Neues Pester Journal, Juli 1877 (Jahrgang 6, nr. 180-210)
1877-07-15 / nr. 194
... L377:««vxg-Zahegang Nr.,194:« ;Eckhnheisi";iixGanzj fx.,halbj.ft.7, viertelj, fl. 3.50, monatlich fl. 1.20. Das „Neue Reiter Fonnal“ erscheint täglich, an den Montagen, Redaktion und Administration: Leopoldt. Kirchenplak Nr. Morgen (Montag) Wie gewöhnlich eine Nummer. sangen Binz eine Nummern 4 Inferate nach ‚aufliegendem Cai. · Früh erscheint Die Bewegung in Rußland, Budapest, 14 Suli. Der großen Menschenheerde,welche die russische Sprache spricht,aber aus verschiedenen Nationalitäten besteht,nebst den übrigen vielen Völkern = ‚Affe diese Sekten, Bünde und Opfer philosophischer Trugbilder haben wohl das Erdreich tief aufgewühlt, aber eine Ummälzung des Reiches konnten sie nicht herbeiführen. Die Masse der Bevölkerung verhielt sie Diesem Treiben gegenüber fremd oder gleichgiltig und die allmächtige Negierung verfolgte dasselbe mit ihren Schirren. Kein größeres Süch, jo auffallend dies erscheint, machten die modernen reformatorischen Speen,. Die in das = und Stämmen, welche das Gravenreich bilden, war Reich hereingescmruggelt wurden. Herken mit seinem ‚der Stempel der Zusammengehörigkeit oder der Gin |„Kolofol“ „heit durch den mächtigen Willen aufgedrüht, der sie gleichmäßig führt und beherrscht. Getrennt, abgeschlossen von der übrigen Welt fehlt es diesen Belfern an naheliegenden Vergleichspunkten, um ihren "Dud und ihr Zurückbleiben war zu empfinden. Nurland war eine Welt für sich. 63 umgab sie mit einer fast undurchdringlichen Dauer. 63 sperrte die Grenzen gegen die Manufakte wie gegen die geistigen Erzeugnisse der anderen Welt. Seine Gifenbahnen gingen mv Bis an den Schlagbaum der Grenzwachtwolten. Selbst die Waggons konnten wegen ihrer Nadhweite nicht fremden Boden berühren. Mit Stolz brüsteten sich die Herrscher Russlands, das das Neic Alles erzeuge, was seine Bevölkerung braucht. In der That hebt Nukland aus seinen Bergwerken Kohle, Blei, Kupfer, Silber, Gold und Edelsteine; es hat Pelze, Hanf Wolle zur Kleidung; es erzeugt alle Nahrungsmittel in reichlichstem Maße; es hat feine gesonderte Kirsche und seinen aparten Gott. Auf der Gröoberfläche war die russische Welt ganz abgeschlossen und isolirt. Allein seine Schranzen und seine Grenzwächter konnten verhindern, daß unterirdische Minen und Gänge vom Audlande sic ‚in's Innere des russischen Reiches zogen. Die Güter, welche diese Kanäle passixten, waren arg genug. ‚Die Erzeugnisse müffiger und frivoler Phantasie, unverdante Ideen über MWeltverbesserung, über: „Spannte Religionsschriften drangen auf Diesem Wege in das Sumnere de Neiches. Wo min irgend eine solche, in Nußland Hineingepafchte mene Spee Wurzel schlug, da entstand eine religiöse Sekte mit oft wahnwiligen Anschauungen und gräulichen Gebräuchen oder ein sozialer Bund von Schlage der Sarrean-Buben oder endlich ein Haufe verlorener Indipiduen, die man Niihilisten taufte. Mas sind die Nihilisten? Nuffen, die ich im Zinses mit der Kultur bespiegelt und über das Bild, das sie da gesehen, jede Lebensluft verloren haben. „„ gewann aber keinem Herzen oder Arie. Für die Annahme des Rezeptes, bas nach englischen, französischem oder deutschem Muster verschrieben, sehnte sich Rußland in seinem Dünkel und seiner angeblichen Originalität nicht. Und so hatte es den Anschein, als wenn Rußland gegen alle Waffen der Revolution mit undurchdringlichem Panzer gefehtigt wäre. Endlich drang die neue Idee an die Oberfläche, wo sie eine tiefe Bewegung hervorrief. Ba=funin war der Brite, der das nationale Banner erhob, dass gleich in der Dienge zündete. Der Gedanke, daß alle Trapischen Nationalitäten einen Bund bilden sollen, daß Nußland berufen sei, an Die Spike zu treten und daß dieses Slawenreich die Bestimmung habe, die implide Zivilisation des Welten zu regeneriren, entflammte den Stolz und Ehrgeiz der Nuffen. Noch trat Bafunin in zu revolutionären Gemwande auf, um den Beifall DS Hofes zur erwerben. UNdter seinen Nachfolgern, den Fadejeff 2 , Alfatoffs und Muderen — an Denen auch der Designirte Gouverneur von Bulgarien, Sur Tiderfaßly,, gehört gelangt 3, bei solchen Personen Propaganda zu machen, an welche sich