Neues Pester Journal, Oktober 1877 (Jahrgang 6, nr. 272-302)

1877-10-18 / nr. 289

. » 7 VE. Jahrgang Rr.200 TW Eibonnements: Ganz. fl. 14, halbi. fl. 7, viertelj. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20. täglich). Das „Neue PBeiter Journal“ erscheint ad) an Montagen. I« „Donnerstag, den 18. ont Ginzelne Nummern EEE Inferate nach anfliegendem Tarif, Redaktion und Administration: Leopoldft. Kirhenplag Nr. 2. Eine gehorsame Majorität, B­udapest, 17. Oktober, Mit munterem Behagen ıund unermürdlicher Haft Haspelt das Abgeordnetenhaus das ihm zuge­wessene Bentum von Ausgleichsvorlagen ab. Heute hat das geehrte Haus das Branntweinstener-Gefek­t Ende berathen und nach einer Tagesrast wird , am Freitag in die Debatte über die Zudersteuer eingehn, unbetümmert, um. Dasjenige, was sich jenseits der Leitha abspielt und unbeirrt um die weiteren Berballhom­irungen, welche dort den Ansz oleichavorlagen zu Theil werden. Bergeblich machte die Opposition der Nechten heute einen schüchternen Bersuch, um das Haus zur Befragung der Debatte über das Auderstener-Gefet zu bewegen ; vergeb­­li wiesen ihre Redner auf die beiden wesentlichen Differenzen Hin, melche: durch die Besschlüsse des österreichischen Abgeordnetenhauses hinsichtlich der Branntweinsteuer geschaffen wurden ; vergeblich mwarnten diese vor der Inangriffnahme des Zuderz­ freutergeleßes, welches nur dem Oesterreichern Vor­­theile bietet, ehe Stlarheit darüber erreicht­e­, ob und wie die bisher aufgetauchten Differenzen bes­­ fertigt werden können. Tiba und Szél trieben das­­ Haus, bei den gefaßten Beschlüsfe zu bleiben und so wird denn der parlamentarische Dampfapparat auch beim Zudersteuer = Gefäß seine Schuldig­­­keit thun. Geduld und Langmuth besitz ja dieses Parla­ment in einem mehr als ausreichenden Make. Kolo­­man Tißa hat es wie noch keiner verstanden, sie seine Leute auszusuchen und sie zu getreuen und ge­­horsamen Werkzeugen seines Willens zu drilfen. Was Koloman Tiba befiehlt, das geschieht, was er dem Parlament bietet, das läßt er sich, wenn ichon nicht freudig, so doch schweigend gefallen. Mit die­­sem Parlamente kann Tiba Alles machen. Dieses Parlament beredete er zur Annahme des Ausglei­­ches, dieses Parlament überzeugte er von der Borz­trefflichkeit der Andraffy’schen Orientpolitik. In Wien fennt man diese Macht des ungarischen Mini­sterpräsidenten und darauf­hin fündigten die österrei­­chischen Minister während der Ausgleichsverhand­­lungen, daraufhin fündigt heute die österreichische Fr­ee bei Berathung der Ausgleich: gesehe Die österreichischen Abgeordneten wissen, daß Tiha jedes parlamentarische Kunststüc zu Wege Bringen f an und darum wolen sie ihn Gelegenheit zu den glänzendsten Proben seiner Kunstfertigkeit bieten. Darum beschlossen sie die obligatorische P­rodu­ktenberieterung für die Brannt­weinerzeugung, darum erhöhten sie im Gegensabe zu den Beschlüfsen der ungarischen Finanzkommission die Produktions­­grade bei der Spirituöbesteuerung. Darum konnte er das Subsomits­ des österreichischen Ausgleichs­­ausschusses wagen, schlechtweg, als ob es nie eine Meinungsverschiedenheit über die rechtliche Natur der 80 Millionen­ Schuld gegeben, als ob Ungarn nie die Rechtsverbindlichkeit dieser Schuld bestritten