Gutenberg, 1930 (Jahrgang 12, nr. 1-52)

1930-01-03 / nr. 1

GUTENBERG Erscheint jeden Donnerstag mit dem Datum des nächstfolgenden Tages. — Einzelnummer 80 h. — Zuschriften werden nur frankiert angenommen. Nichtversiegelte Reklamationen sind portofrei und sind an die Expedition zu richten. Manuskripte werden nicht retourniert. ZEITSCHRIFT FÜR BUCHDRUCKER« UND VERWANDTE INTERESSEN IN DER CECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK Redaktion: Prag II., Smecky 27 n. — Admi­­nistrat­ion: O. Kinsky, Prag II., Smecky 27 n. Expedition: Grafia, Arbeiterdruckerei, Prag II., Myslikova 15 n. — Annoncen werden bei der Administration angenommen und mit Ki 2­— pro Petitzeile berechnet. Bei öfterer Insertion Rabatt, XH. JAHRGANG. Prag, 3. Jänner 1930. InTTTTTH Nummer I. Ins neue Jahr! Von Generation zu Generation wird der Neujahrstag, respektive der Jahreswechsel, von den Menschen zum Anlasse genommen, um sich für die nächste Zukunft das Beste zu wünschen. Unter dieser Voraussetzung will auch ich die sich dazu bietende Gelegenheit benützen und meinen Gefühlen, was ich der Organisation aus vollem­­ Herzen wünsche, Ausdruck geben. Es mag Holleicht sonderbar klingen, auf diesem Wege Erfolge und ein ersprießliches Ge­deihen der Organisation als Neujahrswunsch entgegenzubringen. Es geht jedoch nicht um ein­zelne, sondern um das Ganze, was wir unter dem Titel Organisation verstehen wollen. Mit dem 1. Jänner 1930 tritt der in den Mo­naten November und Dezember vereinbarte Lohntarif in Kraft. Dies ist zwar ein Moment, welchen unsere älteren Kollegen mehreremal miterlebt haben und daher für sie keine Neuigkeit. Jeder Ver­trag, so auch der zuletzt abgeschlossene, ist mit mehr oder weniger Befriedigung zur Kenntnis genommen worden. Bei jeder, so auch bei der letzten Tarif­revi­sion, sind einzelne Postulate, deren Erfüllung von den Gehilfen erhofft wurde, offen geblieben, um weiterhin berechtigter Wunsch zu bleiben. Dieser Umstand bewegt mich am Anfange der kommenden Tarifperiode dazu, das mit­zuteilen, was Ich als unumgänglich notwendig erachte, den Kollegen zu sagen. Fünf volle lange Jahre soll der Frieden im Gewerbe erhalten bleiben, und ebenso lange Zeit sind Rechte und Pflichten vertraglich fest­­gehalten, die unser Arbeitsverhältnis in der Druckerei darstellen Wir wissen, daß wir uns im Laufe dieser Gültigkeitsdauer nach dem in den letzten zwei Monaten des verflossenen Jah­res abgeschlossenen Lohnvertrage zu richten haben. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur Pflich­ten zu erfüllen, sondern auch aus den, von uns selbst vereinbarten Bestimmungen den Nutzen zu ziehen und dadurch unsere Rechte weiter aus­zubauen. Abgeschlossene Verträge, und selbst die Besten, können sich zu unserem Nachteile aus­wirken, wenn das notwendige Verständnis für ihren Wert nicht vorhanden ist. Es wird daher Sorge der Mitglieder sein, zu den klaren Bestimmungen des Lohntarifes auch klare Köpfe und feste Charaktere zu stellen, die aus dem Nachwuchse unserer Mitgliedschaft entnommen werden müssen. Dieser Frage unser vollstes Augenmerk zu widmen, ist ein Gebot der Zeit und Vernunft zugleich. Wir alle, die in den Druckereien unseren Er­werb suchen, wissen, daß in dieser Richtung so manche Scharte auszuwerzen ist, und dies um so mehr, nachdem dies alle Vorbedingungen er­möglichen. Die Organisationstätigkeit ist heut­zutage entschieden bedeutend erleichtert, nach­dem hierzu gegenwärtig eine größere Bewe­gungsfreiheit gegeben ist als früher. In der Vor­kriegszeit, wo der Vereinstätigkeit das Zeichen aufrührerischer Handlung aufgedrängt wurde, war dies gewiß ungünstiger als heute. Die Gewerkschaftsorganisationen genießen, wenn auch nicht offiziell, einen bestimmten ge­setzlichen Schutz. Dies ist so zu verstehen, daß es nicht ge­nügt, sich auf den Kollektivvertrag zu be­rufen, sondern daß dieser auch respektiert wer­den muß. Unsere Vorgänger mußten, um ihren Ge­fühlen Ausdruck geben zu können, wie sie sich die Organisation auszubauen gedenken, alle er­denklichen Mittel ersinnen, um der polizeilichen Drangsalierung zu entgehen. Demgegenüber leben wir gegenwärtig in einer bedeutend freieren Zeit. Heute ist es nicht mehr möglich, daß orga­nisierte Arbeiter von Ort zu Ort gehetzt wer­den, nur aus dem Grunde, weil sie Mitgliider einer Arbeiterorganisation sind. Schon diese Tatsache sollte jeden organi­sierten Gehilfen dazu anspornen, sich mehr der Organisation zu widmen, als wie dies heute leider der Fall ist. Insbesondere wir Kollegen haben keinen Grund, der Organisationsarbeit auszuweichen, im Gegenteile, alle Ursache, uns am Vereins­­leben lebhaftest zu beteiligen. Aber nicht nur den organisatorischen Fra­gen allein, sondern auch zum großen Teile der fachlichen Werbe- und