Kir­chenburgen, tief in Seitentäler geduckt. Bussardland. Langgestreckte Stallungen. Dünner Rauch. Mist, in grossen Würfeln, dampfend. (...) Winter im Harbachtal 1 Sonniger Winter. Goldammersonne. Him­mel. Heimat. 15. Dezember 1959 Gestern abend Jakobsdorf. „Emilia Ga­­lotti“. Über neunhundert Zuschauer! (...) Nach sieben Uhr : Eintritt durch’s Fenster ! Zur Tür herein geht’s nicht mehr. Über eine Hühnerleiter krabbelt man in den Saal. Halb lachend, halb schimpfend. Man krabbelt aber. Man ist aus Neustadt gekommen, aus Denndorf und Hundertbüchein, in Leiterwagen und Pferdeschlitten, in offenen Lastwagen. Es ist wie ein Volksfest, ein Jahrmarkt. (...) Vorfreude und Neugier: elementar­ste Voraussetzung für’s Theatermachen. Sollte ein Volkstheater noch möglich sein ? Passion für’s Spiel ist da, zweifel­los. Vielleicht fehlt uns aber das „Pas­sionsspiel“ unserer Zeit und dieses Raums. Denn : Guastalla, liegt nicht am Harbach. Hier liegt Schnee. Hier ist alles weiss. Hier ist alles möglich. Hier liegt alles an uns. 3. Juni 1960 Eigentlich schon Hochsommer. Wir lie­gen auf einem „toten“ Gleis. Kamille blüht zwischen den Schienen. Zu Mittag 30 Grad im Schatten. Das hiesse in Sie­benbürgen August. Im Banat heisst es : ein wärmerer Frühling. (...) Im Schlaf­wagen hält man das nicht aus, die Sonne heizt ihn ein wie einen Backofen. Am frühen Morgen bemerkenswertes Ereignis. Hier steht es : Unterm Coupeefenster Stimmen. Wan­derzigeuner. Vielleicht ein Bullibascha mit seiner Frau. Bleiben vor unserem Pullman stehn. Sie buchstabiert : „Ti — a— trude — stat...“ (Teatru de Stat), und versteht : „Uite, mă, circ !“ Er ist schon weitergegangen, brummt über die Achsel : „Dă-i dracului ! Vagabonzi !“ ... Und wieder Stille, nur die Lerchen, die Kamille und die Sonne. Ich weiss nicht: soll ich lachen, soll ich mich ärgern ? Oder gar stolz sein : Wanderkomödiant! Die letzten fahrenden Ritter ! Mit Spiess und Sporn gegen Spiessertum und Bürgerprotz !... Dumm­heiten. Das konnte die Neuberin. Das musste die Neuberin. Das mussten alle Schauspieler bis zu mir: ihren Be­ruf verteidigen. Er galt einmal als unehr­lich. Vorurteile halten sich hartnäckig. 11 Uhr abends, nach der Vorstellung. ... Ich muss immer an den Bullibascha denken. Bestimmt ist er Kesselschmied. Das ist ein Handwerk. Das' ist für ihn handgreiflich. Das ist ehrliche Arbeit. Aber — Kunst ? „Sind Blumen — für die Kuh — ’was Beschreibliches ?“ Aber — vielleicht muss auch ich noch meinen Beruf verteidigen ? Und nicht nur gegen den Bullibascha ? 4. März, 1963, Sch. Das kommt auch vor : Eine Dame hat heute während des ersten Akts den Saal verlassen. Etwas demonstrativ. Nach der Vorstellung erfahren wir, warum. Sie hat (die Dame) das Stück in Cuxhaven ge­­sehn, 1920. Und, bitte, von einem sehr guten Ensemble (sprich : En — sem — ble, wie geschrieben) gespielt ! Dies aber, unser Stück, sei nun einmal kein richtiger Schaf ! (Gemeint ist höchst­wahrscheinlich Shaw, Georg Bernhard). Schau an. Die hatten ein ganz schönes Repertoire, die Cuxhavner, 1920 ! Wir spielen nur „Gespenster“. Von Ibsen. Macht nichts. 2. Mai, 1967 (...) Perpetum-mobile : mein kleiner Sohn. „Wohin gehst du, Tata ?“ „Ins Thea­ter.“ „Warum ?