Ungarische Rundschau für Historische und Soziale Wissenschaften 2. (1913)

1913 / 1. szám - Stefan Tisza: Auf der Schwelle der Wahlrechtsreform

Stefan Tissa: Auf der Schwelle der Wahlrechtsreform. 3 In der früheren Entwicklung der Menschheit: in der Geschichte Griechenlands, Roms, der italienischen Städte und in vielen anderen Beispielen wiederholt sich fast mit der ehernen Gesetzlichkeit des Fatums der typische Prozess, daß das Verfassungsleben der frei­heitsliebenden Völker von der patriarchalen Monarchie zur Aristo­kratie, von dieser zu einer stets schrankenloseren Demokratie und schließlich zum Cäsarismus führt. Die Tyrannei der Aristokratien erweckt den Freiheitsdrang der Völker, die demokratischen Ten­denzen; der Kampf und das Gleichgewicht der beiden bedeutet die Glanzperiode der Völker, und der zur ausschließlichen Macht ge­langte Demos gräbt der Freiheit das Grab. Das war der Gang der Entwicklung in der Vergangenheit. Muß er mit Notwendigkeit derselbe bleiben in der Zukunft? Ich glaube: nein. Denn die gesamte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft hat ja neue Richtungen eingeschlagen und birgt die Möglichkeiten einer schöneren und besseren Zukunft in ihrem Schoße. Die ganze wirtschaftliche, kulturelle Entwicklung der Neuzeit: alles, was auf materiellem und geistigem Gebiete von der Ent­deckung Amerikas und der Reformation an, die französische Revo­lution hindurch, bis zu unseren Tagen geschehen ist, bietet die Vorbedingungen einer echten, auf bisher unerreichtem Niveau stehenden Demokratie. In der wirtschaftlichen und geistigen Evolution unserer Zeit tritt das Schicksal der großen Massen immer mehr in den Vordergrund, ihre Interessen gelangen immer mehr zur Geltung. Nicht kraft der lügnerischen Schlagwörter und der destruktiven Mittel des Klassenkampfes, sondern weil der Fort­schritt der Naturwissenschaften und der Technik die Produktions­bedingungen umgestaltet und den wirtschaftlichen Grund zur öffentlichen Wohlfahrt gelegt hat; weil eine reinere, richtigere Auffassung die ganze menschliche Gesellschaft durchdringt, und die bessere Einsicht der führenden Klassen den Rahmen einer die Lage des ganzen Volkes verbessernden, dessen geistiges und sittliches Niveau hebenden Wirtschafts- und Kulturentwicklung gewährt. Die moderne Gesellschaft läßt die Masse des Volkes in solche wirtschaft­liche, geistige und sittliche Lebensverhältnisse gelangen, die noch vor einem Jahrhundert bare Unmöglichkeiten, schwärmerische Utopien geschienen hätten. Damit sind der Ausbildung einer Demo­kratie die Wege geebnet, die über die zur richtigen Erledigung der öffentlichen Angelegenheiten erforderlichen wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte verfügt. Es duldet keinen Zweifel: wir schreiten der Demokratie entgegen. Einer schöneren, besseren und mächti­geren Demokratie, als je. Einer Demokratie, welche die politische

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