Neue Zeitung, 1969 (13. évfolyam, 1-52. szám)
1969-09-19 / 38. szám
Bäcker, Friseure, Mechaniker und Schuster Handwerker-Dienstleistungen in sechs Dörfern der Komitate Tolna und Baranya In letzter Zeit ist in Ungarn immer häufiger die Rede von den verschiedenen Dienstleistungen. Das ist nur verständlich, wuchsen doch die diesbezüglichen Ansprüche mit der raschen Verbreitung der verschiedenen Haushaltsgeräte, der Radio- und Fernsehapparate, der Kraftwagen und der verschiedenen landwirtschaftlichen Kleinmotoren sprunghaft an. Das Dienstleistungsgewerbe konnte mit dieser rapiden Entwicklung nicht Schritt halten, und auch bei den herkömmlichen Dienstleistungen, die von Handwerkern wie Bäcker, Schuster, Friseure bestritten werden, ist die Versorgung der Bevölkerung nicht reibungslos, ja, gerade auf diesen Gebieten treten in vielen Orten die meisten Schwierigkeiten auf. Unsere Mitarbeiterin untersuchte in sechs Orten der Komitate Tolna und Baranya, wie die Ansprüche der dortigen Bevölkerung auf die verschiedenen Dienstleistungen befriedigt werden. Täglich 200 Laib „Hausbrot” Die Gemeinde Várdomb mit 1100 Einwohnern ist sehr gut mit Handwerkern versorgt — wie mir Ratssekretär Franz Nagy berichtete. — Es gibt fünf Maurer, zwei Schuhmacher, einen Tischler, einen Elektriker, einen Schlosser, eine Schneiderin, einen Gummivulkanisier er, einen Herrenfriseur. Hier fehlt aber in der Liste ebenfalls der Damenfriseur. — Früher hatten wir sogar zwei Damenfriseure. Es waren Mädchen, sie haben dann geheiratet und sind nach Szekszárd umgezogen. Wenn wir eine Wohnung sichern könnten, dann wäre es anders, denn ich selber kenne Friseusen, die gerne in unser Dorf kämen — sagt Franz Nagy. — Wie werden die Handwerker vom Rat unterstützt? — Wir helfen ihnen vor allem bei der Besorgung von verschiedenen Ersatzteilen und Materialien. Sie kommen mit der Liste zu uns, was sie nicht besorgen können, und wir helfen natürlich immer. Aus einem weissen Haus kommen Frauen mit frisohgebackenem Brot heraus. Über dem Eingang die Aufschrift: „Josef Bayerle, Bäcker”. Der Meister nimmt gerade frisches Brot aus dem Ofen heraus, seine Frau wischt mit einem kleinen Besen das Mehl von der Rinde ab. — Ich habe erst seit vier Monaten meinen Gewerbeschein — sagt er. Früher arbeitete ich in (Jer Bäckerei in Bonyhád. Jeden Morgen in der Früh bin iah mit dem Bus dorthin gefahren. Wissen Sie, unser Dorf war sehr schlecht mit Brot versorgt. Entweder kam zu wenig Brot in das Geschäft oder es war nicht frisch genug. So mussten die Bewohner von Szekszárd oder von Bátaszék Brot mit sich nach Hause schleppen. „Eigentlich könnte ich meinem Dorf helfen”, dachte ich, und ich habe mich entschlossen, eine Gewerbezulassung zu beantragen. Wie Sie sehen, hat es geklappt. — Seitdem wir einen Bäcker im Dorf haben — sagt eine Frau, die eben ins Geschäft kam — ist meine ganze Familie dicker geworden, denn wir essen fast noch einmal soviel Brot wie früher. Das Brot von Bayerle schmeckt fabelhaft, ist weich wie Kuchen und die Schale schön knusprig. — Wieviel Kilo Brot backen sie täglich? — Ich könnte sagen, dass ich von früh morgens bis spät am Abend am Werk bin, es kommt darauf an. Durchschnittlich sind es 200 Laib Brot, also 400 Kilo. Meine Frau rührt den Brotteig noch mit der Hand, aber bald möchte ich eine Brotknetmaschine besorgen, so geht die Arbeit schneller und ist auch viel leichter, natürlich. Heute werde ich sogar um Mitternacht anfangen zu backen, morgen ist nämlich eine Hochzeit bei uns im Dorf, da muss ich noch 100 Kilo Brot zusätzlich backen. Jetzt lege ich wieder eine Garnitur in den Ofen, nach 50 Minuten kann das Brot herausgenommen werden, dann mache ich Schluss für heute. Ich möchte noch in den Weingarten hinausgehen, um dort noch ein bisschen zu arbeiten, nächste Woche gibt es nämlich Weinlese bei uns. Wartezeit: mindestens eine Woche — Am meisten fehlt uns Frauen im Dorf ein Friseur. Wir müssen nach Szekszárd fahren, wenn wir unsere Haare in Ordnung bringen lassen wollen, der Weg dauert eine Stunde hin und eine Stunde zurück. Das wäre noch gar nicht so schlimm, aber oft ist diese Fahrt umsonst. Vorige Woche kam ich mit einer schönen Frisur aus dem Laden, und während ich auf meinen Bus wartete, kam ein Regen, meine Frisur war hin — sagt Frau Katharina Hammer aus Alsónána im Komitat Tolna. — Gerade gestern hat meine Tochter das Bügeleisen hinunterfallen lassen, es ist zerbrochen — sagt Frau Ilona Kiss. — Zwar kommt jeden Freitag jemand von Tolna mit einem Wagen und sammelt die defekten Apparate ein, das ist schon ein Fortschritt, denn noch voriges Jahr gab es sogar auch das nicht. Aber sehen Sie, am Freitag wird es weggebracht, nächsten Freitag zurück, und heute ist Montag. Dann bin ich zwölf Tage lang ohne Bügeleisen, das ich doch am ineisten im Haushalt brauche, denn ich habe drei kleine Kinder, also immer eine Menge zu bügeln. — Für uns bedeutet es kein grösseres Problem, dass wir wenig Handwerker haben — sagt Stefan Lösz. — Mein Schwager aus Szekszárd kommt uns nämlich öfters in der Woche besuchen, wenn etwas kaputt ist, nimmt er es mit dem Auto gleich mit. Natürlich wäre es besser, wenn wir alles hier im Dorf erledigen könnten. Alsónána zählt 1000 Einwohner, im Dorf gibt es vier Handwerker: einen Bäcker, eine Schneiderin, einen Herrenfriseur und einen Schuhmacher, der aber schon im Ruhestand ist. — Der Schuster — sagt Stefan Lösz — kann natürlich nicht mehr so arbeiten wie ein jüngerer. Manchmal dauert eine grössere Schuhreparierung sehr lange, so dass wir die Schuhe oft nach Szekszárd schaffen. — Erwähnen Sie in Ihrer Zeitung Frau Kürti, unsere Schneiderin, unbedingt — sagt Frau Ilona Kiss. — Eis ist sehr gut, dass wir sie hier im Dorf haben. Denn zwar kaufen wir vieles in Szekszárd, aber immer wieder muss doch was an den Kleidern geändert werden. Die Jugendlichen im Dorf, auch meine Tochter, wollen sich doch nach der neuesten Mode anziehen, ein Kleid haben, das sie gerade bei einer Modeschau im Fernsehen oder im neuesten Modeheft sahen. Sie gehen dann mit dem neuen Modell zu unserer Schneiderin und sie verfertigt das ausgezeichnet. — Ich habe so viel Arbeit, dass ich kaum noch Luft holen kann — sagt die Schneiderin, Frau Marta Kürti. — Die jungen Mädchen, aber auch die Mütter, wollen immer was Neues, sie geben vor allem so viel auf ihre Bekleidung, seitdem unser neues Kulturhaus zustande kam. Dort ist immer etwas los, wo man sich schön anziehen muss, und das ist auch für mich gut, denn ich habe ständig Arbeit. Bis 10 Uhr abends Auf einem Bauernhof am Ende der Hauptstrasse in Eilend, im Komitat Baranya, frisiert ein Mann im weissen Kittel einen kleinen blonden Knaben. Josef Scheer ist der Friseur des kleinen Dorfes. — Wissen Sie, wenn das Wetter so schön ist wie heute, dann arbeite ich immer hier draussen im Hof, man muss sowieso so viel im Zimmer sein, der Winter ist immer so lang. — Seit wann sind Sie Friseur? — Seit 40 Jahren schon. Ich arbeitete früher in Pécs in einem grossen Friseursalon. Erst spät abends kam ich nach Hause, meine Kunden hier konnte ich also nur sonntags bedienen. „Mensch, das kannst du doch nicht machen, dass die Dorfbewohner extra zum Haareschneiden in die Stadt fahren müssen, weil du nicht da bist!”, dachte ich mir immer. Ich habe eine Gewerbeerlaubnis erworben, und so arbeite ich seit zehn Jahren hier im Dorf. Zwar verdiene ich weniger als in der Stadt, aber soviel bin ich ja meinem Dorf schuldig, dass ich, wenn ich schon mal hier wohne, auch hier arbeite, nicht wahr? Natürlich war es auch nicht leicht, jeden Tag nach Pécs zu fahren. — Wieviel Gäste haben Sie in der Woche? — Ich habe 48 ständige Gäste, die seit zehn Jahren immer am selben Tag, in der selben Stunde kommen. Heute ist