Neues Pester Journal, Oktober 1878 (Jahrgang 7, nr. 272-302)

1878-10-25 / nr. 296

‘ . s Das „Neue Pester Journal" erscheint täglich, auch an Montagen.­­ Journal ebastion und Administration: Einzelne Nummern 4 in Leopol­dsI. Kirchenplat Nr. 2. duferate ad aufliegendem Carif. 9 Freitag, den 25. Oktober 1878 Mibonsements Ganzi. fl. 14, Halbi. fl. 7, viertelj. fl. 8.50, monatlich­ fl. 1.20. Die Majorität.”) Budapest, 24. Oktober. H. Srivoler it noch nie ein Land regiert worden, als Ungarn, seit es unter der Herrschaft Tipa’s taftlicher Kunstftüde steht. Trogdem ver­­langen die abgebrauchten Mittel noch immer, als solte der altberühmte Ausspruch Orenstierna’s stets neu illustrirt werden. Koloman Tipa nennt das Band wie keiner, er weiß, daß man ihm unge­straft Alles bieten darf, wenn man nur­ irgend­einen Theatercoup zur Hand hat, womit in Mo­­menten starker Aufregung die allgemeine­ Aufmerk­­samkeit abgelenkt werden kann. Wie stürmisch auch vor wenigen Wochen die öffentliche­ Meinung­ über den bosnischen Feldzug aufwagte, die geschicht in­ Trenk­te Ministerfrise gebot der Bewegung Halt. Die Komödie konnte um so­­ gefahrloser eingeleitet werden, als Tipa recht wohl wußte, daß sich zur Sortfegung der eingeleiteten Politif keine Hand bieten würde und daß eine Nenderung der Politik nicht beabsichtigt werden könne, so lange er sich unbedingt ihrer Fortfegung weiht. Und Koloman Tiba konnte zuversichtlich dem Erfolge vertrauen, denn in dem Lande, das schon zur Wahlzeit, mit einem Fuße in­ der bosnischen Aktion stehend, eine starke Negierungsmajorität wählte, waren ernstliche Störungen nicht zu besor­­gen. So­ it es auch ‚gekommen, Troß der um­­zäglichen politischen und finanziellen Gefahren, die den Reichsbestand bedrohen, wird die Negierungs­­partei, den bisherigen Stimmungen nach, ungebro­­chen einer Polität folgen, die noch zur Zeit Franz Des!’ unmöglich schien. In dem Geiste der Partei hat sich Groß mancher neuen Persönlichkeiten nu­s verändert. Nach wie vor fühlen gedanken: Iose Gemüther das Bedürfniß, sich von den sub­­tilen Sophistereien­ der infiziösen Presse befruchten zu lassen und mit heiliger Scheu Thatsachen zu­­ acceptiren, für die das Gefäß der Unveränderlich­­­keit angeführt wird. Eine neue glückliche Parole ist ausgegeben worden: Man müsse nach oben be­weisen, daß man nicht nur regieren, sondern aug regiert­ werden künne. Der wahrhaft staatsmän­­nlsche Geist ordne sich willig den­ Ereignissen un­ter, und als solche gelten die selbstgeschaffenen Wirkungen der Andrasiy’schen Politik. Den „Er­ .“­ von einem Mitgliede der vereinigten Opposition. „eigniffen” eine andere Nichtung geben zu wollen, scheint der bei uns landläufigen Aufgabe einer Regierungspartei zu widerstreben. Zwar an die Annex­on Bosniens denkt noch Niemand, vorläufig wird sie mit absoluter Hypo­­trisie perhorreszirt, allein die Okkupation auf ge­­meinsame Kosten mit provisorischer Militärverwal­­tung hat schon einen gewissen Appetit hervorgerufen. Man beredet sich allmälig, ein gutes Geschäft zu machen, wenn die mit offiziöser Phantasie ausges­scmühten Provinzen um ein Drittel der Erobe­­rungs- und Affimie­rungskosten erworben werden, und manche praktische Seele rechnet wohl