Bildungsarbeit gelte un­sere Aufmerksamkeit. Unsere heranwachsenden Kollegen können ohne ausreichende Fachkenntnisse keine guten Organisationsarbeiter sein. Dies hieße auf dem halben Wege stehen bleiben. Fachlich erfahren, mit genügend erworbenen Kenntnissen, Lebenserfahrungen und beruflichem Verständnisse gewappnet, bedeutet, den ganzen Mann stellen zu können. Liebe zu seinem Berufe sollte das Leitmotiv jedes einzelnen Kollegen werden. Eines wie das andere muß Besitz jedes Buchdruckers werden, wenn er will, daß das,­­ was wir Organisation nennen, groß, stark und schützend erhalten bleibe. Unsere jungen Kollegen müssen bestrebt sein, sich­­ Sprachkenntnisse anzueignen, damit sie mehr Bewegungsfreiheit gewinnen und nebst­­dem ihre Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit im Werte steigern können. Die Berufskenntnisse zu vertiefen, praktisch wie theoretisch sich mit allen im Druck- und Satzfache ergebenden Fragen vertraut zu machen, der Drang, andere Weltteile sowie auch ihre Ar­beitsmethoden kennenzulernen, der Sinn für Stan­desfragen, seine eigene Arbeit bewerten zu kön­nen, seine fachlichen Erfahrungen als Gemeingut hinzustellen, und das Bewußtsein, seine Pflich­ten gegenüber dem mitschaffenden Kollegen zu erfüllen, muß die Devise jedes einzelnen sein. Die Organisation bietet hierzu reichlichste Gelegenheit. Schon der in die Druckerei eintretende Lehr­ling muß für seine Lebensaufgabe herangezogen werden. Jeder veranstaltete Sprachkursus oder fach­liche Vortrag bietet Gelegenheit, um sich empor­­arbe­iten zu können. Unsere Bildungsstätten bilden hierzu den Stützpunkt und bieten, hauptsächlich unseren jungen Kollegen, die Gelegenheit, sich in ihrem Berufe zu vervollkommnen. Ob es sich nun um den Setzer- oder Drucker­kollegen handelt, jeder, der seine auserwählte Berufsexistenz ernst behandelt, muß diesen Weg als den einzig richtigen betrachten. In keinem anderen Berufe sind so viele neue Arbeitsmethoden aufgetaucht, wie im Buch­­druckgewerbe. Insbesondere will ich unsere Druckerkolle­gen auffordern, sich zu bemühen, mit der technischen Entwicklung soviel als möglich Schritt zu halten. Es ist nicht richtig, als junger Arbeitskollege nach dem Vollkommensten zu schielen, sondern es muß getrachtet werden, an erster Stelle die Grundlagen des Druckes zu er­lernen. Denn nicht die Spezialmaschine, sondern die einfache Schnellpresse ist der Anfang. Es wird häufig über die ungenügende Lei­stung des Druckers geklagt. In jedem Falle ist die mangelhafte Ausbildung an seiner minderen Qualifikation schuld. Es wäre verfehlt, alle diese Übel nur nach einem Maßstabe zu beurteilen. Meistens wird der Druckerlehrling, hauptsächlich in den kleinen Druckereien, sich selbst überlassen und der Lehrherr schaut nur auf die Menge, nicht auf die Güte des Druckes, aber in so manchen Fällen Verband der Buchdrucker in der Cechoslowakischen Republik. An die Verbandsvereinsleitungen und an alle Kollegen Vertrauensmänner! Bei der letzten Revision des Lohntarifes wurden u. a. auch Änderungen in bezug auf die Lehrlingsskala vorgenommen. Im Sinne der neuen Tarifbestimmungen dürfen neu gegründete Betriebe in den ersten drei Jahren ihres Bestandes nicht mehr als einen Lehrling halten. Die Vereins­leitungen, namentlich aber die Kollegen Vertrauensmänner jener Betriebe, welche im Jahre 1929 gegründet worden sind, werden ersucht, diese neue Bestimmung ins Auge zu fassen und dort, wo die Geschäftsleitungen der im Jahre 1929 gegründeten Betriebe ab 1. Jänner 1930 einen weiteren Lehrling einzustellen beabsichtigen würden, darauf auf­merksam zu machen, daß die Einstellung dieses Lehrlinges unzulässig ist. Sollte in einem solchen Falle die Intervention des Vertrauensmannes resultatlos bleiben, dann ist die zuständige Vereinsleitung auf die Überschreitung der Lehrlingsskala aufmerksam zu machen und von der Vereinsleitung eine Klage an das Tarifschiedsgericht zu leiten. Die weitere Änderung des Tarifes betrifft jene Betriebe, welche mehr als 65 Gehilfen beschäftigen. In solch­en Betrieben können ab 1. Jänner 1930 Lehrlinge nur in der Weise aufgenommen werden, daß vom 66. Gehilfen an immer erst auf 6 Gehilfen 1 Lehrling aufgenommen werden darf. In Schriftgießereien, welche nicht gewerbsmäßig betrieben werden (Haus­gießereien), darf ein Lehrling erst dann aufgenommen werden, wenn das zuständige Tarif Schiedsgericht hiezu die Zustimmung erteilt hat. Ohne diese Zustimmung darf kein Lehrling aufgenommen werden. Im Interesse einer genauen Einhaltung der Lehrlingsskala ersuchen wir die Kol­legen Vertrauensmänner, die neuen Bestimmungen des Tarifes gewissenhaft zu über­wachen. Für den Vorstand des Verbandes der Buchdrucker: Wenzel Némecek, Obmann.

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