Montag, um vier Uhr kommt der Winzer-Toni, um halb sechs der Franzi aus der Nachbarschaft. Sogar um neun und halb zehn abends kommen einige, die in der Stadt arbeiten und deren Busse so spät ankommen. Ich werde sie rasieren und ihnen die Haare schneiden. Eigentlich müsste ich schon in den Ruhestand treten, aber ich werde, glaube ich, nie gehen, ich könnte ohne diese Arbeit einfach nicht leben und ausserdem braucht mich auch das Dorf. 85 Handwerker Seitdem Mözs und Fácánkert Tolna angeschlossen wurden, hart diese Gemeinde fast 12 000 Einwohner. Hier gibt es insgesamt 85 Handwerker, ein Problem bedeutet auch hier der Mangel an Damenfriseuren. Ratssekretär Franz Barát sagte, dass sich die Lage bald ändern wird. Drei Friseusen beantragten die Gewerbezulassung. Wir werden also bald um drei Handwerker reicher sein. Sonst sind wir mit Handwerkern gut versorgt. Sogar einen Automechaniker haben wir und auch einen Fernseh-Mechaniker. Wenn sich also das Friseurproblem lösen wird, haben wir in der Gemeinde, was die Handwerker betrifft, vorläufig kein Problem mehr. Wenn das Radio verstummt — Ich weiss, dass Kátoly eine kleine Gemeinde ist — sagt Frau Maria Müller, aber es ist'ja wirklich furchtbar, dass es zum Beispiel keinen Schuster in unserem Dorft gibt. Mein siebenjähriger Sohn hat mir schon gesagt, dass er Schuster wird, wenn er gross wird, damit sich dieses Problem löst. Wir haben natürlich gelacht, aber es ist überhaupt nicht zum lachen, wenn man im Winter wegen einer kleinen Sohlenarbeit viele Kilometer in die Stadt fahren muss. — Oder ein anderes Beispiel: Vor zwei Monaten ging das Radio von unserem Nachbarn kaputt — sagt Stefan Müller. — Sie wollten es in der Stadt reparieren lassen. Als sie aus dem Bus aussteigen wollten, haben sie einen Stoss von hinten bekommen, das Radio fiel auf den Boden und zerbrach völlig. Für das Geld, das sie für das Reparieren ausgaben, hätten sie beinahe ein neues Radio bekommen. Unser Staubsauger ist auch schon seit Wochen kaputt, ich warte auf meinen Freund aus Pécs, der uns diese Wochen besucht, er ist Mechaniker. Bis jetzt sprachen wir darüber, was es im Dorf nicht gibt. Was für Handwerker gibt es? — Einen Tischler, einen Schlosser, eine Schneiderin, einen Herren- und Damenfriseur und einen Schmied. Wenn wir also noch einen Elektriker und Schuster hätten, wären wir vollkommen zufrieden, was die diesbezüglichen Dienstleistungen betrifft. Nachwuchs gesichert Wie mir die Menschen in Szederkény im Komitat Baranya berichteten, besteht dort kein Mangel an Handwerkern. Sogar einen Fassbinder gibt es im Dorf, der aber nicht nur für die Szederkényer arbeitet, sondern für viele Dörfer in der Gegend. Johann Rauschenberger ist 67 Jahre alt. — Ich sorge auch dafür, dass das Dorf nicht ohne Fassbinder bleibt, wenn ich nicht mehr arbeiten kann. Ich habe zwei Lehrlinge. Sie sind sehr geschickt. Arbeit habe ich natürlich eine Menge, denn diese Gegend ist ja ein Weinbaugebiet. Fässer braucht man also immer, und auch die alten müssen repariert werden. Jetzt arbeite ich gerade an einem 30-Hektoliter-Fass für Boly. Morgen wird es fertig und übermorgen abgeholt. Mein Problem ist nur, dass ich oft kein gutes Holz bekomme, dann muss ich tagelang in der Stadt und Gegend herumsuchen, um alle nötigen Materialien zu besorgen, die ich brauche. Der 16jährige Lehrling Matthias Witzl ist gerade mit einem kleinen Fass fertig geworden: Seine erste selbständige Arbeit. Johann-Vetter schaut es gründlich an, er ist sehr zufrieden damit. Christine Merly Bäcker Josef Bayerle: „Täglich backe ich 200 Laib »Hausbrot«” Friseur Josef Schcer: „Soviel bin ich ja meinem Dorf schuldig, dass ich, wenn ich schon mal hier wohne, auch hier arbeite” Fassbinder Johann Rauschenberger und sein Lehrling Matthias Witzl: „Unser Problem ist, dass wir oft kein gutes Holz bekommen.” BUDAPEST, 19. SEPTEMBER 1969 NTZ 3