schon im stillen Kämmerlein aus, wie viele von den mit der Zeit ungweifelhaft nothunwendig­­ werdenden Oberge­­spansstellen auf Ungarn entfallen werden. Die finanziellen Schwierigkeiten hasfen sich mit Phrasen der großen Politik nicht abthun, ohnehin war die Rechenkunft nie unsere flarfe Ceite, darum steht auch unsere Goldrente auf 83 fl. Man wird sich aug Hoffentlich hüten, einen Fachm­ann, wie Solo­­man Széll, mit dem Finanzportefeuille zu betrauen. Fachmänner werden mit ihrer unerbittlichen Zahlen­­logiE leicht häftig, weil sie den Werth des Ruhmes nicht würdigen. Freilich verschwinden Die finanziellen Bedenken vor den politischen Konsequenzen der aus­gemutheten Aktion: Berschiebung der Nationalitäts­­gruppen, Gefährdung des staatsrechtlichen Dualisti­­schen Prinzips, Etablirung einer außerparlamenta­­rischen militärisch = gemeinsamen Magt und Ent­­wickklung der Delegationen zu einem­ Centralparla­­ment ; aber derlei Folgerungen molestiren nicht die Seele eines unerschrochenen Barteimannes, er schiebt die Verantwortung dafür einfach der Regierung zu, denn was Tipa und Andrásfy für gut und noth­­wendig finden, kann dem Gewissen eines schlichten, oft auch naiven Abgeordneten nicht hästig werden. Freilich gibt es in der Regierungspartei auch eine duch Intelligenz und staatsmännlsches Urtheil ausgezeichnete Fraktion, von der das Land viel, sehr viel erwartete, weil sie in den jüngsten drei Jahren mitunter eine Faust im Sade machte ; aber von der­ theoretischen Fronderie zur energischen Aktion ist ein weiter Weg, mitunter unüberschreit­­bar, wenn er mit Zweifeln befägt ist, deren jeder eine Samlet­atur, gefangen nehmen kann. Brauchte das Land, bedächtigen Math­­over glänzende Disser­­tationen. Niemand konnte sie besser liefern, als die Männer dieser Fraktion. Zum Unglück braucht Unrecht, der behauptete, die italienischen Universitäten von 1778­ seien gegen gelehrte Bestrebungen von Frauen liberaler gewesen, als die Deutschen und österreichischen Universitäten hundert Jahre Darnach). Vielleicht waren jene nur galanter. Denn am Ende konnte man in jener Zeit nicht von einer eigentlichen Emanzipation:Bewegung sprechen und brauchte also auf erbgesessener (will fagen: auf männlicher) Seite nicht auf Abwehr bedacht zu sein. Es waren interessante Bersuche einzelner Frauen, welche schon der Kuriosität halber Aufmunterung verlangten und denen hemmend entgegenzutreten für ein so galantes Zeitalter, wie das Nococo, nut, der mindeste Grund vorlag. Auf welche Weise man damals gelehrte Frauen ansah, geht aus der Flut­ von Lobgesängen hervor, welche von offiziellen und nichtoffiziellen Poeten an Damen ge­­richtet wurden. Deren bis zur Ergreifung eines schwierigen Männerberufes geltende Selbstverleugnung etwas Rührendes hatte. So wurden die zu Ehren Laura Baffi’s gedichteten Oden 1735 in zwei Sam­m­­lungen veröffentlicht. Uns Kindern des neunzehnten Jahr­hunderts ist solche Galanterie fremd geworden; wir finden es nicht rührend,, sondern unpassend und gefährlich, wenn ein Weib gelehrte Anmwandlungen hat, und es fällt uns nicht im Eglafe ein, über solche Belleitäten in Dithyramben auszubrechen. So viel zur Charakterisirung beider Cpoden. In der Hauptsache beschäftigt