“ „Weisst du — ich ar­beite dort. Ich spiele. Ich spiel’ Theater, weisst du.“ „Warum spielst du nicht mit mir Theater ?“ „Weil man Theater nur im Theater spielen kann ... “ „Warum kann man Theater nur im Theater spie­len ?“ „Dort hat man alles, was man dazu braucht: eine Bühne, Kostüme, Kollegen, Scheinwerfer... “ „Warum hat man eine Bühne, Koslegen und... und ... “ und Scheinwerfer !“ „ ... und Werfscheiner ?“ „Um Theater zu spielen, Menschenskind !“ „Warum spielt man... “ Ad infinitum. (Erklär einem Zweijährigen, warum man Theater spielt ! Warten wir, bis er dreissig und vielleicht Theaterkritiker ist !) .. .Februar, 68 ... und dann diese miese Kritik ! Arg verrissen, trotz stadtbekannter Freund­schaft mit Kritiker. Auch Repertoire an­gegriffen. Dabei wil Publikum leichte Kost, will Unterhaltung ! Grosser Erfolg, trotz allem. Volle Säle. Auch Walter sagt: „Man kann durch die Zeitung kein Theater machen. Umgekehrt geht es !“ Das ist tröstlich. (...) Er hat aber nicht gesagt, ob wir — gutes Theater machen ? Bonmots trösten nicht immer restlos. Auch volle Säle nicht. Ein Zwei­fel bleibt.1 16. Dezember, 68, Hotel „AMBA“, München Gestern abend Residenz-Theater. Pre­miere der „Räuber“, in einer Inszenie­rung von Hans Lietzau. (Das habe ich schon heraus : Hier ist der Regisseur wichtiger als der Klassiker, der Intendant wichtiger als der Regisseur, die Presse wichtiger als der Intendant, und der Onkel vom Fernsehn lässt alle zusammen nichtig erscheinen.) Blendende Inszenie­rung. Kristallklare Akzente. Ein Schau­spieler ganz gross : Martin Benrath als Franz. Ein wirkliches Ensemble. Lichtre­gie. In der Pause Foyei-zauber. Konver­sation. Fast sämtliche europäische Spra­chen im Frack. Dazwischen, zahlreich, in ständiger Bewegung, Münchner Studen­ten. Protest wird hier durch Haltung demonstriert, z.B. Rollkragenpulli zum Frack oder Blue jeans. Erheiternd. Bär­tig die Jünglinge, mini-sexy die weibliche Jugend. Enttäuschte Gesichter : kein Pre­mierenskandal. Ich schnappe Dialogfet­zen auf : „ ... eigentlich reicht’s mir !“ „Man hätte Monk sehn müssen !“ (Die Hamburger „Räuber“, Regie Egon Monk, Auffassung — grob ausgedrückt — gam­melnde Räuber, dadurch aktuell !) (...) Auf dem Stachus steht es für mich fest : „aktueller“ als eben erlebt „geht“ Schil­ler nicht. Majakowski - vielleicht, Becket ganz gewiss, Hochhuth usw. Wir können heute nicht mit Schiller in die böhmi­schen Wälder gehn, gegen Karl Eugen rebellieren und Axel Springet; damit meinen. Wir können bei ihm nur nach- I erleben : Sturm und Drang. Literarische Revolution im 18. Jh. Und feststellen : Kontinuität der Unruhe. Auch in der Literatur... ;. November, 69 Grass stellt fest : Rumäniendeutsche Lyrik nicht provinziell ! In allen Zeitun­gen kann man’s lesen. Ermutigend, nicht ? (...) Was würde aber Dürrenmatt („Die Physiker“ u.a.) über unsere Theater­stücke sagen ? Wir brauchen Stücke ! Dringend ! Gute ! 