und dieselbe zu allen Zeiten anerkannt hätte, diese Sayuld’als eine gemeinsame zu deflariren und ohne jeden­ Vorbehalt über die Austragung der wichtigen Rechtefrage auf eigene Faust Verfügungen über die Amprtiferung der Schuld nach dem bisherigen Duotenschlüssel zu treffen. Dazu konnte es jenes Subsomite auch wagen, eine Verlegung der Bank­­frage auf seinen ganz unabsehbaren Zeitpunkt in Berschlag zu bringen, die Bankfrage mit der Zoll­­frage zu verquiden, um, wenn möglich­, aus den Fam nennens werthen angeblichen Konzessionen, welche in der Bankfrage großmüthiger Weise an Ungarn ges­ macht sein sollen, bei der Zollfrage nochmals Kapital a Be diese Haltung des österreichis nd gegen diese Haltung des österreichischen ‚parlaments d­ a imgartice ‘ ein nicht einmal auf das Bescheidenste demonstriren dür­­fen. 63 soll nicht nach regte und nicht nach inte blicen, sondern unbeirrt seiner Wege gehen, als ob der Ausgleich nicht eine zweiseitige ‚internationale Bereinigung und der eine Theil im eigenen Interesse verpflichtet wäre, darauf zu achten, was der andere thut. Das ungarische Abgeordnetenhaus — so meint Tipa — habe nichts zu thun, al die Ausgleiche ge­­fege zu votiven, alles Uebrige sei Sache, der­ Regie­­rung und des Oberhauses, das jebt vom Kabinet Tipa urpröglich) zu einem gewichtigen Sektor unseres Parlamentarismus erhoben wird. Die Regierung und das Oberhand werden nach dieser Auffassung dafür sorgen, daß alle Differenzen ausgeglichen werden, und daß alle Mißklänge sich in Freude und Wohlge­­fallen aufldsen. Mir freilich Haben die Ausgleichsfragen nie mit jenem Optimismus betrachtet, welcher Herrn C. Tiba eigen ist, und die Ereignisse haben unseren Beflrmig­­unus im außreichendsten Maße gerechtfertigt. Und so fürchten wir denn auch­ heute, daß die Taktik Kolo­­man Tipa’s das ungarische Parlament in eine Sach­gasse führen wird, wo es keine andere Wahl gibt, als den Bruch oder abermalige K­onzessionen. Solo­­mon Tipa hat es aber bereits bewiesen, daß er nicht der Mann it, der es auf den Bruch ankommen läßst; er hat bei den Mai-Stipulationen flein beigegeben, er hat im vorigen Winter Die Forderungen der Herren Depreti3 und Zucam in der Banffrage bewilligt, er­­­blatt oder die Buchhändlers Anzeige gesehen haben. Di­es gibt wirkliche Virtuosen auf diesen Gebiete. Die Werke deutscher, französischer, englischer, italienischer Schriftsteller an den Fingern herzählen, ist ihnen reines Kinderspiel und entfält Einem manchmal der Name eines Autors, flug3 sind sie Hilfreich zur Hand. Wie da die ganze Gesell­­schaft sich verständnißinnig zuminst und in Stiller Bewunde­­rung zu dem großen Kirchenlichte aufblicht! Wie armselig nehmen sich Daneben doch Diejenigen aus, welche nur ein und das andere gute Buch fennen, da sie ja Zeit brauchten, auch den Inhalt kennen zu lernen! Nur eine Feine Stufe höher Stehen diejenigen Litera­­turfenner, welche ihre Gelehrsamkeit aus Journalbefpres­sungen holen und natürlich auf den Rritifer ihres Leibblat­­tes fgwören müssen, da ihnen selbst sein Urtheil zusteht. Denn in den seltensten Fällen hat eine solche Besprechung die Wirkung, die sie haben sollte, nämlich­ zur Anschaffung der als gut bezeichneten Bücher anzueifern; man begnügt sich bei uns mit den