noch sein Demagog gewagt hat. Diesen beredten und Schlauen Männern konnte es nicht scher fallen, die nationale Idee in dem glänzendsten Lichte [A Fand wohl eher, Gouverneur von Bulgarien und zur Proklamation an die Bulgaren sehen wir immer die nationale oder panflavistische Idee als maßgebendes Motiv herrschen. Wohl mochten sich der Graf und Gortsharoff es Tange überlegt haben, ob es seine Gefahr in sich, berge, das Thor von Kitchener zur öffnen und den russischen Soldaten einen Bli in eine andere Welt zu gestatten. Aber sie entschieden sich für da Wagniß. Sie waren überzeugt, daß sie in der Lage sein werden, das Thor wieder zu schließen. Diese Heberzeugung konnte sich nur auf die Voraussicht und Hoffnung von Giegen und Erfolgen stoßen. Und diese Hoffnung theilte Die Bevölkerung und begrüßte enthusiastisch den Beginn der Verwirklichung ihrer nationalen Träume. Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß. Neue Truppenaushebungen mußten vorgenommen werden. Man appellirte immer stärker an den Geldbeutel der Bevölkerung. 63 stellte sid heraus, daß die Regierung die Widerstandskraft der Türfei unterfhüßt habe. Im Kaufasus entzündete sic) ein Aufstand, Eolossale Unterschleife kamen vor. Als darauf noch die goldbetrekten Generäle in Asien ihre Säule südwärts schwenkten und sammt dem Großfürsten sic) vor den so verachteten Türken auf die Netivade begaben, da brach ein Schrei des Imwillens gegen den Hof und die Regierung aus. Je stark dieser Schrei war, beweist Die Drucschrift, welche Affaloff an die Adresse des Thronfolgers zu richten wuhte. Nun kam die Neihe der Enttäuschung an den Hof. Die angeblich nur natioale Bewegung entpuppte si p löblich als eine moderne freiheitliche. Die Britte, welche Atfatoff aufstellte, gleichen fast in Form und Wesen den Ansprien, welche die Revolutionäre im Jahre 1848 in mehreren Orten erhoben haben. Die unter dem Schein der Loyalität groß gewachsene Partei für:all zeigen, derselben nicht BIoS jede Gefahr für den mulirte ein Programm, welches statt die Macht des Shron abzusprechen, fanden sie als ein Hauptgebot Klerifchers zu erweitern, sein Necht schmälern und einengen will, ein für die Machterweiterung der russischen Krone zu schildern. Der Erfolg dieser Agitation war vollständiger. Das nationale Banner wurde von Oben entfaltet. Der erste Schritt war die ethnographische Ausstellung in Moskau, der zweite Schritt war die fortgelegte Aufwiegelei in den flavischen Ländern und der dritte, und hoffentlich fette Schritt: Und welcher Bescheid wurde dieser renitenten Deputation zu Theil? Die Antwort lautete: „Man müsse die Ereignisse abwarten , die Nation habe, od immer Zeit, Die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie ihre Interessen bedroht glauben. Jedenfalls hoffe man, daß das Programm theilweise angenommen werden würde.“ Mehr als die Forderung hat noch diese Antwort 003 Staunen Europa’3 erregt. Das Verlangen und Die Antwort halfen seinen war dieser Krieg. Von der Rede des Czaren in Moskau, woselbst er sich als Heros für die , flavische Sache” ankündigte, bi zur Ernennung Thertapky’3 zum Bienichs Seiten Beilse Miener Brief. (Drig.- Feuilleton des „Neuen Pelter Journal") 0. neuelte — 14. Juli. Das „In effigie” verbindet zu gar nichts, ist weder ein individuelles, noch ein prinzipielles Programm. Es können Einem „in effigie” die wunderschönsten Dinge vors gemacht und die abjgeulichsten angethan werden, ohne daß man von den einen, das Mindeste profitirt und von den anderen das Geringste verspürt. Wenn ein Men,it Graf Andrásin in der Lage, ein sachverständiges Urtheil darst über abzugeben, denn mirfjamer hat body wohl so bald Niemand die Wirkungslosigkeit des „In effigio” an sich erfahren. Wenn er si af n3 mit den Porträttöpfen der „traditionellen Politif Oesterreich“" zu umgeben gedenkt, wenn er gewissermaßen das Gesammtbild der österreichischen Politit — der auswärtigen nämlich — sich vor Augen zu bringen und gegenwärtig zu Halten trachtet, so ist damit keineswegs auch nur die symbolische Andeutung gegeben, Daß er ich ganz und gar in den Geist derselben zu persenten trachte und die eigene Bolitis der freien Hand das neben an den Nagel zu hängen