16. November, 69, Hstdt. Erste Leseprobe zu „Amphitryon“ von Peter Hacks. Was für ein Stück! Um vor Freude zu platzen ! (Auch der Schau­spieler darf sich manchmal über ein Stück freuen, man sollte ihm das nicht verargen, er hat ja auch Schlagerpära­­den und „Alt-Heidelberg“ gespielt...) Diese Sprache ! Diese prächtige Dialek­tik ! Diese Alkmene ! (Die Rolle, meine ich.) Diese Schwierigkeiten, die zu über­winden sind, um alles sichtbar zu ma­chen, zu gestalten ! Das Schönste sind die Schwierigkeiten. Hacks macht es dem Schauspieler nicht leicht, der Schauspieler muss es dem Publikum aber leicht machen. Verteufelte Sache. (...) Vielleicht haben wir unser Publikum doch zu einseitig gefüttert ? Ob es uns diesen Text aus der Hand... lesen wird ? Leichte Kost, seichte Kost, etwas Liebe, etwas Gesang — das Denken ist doch auch ein Vergnügen, oder ? 10. Dezember, 1969, Bukarest Neue NW-Diskussionsreihe : Theater­fragen. Ein Interwiev mit Direktor Sze­­kler, ein Aufsatz von Bettina. Lese beide Beiträge während einer Drehpause in Mogoşoaia. Interessant. Bekannt. Nichts Neues. Aber : nötig, immer wieder gesagt zu werden. Nötiger : man tut es endlich. Wahrscheinlich wird man von mir auch eine Stellungnahme erbitten. Worüber könnte ich schreiben ? 11. Dezember Richtig. Gestern abend Anruf auf mei­nem Zimmer, Hotel-Nord. Liesl Axmann : Theaterdiskussion. Nach 15 Minuten Be­arbeitung sage ich zu. In Gottes Namen ! Nach dem grossen Erfolg in Florenz wird dis Aufführung mit „Dantons Tod“ von Georg Büchner jetzt in Bukarest wieder­aufgenommen. — Unser Szenenbild zeigt Liviu Ciulei als Danton. Ausser der Darstellung der Titelrolle und Spielleitung hat Ciulei auch das Bühnenbild der ausgezeichneten Inszenierung im Bulandra-Theater besorgt 4 OB Wer ist dieses brave Kind, dieser An­dresi, irgendwo hinterm Gartenzaun, der seine Grossmutter („den einzigen Men­schen, den er je gern gehabt hatte“) nie vergessen kann, der auch im Haus in der Schwimmschulgasse und zur Zeit der Be­geisterung etwas wehleidig und ein biss­chen schlau seine weisen Aussprüche tut und auf die Aussprüche anderer achtet. Ähnlich wie der Telegraphenbote in Sa­royans „Menschlicher Komödie“ ist An­dreas Weisskircher Träger oder Mitwisser von Erlebnissen ; seine Gestalt verknüpft Einzelschicksale, sichert auch rein äusser­­lich gesehen den gleichen Bezugspunkt, in dem sich Intimes mit Typischem in einer glücklich gelösten Mischung treffen. Die­ser siebenbürgische Simplex aus Oberdorf, den wir schon aus Liebhardts erstem Bändchen („Träume und Wege“) kennen, wird auch später in der — wie man io sagt — grossen Welt vom Herzensbrot der Heimat zehren. Kann der Mensch au­sserhalb seiner Kindheit kein zweites Zu­hause mehr finden ? Und muss dieser- Andresi, der Bindungen braucht, nicht tiefunglücklich sein, wenn er nur noch in die Erinnerung heimkehren darf, wenn es die Menschen seiner Jugendjahre nicht mehr gibt und nur noch kalte Hügel, Pe­largonien und Tausendschönchen an die Weisskircher-Lies, die getaufte Evange­liumschristin, erinnern, die Andresi viel Glück auf den Weg gegeben hat ? Die dunkle Schwester des Humors, die Trauer, ist da. Sie schwingt in den besten Erzäh­lungen' mit, doch es ist die massvolle, heimliche Trauer, die kaum in Verzweif­lung umschlägt. Denn eines der bäuer­lichen Gesetze, nach denen sich die Gestalt dieser Geschichten richtet, lautet, dass ein anständiger Mensch sich nicht gehen lassen darf. Andresi verlässt an jenem todtraurigen Abend das Meer­schaumbett, die Angst vor dem Übergang ins farblose Nichts treibt ihn ins Wirts­haus (Ein Weisskircher