flüchtigen Andeutungen, welche die Zeitung bietet. Daher kommt auch der geradezu über­­raschend geringe Bücherfonsum, daher­ gehört es zu den Wundern, wenn ein Werk mehrere Auflagen erlebt. Und hat sich prinzipiell auch für die eventuelle Einbringung des prohibitiven Zolltarif8 erklärt. Warum sollte es nach diesen Unteredentien gar so überraschend sein, wen Herr v. Tipa eines Tages die sechs Heftolttergrade oder die Produktensteuer bei der Branntweinsteuer befürwortet ? Wer würde noch weiter erstaunen, wenn unser Bremser um den Lieben Friedens willen auch noch für die bedingungslose Anerkennung der 80 Millionen­ Schuld oder für die Wahl des Dante Vizegouverneurs eintreten sollte? Wir wenigstens würden und nach allem, was bisher geschehen, nicht einmal darüber wundern, wenn am Ende der Aus­­gleichedinge der Ministerpräsident dem Parlamente empfehlen würde, mit den Nestituttionsfragen nicht viel jederlesens zu machen und auch darin der Öster­­reichischen Legislative den Willen zu thun. Auch das würde man dann no­, mit dem fühnen Nament „Ausgleich“ belegen und wir zweifeln nicht, da. Die Majorität auch, diesem Diktat ihres Herrn und Mei­sters unbedingt Folge leisten würde. Der Abend nach der Wahl (Dorig.-Korr. des „Neuen Befter Journal.) Paris, 15. Dfioher. “ Der große Tag ist vorüber. Die gewaltige Stimme des Suffrage universel hat gesprochen. Die Urnen haben ihr Urtheil über das Attentat vom 16. Mai gefällt; dieses Urs theil ist ein verdammendes'und es gibt keine Appellation mehr für die Mittelhäter, die mit bewaffneter Faust das­ unvorbereitete Land meuchlinge überfallen und nur fünf Monate seiner Freiheit beraubt haben. In dem Augenblicke, wo ich diese Zeilen schreibe, it das definitive Wahlresultat noch nicht bekannt. 65 sind erst aus 462 von den 529 Wahlbezirken, in welchen gelten, ab­­gestimmt wurde, Nachrichten in Paris eingetroffen. Das­ Ergebniß ist bisher nicht ganz, was man gehofft hatte. Die­ Republikaner haben schon 32 Site verloren und erst 22 ges­­wonnen, a3 einen reinen Verlust von zehn Giben ergibt. Die Zahl der gewählten Republikaner beträgt 294, die der Monarchisten 168. Noch sind 67 Wahlresultate aus Frank­­­reich b­eständig, denen sich die vier Wahlen aus den Kolo­­nien anschließen werden. Von diesen restlichen 67 Bezirken werden natürlich auch nicht alle den Republikanern zu Gute­ kommen und man wird ganz zufrieden sein müssen, wenn sie die Republikaner in der Stärke von 340 oder 350 in der Kammer werden zusammenfinden werden. Das ist Alles nicht gerade überwältigend großartig, aber es ist ehr befrie­digend. Angesicht 3 der unglaublichen Gewaltthaten und administrativen Uebergriffe, angesicht 3 der Knebelung der Presse, der gerichtlichen Massenverfolgungen, der Einschüch­­­terungen und Drohungen von Präfekten, Maires, Geistlic­­hen und Gendarmen ist es nahezu ein Wunder, daß Die Republikaner überhaupt gesiegt haben. Minister de Sourton ' . .