Pester Lloyd - Abendblatt, Mai 1855 (Jahrgang 2, nr. 103-127)

1855-05-24 / nr. 122

."Wonnerslag,24.Jll1ai- Nro.122. & Abendblatldessslefter Telegrappifche Depejchen der „Defterr. Korrefpondenz. Maris, 22. Mai. Die Börse war in Folge der Erklärungen Lord Palmerston’s und Lord Ruffel’s im Parlament günstig gestimmt. Neuerte levantinische Pot, mit dem Dampfer „Germania.“ Meist schon Bekanntes. Der Bruder des Vizekönigs von Egypten, Mehemed Ali, du­rfte eine Kette nach Wien antreten; über Nefchth Palha’s Abreise eben dahin war es im der türkischen Hauptstadt til. — Aus Cypern meldet man vom 3., daß der Herzog und die­ Her­­zogin von Brabant ihre Neffe nac kurzem Aufenthalt fortgesekt haben. Triest, 23. Mat. Die Wasserleitung wird mittels eines Aktienfapitals von 660.000 Gulden von Nebrasina bis Triest schleunigst hergestellt, da die Eisenbahn schon im Jahr 1856 eröffnet werden dürfte. Veit, 24. Mai. Je weniger die Ereignisse in der Krimm eine bal­­dige Entscheidung hoffen lassen — die beiden jüngsten Depeschen Ganrobert’s vom 8. Mai im heutigen „Moniteur“ bestätigen nur aufs Neue, das die Altix­ten die, am 4. und 2. Mai errungenen V­ortheile zu behaupten gewußt, um so mehr konzentrirt sich die Aufmerksamkeit auf die Haltung Desterreim­s, auf den Inhalt seiner Testen­vorschläge, auf Muthmaßungen über die Aufnahme derselben Seitens der Westmächte und Rußland’s. Was den Geist, der sie biktirt hat, betrifft, so gibt Darüber — neben unserer gestrigen Mitthei­­lung aus der „Hamb. Börsenb." Folgende Analyse einer österreichischen Zirkulardepesche den besten Aufschluß, welche dem „Hamb. Korresp.“ von seinem Wiener Berichterstatter mitgetheilt wird:­­ «In der Zirkulardepesche Oesterreichs an seine diplom­atischen­ Agenten in Deutschland,sowie bei den fremden Höfen ist ganz besonders darauf hingewiesen daß die kais.Regierung an den bekannten vier Punkten bei ihrer Totalität festhalte, und dem dritten Punkte diejenige Auslegun­g gegeben habe,welche es Rußlan­d gegenüber geltend zu machen bereit war und noch zur Stunde bereit ist—­eine Auslegung welche der innigen Ueberzeugung des Kais Kabinets nach sicherlich zu dem erwünschten Ziele geführt haben würde.Es wird ferner nachdrücklich darauf hingewiesen,da di­ie Auf­­fassung,als ob Oesterreich n­ur qunvermitteln­de Macht aufgetreten sei,eine durch­­aus irrigeist,indem es in den Verhandlungen üb­er die Art und Weise der von Ruß­­land zu verlangenden Konzessionen,resp.Garantien vorangegangen ist,und so dargem­alt hat,daß es auf keinerlei Weise in vorhergehen­den Beziehungen oder gar inirget­d einem Einvernehmen mit dem kais.russischen Kabinett stand. Es wird in obiger Depesche als dann eines Weiteren auseinandergesetzt,daß es ein­er spezielle 11 Verständigung,nicht ü­ber die ratio,son­dern vielmehr lediglich über den modus einer Beschränkung der maritimen Uebermacht Ru­ßlan­ds(P11nkt3)unter den drei kontrabirt habenden Mächten bedurfte,ehe die im Dezembervertrage vorgesehene Even­­tualität der Kriegsgemeinschaftlichkeit de jure et de facto eingetreten war,weil die Basis der Verhandlungen prinzipiell nur der Vertrag vom 2.Dezember und der der präzisirten Punktation vom 28.desselben­ Mon­ats blieb.Dadurch­ daß die Westmächte in dieser Ansicht von­ der k-k.Regierung differirten,ist—da jedem das Recht freier Selbstbestimmung stipulirt war—zwar der Zeitpunkt jener Eventualität,nach diesseitiger Anschauung,noch nicht eingetreten,aber das Verhältn­­s der Allianz ist als ein durchaus ungelockertes zu