uns heute eine jüngere Zeitgenossin und Landsmännin der gelehrten Eignora Drafft. Auch sie war eine Gelehrte und erwarb den Doktorhut, aber sie starb frühe und ihr Gedächtniß ist fast verschollen. Ihure Geschichte ermangelt nicht sympathischer und anmuthiger Züge, und­erlich zeigt sie bei unserer Heldin, was vor hundert Jahren etwa als Ziel einer Em­­anzipation der Frau betrachtet wourde. Seien wir sogleich Hinzu, Daß es weit besceidener man statt bieter energischere, weithin wirke im Thaten. Es gilt, den Beweis zu führen, b jeg und Baterland heiliger sind, als die baren Fik­ionen­ einer­ abenteuerlichen äußer Titít ; es gilt, dem schon in Bewegung­­ Schicjalsrade in die Weiden zu greifen, denden Mißgeburt eine gesunde Neugestaltung gegenzulegen, das ist es, was die Nation on Par­lamente hoffte und mas­ es unter gefunden hältnissen auch leisten müßte. Den ob­ diese jene Partei regiert, ist der Nation gerade so gleich giltig, wie der Name ihrer Vertreter im Nam­e der­er Krone, sie will ihre Interessen gewahrt sehen, nicht den Ehrgeiz Einzelner. Vergleicht. man die geistigen. Erich gleicht, Scheinungen­ der Neuzeit, mit denen­ früherer „Perioden, danur muß­ man flaunen, über­­ den sonst so unmerklich vollzogenen Umschwung. Vorden machte fid) ein fast überschäumendes­­ Bollgefühl persönlicher Ver­antwortlichkeit geltend, aber je weiter die Kreise wurden, aus denen fid) das Abgeordnetenhaus rer frutirt, und je mehr die Heroenzeit unseres öffent­­lichen Lebens in das historische. Halbdunkel Hinab­­rüdt, desto mehr verschwindet der Individualism­us aus der­ politischen Thätigkeit. Einst gab es Ueber­­zeugungen, für die man harte Opfer brachte, fest jegt man ein Verdienst darein, zu beweisen, „wie leicht man regiert werden könne". Die Nation hat sein Recht, mit ihren Abgeordneten über diese Auf­­fassung zu hadern. Jeder kann sich verhalten, wie es ihm gut und ersprießlich erscheint,­ aber es it eine verhängnißvolle Täuschung, zu glauben, daß Mit­ und Nachwelt die Regierung allein für das verantwortlich machen werden, was sie mit aus­ drücklicher Zustimmung ihrer Partei vollbringt. Der­ ßt Die heutige Nummer untfans sch“ Seiten, Die Präsidentenwahl. 6% ket­ z Eine Doktorin beider Rechte, DOrig.-Feuill. de3 „Neuen Bester Journal”.) Das Bedürfniß nach Frauen-Emanzipation stammt nut von heute und gelehrte Frauen hat es immer ge­­geben... Yede Bewegung wirft ihre Schatten voraus: Luther 8 Nieformation hat ihre Vorbereitung in den Albigensern, in Wid­ef und Huß, und — siparva licet componere magnis — die emanzipationstüchtigen Mädchen und Frauen unserer Tage finden ihre Analogie in den vielen, über ihren engen Wirkungskreis hinausgreifenden und gelehrten Weibern des vorigen Jahrhunderts. Das Jahrhundert der Aufklärung, Das alle Kräfte freigab und allerseits den Bruch mit alten Vorurtheilen­ und Traditionen anbahnte, legte­ auch den Grund der Frauen­­emanzipation, Die wir hier lediglich als bestehende That­ Tadhe fassen wollen. Besonders Ital­en war reich an strebsamen geist­­reichen Weibern voll Wissensdrang und Emanzipations- Luft. Wir brauchen nur an die noch heute unvergessene Zaura Baffi zu erinnern, die, 21 Jahre alt, in ihrer Vaterstadt Bologna das Doktorat