wie du). Schon im ersten Bändchen steht die schöne Ge­schichte von der tauben Gruis, die ihrer irrgewordenen, heimgekehrten Tochter, der einst so akkuraten Nick, das Reind-1 Hühnersuppe und ein Viertellaib weiches Brot brachte (Über sieben Hatterte). Diese selbstverständliche Verhaltenheit des Ge­fühls deutet nicht auf stumpfes Ausgelie­­fertsein und Entsagen hin. Die Oberdörfer versuchen auch aufzubrechen, aber auf zähe, pfiffige, erfinderische Weise ; nur Fleiss kann ihnen helfen, Arbeit ist für sie der einzige Wert (Das Gesetz), „ob­wohl durch Arbeit allein nicht, auf zukom­men war gegen das Unbekannte und Ge­fährliche, das Geschichte heisst“ (Alter Berg), Bei Hebbel steht der (erstaunlich wenig zitierte) Satz : „Humor ist die Erkenntnis der_ Anomalien“. Zu diesen „allgemein menschlichen“ Anomalien gehört die täg­liche Müh und Plag, der die Grossmut­ter erliegen muss, die diskret angedeu­tete Armut (auf dem Totenbett sagte dte Grossmutter : „... nur Strümpfe hab ich keine, die Gode soll aus Leinwand ein Paar nähen“), gehört die Tatsache, dass die Gemeindeherde über das Grab der Mirl-Tante zieht, dass ein Kind als Voll­waise aufwächst und nicht mit Vaters Rappen in das ferne Bad von Siebenber­gen fahren kann. Später wird man jedem Weg, jedem Märchen, jeder Wunder­blume der Kindheit nachsinnen und sein Lebtag von der vergeblichen Sehnsucht nach dem Hergottsschuh geplagt werden. „Man kann für Sekunden seine Kindheit und das Freisein wiederfinden, aber nur für Sekunden“ (Es tut mir leid). Und diese verwunschene Heimat, wo man so handeln musste wie die anderen und sein „wie die Leut“, um sich im schützenden Gefühl der Gemeinschaft zu bewegen, kennt Liebhardt sehr genau, am genauesten von allen siebenbürgischen Autoren der jungen Literatur. Da wirkt jedes Detail echt, erlebt und in seiner Bedeutsamkeit erkannt. Zwischen Lächeln und Traurigsein erzählt er besinnlich Ge­schichten, die nicht bei der Reihung anekdotischer Situationen verharren, son­dern ein originell gefiltertes Stimmungs­bild ländlich-familiäre Poesie schaffen, das nicht idyllisch verstanden sein will. Ähnlich wie bei Erwin Strittmatters Prosa („Schulzenhofer Kramkalender“) wird der Grossvater etwa nicht bloss als Requisite kindlicher Erinnerung eingebaut: Die dörfliche Welt mit ihren pbsitiven Wer­ten ■wird als Vergleichsmoment genutzt, um über den Glanz der städtischen Zi­vilisation ins Nachdenken zu geraten. Doch die Stadt kennt Liebhardt weniger. Er erreicht nicht den aggressiven Charme eines Ilf und Petrow oder den Witz eines Sostschenko, denen der Erzähler vom „Blauprojekt“ nicht ausweicht. Hingegen gelingen Liebhardt die Erzählungen aus Dorfsicht (der Zyklus „Das Haus in der Schwimmschulgase“ erhält seinen Zauber auch aus diesem Blickpunkt heraus), die nicht allein in Kränzchen und Rocken­stuben vorgelesen werden. (Darin sah Liebhardt — laut Selbstinterview in der „Neuen Literatur“ — den Höhepunkt sei­nes literarischen Erfolges ! Diese Ge­schichten haben die seltene Qualität des bei uns Geschriebenen, dass man sie wie­der und wieder liest, weil ihr Reiz von Mal zu Mal nicht blasser wird, sondern sich vertieft: Da ist die ausgewogene Ti­telgeschichte vom Grossvater, der im Laufe von zehn Jahren