­­ . . . Titelblatt-Kultur. (Original-Feuilleton beg „Neuen Pester Journal") Vor wenigen Tagen war’s, da begegnete, mir­ in einen der frequentirteren Buchhändlers Läden der innern Stadt ein guter Bekannter, der in den tonangebenden Kreisen der Hauptstadt als hochgebildeter Mann, als sel­tener Renner der zeitgenössischen Literatur gilt. Er war auf dem Sprunge fortzugehen und richtete, wahrscheinlich nur an Etwas zu sagen, die Frage an mich: 06 ich ichon Victor Hugo’S jüngstes Werk gelesen ? -- Noch nicht, erwiderte Ig, nit oh­re Stillen Vorwürfe zu machen. — Das Buch müssen Sie Teten, rief mein guter Belannter enphatiich aus. — Hat es Ihnen so Sehr gefallen ? " fragte ich. — a, witsen Sie, ich habe es noch nicht gelesen, war die Antwort, wer hätte auch Zeit, Alles zu sesen ? Diese unerwartete Wendung­ brachte mir nicht etwa zum Lachen, sondern erfüllte mich mit tiefen Aerz­ger. CS war mir nicht um­ den speziellen gal zu thun, «3 erschien mir das Ganze al Symptom eines­ herrschen­­den ungesunden Zustandes. Unter zehn Fällen fennt man Höchstens einmal den­ Gegenstand,, über welchen man spricht , reichthin ein MUrtheit abgibt. Dies gilt vor Allem von den Büchern. 68 ist durchaus Seine Webertreis­­ung, wenn wir behaupten, daß ein großer Theil Derjeni­­gen, die über wissenschaftliche und fröne Literatur sprechen und sich zu urtheilen berufen "glauben, die betreffen­­doch ist der Bücherfonsum ein weit sicherer Gradmesser der Kultur, als der Verbrauch von Seife. Angesichts dieser trau­rigen Thatsache hat man gar sein Necht, über die Sterilität unserer Literatur zu sagen; wenn das P­ublik­um den Autor nit ermuthigt und unterstüßt, dann ist es sein Wunder,daß er die Fittige Hängen läßt, daß sein Schaffens»­drang ermattet, den Bücher gar nicht fennen, sondern blos, das Zitel­ Wir können einen Schritt weitergehen und dabei nie zu vier Eeiten Verlage, mir im wieder an eine Thatsache anknüpfen. Als wir jüngst über die Aussichten für die erste Kunstausstellung im neuere Künstlerhause Erfundigungen einzogen, da sagte man uns mit einem tiefen Seufzer, daß sowohl die ausländischen, als die im­ Auslande lebenden, ungarischen Künstler sich nur Schwer entschließen, ein besseres Werk Hieher zu schier­­den, da sie hier in den seltensten Fällen Käufer finden.. Und­ es ist in der That fo! kaum ein oder zweimal int. Jahre geht durch alle vaterländischen Journale in Form­ einer Tagesnotiz die wunderbare März, Erzbischof X. oder , Graf 9. habe für ein Bild ganze 1500 oder gar 2000­ Gulden gegeben. Wir wollen gar nit an­ Paris oder London denken, selbst in kleinen deutschen Residenzen sind den Werke unserer Landsleute ansehnliche Preise aud bereitwillige Käufer. In dieser Richtung haben wir eine bedauerlichen Nachschrift zu verzeichnen. Wenn man die­ Sclöffer und Kastelle unserer altadeligen Familien bes­­ucht, wird man fast in jedem eine kleine mehr oder minder werthvolle Bildersammlung finden, aber fau­m ein Bild, das aus der jüngsten Zeit stammt und doc hat die Kunst selbst oder doch die Zahl der namhaften ungaris­chen Künstler in unserer Zeit zugenommen. Man nimmt die wohlfeiie,schlechte Kor,­«ic für das Original.Die Wirkun­g bleibt auch nichts­»so und wir sehen die Geschmacks-Verwilderung deutlich an den meisten unserer öffentlichen und Privatgeb­äude. Solo unsinnige, ja oft lächerliche — Bergundung der verschiedensten Baustile findet man nicht, Leicht wieder. Im den seltensten Fällen ist da dem Nichtesten allein die Schuld zuzuschreiben; zumeist trager die Baus -«"-!

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