der Philosophie er­­warb (1732) und seit 1745 Universitätsprofessorin für Experimental-Bhysit war. In griegischer, lateinischer, französischer und italienischer­­ Sprache glei­che­­wandert, stand sie mit den ersten Gelehrten ihrer Zeit in wissenschaftlichen Verkehr­ und fand­ Dabei Zeit, eine­­ gute Hausfrau zu sein (sie war an den Doktor Beratti verheirathet) und für Arme und Wafsen zu sorgen, wie eine Mutter. Die Bescheidenheit und Lieben­s­­würdigkeit ihres Charakters gewannen ihr alle Herzen. Sie starb 1778. Eine ihrer Kolleginen, Signora Mansolini, war ebenfalls in Bologna Professorin, und zwar der Anatomie. So gab es im vorigen Jahrhunderte noch mehrere gelehrte Italienerinen, die es zu Amt und Miürden gebracht hatten; und vielleicht hätte der nicht Budapest. 24. Oktober. Das Abgeordnetenhaus hat heute die Wahl seines­ Präsidiums vollzogen. Zum Präsidenten ist, wie man mit ziemlicher Bestimmtheit voraussehen konnte, Koloman Ghyczy gewählt worden. Diese Thatsache an sich bietet ein verhältnißmäßig unter­­geordnetes Interesse ; interessanter it eine­­ Be­trachtung des Stimmenverhältnisses bei der P­rä­­sidentenwahl, denn dadurch wird es möglich, sich ein annähernd richtiges Bild von der Gruppirung der Parteien zu machen. Bei der Wahl des Prä­­sidenten wurden im Ganzen 350 Stimmen abge und verständiger war, als die Umsturztendenzen der emanzipationswürdigen Weiber unserer Tage. Maria P­eregrina Amoretti (meld schmei­­chelnder, feine Trägerin zum Dienste des Amor und Hymen prädestinirender Name!) ward im Jahre 1756 in Oneglia, einer sardinischen Stadt an der ligurischen Küste, geboren. Ihre Eltern waren Franz Amoretti aus einem hochehrbaren Geschlechte, das noch in dem­­selben Jahrhunderte Italien einen geschäbten Minez­talogen gab, und Maria de Betralata. Schon im zartesten Alter zeigte die Feine Maria Peregrina einen heißen Willensdrang, und an der bloßen Er­­lernung von Lesen, Schreiben und Nechnen, womit damals, und bis in unsere Zeit hinein, die Ausbil­­dung der Mädchen beschlossen war, ließ ihr Chraeiz sich nicht genügen. Lateinisch wollte sie fennen. Ihre Eltern gaben ihre Zustimmung und so begann sie pri­­­at im regelrechten Gymnasialunterricht zu nehmen. Welche Fortschritte sie in den Flafjiigen Etupier machte, läßt die verbürgte Thatsache erkennen, hab sie bereits in ihrem zwölften Sehe, troß der ungenügen­­den Lehrmethode, nicht nur die lateinischen Klassn­er des goldenen Zeitalters genau verstehen, sondern uch ein tadelloses elegantes Latein sprechen und Ih­re allem konnte — eine Leistung, vor der germiß Jeder von, wg, die wir doch, acht Jahre, bis Über Die achtzehn hin­­aus, auf der Gymnasialbank geseh­en sind und dann noch immer nicht über ein elegantes Latein verfügt haben, tief den Hut zieht. Dabei spielte si Marie P­eregrina durchaus nur auf das Mannıreib hinaus; sie versäumte im Elternhause nichts, was zu ihren weiblichen Berufe gehörte, und unterrichtete hierin, gleichsam spielend, ihre jüngeren Schwestern. Nur daß sie im Kochen und Stuiden nicht aufgehen wollte. Ri Feng gelehrten Studiums, Den sie einmal betref ten, verfolgte sie weiter und genoß nun Den foges x F - \

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