betrachten. Im Uebrigen kann­ sich Oesterreich,seinen Alliirten,wie dem Urtheil der Welt ge­­genüber-was die Thunlichkeit und Nützlichkeit seiner Vorschläge betrifft,darauf berufen, daß sowohl Lord J.Russell wie­ Hr.Drouindek Huys die österreichischen­ Propositionen als zur Bevorwortung durchweg geeignet gefunden hatt. Schließlich erklärt die kais.Regierung,dass sie,nach diesen Trattaten und diplo­­m­atischen Vorgän­gen,ihren­ Ansichten,Versprechun­gen und Verpflichtungen­ nach allen Sei­­ten hin unwandelbar treu bleiben werde.« In demselben Sinne w wird auch der,,Voss.3.«·aus Wien gemeldet daß die Dezemberallianz nicht die mindeste Lockerung erlitten,Hr.v.Bourqueney dem Grafen Buol im Gegentheile in diesen­ Tagen eine Note seiner Regierung überreicht habe,ini welcher die letztere sie handelschig mache,alle von Oesterreich für den Abschluß der Militärkonvention aufgestellten Forderungen vollstän­­dig zu erfüllen. Weder den Inhalt der Propostition muthmaßt der Wiener Korrespon­­dent der „N. Pr. 3.", daß sie auf dem Prinzipe des mare clausum, auf der fortdauernden Schließung der Meerengen beruhe, was allerdings nach den, in den Wiener Protokollen registrirten Aeußerungen der österreichischen Kongreßbe­­vollmächtigten nicht unwahrscheinlich­ ist. Fr­eie Aufnahme, welche das Projekt zu erwarten hat, wäre es jeden­­falls ein Fingerzeig, wenn derselbe Briefsteller mit seiner Behauptung recht hätte, Graf Buol habe sich zur Ausarbeitung der jüngsten P­roposi­tion auf Wunsch Englands und Frankreichs, aber ohne vorherige­­ Verstäm­mDn­gung mit Rußland, herbeigelassen. Keinesfals erwartet man die Ant­­wort aus Paris und London vor Mitte Juni in Wien, doch sollen der eng­­lische und der französische Gesandte ihre Zustimmung bereits gegeben haben. Daß die Friedenshoffnungen demnach noc nicht völlig erlo­­schen sind, laßt sich nicht bestreiten, auch daß die Wiener Negierung mit ihren Mobilisirungsanträgen in Frankfurt warten will, bis das Schedial ihrer Vorschläge sich entschieden hat, it nicht unwahrscheinlich. Ob aber das Gerücht, Graf Walemwski bereite sich zur Neffe nach Wien vor, da Rußland die Propositionen zur Basis neuer Unterhandlungen geeignet gefunden, nicht eben ein bloßes Gerücht ist: das mus die Zukunft Tehren ! London, 19. Mai. (Brest, 3.) Wenn ich recht unterrichtet bin, so ver­­zögert sich die Hierherkunft Perfigny 8 aus dem Grunde, weil das britische Kabinet einige, wenn auch nicht direkte, jo Doch ziemlich verständliche Hinwen­­dungen gegen die Sendung desselben erhoben hat. Das Verdienst Perfigny’s ist ein rein persönliches: es besteht in dem Kultus der Individualität des Kaisers. Man hat daher nicht Unrecht, wenn man sagt, daß sein Plab ausschließli­ch in Frankreich sei. Durchgebildete Prinzipien, ein System der Politik darf man bei ihm nicht suchen; er ist beherrscht von einem Streife bestimmter Sopeen, die er selbst an die kompliziriesten Verhältnisse als Maßstab anlegt. Er ist reizbar, zum Mig­trauen geneigt, Autodidakt, und begicht die Eigenschaft aller Autodidakten, die tra­ditionelle Wissenschaft der Altmeister der Staatsfunft gleich sehr zu verschmähen wie zu fürchten; die Diskussion findet bei ihm keinen schwachen Punkt, weil er die Grimde Anderer gar nicht anhört, und er ist im Stande, durch das gescheichteste diplomatische Gewebe mit feinen Aziomen einen Mik zu machen. Was meint, fragt man demnach, Napoleon mit der Sendung dieses Mannes? Will er nug dafür, daß er und einen Minister opfern mußte, strafen, indem