ACTA LINGUISTICA TOM. 15 (A MTA NYELVTUDOMÁNYI KÖZLEMÉNYEI, 1965)

1965 / 1-2. sz. - SCHIRMUNSKI, V.: Über die altgermanischen Stammesdialekte

ÜBER DIE ALTGERMANISCHEN STAMMESDIALEKTE 3 nichts im Wege gestanden haben dürfte. Die Differenzierung der germanischen Stammesdialekte im Zuge der territorialen Aussonderung der verwandten Stämme wurde innerhalb der Stammesverbände, d. h. der germanischen Groß­stämme, im Ergebnis des friedlichen Verkehrs und der kriegerischen Zusam­menstöße von ihrer Wechselwirkung und gegenseitigen Annäherung begleitet. Diese Großstämme sind schon im 1.—3. Jahrhundert u. Z. entstanden und spielten zur Zeit der großen Völkerwanderung eine entscheidende Rolle. Diese kriegerischen Zusammenschlüsse bestanden nicht nur aus nahe verwandten germanischen Stämmen, sondern sie nahmen auch solche Stämme auf, die auf einer ferneren Stufe der Verwandtschaft mit ihnen standen, ja bisweilen auch Stämme, die überhaupt keine Germanen waren. Die Völkerschaften sind bereits in Gebieten mit fremdsprachigen Bevölkerungsteilen entstanden, wo die fremde Bevölkerung nach und nach germanisiert wurde. Innerhalb der Grenzen des in seiner Entstehung begriffenen feudalen Staates setzten sich die Völkerschaften aus herkunftsmäßig verschiedenen Stämmen zusammen: so wurden z. B. unter der Herrschaft der Franken (Istwäonen) in dem Reich der Merowinger und Karolinger auch Alemannen und Baiern (Erminonen), später auch Sachsen (Ingwäonen) zusammengefaßt. Immerhin trat neben dieser Tendenz zur sprachlichen Einheit innerhalb der einzelnen Völkerschaf­ten auch eine neue Differenzierung nach den feudalen Territorien in Erschei­nung, aber auch neue Prozesse der Annäherung auf Grund wirtschaftlich, politisch und kulturell bedingter Bindungen sowie auf Grund des Verkehrs zwischen den Territorien und insbesondere dank der Zunahme der Städte mit ihrer gemischten und in höherem Grade beweglichen Bevölkerung. Die wirt­schaftliche, politische und kulturelle Absonderung führte auch in der Sprache eine Isolierung herbei (Niederlande, Schweiz, Schottland); bedingt durch die gegebenen historischen Umstände führte dieser Prozeß in manchen Fällen letzten Endes zur Entstehung eigenständiger Nationalsprachen auf Grund einer Gruppe territorialer (vorhin: Stammes-) Dialekte (z. B. Niederländisch auf niederfränkischer Grundlage, mit Elementen des Holländisch-Friesischen), während die dialektale oder sogar nationale Differenzierung in anderen Fällen die Einheit der gemeinsamen Literatursprache nicht zerstörte, obschon diese Möglichkeit potentiell vorhanden war (in der deutschen Schweiz oder in Schottland). Die auf solche Weise isolierten Sprachräume (die Niederlande, die Schweiz und Luxemburg im Deutschen bzw. Schottland im Englischen) werden in der Regel als Reliktlandschaften betrachtet, die an den sprach­lichen Neuerungen der Sprachräume, von denen sie sich abgesondert hatten, nicht mehr teilnahmen und daher Archaismen aufweisen. In der Tat zeigen sie jedoch nicht weniger Neuerungen, die ebenfalls auf ihr eigenes Verbreitungs­gebiet beschränkt sind und weiter nicht um sich greifen konnten." 'Vgl. V. Schirinunski: Deutsche Mundartkunde. Berlin 1902, S. 589. Acta Linguistica Hung. XV. 11)65

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