dreimal stirbt. In „Alles, was nötig war“ setz Liebhardt seiner schönsten literarischen Gestalt (ist es nicht die schönste Unserer neuen‘ein­heimischen Literatur überhaupt ?), der Grossmutter, ein ergreifendes Denkmal ; da sind die märchenhaften Erzählungen über den Hergottsschuh und die rot­­weisse Blume, die eine neue entwicklungs­trächtige, phantasiefreudige Seite bei Liebhardt anzeigen. Und wie umschreibt man das Wie dieser Geschichten ? Liebhardt fällt zunächst sehr direkt und manchmal paradox mit der Situation ins Haus : „Man soll sich nicht rühmen“ ; „Es hätte an dem Sonntag aussein kön­nen“ ; „Andresi sitzt am hellichten Sonn­tagvormittag in der Stube und stuckt Zoologie“ ; „Frau Direktor Altenberg staubt die Ahnengalerie ab,“ usw. Apho­ristisch gemeinte Aussprüche (Zwei Seelen kämpften in seiner Brust: der Fleiss und das Fahrrad. Das Schicksal stellt einem ja immer etwas vor die Nase, womit man sich abzugeben hat. Die Nerven — ich denke es gibt sie gar nicht) halten die Spannung hoch, überraschen den gut­gläubigen Leser. Das Hauptmittel bei Liebhardt bleibt die eigenartige Diktion und - der verfremdend wirkende Wort­schatz der Mundart: „Der Schinder weiss, warum die niederträchtigen Fratzen am hellichten Vormittag einen ordentlichen Menschen plagen. Und schickt es sich, dass die Nachbar-Lies angetan mit einem Lilakleid die Gasse herunterkommt ? Wo­hin kämen wir ? Aber die Menschen sind nicht nur anständig, sie sind auch nach­lässig und nichtsnutzig. Ja, von einem heisst es, dass dieser kein Mensch sei. Und obwohl es eine Schande ist, sich zu fürchten, tut man nicht immer alles so, wie es sich für einen grossen Burschen gehört...“ Liebhardt weiss, wie wichtig der Schluss einer Geschichte ist, er rückt durch for­melhafte Wendungen, wie sie vom Mär­chen bis zu Johann Peter Hebel sich noch immer bewährt haben, das Erzählte an den Zuhörer heran und leitet den Le­ser in die Wirklichkeit zurück („Doch wenn es spät wird in der grossen Stadt, denke ich an jenes Grab;“ „Er sammelte den Ruhm wie seine Gfössmutter die Waldbirnen und dachte sich ; wenn genug da sind, werden sie zerstampft und man' macht daraus Essig“). In der letzten Geschichte heisst es, dass der Verfasser von seinem grosselterlichen Erbteil eine Schreibmaschine angeschafft und darauf auch dieses Buch geschrieben habe. Andresis Erbteil ist nicht gering. Es ist die kräftige Poesie eigenster Hei­mat. Die einzelnen Geschichten wirken wie die Stationen eines kleinen Bildungsro­mans. Liebhardt zeigt nicht Linien, son­dern Stufen. Deshalb kann man auch nicht von herkömmlichen Kindheitserin­nerungen sprechen, es ist die heiter-trau­rige Beichte von einem, der auszog, die Welt kennenzulernen, nicht um sie zu erpbern, sondern um die Erfahrungen weiterzuerzählen, als Exempel dafür, wia Glück in feinen- Körnchen gesucht werden muss, im rieselnden Sand der Zeit. Horst Anger Vergebliche Sehnsucht nach dem Herrgottsschuh Zu Hans Liebhardts „Die drei Tode meines Grossvaters“, Jugendverlag Bukarest Quer durch Cybulski-D okumentation Dem unvergessenen polnischen Schau­spieler und Idol der jungen Generation, Zbigniew Cybulski, widmete der Doku­mentarist Jan Laskowski einen Doku­mentarfilm, der Ausschnitte aus Cybulskis