gemwillt sei. Gar so gefährlich schön, um „si darein zu verlieben”, schaut wahrhaftig das Porträt der bemußten „traditionellen Bolitit" nit aus, so Thöne Charaktertöpfe sie auch im Einzelnen aufzumweifen haben mag — Charaktertöpfe, deren strenger Hof- und Amtsstil allerdings an der romantische revolutionären Stirnlode des Grafen Andrasfg noch immer Anstoß nehmen würde, obwohl sie so ziemlich das einzige Nomantisch-Revolutionäre sein dürfte, was dem Grafen aus der Überwundenen Vergangenheit geblieben sein dürfte. Um eine Galerie solcher Köpfe handelt es sich nämlich, eine Galerie der österreichsichen Mir nister des Auswärtigen, seit Raunib, wie mir gesagt NSZELUJALLt wird, die Straf Andráfin — man vermochte mir nicht anzugeben, ob für seinen Privatbefi5 oder für die amtlichen Empfangssäle am Ballplage — bei Wiener Künstlern bestellt habe und von der ihm dieser Tage bereits einige Grizzen vorgelegt worden seier, In der That, ein wundersamer Bilderauszug aus der österreichischen Geschichte,, der da zusammengebrach würde — und wenn auf Leinwand geflecte Köpfe denken könnten, was sich die Köpfe von Raunik und Metternich wohl über die Furios gewählte Gesellschaft denken, in welcher sie solcher Maßen hineingeriethen? Vom alten Metternich hörte ich Dieser Tage gerade ein scharste, foiges Wort der Selbftkeitis, das Heißt nicht etwa einer tadelnden, sondern der xuhigen, bewußt: feinsstarken Gelbstbeurtheilung , das den Mann besser zeichnet, als er vielleicht der feinste Physiognomiker Des Eragons und des Pinsels zu treffen im Stande sein wird. Er kommt aus seinen lesten Lebensjahren, da er schon längst, zwar mit feinem Vollgehalt, aber mit Berlust seines Aktivitäts-Nimbus von der Zeitgeschichte in den deffinitiven Ruhestand verfest worden war. Einer seiner ehemaligen Untergebenen, der, ob auch nach anderen Richtungen hinlentend, da immer eingedent blieb, daß er uneter dem Staatskanzler den „Dienst“ vom Grunde aus gelernt hatte, besuchte ihn eines Tages und das Gespräch kam auf eine Anekdote, welche gerade in den Journalen erzählt worden war und worin dem emeritirten Lenfer der europäischen Staatengefhhde irgend ein Ausspruch in den Mund gelegt, oder ihm irgend ein Diplomatischer Zug zugeschrieben wurde. Der Besucher fragte den Fürsten, ob er sich an die Scharjählichkeit des Erzählten entzinne und ob die Anefoote wahr sei. „Sie müssen der wissen, daß sie nicht wahr ist, denn sie fennen mich je do — antwortete der Fürst beinahe schroff — es thus mir leid, daß ich meine Memoiren nicht bei der Hand habe, ich würde darin vermuthlich das Geschichtchen aufgezeichnet finden, wie es sich wirklich zugetragen hat.” Und als der Andere seine flaunende Bewunderung darüber ausdrückte, daß der Fürst nach so langen Sahıen sich noch an ein so geringfügiges Detail erinnere, antwortete dieser : „Ich erinnere mich gar nicht daran, aber wie die Sache da erzählt ist, kann sie absolut nicht gewesen sein, weil sie in dieser Fassung gegen alle meine Prinzipien verstoßen hätte und ich niemals etwas gesagt oder gethan habe, was mit meinen Prinzipien in Widerspruch gewesen wäre.” Das war der Metternich des Absolutismus. Einen Metternich des Nicht- Absolutismus — ich will sein anderes, falsches, hohles Schlagwort gebrauchen — haben wir bis zur Stunde nicht gehabt. Wir Haben uns im Gegentheil da Alles viel bequemer und noncalanter eingerichtet und sind mit unserem, je überaus praktischen Entout cass System in der angenehmen Lage, Alles jagen und Alles thun zu dürfen, heute dies und morgen das strikte Gegentheil davon, ohne unsere Prinzipien im Mindesten choquirt zu sehen. Hoffentlich wird Graf Andraffy seine Bescheidenheit nicht so weit treiben, sein eigenes Porträt der projektirten Galerie vorzuenthalten,, in die er unbedingt als ergänzende Zier der Naga Metternich: Periode Hineingehört. Vielleicht in übrigens auch diese Bilderreihe, gleich jener unserer ciszleithanischen Minister, von der in Shen jüngst einmal erzählt habe, für die Bonner Weltausstellung bestimmt und das dort zusammenströmende Europa dadurch mögelicherweise in den Stand, weriet, auf der Basis der Lasnoterschen Wissenschaft die Zukunft Defterreigslingarns