er einen Mann nach London schieft, der nur eine Schwierigkeit mehr sein wird? Will er sich etwa gar von dem Londoner Einflusse emanzipiren, und soll die Gesandtschaft Persigny’s eine Pause ausfüllen, während weniger die selbstständigen Beschlüsse Napoleon’3 zur Reife gelangen? — Der Protest wider die Herüberkunft Per­­signy­s ist weniger das Werk Palmerston’s als einiger seiner Kollegen. Das aristokratische Bedenken, daß doch nicht zu viele homines novi durch Napoleon an dem Hofe der Königin Bistoria eingeführt werden möchten, spielt hierbei keine unbeträchtliche Rolle. In dem Kabinet sieht es wüst aus. Ueber die auswärtige Politik streitet man nicht, denn diese hat sich nachgerade bei allen offiziellen Män­­nern in die Balmerston’sche Phrase von dem „Frieden mit Ehren und dem Krieg mit Sieg“ FEonsolidirt. Wohl aber bestehen die heftigen Meinuungsunterschiede über das Benehmen, welches die Negierung dem immer lauter werdenden Re­­formverlangen der Mittelflaffen gegenüber inne­halten solle. Pal­merston empfiehlt unbedingten Widerstand; hinter dem Ruf nach Ver­waltungsreform berge sich die Feindseligkeit wider Die ständische Grundlage der englischen Verfassung ; Konzessionen würden nicht beschwichtigen, sondern dem Ge­­schmach an B Veränderungen Borschub leisten; nicht Neforim, sondern Revolution sei das Ziel der Unzufriedenen; es gelte mit den Vorrechten der Aristokratie Die Konstitution intaft zu erhalten; die Tories spielten mit dem Feuer und die Sucht nach Gewalt verblende­te gegen die Gefahr. Die Mehrzahl der Kollegen Wal­­merston’s hat seine Luft, dem Premier die Eontrerevolutionäre Bahne tragen zu helfen, theils weil sie dem Manne zutrauen, daß er sie, sobald die Bermh­rung den Gipfel erreicht, im Stiche Taffe, theils weil sie wirklich in der Konzession das einzige Heil für die Aristokratie erbliden. Unsere Hauptgefahr, singen sie, liegt darin, daß wir den Torres gestatten, das Feldgeschrei der Administrativreform zu dem ihrigen zu machen. Hierdurch kommt in die alte Parteistellung eine­ Am­­feir, welche uns, die bisherigen Repräsentanten des liberalen Adels das Vertrauen des Wolfes raubt, während die Partei, die im Publikum als die reaktionäre galt, zur Vertreterin des Fortschrittes wird. Lord Sohn Nuffell hat die Leiterschaft der Liberalen Opposition im Kabinet übernommen. Er mißbilligt die Favaliere Manter, in welcher Lord Palmerston mit dem Parlament umgeht. Er hofft den Nespert, den er im Un­terhause genießt, als Hebel gegen den Premier zu benußgen. Nuffell soll darauf dringen, daß man die Layard’sche Motion entweder, indem man ihr offen bei trete, oder indem man ein freisinniges Program­m aufstelle, enttrüffe. Vielleicht wird bereit, die Debatte Über diese Motion den Zwickpalt der Kabinetsmitglieder zum Tageslicht fördern; lange kann das Ministerium nicht mehr zusammenhalten, man erzählt sich sogar, daß Palmerston schon seit Winfe von Einreichung seiner Demission habe fallen hasfen. Die Medaillenaustheilung durch die Königin Viktoria. (Nach der „Times.