Famen vereint. Seinen Verehrern wird somit .die Möglichkeit gegeben, noch ein­mal ihrem Zbyszek in markanten Szenen begegnen. Weltpremiere In Sarajevo erlebte der dreistündige Farbspielfilm „Die Schlacht an der Ne­­retva“ seine Welturaufführung. Das Werk über den Volksbefreiungskampf zählt, zu den aufwendigsten jugoslawischen Pro­duktionen. In ihm wirkten u.a. so be­kannte Darsteller wie S. Bondartschuk, Curd Jürgens, Hardy Krüger, Franco Nero und Orson Welles mit. Dshamila Eines der populärsten Werke von Tschingis Aitmatow, die Novelle „Dsha­mila“, ist in der Sowjetunion verfilmt worden. Die Titelrolle spielt die kasa­chische Ballerina Natalja Arinbasarowa, die bereits in dem 1966 in Venedig preis­gekrönten Ötreifen „Der erste Lehrer“ von Aitmatow zu sehen war. Spielfilm ade Der französische Regisseur Loius Malle hat geäussert, keine Spielfilme mehr zu drehen. Eines seiner nächsten Projekte ist eirf Dokumentarstreifen über ein In­dianervolk in den Anden, das seit 300 Jahren abgeschlossen von der Welt lebt. Spitzenstars in den USA „Box Office Magazine“ gab die Sieger bekannt, die durch eine Abstimmung un­ter Kinotheaterbesitzern, Kritikern, Fern­seh- und Rundfunk-Kommentatoren in den USA ermittelt wurden. Die zur Zeit populärsten Schauspieler sind John Wayne und Joanne Woodward. Die Liste der Schauspieler wird angeführt von 1. John Wayne, 2. Paul Newman, 3. Dustin Hoffman, 4. Steve McQueen, 5. Clint East­­wood, 6. Richard Burton, 7. Lee Marvin, 8. Alan Arkin, 9. Jack Lemmon, 10. Sid­ney Poitier, 11. Dean Martin, 12. Gregory Peck. An der Spitze der Schauspielerinnen rangieren ; 1. Joanne Woodward, 2. Julie Aidrews. 3. Shirley MacLaine, 4. Katha­rine Ifepburn, 5. Jane Fonda, 6. Barbra Streisand, 7. Raquel Welch, 8. Sophiá Loren, 9. Elisabeth Taylor, 10. Doris Day, 11. Faye Dunaway, 12. Vanessa Redgrave. Erstes Festival in Tampere Auf Initiative der Filmgesellschaften von Tampere (Finnland) wird in der Zeit vom 19. bis 22. Februar dieses Jahres in Tampere das I. Internationale Kurzfilm­festival veranstaltet. Es soll das interna­tionale Kurzfilfn-Niveau widerspiegeln. In erster Linie wollen die Veranstalter gesellschaftlich engagierte Dokumentar­filme vorführen sowie Filme, die neue Themen behandeln und nach neuen Me­thoden filmischen Ausdrucks suchen. Dia Wettbeiverbskategorien umfassen Trick­film, Dokumentarfilm, Kurzfilm, Kurz­spielfilm und Kinderfilm. Neuer Godard In einem kleinen Dorf bei Rom dreht Jean-Luc Godard seinen neuen Film „Wind aus dem Osten“. Godard hat einige Nicht-Schauspieler — wie z.B. den ita­lienischen Journalisten Paolo Pozzesi, den Fremdenführer Jose Vareal — sowie die Schauspieler Christiana Tullio und Allen Midget verpflichtet. Auch der bekannte Star Gian Maria Volonte hat seine Mit­wirkung zugesagt. Strindberg-Drama verfilmt Der schwedische Regisseur Alf Soeberg hat seinen neuen Film „Der Vater“ been­det. Es ist eine Übertragung seiner Insze­nierung des gleichnamigen Stückes im Stockholmer Schauspielhaus. Soeberg ist damit bereits bei der dritten Strindberg- Verfilmung. Von den früheren erregte insbesondere sein „Fräulein Julie“ Aufse­hen, das in Cannes mit einem Preis be­dacht wurde. Seite 3

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