“) London, 20. Mai. Zum ersten Male in England’ Geschichte Hat vorgestern das Oberhaupt des Staates eigenhändig an Truppen jeden Ranges die Ohrenspenden ausgetheilt, die — ohne Nacsicht auf Stellung oder Abkunft — auf denselben blutgetränkten und im Sie­gesmarsch durchschrittenen Schlachtfeldern gewonnen wurden. Der Eindruck war ein ähnlicher, wie 68 Der jener weltbekannten Anrede der Königin Be gewesen sein mochte, als sie zu Til­­bury den Soldaten, die zur Vernichtung der spanischen Armada, zur Begründung der britischen Seemacht, zur Rettung des Protestantismus auszogen, zurief: „Ich selbst will Euer General sein, Euer Kampfrichter und der Belohner jeder einzelnen Eurer tapferen Thaten im Felde! “ Der ganze Akt war wohl geeignet, den kriegerischen Geist einer Nation in gleicher Weise anzu­stacheln, wie etwa jener ungarische Reichstag, auf dem das berühmte „mariamur pro rege nostro Maria Theresia­“ ebenfalls einem weiblichen Souverän zugesancht ward. Der At­eli ® Hatte etwas um so. Imposantered an fi), als man gerade den Namen der Königin Viktoria bisher num mit den milden und mohrthätigen Künsten des Friedens in Verbindung zu bringen gewohnt war, so sehr gewohnt war, daß es selbst der Einbildungskraft schwer ankam , sie mit dem schweren Pomp und den Symbolen des Krieges auszustatten. Auch das Parlament hatte es si nicht nehmen Lassen, einer, in der Geschichte Groß­­britanniens so einzig dastehenden Szene gleichsam seine Sanktionirung zu verleihen; und noch bis zum legten Augenblicke wurden auf allen Punkten, von wo aus man die Parade vor dem Kom­­mandanturgebäude übbersehen konnte, Gallerien und Tribunen von ungeheuerer Ausdehnung err­iic­tet. Die Lige für Lords und Gemeine befanden sich auf den Gallerien, beiche an der Parkseite, mit der Aussicht auf die Kommandantur angebracht waren. Ihnen gegenüber, sich an die Kommandantur C Horseguards) anlehnend, fand an jeder Seite des Thorweges eine unweitläufige Gallerie, von der die nördliche für die Familien der an der Zeremonie t­eilnehmen­­den Offiziere und die südliche für die Mitglieder der Regierung nebst ihren Angehörigen und Freun­den bestimmt war. Hier erblickte man den Viscount Palmerston, den Herzog von Newcastle, Herrn Gladstone, Sir George Grey, Herrn Frederik Peel, den Herzog von Argyll, den Marquis Glanricarde und viele andere hochgestellte Persönlichkeiten. 3 Zwischen diesen beiden Gallerien ging von den Mittelfenstern im Parterre der Komman­­dantur ein geräumiger, geschmasvoll mit Scharlachtuch dekorirter Balkon aus, der für die Mitglieder der königlichen Familie erbaut war. Ausgedehnte Reihen von Sigen waren auch an dem­ sü­blichen Ende der Parade Fonstrutri neben der Residenz des ersten Lords der Schap­­fammer, und ebenso am Nordende längs den Admiralitätsgärten, während Dächer und Giebel der Kommandantur, der Admiralität, der Schatfammer und aller, irgend­einen Blick auf das Schauspiel gewährenden Häuser vollgepfropft von Menschen waren. Alle Tribunien und Galle­­rien waren mit rothem Tuch bekleidet, und als sie sich zwischen 9 und 10 Uhr mit einer gläns­zenden Versammlung füllten, wo Schönheit und Mode in den luftigen Frühlingsfarben strahl­­ten, da gewann das ganze Gemälde seinen bezauberndsten Reiz. Was der Szene aber eine unvergleichliche Großartigkeit verlieh, war das Treiben auf dem Paradeplage neben der Kommandantur, wo Hunderte von Offizieren jedes Ranges und jeder Waffe, in voller Regimentsuniform, geschmäckt mit allen Sternen, Medaillen, Bändern, Kreuzen und Orden, die sie berechtigt waren zu tragen, durcheinander wogten. Unter den ersten Ankömmlingen bemerkte man General Sir de Lacy Evans, dessen Brust von Dekorationen flim­­ierte. Offiziere in­ Dienstkleidung, gleichoiel ob sie zum stehenden Heere oder zur Miliz gehör­­ten, wurden von der Postenlinie­ ohne Billete durchgelassen. So ruhte das Auge mit Wohlge­­fallen auf dem malerischen Gegensatz zwischen den flatternden Husarenperiffen, den pittoresken

Next